• Michael Meyer
sep. – okt. 2020

Un petit pèlerinage

Et 31-dagers eventyr av Michael Les mer
  • Reisens start
    7. september 2020

    Reims

    7. september 2020, Frankrike ⋅ ⛅ 20 °C

    Nach einer erstaunlich entspannten Busfahrt bin ich fast pünktlich in "Reims" angekommen.
    Anscheinend sollte man jedoch sein Flixbusticket genauer durchlesen, denn anstatt wie erhofft am Hauptbahnhof, bin ich am "Champagne-Ardenne TGV" abgesetzt worden.
    Dieser befindet sich in einem Vorort von Reims und damit 7,5 Kilometer Fußweg von meinem Hostel entfernt. Eindeutig zu viel entscheide ich und setze mich dank der Hilfe von einem netten französischen Mädchen in den Zug, der mich für 2,10 € in knapp 10 Minuten zum Hauptbahnhof befördert. Ich bin in Reims, dieses mal wirklich.

    Der Weg zu meinem Zimmer dauert circa 20 Minuten und auf dem Weg kriege ich einen ersten Eindruck von Reims, schöne Parks mit vielen jungen Leuten, typisch französische Häuser und in fast jeder Straße befindet sich ein Weinkeller, weshalb es in der gesamten Stadt angenehm nach Alkohol riecht.

    Mein Zimmer teile ich mir mit vier jungen Männern, mit denen ich kurz quatsche bevor es zum Abendessen eine Tk-Pizza und einen Apfel gibt. Jetzt noch schnell in den Blog schreiben und ab ins Bett.
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  • Verzy

    8. september 2020, Frankrike ⋅ ☀️ 11 °C

    Meine erste Nacht auf dieser Reise war geprägt vom Schnarchen meiner Mitbewohner und einer sehr stickigen Luft im obersten Bett des Sechs-Personen-Zimmers. Als ich um 7:30 Uhr aufstehe, sind alle anderen schon weg oder dabei abzuhauen.

    Nachdem ich um 8 Uhr das Haus verlasse, hole ich mir kurz etwas zu Essen beim nächsten Carrefour (zwei Schinkensandwiches und ein Trinkjoghurt) und mache einen Abstecher bei der Kathedrale Notre-Dame de Reims, die ziemlich beeindruckend aber auch ziemlich geschlossen ist.

    Von hier aus mache ich mich wegen meines unerholsamen Schlafs auf in das "nur" 19 Kilometer entfernte Verzy.
    Der Weg besteht die ersten 5 Kilometer allein daraus, aus Reims rauszukommen, und unterwegs entdecke ich einen Pflasterstein, der das erste mal anzeigt, was ich hier überhaupt mache: Ich pilgere auf der "via francigena".

    Etwas später hole ich mir noch etwas bei Burger King (jaja, ich weiß) und mache pünktlich um 12 Mittagspause im Schatten am Wegrand.

    Als ich weiterlaufe dauert es nicht lange und ich bin vollständig von Weinfeldern namhafter Weinhersteller umgeben. Auf der Spitze eines Hügels passiere ich eine Mühle, die zwar auch sehr schön ist, der aber der Ausblick auf die umliegenden Dörfer die Show stielt. Ich sehe Verzenay, das ich 20 Minuten später durchkreuze, und gleichzeitig weit weg die Spitzen der hohen Gebäude Reims.

    In Verzenay mache ich wieder kurz eine Pause, bevor ich die letzten 2,5 Kilometer nach Verzy laufe. Hier macht sich der Pilgerpass bezahlt, denn ich übernachte mit einem 30 Euro Rabatt in einem gemütlichen familären Gasthof, in dem ich deutlich besser werde schlafen können als letzte Nacht.
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  • Châlons-en-Champagne

    9. september 2020, Frankrike ⋅ ☀️ 15 °C

    Um 7 hieß es wieder aufstehen und Sachen packen. In der Übernachtung war sogar ein kleines Frühstück inbegriffen, das mir genug Energie gab, um mich auf den langen Marsch zum 30 Kilometer entfernten Châlons-en-Champagne zu machen.

    Das erste Stückchen war wieder sehr idyllisch und führte durch das Dorf "Villers-Marmery" und ein paar Kilometer Weinberge.

    Bald darauf hatten Google Maps und ich eine kleine Auseinandersetzung, was ein "Weg" ist und was nicht (siehe Bild 3+4). Ich entschied mich, auf Google Maps zu hören und gelangte nach ein einem kurzen Stückchen durchs Feld und den Wald wieder auf einen gescheiten Weg.

    Google Maps hatte heute für mich generell nicht viel übrig, denn nach den ersten Kilometern fand ich mich am Rand der Bundesstraße wieder, der ich für die nächsten 22 Kilometer folgen sollte (Bild 5). Eine nicht sehr motivierende, aber zugebener Weise effiziente Route.

    Pünktlich um 12 machte ich auf halbem Wege im Örtchen "Les Grandes Loges" eine Mittagspause. Zum Essen gabs zwei Riegel und eine Packung Nüsse. Das Lufttrocknen meiner frischgewaschenen Socken an meinem Rucksack hat auch sehr gut funktioniert, auch wenn ich zu Beginn Zweifel hatte.

    Das Örtchen "La Veuve" war, ebenso wie "Les Grandes Loges" komplett leergefegt und ich bekam insgesamt nur 2 Personen zu Gesicht, einen Mann, der einer älteren Frau einen Tisch abkaufte und laut mit ihr um den angemessenen Preis diskutierte.

    Die letzten 8 Kilometer waren die bisher schwersten der Reise. Meine Beine, meine Füße und mein Nacken taten weh und langsam ging mir das Wasser aus. Ich machte mehrmals Pausen und brauchte über 2 Stunden für dieses Stück. Heute Nacht (im Prèmiere Classe Hotel Châlons-en-Champagne) werde ich seeeehr gut schlafen.

    Nach einem kurzen Nickerchen ging's abends in die Stadt, um den Heißhunger nach Döner zu stillen. Das "Nachtleben" von Châlons-eC war, wie für eine 45.000 Einwohner Stadt zu erwarten, überschaubar, aber schön war der Heimweg im Dunkeln trotzdem.
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  • Saint-Germain-la-Ville

    10. september 2020, Frankrike ⋅ ⛅ 23 °C

    Heute lasse ich es etwas ruhiger angehen und pilgere in das 13 km entfernte Saint-Germain-la-Ville. Weil der Weg nur etwa 3 Stunden dauert, schlafe ich aus, frühstücke in Ruhe und begebe mich erst um 10 Uhr auf Wanderschaft.

    Ich komme durch die Innenstadt von Châlons-en-Champagne und statte der Kathedrale einen Besuch ab. Auch wenn es immer beeindruckende Gebäude und architektonische Meisterleistungen sind, war und bin ich kein großer Fan von Kirchen. Im Inneren faszinieren mich damit eigentlich nur die schönen bunten Fenster, die riesige Orgel und die mit Playmobil nachgestellte Kreuzigung und Auferstehung Jesu.

    Im Touristenbüro hole ich mir einen weiteren Stempel für meinen "Crèdential de pèlerin" ab und begebe mich dann auf die offizielle Route der Via Francigena. Diese führt mich entlang der Marne aus der Stadt und hinein in den Wald.

    Dort mache ich um kurz vor 1 Mittagspause an einem kleinen Steg, der wie dafür geschaffen ist. Zu essen gibt es einen Fertigsalat von Lidl, den ich mit einer Dose Thunfisch aufpeppe.

    Von hier aus versuche ich dem Weg allein anhand der kleinen Wegweiser der Via Francigena zu folgen (Bild 6), was eigentlich auch ganz gut gelingt.

