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  • Day 17

    Ornans

    September 23, 2020 in France ⋅ ☀️ 18 °C

    Als um 6:30 Uhr mein Wecker klingelt, bin ich mir kurz sicher, dass mein Zeitplan auch einen zweiten Tag Pause vertragen könnte. Diesen Gedanken verwerfe ich sehr schnell, denn ich bin nicht hier her gekommen, um faul herum zu liegen, sondern um zu pilgern und mein nächstes Pilgerziel heißt Ornans und liegt 25 Kilometer Fußmarsch entfernt. Ich packe also, frühstücke wieder mit einigen älteren Herren, bezahle für die Unterbringung und mache mich, etwas später als erhofft, um 7:50 Uhr auf den Weg.

    Es hat heute Nacht durchgeregnet, aber gnädigerweise um 6 Uhr aufgehört. Als ich loslaufe beträgt die Temperatur angenehme 15 Grad, insgesamt gute Voraussetzungen. Die ersten 10 Minuten führen mich den Fluss entlang aus der Stadt, doch noch bevor ich Besançon verlasse, führt mich der Weg auf einmal links den Berg hoch. 5 Minuten später bin ich vollständig durchgeschwitzt und mein Puls, vorsichtig geschätzt, bei 140. Die angefügten Bilder (2+3) transportieren nur bedingt die Steigung, mit der ich morgens um 8 Uhr, noch halb verschlafen, konfrontiert wurde. Oben angekommen werde ich selbstverständlich mit einer tollen Aussicht belohnt (Bild 4), aber nicht einmal, von oben auf die Zitadelle zu schauen, lässt mich diesen dreisten Überfall auf mein Wohlbefinden vergessen.

    Zur Abwechslung geht es nach dem Berg nicht wieder herunter, sondern ich erreiche ein weites Plateau von Wäldern, grünen Wiesen und kleinen Dörfern (Bild 5), auf welchem ich langsam, aber sicher an Höhe gewinne. Das ist gut, denn während Besançon im Schnitt auf 400 Metern Höhe liegt, befindet sich mein Wochenziel Pontarlier auf ungefähr 1000. Hart erkämpfte Höhenmeter wieder zu verlieren, wäre damit sehr bitter und würde bedeuten, dass ich noch den ein oder anderen Schweißausbruch vor mir habe.

    Um halb 11 mache ich meine erste und einzige Pause. Zu diesem Zeitpunkt befinde ich mich in Tarzenay und habe bereits 14 Kilometer hinter mir. Während dieser Pause fällt mir eine Kleinigkeit auf: Ich habe den Zimmerschlüssel meiner letzten Unterkunft, inklusive Chip, mit dem man zu jeder Uhrzeit ins Gebäude rein und wieder raus kommt, noch in meiner Jackentasche. Als regelkonformen Deutschen stresst mich dieser Fund ungemein und ich rufe sofort im Diözesanhaus an. Die Frau am anderen Ende der Leitung scheint damit ein deutlich geringeres Problem als ich zu haben und mag meinen Vorschlag, den Schlüssel in einem Briefumschlag an sie zurückzusenden. Im Übrigen sagt sie, es gebe kein Grund zur Eile, es gebe ja schließlich einen Zweitschlüssel. Nach diesem Telefonat muss ich kurz schmunzeln. Oft denke ich, dass ich mich bereits an die französische Gelassenheit gewöhnt habe, manchmal, wie in diesem Fall, überrascht sie mich aber trotzdem.
    Nach einer halben Stunde und einer Packung Nüsse mache ich mich wieder auf den Weg ins nur noch 11 Kilometer entfernte Ornans.

    Nach der Pause geht's, wie sollte es anders sein, bergab (zur Information: Die Abschnitte davor habe ich in der Pause geschrieben, als ich noch nicht wusste, was kommt). Ich laufe wieder am Seitenrand der Landstraße, welche mich Stück für Stück um jeden gewonnenen Höhenmeter bringt. In Ornans angekommen, befinde ich mich wieder auf 350 Metern Höhe. Die schöne Lage der Stadt am Fluss zwischen den Bergen tröstet mich auch nur in Maßen darüber hinweg.

    Meine Unterkunft, das "Au Sanglier Qui Fume" liegt etwas außerhalb von Ornans. Genauer gesagt nennt sich so der Schrebergarten von Laurent und Augustine (beide um die 40), auf welchem sie schon seit einigen Jahren leben. Ich habe zunächst Schwierigkeiten, ihn zu finden, aber als ich dort bin, bin ich von seiner Größe überrascht. Er ist liebevoll dekoriert, es gibt mehrere Blumen- und Pflanzenbeete, eine große Wiese, auf der sich sogar ein Volleyballnetz und ein kleiner Spielplatz befindet, mehrere Bänke und Tische, die zum Verweilen einladen, und zwei Hütten. Eine ist etwas größer, hat eine Terrasse und gehört Laurent und Augustine und die andere ist etwas kleiner und beherbergt die Pilger, die hier gelegentlich vorbeikommen. Auch diese ist gemütlich eingerichtet und das Beste: Das Bett ist sogar 1,60 m breit, ein Traum.

    Wirklich interessant wird es aber erst beim "Badezimmer". Dieses ist hinter meiner Hütte situiert und zugegebenermaßen die praktischste Lösung für die Lage. Das Klo ist ein Plumsklo, bei welchem man mit Sägespänen "nachspült". Ein Fan bin ich nicht, aber es ist nicht das erste Mal, dass ich so eine Toilette benutze und wohl auch nicht das letzte. Erst bei der Dusche gewinnt Laurent aber mein Herz. Diese ist direkt neben der Toilette und besitzt die beiden Einstellungen "froid" und "moins froid". Was das bedeutet, können sich die Lesenden bestimmt denken. Damit es noch "moins froid" wird, solle ich aber noch eine Stunde warten, damit die Sonne noch mehr Zeit hatte, das Wasser aufzuwärmen. Als ich eine Stunde später dusche, entscheide ich mich für moins froid und dusche damit kalt, aber noch angenehm. Was "froid" ist, möchte ich zu dieser Gelegenheit aber nicht herausfinden.

    Um überhaupt erst Wasser zu haben, muss ich außerdem hinter die Hütte der beiden laufen und den Hahn aufdrehen, aber das stört mich nicht. Empfang gibt es hier keinen und Wlan damit noch weniger und auch das stört mich nicht. Es ist 17:30 Uhr als ich das hier in meiner Hütte schreibe und es wimmelt jetzt schon überall vor Mücken, aber auch das ist mir alles egal, denn: Sie sind nett. Sie sind unglaublich nett. Sie geben mir einen Briefumschlag für den Schlüssel und bieten an, ihn selbst zur Post zu bringen, ein Handtuch, weil meins evtl. bis morgen nicht trocknen würde, selbstgemachten Ingwersaft (gar nicht so übel), einen Wäscheständer damit ich nicht wieder mit meiner Wäscheleine auf Bäumesuche gehen muss und und und.
    Bei den beiden fällt mir nochmal deutlich auf, was dir alles egal und sogar recht ist, solange die Menschen freundlich zu dir sind.
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