• Der Schicksalszug rollt weiter

    11. Mai 2023 in den USA ⋅ 🌙 11 °C

    Liebes Tagebuch, Faulheit lohnt sich doch. Nachdem wir gestern bei Maces gequitted hatten wurden wir heute mit einem Frühstück bei eben diesen Feinschmeckerlokal belohnt. 2000 Kalorien waren schnell drin. Die Zimtschnecke, der McMuffin, erste Sahne. Das Rührei kam sehr sehr traurig daher. Trotzdem eine solide Grundlage, denn heute hieß es: Bergauf! Als erstes musste ein Weg unter der Interstate 15 gefunden werden. Durch ein verschmutztes Bachbett und mehrere Tunnel ging es dann über die Gleise des Schicksalszuges. Sein Tuten hatte uns heute morgen schon mehrfach begrüßt. Auch sonst scheint der Zug mittlerweile ein Teil des PCTs und von mir geworden zu sein. Man fragt sich immer: wann hubt er endlich wieder? Und wenn man länger nichts von ihm hört macht man sich sorgen. Er hat mich mittlerweile so in seinen Bann gezogen, dass ich mir den Wikipedia Artikel zu der Bahnstrecke am. Cajon Pass durchgelesen habe. Die 3% Steigung sind für jedes Lokpersonal eine große Herausforderung. Vielleicht hupt er deshalb so viel. Vor Freude, wenn er die drei Prozent rauf geschafft hat und vor Angst, wenn es wieder bergab geht und die Bremsen qualmen. Im Artikel steht auch, dass 50 bis 80 Züge den Pass pro Tag durchfahren. Das halte ich für eine Lüge. In meiner Welt ist es nur ein einziger, der immer fröhlich im Kreis fährt. Das dieser Trip auch Spuren in der Hirnrinde verursacht ist nicht unwahrscheinlich.

    Hier ein kleines Best of Zug:
    https://youtu.be/FpSUEX9wIO0

    Wie für den Zug ging es auch für uns bergauf. 14 Meilen bergauf. Nicht steil, aber stetig. Der gesamte Anstieg zieht sich über 20 Meilen. Es gibt nur einen Water Cache nach den ersten fünf. Das bedeutete für uns ca. 5 Liter Wasser in den Rucksack zu laden und einen auf Kamel machen und nochmal ordentlich nen Liter in den Leib leiten. Der Zug braucht Treibstoff. Zum Glück brauchten wir nur für einen Tag Essen mitnehmen. Im Schrank mit dem Wasser leben übrigens zwei ganz süße Mäuse.
    Wohl dann, hoch da. Der Weg schlängelte sich am Hang des Swarthout Canyon entlang. Die Sonne machte Druck. Der starke Wind und die mächtigen Wolken des Vortages waren verschwunden. Heute hatten wir den Trail fast für uns allein. Nur zwei andere Wanderer haben wir mehrmals getroffen. Man überholt sich, da alle sich mal einen Platz im seltenen Schatten für eine Pause gönnen - müssen. Das ganze war technisch nicht schwierig, außer an einer ziemlich Steilen stelle wo ein Felsrutsch den Trail entfernt hat. Einfach nur auf die Tritte achten. Balance halten. Kurz schwitzen. Geschafft. Und dann einfach durchhalten und weiter hoch. Nachdem wir unsere Tagesmeilen geleistet hatte bauten wir unser Lager am Rande einer Dirt Road unter den schneebedeckten Gipfeln auf. Routine: Zelt aufbauen, Essen machen, Yoga und Stretching, Zähne putzen und den Tag Revue passieren lassen. Es war trotzdem besonders: Kein Wind und ein sternenklarer Himmel über uns. Und in der Ferne das Tuten des Schicksalszuges.
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