    Auf halber Strecke lichtet sich der Wald und ich finde mich auf einer sonnigen Lichtung an einer Flußgabelung wieder. Das Ufer hier besteht aus einer circa zwei Meter hohen Kante aus Sandstein, die geradezu zum Springen einlädt. An einer Stelle gibt es so etwas wie eine Zwischenstufe, die nur etwa 40 cm aus dem Wasser ragt, hier könnte ich also hochkommen.

    Ich entscheide mich, es zu wagen und ziehe mich vollständig aus. Der einzige, der mich sieht, ist ein Fischer, der auf seinem Boot 50 Meter flußabwärts treibt. Der stört mich nicht, entscheide ich, und springe.
    Das Wasser ist kalt und sehr sauber, perfekt eigentlich. Es war definitiv die richtige Entscheidung. Ich schwimme für ein paar Minuten gegen den Strom, um ansatzweise so etwas wie Muskeltraining zu betreiben und entscheide mich dann rauszuklettern.
    Ich habe die Höhe unterschätzt. Ich verbringe einige Momente damit, die ideale Stelle zu finden, und gebe alles, was ich hab um hochzukommen. Hochstemmen, Oberkörper ablegen, ein Bein hoch, dann das andere. Der Fischer, der geahnt hatte, dass es schwierig werden könnte, beobachtet währenddessen wie ich mich splitternackt abmühe, ans Trockene zu kommen. Der Anblick muss herrlich gewesen sein.

    Nach dem die Sonne mich getrocknet hat, geht's wieder weiter. Der Rest der Etappe verläuft, bis auf ein auf dem Weg geparktes Auto, ziemlich unspektakulär und ich komme um 16:30 Uhr in Saint-Germain-la-Ville an. Meine Unterkunft ist zwar mit 40 Euro die Nacht etwas teurer, dafür bietet mir die Besitzerin aber bei der Ankunft ein Bier aus der Region an, was mir zu diesem Moment allein die 40 Euro wert ist.
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  • Vitry-le-François

    11. september 2020, Frankrike ⋅ ☀️ 23 °C

    Nach einem einfachen, aber leckeren Frühstück geht's um 8:20 Uhr los auf den 22 km langen Weg nach Vitry-le-François. Die Schmerzen, die ich gestern schon im rechten Fuß hatte, sind noch da, aber deutlich weniger geworden und nach einer Weile wieder vergessen.

    Das heutige Stückchen führt mich die gesamte Strecke über einen kleinen Schiffskanal entlang, der parallel zur Marne verläuft. Die Highlights bis zur Mittagspause umfassen zwei große Steinbrüche auf der anderen Kanalseite, meine Frühstückspause und die Schiffsschleusen.

    Diese gibt es alle paar Kilometer auf dem Kanal und sie öffnen sich nicht automatisch. Stattdessen muss der Kapitän manuell an einem Seil drehen, das ein paar hundert Meter vor der Schleuse über dem Wasser baumelt (Bild 5+6).

    Mittagspause mache ich um 13 Uhr in "Couvrot". Hier gibt es ein paar Bänke im Schatten, wo ich mir eine selbstgemachte Quiche und ein Croissant aus der "boulangerie" einverleibe.

    Der restliche Weg ist von der Szenerie wieder unnachahmlich, aber nicht spektakulär. Das Highlight bildet eine kleine Schlange, auf die ich fast trete. Beim Versuch sie von näherem zu fotografieren, schnappt sie zweimal nach mir, was bei ihrer Größe sehr süß aussieht.

    Um 15 Uhr erreiche ich Vitry, wo ich mir erstmal einen Liter Milch hole und ihn im Park des Hôtel de Ville austrinke. Auch wenn Vitry-le-François nur 12.000 Einwohner hat, wirkt es sehr lebendig und hat einen Stadtkern, der auch einer Großstadt würdig wäre.

    Heute abend stößt Naomi dazu. Ich habe sie auf der Busfahrt nach Reims kennengelernt und sie hat sich entschlossen, ein paar Tage mit mir zu wandern. Ich freue mich, frage mich aber gleichzeitig, ob sie weiß, worauf sie sich eingelassen hat ^^.
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  • Outines

    12. september 2020, Frankrike ⋅ ☀️ 15 °C

    Heute geht's ins 23 Kilometer entfernte Outines, genauer gesagt Mitten ins Nirgendwo. So heißt nämlich der Gasthof, an dem Naomi und ich heute abend übernachten und wir sind gespannt, wie wir uns dieses Mitten im Nirgendwo (="Au Milieu de Nulle Part") vorstellen können.

    Der Weg führt uns zunächst auf der Landstraße aus Vitry und nach einer kurzen Pause im Ort "Blaize-sous-Arzièlles" entlang der Bahnschienen weiter Richtung Süden.

    Weder das Laufen auf der Landstraße, noch entlang der Gleise oder der kurze Abschnitt durchs Feld machen Naomi das Pilgern wirklich schmackhaft, geben ihr aber ein ganz gutes Bild davon, wie ein normaler Tag auf Wanderschaft aussieht.

    Spätestens aber als wir auf eine Herde Kühe stoßen, die zu uns an den Zaun kommen und sich von uns streicheln lassen, ist Naomi wieder Feuer und Flamme für's Pilgern.

    Mittagspause machen wir in "Saint Remy ....". Der vollständige Name ist mir zu lang, um ihn zu schreiben (Bild 6). Hier wäre eigentlich der Halt entlang der Via Francigena gewesen, da es aber weder im Internet, noch in der Unterkunftsliste eine mögliche Unterkunft hier gibt, bleibts nur ein Zwischenstopp.

    Der Rest des Weges führt uns durch die Felder. Hier sieht man, wie trocken dieses Jahr tatsächlich war. Wir sehen vertrocknete Sonnenblumen- und Maisfelder und einen Bachlauf, durch den vermutlich seit Wochen kein Wasser mehr geflossen ist.

    Unser Gasthof liegt tatsächlich mitten im nirgendwo. Auf einem leichten Hügel bildet er mit seinem Garten und den Apfel- und Birnenbäumen eine kleine Oase von der sonst kargen Landschaft.

    Das Haus ist wunderschön und mit Abstand die beste Unterkunft, in der ich auf dieser Reise geschlafen habe. Den Rest des Tages verbringen wir im Schatten im Garten, lesen, was die Umgebung zu bieten hat, und tanken Energie für den nächsten Tag.
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  • Lac du Der

    13. september 2020, Frankrike ⋅ ☀️ 21 °C

    Der eigene Garten wird morgens zunächst für eine 20-minütige Yogasession genutzt, bevor anschließend gefrühstückt wird und wir uns gegen 10 Uhr auf den Weg machen. Wohin, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Naomi muss am Montag an einer Bahnstation sein, um wieder rechtzeitig zu ihrer Uni zurückzukommen, und diese sind in der Gegend sehr rar gesät.

    Nach einigen Telefonaten mit möglichen Unterkünften und einer gewissenhaften Studie des französischen Bahnnetzes, entschließen wir, dass unser heutiges Ziel ein Gasthof auf der anderen Seite des "Lac du Der" ist.

    Dieser ist ein 48 km2 großer Stausee, der offenbar ein beliebtes Reiseziel für viele aus der Gegend und auch weiter weg darstellt. Unsere gesamte Route führt uns den Radweg um den See entlang und Mittagspause machen wir sogar an einem extra angelegten Sandstrand.

    Schwimmen gehen konnten wir leider nicht, denn dafür ist der Wasserstand zu niedrig.

    Der Rest des Weges führt uns unter anderem über zwei Brücken, von denen man eine gute Aussicht auf den See hat.

    Gegen 17:30 Uhr erreichen wir unser Ziel, die "MesHutes". Dabei handelt es sich um die kreative Idee eines älteren Herren und seines Sohnes, am Ufer des Sees Übernachtungen in verschiedenen Zelten anzubieten. Es gibt ein Tipi, ein Runddachzelt mit bewegbaren Dach, von dem es möglich ist, nachts die Sterne zu beobachten und, unser Schlafplatz, ein original mongolisches Zelt, das mit Rentierfell isoliert ist und damit die beste Wärmedämmung bietet.

    Da wir die einzigen Gäste sind und der Besitzer sich sorgt, wir würden am Morgen frieren erhalten wir dieses Zelt. Zusätzlich bietet er uns Bier und Nudeln mit Thunfisch an. Beides nehmen wir sehr sehr gerne an nachdem wir heute mal wieder über 30.000 Schritte gelaufen sind und über 3000 Kalorien verbrannt haben, wie uns Naomis FitBit mitteilt.

    Jetzt heißt es ausruhen, den Abend genießen und ein wenig mit der Hündin Kim spielen.
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  • Chaumont

    14. september 2020, Frankrike ⋅ ⛅ 27 °C

    Aufstehen, Yoga, Packen, mit Kim, dem süßesten Hund auf der Welt spielen, Frühstück, Weiterlaufen, diese Morgenroutine sagt mir unerwarteter Weise ziemlich zu, denn trotz der bereits hohen Temperaturen machen wir uns um 10 Uhr motiviert auf den Weg in das 15 km entfernte Saint-Dizier.

    Dieses haben wir uns als Ziel ausgesucht, weil es einen Bahnhof hat, von dem Naomi wieder nach Metz, zu ihrer Uni, und ich nach Chaumont, wieder zurück auf meinen Pilgerweg, fahren kann.

    Auch wenn es nur 15 km sind, machen sie uns sehr zu schaffen, da es bereits um 12 Uhr 30 Grad hat und unser Weg uns zusätzlich die Landstraße und einen Fahrradweg entlang führt, wo wir nur selten Schatten abbekommen und sonst vollständig der Sonne ausgesetzt sind.

    Um halb 1 machen wir Pause an einer ziemlich ranzigen Straßenunterführung, was uns zu diesem Moment aber egal ist, weil es dort unten schön kühl und schattig ist. Wir essen ein paar Kekse und ein wenig Obst, Naomi bringt ein Blasenpflaster an und nach 20 Minuten sind wir wieder auf dem Weg.

    Die restlichen 4,4 km vergehen vergleichsweise schnell und wir machen Halt in einem Supermarché, wo wir uns Couscoussalat, Baguette und Hummus holen, die wir auf einer Wiese in unserem Zielort Saint-Dizier verspeisen.

    Nach einigen semierfolgreichen Telefonaten auf der Suche nach Unterkünften, buche ich widerwillig eine Nacht in einem F1 Hotel in Chaumont. Diese sind mit die günstigsten Hotels in Frankreich, liegen aber mit einem Preis von 39 € pro Nacht trotzdem über den Kosten einer Nacht in einem Chambres d'hôtes und bieten nicht mal die Hälfte des Komforts (Aufpreis, wenn man Handtücher will, Gemeinschaftsduschen und keine Seife um nur ein paar Besonderheiten zu nennen).

    In Saint-Dizier löse ich noch Wettschulden bei Naomi ein und kaufe uns beiden zwei Bier, die wir in einem gut besuchten Café am schönen Hauptplatz Saint-Diziers austrinken, bevor wir uns anschließend zum Bahnhof begeben.

    Hier steige ich in den Zug, der mich in das 80 km entfernte Chaumont bringt und damit wieder auf die via francigena.

    Auch wenn ich mir fest vorgenommen hatte, auf der gesamten Strecke keine anderen Fortbewegungsmittel zu verwenden außer meinen Füßen, habe ich kein schlechtes Gewissen auf der Zugfahrt.

    Die vergangenen drei Tage mit Naomi waren eine schöne Abwechslung vom sonst eher einsamen Pilgerdasein. Sie war eine tolle Reisegefährtin, die trotz heißer Temperaturen, tristen Marschrouten und einem gelegentlich anstrengenden Reisepartner, nie gejammert und mich oft zum Lachen gebracht hat. Gemeinsam nach Saint-Dizier zu laufen war demnach das Mindeste, das ich tun konnte und das kurzzeitige Abkommen von meiner Route ein Preis, den ich mehr als gerne zahle.

    In Chaumont will ich eigentlich nur kurz bei der Kirche vorbeischauen, bevor ich mich auf meinen 3 km langen Marsch vom Stadtzentrum zu meinem Hotel begebe, werde aber von den unfassbaren Schönheit dieser Stadt aus dem Konzept gebracht.

    Die Innenstadt, wo der Zug glücklicherweise hält, ist auf einem Berg gelegen, um die so etwas wie ein Graben verläuft, der ins "Tal" führt. Die Aussicht ist unbeschreiblich und auch die Innenstadt selbst besteht aus vielen kleinen verwinkelten Straßen mit niedrigen, dicht stehenden Häusern, die ihr ein sehr mediterranes Feeling geben. Ich fühle mich, als wäre ich vielleicht am Ende der via francigena in Italien und nicht in Ostfrankreich, und erwische mich dabei, wie ich seit etlichen Minuten mit offenem Mund durch die Gegend laufe.

    Dieses Feeling verschwindet langsam als ich meinem Hotel näher komme. Die Dame an der Rezeption, die dort gleichzeitig die Reinigungskraft ist, teilt mir mit, dass ich am besten mit dem Duschen nicht warten sollte, da es nur bis 21 Uhr möglich sei. Ich folge ihrem Rat und gehe frisch geduscht nur noch zu Burger King für einen Abendschmaus, bevor ich mich anschließend schlafen lege.
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  • Mormant/Leffonds

    15. september 2020, Frankrike ⋅ ⛅ 26 °C

    Die Nacht im Hotel ist erstaunlich gut, obwohl es so warm ist, dass meine gewaschenen Socken über Nacht vollständig trocknen, etwas, das bisher noch nie passiert ist.

    Nach ein paar Telefonaten sind meine Unterbringungen für die nächsten beiden Nächte geklärt. Heute geht's erstmal ins 15 km entfernte Mormant, welches eigentlich zu Leffonds gehört, aber irgendwie auch nicht.

    Der Weg nach Mormant führt mich zunächst durchs Industriegebiet und vorbei an einem Lycée (vergleichbar mit der deutschen Oberstufe). Ich denke daran zurück, wie schön und einfach es damals doch alles war und bin etwas enttäuscht, dass ich keinen einzigen Schüler/Schülerin zu Gesicht bekomme.

    Weiter gehts entlang der Landstraße in ein Dorf, das eine Besonderheit darstellt. Es ist nämlich das erste mal, dass ich außerhalb der Städte eine Ampel sehe. Es ist eine kleine Fußgängerampel, die eine sichere Überquerung der Landstraße ermöglichen soll, die durch den Ort führt. Auf beiden Seiten gibt es jedoch nicht wirklich so etwas wie Fußgängerwege, noch habe ich hier einen besagter Fußgänger gesehen. Desweiteren ist das Verkehrsaufkommen hier so gering, dass man schon auf der Straße einschlafen müsste, um eine realistische Chance zu haben, von einem Auto erfasst zu werden. Dennoch steht sie da, eingeschaltet, und wartet darauf, ihren Job erledigen zu dürfen.

    Nach diesem Dorf geht es hoch auf einen Hügel, von wo aus ich eine beeindruckende Aussicht auf die kargen, vertrockneten Felder habe, die sich in einigen Richtungen bis an den Horizont erstrecken.

    Danach laufe ich das erste mal auf der Reise für ein längeres Stück durch den Wald, welcher ganz im Gegensatz zu den Feldern voller Leben ist und trotz erneuter Ungenauigkeiten auf Google Maps Seite, die angenehmste Teilstrecke meiner heutigen Etappe bildet.

    Mittagspause mache ich auf einem Jäger"hoch"sitz und breche versehentlich dabei eine der wichtigsten Regeln beim Pilgern: Immer die Schuhe ausziehen beim Pause machen. Dieser Regelverstoß kommt mir teuer zu stehen, denn als ich um 14 Uhr meine Unterkunft erreiche, habe ich zwei Blasen an meinen Füßen, die ersten dieser Reise. Ich bin zwar bestens für dieses Szenario vorbereitet, aber angenehm ist es trotzdem nicht.

    Die Unterkunft bietet mit 30 Euro die Nacht inklusive Abendessen, Frühstück und einem kompletten Haus für mich allein das bisher beste Preis-Leistungs-Verhältnis der Reise. Die Besitzerin gestattet es mir sogar, die Waschmaschine zu benutzen und gibt mir eine Anleitung und ein Waschmittelpad.

    Den Rest des Tages verbringe ich mit Lesen und leichten Dehn- und Muskelübungen, bevor es um 19 Uhr Brot, Tomaten aus dem eigenen Garten und Linseneintopf zum Abendessen gibt.
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  • Langres

    16. september 2020, Frankrike ⋅ ⛅ 25 °C

    Motiviert stehe ich heute um 6:30 Uhr auf, packe meine Sachen, ziehe mich an und mache mich nach dem Frühstück um Punkt 8 Uhr auf den Weg ins 23 km entfernte Langres.

    Der Weg nach Langres setzt sich aus einer angenehmen Mischung von Landstraßen und Feld- und Waldwegen zusammen. Auf einem Feldweg stoße ich dabei auf etwas Interessantes: mehrere Hektar Hanf.

    Es handelt sich hier offensichtlich um männliche, legale Pflanzen, die kein THC enthalten. Riechen tun sie trotzdem und ich wundere mich wie diese doch eigentlich sehr sensiblen Pflanzen in dieser Hitze und Trockenheit überlebt und vor allem teilweise Michael-große Exemplare entwickelt haben.

    Meine erste Pause mache ich in einem kleinen, gepflegten Örtchen namens "Marac", was sich für mich nach einem nicht sehr französischen Namen anhört. Nach nur 10 Minuten geht es für mich aber weiter, denn hier gibt es keinen Empfang und eben diesen brauche ich, um meine weitere Route zu planen, im Blog zu schreiben oder mich um Unterkünfte zu kümmern.

    Die nächste Pause mache ich in "Beauchemin", was sehr passend ist, weil die heutige Etappe tatsächlich ein "beau chemin" ist (="schöner Weg").

    Unterwegs laufe ich mehrmals an Kuhherden vorbei und freue mich jedes mal aufs Neue, dass sie allesamt innehalten und sich Zeit nehmen, meine Anstrengungen mit ihrer Aufmerksamkeit gebührend zu würdigen und mich auf meinem weiten Marsch zu beobachten.

    Von hier aus wird der Weg sogar noch plus beau, denn auf einer kaum befahrenen, schmalen, umschlungenen Landstraße arbeite ich mich durch eine sehr idyllische Landschaft, die nebenbei immer grüner und hügeliger wird.

    Auf der Spitze so eines Hügels finde ich mich erneut mitten zwischen Feldern wieder, habe von hier aber eine unglaubliche Aussicht auf das umliegende Land. Unter anderem sehe ich erstmalig mein Ziel Langres. Dabei handelt es sich um eine Burgstadt, die auf einem Hügel und damit in etwa auf der selben Höhe wie ich gerade liegt. Es gibt nur ein Problem: dazwischen geht's runter.

    Ich klettere also widerwillig von meinem Hügel herunter und laufe durch das Tal zwischen mir und Langres. Hier begegne ich dem ein oder anderen Bach, die noch Wasser führen (eine Besonderheit!) und einem Kieferknochen, der auf dem Pfad liegt.

    Am Fuße von Langres mache ich nochmal eine Pause, bevor ich mich auf den Anstieg in diese mittelalterliche Stadt begebe. Dieser lohnt sich, denn wieder fühle ich mich deutlich weiter im Süden, als ich eigentlich bin.

    Langres besteht aus vielen kleinen Fachwerk- und Sandsteinhäusern und einigen imposanten großen Gebäuden wie dem Rathaus oder der Kathedrale. An der Stadtmauer setze ich mich hin, abseits der hektischen und etwas touristischen Hauptstraße und genieße eine Grapefruit und die beeindruckende Aussicht.

    Die Nacht verbringe ich in einem presbytère, einer Art Hostel für Pilger. Die Nacht kostet mich ganze 10 Euro und weil heute sonst keine Pilger hier übernachten, habe ich das Bad, die Küche und das Zimmer für mich allein. Alles ist ein wenig alt und heruntergekommen, aber für 10 Euro würde ich in einer Scheune schlafen.

    Zum Abendessen mache ich mir Nudeln und spaziere abends nochmal zu McDonalds, um deren Wlan zu nutzen. Dabei passiert ein kleines Wunder: Es nieselt. Es ist zwar nicht genug, dass es der Pflanzenwelt wirklich etwas nützt, aber danach liegt der Geruch von Regen in der Luft, den ich sehr vermisst habe.
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  • Culmont

    17. september 2020, Frankrike ⋅ ☀️ 23 °C

    Zum Frühstück gibt's Cornflakes. Auch wenn es bestimmt nahrhaftere und sinnvollere Alternativen gibt, freue ich mich wie ein kleines Kind als ich die gestern noch gekaufte Milch und Tresor-Packung aus der Küche hole. Ohne Eile packe ich und verlasse um kurz nach 8 das presbytère während ich nebenan schon die Gemeindemitglieder beten höre.

    Als Ziel habe ich mir heute das lediglich 11 km entfernte Culmont gesetzt, weil es unweit der Strecke einen See gibt, den ich schon von Langres gesehen habe. Bei diesem möchte ich selbstverständlich vorbeischauen.

    Der Weg zum See dauert etwa eine Stunde und auf dem Weg laufe ich an grünen(!) Wiesen vorbei, auf denen wohlgenährte Kühe grasen, und einem kleinen Kanal, der zusammen mit den anliegenden Hügeln wieder eine schöne Szenerie bietet.

    Der See ist überraschend leer, denn außer einigen Anglern, ein paar Bauarbeitern und einer Segelschule sehe ich auf dem Weg zum Strand niemanden. Ja richtig, es gibt einen kleinen Sandstrand, wo ich mich entschließe die nächsten Stunden zu verbringen. Dieses Mal kann ich sogar ins Wasser und zögere keine Sekunde, diese Möglichkeit zu nutzen. Das Wasser ist frisch, aber sobald ich richtig schwimme, ist das vergessen. Ich drehe ein paar Runden und humple dann zurück zu meinem Handtuch, um möglichst wenig Sand an meine Blasen kommen zu lassen.

    Während ich in der Sonne trockne, gesellen sich noch ein paar andere Leute an den Strand, doch es ist kein Vergleich damit, wie viel hier wohl in Zeiten ohne Corona los sein muss. Der See ist sehr groß und sauber, es gibt Fahrradwege, Wiesen, einen Campingplatz, ein Hotel, mehrere Imbisse und viele andere Sachen, die den Ort hier attraktiv für Touristen machen. Man hat eine atemberaubende Sicht auf Langres und das Tal dazwischen, man kann angeln, Segeln und Segeln lernen und trotzdem sind als ich um 12 Uhr den See verlasse genau 9 Leute hier. Naja mir macht's nichts aus.

    Vom See aus folge ich der Landstraße wieder durch ein paar Örtchen, ein wenig Wald, ein wenig Feld. Die anfängliche Freude darüber, dass es jetzt etwas hügeliger ist, verfliegt als ich zum vierten mal auf einen Hügel steige, um zu sehen, dass es sofort danach wieder runter geht.

    Trotzdem laufe ich die 11 km vom See nach Culmont durch und werde dafür belohnt. Genau zur richtigen Zeit erreiche ich den Ortseingang von Culmont, wo ich Zeuge werde, wie ein Lkw versucht sich wieder aus dem Straßengraben zu lösen, nachdem der Fahrer wohl eine Kurve etwas zu eng genommen hat. Der relativ junge Fahrer flucht vor sich hin, also biete ich ihm meine Hilfe an, stelle mich etwas neben den Laster und lasse den Fahrer wissen, mit welcher Kombination aus Gas und Lenken er die größten Erfolge macht. Nach einigen Malen Abwürgen und einem etwas verbogenen Radkasten ist der Lkw wieder auf der Straße und der Fahrer bedankt sich bei mir. Leider habe ich von dieser gesamten Situation keine Bilder.

    Schlafen tue ich heute wieder in einer gîte, einer Art Hostel für Pilger, aber nicht kirchlich wie die presbytères. Beim Anblick des Stockbetts kommen schlimme Erinnerungen hoch an meine erste Nacht in Reims, aber auch heute habe ich das gesamte Haus für mich allein und damit auch kein Problem mit Stockbetten. Generell bin ich der erste Gast diesen Monat, erzählt mir der Besitzer.

    Den Rest des Tages verbringe ich draußen bei den Tieren im Hinterhof und lese. Außerdem spaziere ich kurz ins 2 km entfernte Chalindrey, wo ich mich im Supermarkt für heute abend und den langen Marsch morgen eindecke.
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  • Champlitte

    18. september 2020, Frankrike ⋅ ☀️ 25 °C

    Heute habe ich mit 29 km den bisher längsten Marsch der Reise vor mir. Ich habe noch vor Augen wie erschöpft und kaputt ich war, als ich am zweiten Tag die 28 km nach Châlons-en-Champagne gelaufen bin. Seitdem hatte ich von Strecken über 25 km abgesehen. Dieses Mal geht es nicht anders, aber gleichzeitig bin ich gespannt, ob ich, über eine Woche später, besser damit zurechtkomme. Ich bin zuversichtlich.

    Um 6 Uhr stehe ich auf, packe, fahre für meine Füße das volle Programm auf (Anti-Blasen-Socken, Hirschtalgcreme und Blasenpflaster) und frühstücke ausgiebig (zwei Quiches+2 Joghurts=1100 Kalorien), bevor ich mich noch früher als erhofft, um 7:15 Uhr, auf den Weg mache. Draußen ist es kalt und dämmert noch, aber ich möchte möglichst viel Strecke hinter mich bringen, bevor der unangenehme, warme Teil des Tages beginnt (immer ab 11:30 Uhr).

    Das gelingt mir ziemlich gut. Meine erste Pause mache ich um 10 Uhr an einer kleinen Hütte (Bild 5). Zu diesem Zeitpunkt habe ich schon die Hälfte der Strecke geschafft. Der Weg bis dahin war ganz normal: Landstraße, Waldweg, ein paar hundert Meter nur Wald, ohne Weg (Danke Google)(Bild 4). Trotzdem ist alles viel grüner und damit einfach schöner, als es noch vor 150 Kilometern war.

    Ich nehme mir vor, es bis zur Mittagspause um 12 Uhr noch bis nach Coublanc zu schaffen, dem Ort, wo die heutige Etappe eigentlich laut der via francigena enden sollte, komme dort aber schon um halb 11 an und entscheide noch etwas weiter zu gehen.

    So kommt es, dass ich, kurz nachdem ich das nächste Département erreiche (Bild 6), mich um 12 Uhr auf ein paar Paletten an einer Scheune niederlasse (Bild 7) und offiziell Mittagspause mache. Diese habe ich mir reichlich verdient, denn vor mir liegen nur noch etwa 7 Kilometer und hinter mir 22. Meine Füße tun mir zwar etwas weh, aber es ist nichts, was 10 Minuten Füße hochlegen nicht wieder richten würden.

    Insgesamt verbringe ich über 1,5 Stunden mit Schlafen, Lesen, Sonnen und mache mich um kurz vor 2 wieder auf den Weg.

    Auch wenn die restlichen 7 Kilometer von der Szenerie her wieder viel zu bieten haben, sind sie gefühlt anstrengender als die ersten 22. Die Wärme, der Schweiß und die Sonne geben mir den Rest und ich komme wieder völlig fertig an. Es ist jedoch kein Vergleich zum zweiten Tag, an dem ich abends meine Beine nicht mehr bewegen konnte.

    Champlitte ist zwar die größte Stadt in der Umgebung, aber immer noch ziemlich klein. Es gibt ein Touristenbüro, wo ich mir den Schlüssel für meine heutige Unterkunft abhole, einen Supermarkt und ... ein Schloss (Bild 1+10 ). Dieses ist sogar ziemlich groß und beinhaltet ein Museum, welches ich mir unbedingt anschauen soll, rät mir die Dame im office de tourisme.

    Da ich kein großer Museenfan bin und nicht plane viel Zeit darin zu verbringen, tauche ich erst 20 Minuten vor Ladenschluss auf. Zu spät, findet das Mädchen am Schalter. Jetzt bin ich aber dort und würde mir gerne kurz ansehen, was dort ausgestellt ist, nicht aus Interesse, sondern aus Prinzip. Ich verwickele sie also in ein Gespräch über das Museum, ihre Englischkenntnisse und was man in Champlitte noch so machen kann. Als ihre Kollegin mit den letzten Besuchern in den Eingangsbereich kommt, tauschen sie kurz ein paar Worte auf Französisch aus und ich kriege eine halbstündige Tour durch die wichtigsten Teile der Ausstellung. Ausgestellt wird das Leben der Menschen im 19. Jahrhundert. Nichts, was man noch nie gesehen hat, und auf französisch besonders wenig reizvoll, aber ich habe meine Tour bekommen und darum ging es ja schließlich. Am Ende wünsche ich den beiden noch einen schönen Abend, bedanke mich für die Tour und mache mich auf den Weg in meine gîte, denn ich bin am verhungern.

    Zum Essen gibt es Nudeln mit Pesto und Würstchen und zum Nachtisch Snickers-Eis. Anschließend setze ich mich vors Rathaus, gegenüber von meiner Unterkunft und genieße das Gratis Wlan.
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  • Seveux

    19. september 2020, Frankrike ⋅ ☁️ 21 °C

    Die Erfolge des gestrigen Tages motivieren mich dazu, erneut um 6 Uhr aufzustehen und mich um 7:15 Uhr auf den Weg zu machen. Es ist bloß eine Sache anders als an allen anderen Tagen: Es ist Regen vorhergesagt ab 7 Uhr. Ich packe also meine Regenjacke und -haube für den Rucksack nach ganz oben und traue mich vorsichtig vor die Tür.

    Von Regen keine Spur, es ist sogar wärmer als gestern morgen und ich marschiere guter Dinge die Hauptstraße entlang in Richtung des 23 km entfernten Seveux. Ich sehe einen malerischen Sonnenaufgang über einer märchenhaften Landschaft und Punkt 8 Uhr kommt der Regen.

    Es ist bloß Nieselregen, wegen welchem ich mir zunächst zu faul bin die Regensachen rauszuholen, aber als er nach einer halben Stunde nicht verschwindet, packe ich sie doch aus. Wie ich feststelle, hat sich das gelohnt, denn der Regen hört erst gegen 11 Uhr wieder auf. Vor 100 Kilometern hätte ich mich noch über den Regen gefreut, aber die Gegend hier scheint nicht solche Wasserprobleme zu haben und beim Wandern ist er eher unpraktisch.

    Zum Glück folge ich heute ausschließlich der Landstraße und muss keinen Fuß auf die nasse Wiese oder die matschigen Waldwege setzen. Stattdessen komme ich durch viele kleine Dörfer durch, die ich in meinem Kopf vergleiche. Hier ist eine Liste, sortiert nach Beliebtheit (absteigend).

    1. Delain (Unauffällig, aber mit einer Art überdachtem antiken Fußbad, das einen guten Spot für eine Frühstückspause abgegeben hat (Bild 7+9)

    2. Achey (Unauffällig, aber flach und am Ortsausgang waren Pferde und eine Kuhherde, die mich nicht nur beobachtet haben, sondern auch ein Stückchen mitgelaufen sind und angefeuert haben)

    3. Denèvre (Unauffällig, aber flach)

    4. Neuvelle-lès-Champlitte (schön, ordentlich, aber ich musste einen kleinen Berg hoch)

    5. Framont (Charakter, erstaunlich große Kirche, schöne Häuser, aber ich musste einen großen Berg hoch)

    6. Dampierre-sur-Salon (kleine Stadt mit zwei Supermärkten(!), lebendig, aber viele Autos, hauptsächlich Industriegebiet und kein besserer Ort für eine Mittagspause als eine Parkbank an der Hauptstraße (Bild 10) (und bei meinen Mittagspausen bin ich wählerisch))

    Nach der Mittagspause in Dampierre sind es nur noch 6 km nach Seveux. Diese sind irgendwann auch gelaufen und um halb 2 komme ich an. Mit dem Gastgeber habe ich 14 Uhr vereinbart, also bleibt etwas Zeit für ein Nickerchen auf einer Steinmauer am Bach.

    Bei der gîte werde ich vom 17-jährigen Sohn empfangen, der mir mein Zimmer zeigt und ein Bier anbietet. Diese Unterkunft ist ein wenig anders als die anderen, denn ich übernachte quasi bei einer Familie, in einem abgetrennten Bereich. Und das beste: Es gibt einen Pool. Zu diesem verschlägt es mich, nachdem ich meine Wäsche gewaschen habe. Der Poolbereich hat schon bessere Tage gesehen und das Wasser ist für meinen Geschmack zu kalt, aber ein paar Bahnen drehe ich trotzdem und lasse mich dann auf eine Liege nieder um zu lesen.

    Zum Abendessen um 19:30 Uhr sitzen der Vater, einer der zwei Söhne und ich zusammen und tauschen uns bei einem Glas Rosé und einem Reisauflauf mit Tomaten aus dem eigenen Garten über Deutschland, Frankreich und die Welt aus. Der Vater macht unter anderem deutlich, dass er das ländliche Leben bevorzugt und dass Städte, Flugreisen und Karrierepläne neuzeitige Phänomene sind, die den Menschen nur krank und unglücklich machen. Ich teile seine Meinung nur bedingt und so entsteht, auf französisch(!), ein lebhaftes Gespräch. Der Sohn mischt sich auch ein und ich erkenne, dass er mir bei vielem zustimmt, sich aber nicht traut das vor dem Vater zuzugeben. Um 21 Uhr ist dann aber auch wieder Schluss und für mich geht's Richtung Bettchen.
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  • Gy

    20. september 2020, Frankrike ⋅ ☀️ 22 °C

    Beim Frühstück um 8 Uhr unterhalte ich mich nochmal kurz mit dem Vater und mache mich um 9 Uhr auf den Weg. Es geht nach Gy, das nur 19 km entfernt ist. Gy war nicht die erste Wahl, denn der kurze Weg dahin bedeutet, dass ich morgen einen umso längeren nach Besançon vor mir habe. Auch die Unterkunft im Hotel "Pinocchio" ist suboptimal und eigentlich zu teuer. Außerdem ist es Sonntag und ich habe bei meiner Essensplanung nicht berücksichtigt, dass heute die Läden geschlossen haben.

    Alles nicht sehr zufriedenstellend, ich muss etwas ändern. Im Internet finde ich eine gîte, die ebenfalls in Gy liegt, aber auf keiner Unterkunftsliste auftaucht. Ich entschließe dort anzurufen und befinde mich kurz darauf in einem Gespräch mit Claudine.

    Keine Person, bei der ich bisher angerufen habe, hat es mir so einfach gemacht, meine Übernachtung zu organisieren, wie Claudine. Ich könnte gerne bei ihnen übernachten, kosten tue es normalerweise 40 Euro, aber als Pilger solle ich ihr einfach geben, was mir passend erscheint, es sei Sonntag und daher wäre es selbstverständlich, dass es Frühstück und auch Abendessen geben würde und als ich ihr mitteile, dass ich vermutlich schon um 13 Uhr in Gy bin, freut sie sich und teilt mir mit, dass ich dann ja mit ihrer Familie zu Mittag essen könne.

    Gesagt, getan, um 13 Uhr komme ich bei ihrer "gîte du parc de la charmotte" an und werde von Claudine empfangen, die es so cool findet, dass jemand so junges wie ich pilgert, dass sie direkt ein Bild von mir macht. Ich dusche, räume meine Sachen aus und frage sie ob ich beim Vorbereiten des Mittagessens helfen kann. Ohne zu zögern drückt sie mir die Teller in die Hand und schickt mich zum Tischdecken raus.

    Kurz darauf finde ich mich mit Claudine (Anfang 50), Francine (ihrer 88 Jahre alten Mutter), ihrem Sohn Arno (~27) und seiner Freundin am Tisch wieder und in mehreren Gängen werden Wurst- und Käseplatten, Salat, Reis, Omelett, Brot und zum Nachtisch Griesbrei mit Pfirsichkompott serviert. Auch wenn es offensichtlich keine alltägliche Situation für sie ist, fühlt es sich wie eine an. Alle erzählen, was sie zurzeit machen und ich werde zu allen Aspekten meines Lebens ausgefragt. Es ginge zu weit das Gespräch zu rekapitulieren, aber ich fühle mich sehr wohl bei ihnen zu Tisch und als wir danach durch deren Garten spazieren gehen mit ihrem Deutschen Schäferhund und ihrem Schaf Flockie, das anstatt scheu zu sein, einem auf Schritt und Tritt folgt und dabei mit seiner Halsglocke läutet, wundert mich das auch nicht mehr.

    Nachmittags lege ich mich in den Garten, lese ein wenig und dehne mich. Aus dem Nichts stehen Claudine und ihre Freundin vor mir und sagen, dass ich mitkommen soll, mir das Käsemuseum anschauen. Das "Käsemuseum" befindet sich 30 Meter weiter auf dem übrigens sehr großen Grundstück und besteht aus den übriggeblieben Stücken aus der riesigen Käserei, die hier einst war und ihrer Familie gehörte. Ich schaue mir das Ganze an und versichere ihr, dass man daraus tatsächlich ein Museum machen könnte, denn das könnte man.

    Offenbar war ihre Familie Anfang des 20. Jahrhunderts einer der drei größten Käsehersteller des Landes und das hat in Frankreich etwas zu bedeuten. Stolz zeigt sie mir ein Fotoalbum, wo die Riesenarbeit abgebildet ist, die der Abriss der Käserei war. Wir unterhalten uns anschließend darüber, wie man mehr Gäste auf die gîte aufmerksam machen könnte und um 19:30 Uhr gibt es Abendessen, wieder mit der gesamten Familie.
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  • Besançon Tag 1

    21. september 2020, Frankrike ⋅ ☁️ 20 °C

    Heute werden die 30 geknackt. Genau zwei Wochen nach Beginn meiner Pilgerreise laufe ich das erste mal eine Strecke von 30,... Kilometern. Das bedeutet für mich um 6:30 Uhr aufstehen, frühstücken, nochmal bei Claudine für die herzlichste Unterbringung der gesamten Reise bedanken und anschließend um 7:30 Uhr loslaufen.

    Ich bin motiviert. Meine erste Pause mache ich erst 4 Stunden später, als ich bereits 20 Kilometer hinter mir habe. Die Highlights bis dahin umfassen:
    - Mir fällt in der Vormittagssonne auf, dass ich mehr und mehr aussehe wie der Typ auf meinem Pilgerpass.
    - im Wald fliegt ohne Vorwarnung ein Düsenjet des französischen Militärs schätzungsweise 200 Meter über meinem Kopf vorbei (Ich werde nie wieder so hören können wie zuvor)
    - zwei Jäger, die nach der Kurve, um die ich laufe, auf Kaninchen schießen (das erfahre ich erst nach der Kurve) und ein sehr erschreckter Michael, der laut "Attention" schreit, um nicht erschossen zu werden

    Während der 20 minütigen Pause gebe ich es auf, eine Unterkunft über die Seite "Couchsurfing" zu finden und entscheide mich für das Diözesanhaus, wo eine Unterkunft mit Frühstück 11 Euro für Pilger kostet.

    Die restlichen 11 Kilometer nehme ich mir vor, in zwei Etappen von 7 und 4 Kilometern zu teilen. Daraus wird nichts, denn "Besançon" erreiche ich schon nach 6,5 Kilometern. Vom Ortseingang, natürlich auf einem Berg, sehe ich Besançon vor mir und vor allem die Berge dahinter, über die ich wohl oder übel drüber muss auf dem Weg nach Pontarlier.

    Ab dem Moment, an dem ich in Besançon bin, besteht für mich wenig Sinn darin, noch eine Pause zu machen. Damit bin ich, als ich ankomme, 30 Kilometer in 6,5 Stunden gelaufen, abzüglich einer kurzen Pause von 20 Minuten. Ich bin ziemlich stolz. Am ersten Tag war ich schon von 19 Kilometern fix und fertig, heute jedoch habe ich genug Energie, um mir einen Bulgursalat zu holen und diesen auf dem "Place de révolution" zu verspeisen, während ich die Menschen hier beobachte.

    Mir kommt das großstädtische Treiben sehr bekannt, aber gleichzeitig auch sehr fremd vor. In Deutschland bin in Städte wie Frankfurt und Marburg gewöhnt, wobei mir Marburg sogar oft als sehr klein und zu überschaubar vorkommt. Besançon mit seinen 116.000 Einwohnern sollte damit sowas wie mein "natürliches Habitat" sein, aber irgendwie fühlt es sich nicht sehr natürlich an. Anstatt sich beim Vorbeilaufen anzulächeln und zu grüßen, wie ich es beim Wandern pflege, schauen die Leute oft weg, wenn man an ihnen vorbeiläuft, gucken eher streng als freundlich und nachdem man 15 Minuten durch die Fußgängerzone gelaufen ist, kann man auch nicht anders. Ich gebe es nur ungern zu, aber ich habe mich an das ruhige, familäre und ländliche Frankreich gewöhnt.

    Es ist trotzdem schön, die jungen Menschen zu sehen und in der Universitätsstadt Besançon gibt es viele davon. Auf meinem Weg durch die Innenstadt treffe ich Lia, kurz für Cèlia, die erstaunlich gut Englisch spricht und mir die Zitadelle empfiehlt, wo heute der letzte Tag ist, an dem dort ein Festival der klassischen Musik stattfindet.

    In meiner Unterkunft, die übrigens eine sehr schöne Aussicht bietet (Bild 9), angekommen, mache ich aber erstmal meine Wäsche, ruhe mich aus und was der Abend noch bringt, steht in den Sternen.
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  • Besançon Tag 2

    22. september 2020, Frankrike ⋅ ⛅ 20 °C

    Der heutige Tag stellt eine kleine Besonderheit dar. Anstatt wie immer früh morgens aufzustehen und zum nächsten Ziel entlang der via francigena zu wandern, mache ich heute eine Pause. Eine Pause vom Frühaufstehen, eine Pause vom stundenlangen Laufen, eine Pause für meine Füße, Beine und Schultern und eine Pause für meinen Geist. Als ich heute morgen um 8 Uhr von meinem Wecker geweckt werde, besteht kein Grund zur Eile, ich kann einfach im Bett liegen bleiben und die Sonne genießen, die durchs Fenster strahlt.

    Aus dem Zimmer muss ich irgendwann trotzdem, denn ich muss noch nachfragen, ob ich noch eine Nacht bleiben kann (Ja, kann ich.) und das Frühstück hat auch nicht ewig offen. Letzteres nehme ich in einem Saal zeitgleich mit 4 älteren (also, wirklich älteren, älteren) Herren zu mir und es ist so still, dass ich mich kaum traue, richtig zu kauen. Als ich aufstehe, um zu gehen, fragt mich einer der Herren, wie es mir geht und was ich hier mache. Freundlich antworte ich ihm auf französisch, er versteht offensichtlich kein Wort, lächelt und nickt bloß. Ich bedanke mich für die Nachfrage und wünsche den Herren einen schönen Tag. Das verstehen sie wieder und wünschen mir im Kanon einen schönen Tag zurück.

    Nach dem Frühstück mache ich auf eigene Faust eine kleine Sightseeing-Tour und laufe dazu hoch Richtung Zitadelle. Die Altstadt von Besançon ist wirklich wunderschön und nachdem ich durch die "Porte Noire" schreite (Bild 2) bin ich im oberen Teil der Altstadt angekommen, die praktisch nur aus Denkmälern und wichtigen Gebäuden besteht. So zum Beispiel die Cathédrale Saint-Jean (Bild 3), die sehr groß und anmutig ist, weshalb es mich wundert, wieso ich der einzige Mensch darin bin, abgesehen von einer Reinigungskraft, die den Altar säubert. Wirklich beeindruckend wird es aber erst, als ich bei der Zitadelle ankomme. Diese liegt ganz oben auf dem Berg und bietet eine überwältigende Aussicht über das gesamte Besançon-Tal. In den vorderen Bereich der Zitadelle kann man sogar ohne Eintritt zu zahlen und dieses Angebot reize ich natürlich vollständig aus. Außer der Aussicht (von welcher ich meine zwei Lieblingsbilder beifüge) ist das Highlight dort oben das Tierreservat.

    Zunächst bemerke ich es gar nicht, aber als ich am Graben zum innersten Teil der Burg stehe, fällt mir ein Schild wie im Zoo auf, auf welchem die Affengattung "Gelada" abgebildet ist. Verwirrt sehe ich mich um und bemerke, dass unten im Burggraben tatsächlich ein paar Affen sitzen. Bei weiterem Hinsehen entdecke ich noch mehr von ihnen und sogar 2 Steinböcke, die auf meiner Höhe auf der anderen Seite des Grabens stehen. Auf dem Weg runter, aus der Zitadelle heraus, fallen mir dann schließlich auch die Lamas und Emus auf, die, durch einen einfachen Zaun abgetrennt, ebenfalls auf dem Gelände der Zitadelle leben.

    Nach der Zitadelle laufe ich den Fluss entlang in Richtung eines Parks, im welchem sich laut Aussage Lias ein Sportbereich befinden soll, den ich sehr gerne besuchen würde. Ich werde fündig und mache ein kleines Workout bestehend aus Klimmzügen und Dips, während zwei andere junge Männer dort Calisthenics betreiben, als wären sie im Olympischen Turnerteam. Nach dem Workout gehe ich kurz einkaufen und duschen und treffe mich anschließend mit Lia zum Mittagessen. Während wir am Kanal unsere Sandwiches essen, erzählt sie mir von ihrem Leben hier in Frankreich und um 14 Uhr begleite ich sie zu ihrem Vorlesungsgebäude, das praktischer Weise direkt neben dem Diözesanhaus liegt. Dort packe ich kurz ein paar Sachen und begebe mich mit Handtuch, Buch und Kopfkissen ausgestattet zu einer Wiese am Fluss, auf die ich heute morgen schon ein Auge geworfen hatte. Spontan stößt später auch Lia dazu, wir quatschen über meine Reise, das Reisen generell und um 19 Uhr macht sie sich auf zum Sport und ich mich zu meiner Unterkunft. Hier tanke ich nochmal Energie, esse wieder Bulgursalat und bereite mich auf den Marsch morgen vor.
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  • Ornans

    23. september 2020, Frankrike ⋅ ☀️ 18 °C

    Als um 6:30 Uhr mein Wecker klingelt, bin ich mir kurz sicher, dass mein Zeitplan auch einen zweiten Tag Pause vertragen könnte. Diesen Gedanken verwerfe ich sehr schnell, denn ich bin nicht hier her gekommen, um faul herum zu liegen, sondern um zu pilgern und mein nächstes Pilgerziel heißt Ornans und liegt 25 Kilometer Fußmarsch entfernt. Ich packe also, frühstücke wieder mit einigen älteren Herren, bezahle für die Unterbringung und mache mich, etwas später als erhofft, um 7:50 Uhr auf den Weg.

    Es hat heute Nacht durchgeregnet, aber gnädigerweise um 6 Uhr aufgehört. Als ich loslaufe beträgt die Temperatur angenehme 15 Grad, insgesamt gute Voraussetzungen. Die ersten 10 Minuten führen mich den Fluss entlang aus der Stadt, doch noch bevor ich Besançon verlasse, führt mich der Weg auf einmal links den Berg hoch. 5 Minuten später bin ich vollständig durchgeschwitzt und mein Puls, vorsichtig geschätzt, bei 140. Die angefügten Bilder (2+3) transportieren nur bedingt die Steigung, mit der ich morgens um 8 Uhr, noch halb verschlafen, konfrontiert wurde. Oben angekommen werde ich selbstverständlich mit einer tollen Aussicht belohnt (Bild 4), aber nicht einmal, von oben auf die Zitadelle zu schauen, lässt mich diesen dreisten Überfall auf mein Wohlbefinden vergessen.

    Zur Abwechslung geht es nach dem Berg nicht wieder herunter, sondern ich erreiche ein weites Plateau von Wäldern, grünen Wiesen und kleinen Dörfern (Bild 5), auf welchem ich langsam, aber sicher an Höhe gewinne. Das ist gut, denn während Besançon im Schnitt auf 400 Metern Höhe liegt, befindet sich mein Wochenziel Pontarlier auf ungefähr 1000. Hart erkämpfte Höhenmeter wieder zu verlieren, wäre damit sehr bitter und würde bedeuten, dass ich noch den ein oder anderen Schweißausbruch vor mir habe.

    Um halb 11 mache ich meine erste und einzige Pause. Zu diesem Zeitpunkt befinde ich mich in Tarzenay und habe bereits 14 Kilometer hinter mir. Während dieser Pause fällt mir eine Kleinigkeit auf: Ich habe den Zimmerschlüssel meiner letzten Unterkunft, inklusive Chip, mit dem man zu jeder Uhrzeit ins Gebäude rein und wieder raus kommt, noch in meiner Jackentasche. Als regelkonformen Deutschen stresst mich dieser Fund ungemein und ich rufe sofort im Diözesanhaus an. Die Frau am anderen Ende der Leitung scheint damit ein deutlich geringeres Problem als ich zu haben und mag meinen Vorschlag, den Schlüssel in einem Briefumschlag an sie zurückzusenden. Im Übrigen sagt sie, es gebe kein Grund zur Eile, es gebe ja schließlich einen Zweitschlüssel. Nach diesem Telefonat muss ich kurz schmunzeln. Oft denke ich, dass ich mich bereits an die französische Gelassenheit gewöhnt habe, manchmal, wie in diesem Fall, überrascht sie mich aber trotzdem.
    Nach einer halben Stunde und einer Packung Nüsse mache ich mich wieder auf den Weg ins nur noch 11 Kilometer entfernte Ornans.

    Nach der Pause geht's, wie sollte es anders sein, bergab (zur Information: Die Abschnitte davor habe ich in der Pause geschrieben, als ich noch nicht wusste, was kommt). Ich laufe wieder am Seitenrand der Landstraße, welche mich Stück für Stück um jeden gewonnenen Höhenmeter bringt. In Ornans angekommen, befinde ich mich wieder auf 350 Metern Höhe. Die schöne Lage der Stadt am Fluss zwischen den Bergen tröstet mich auch nur in Maßen darüber hinweg.

    Meine Unterkunft, das "Au Sanglier Qui Fume" liegt etwas außerhalb von Ornans. Genauer gesagt nennt sich so der Schrebergarten von Laurent und Augustine (beide um die 40), auf welchem sie schon seit einigen Jahren leben. Ich habe zunächst Schwierigkeiten, ihn zu finden, aber als ich dort bin, bin ich von seiner Größe überrascht. Er ist liebevoll dekoriert, es gibt mehrere Blumen- und Pflanzenbeete, eine große Wiese, auf der sich sogar ein Volleyballnetz und ein kleiner Spielplatz befindet, mehrere Bänke und Tische, die zum Verweilen einladen, und zwei Hütten. Eine ist etwas größer, hat eine Terrasse und gehört Laurent und Augustine und die andere ist etwas kleiner und beherbergt die Pilger, die hier gelegentlich vorbeikommen. Auch diese ist gemütlich eingerichtet und das Beste: Das Bett ist sogar 1,60 m breit, ein Traum.

    Wirklich interessant wird es aber erst beim "Badezimmer". Dieses ist hinter meiner Hütte situiert und zugegebenermaßen die praktischste Lösung für die Lage. Das Klo ist ein Plumsklo, bei welchem man mit Sägespänen "nachspült". Ein Fan bin ich nicht, aber es ist nicht das erste Mal, dass ich so eine Toilette benutze und wohl auch nicht das letzte. Erst bei der Dusche gewinnt Laurent aber mein Herz. Diese ist direkt neben der Toilette und besitzt die beiden Einstellungen "froid" und "moins froid". Was das bedeutet, können sich die Lesenden bestimmt denken. Damit es noch "moins froid" wird, solle ich aber noch eine Stunde warten, damit die Sonne noch mehr Zeit hatte, das Wasser aufzuwärmen. Als ich eine Stunde später dusche, entscheide ich mich für moins froid und dusche damit kalt, aber noch angenehm. Was "froid" ist, möchte ich zu dieser Gelegenheit aber nicht herausfinden.

    Um überhaupt erst Wasser zu haben, muss ich außerdem hinter die Hütte der beiden laufen und den Hahn aufdrehen, aber das stört mich nicht. Empfang gibt es hier keinen und Wlan damit noch weniger und auch das stört mich nicht. Es ist 17:30 Uhr als ich das hier in meiner Hütte schreibe und es wimmelt jetzt schon überall vor Mücken, aber auch das ist mir alles egal, denn: Sie sind nett. Sie sind unglaublich nett. Sie geben mir einen Briefumschlag für den Schlüssel und bieten an, ihn selbst zur Post zu bringen, ein Handtuch, weil meins evtl. bis morgen nicht trocknen würde, selbstgemachten Ingwersaft (gar nicht so übel), einen Wäscheständer damit ich nicht wieder mit meiner Wäscheleine auf Bäumesuche gehen muss und und und.
    Bei den beiden fällt mir nochmal deutlich auf, was dir alles egal und sogar recht ist, solange die Menschen freundlich zu dir sind.
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  • Pontarlier 1

    24. september 2020, Frankrike ⋅ ☁️ 17 °C

    Jetzt übertreibst du es Michi. Diese Worte gehen mir durch den Kopf, als mein Wecker um 6:15 Uhr klingelt.
    Als wir gestern Abend noch "Boule" mit Freunden von Laurent gespielt haben (Laurent und ich haben natürlich gewonnen), war noch alles gut. Als ich jedoch anschließend nach mehreren vergeblichen Versuchen, eine Unterkunft für den folgenden Tag zu finden, nur eine für den übernächsten in Pontarlier finde, steht meine Entscheidung fest: Ich überspringe eine Übernachtung.

    Nachdem ich also gefrühstückt und meine noch nicht einmal ansatzweise getrockneten Unterhosen und Socken außen an meinem Rucksack befestigt habe, mache ich mich um 7:40 Uhr auf den Weg.
    9 Stunden später, 37 Kilometer weiter, 500 Meter höher und komplett durchnässt vom Regen sitze ich in Pontarlier in einem schicken Café und genieße Tee zusammen mit einem Stück Kuchen. Ich bin fertig, selbstverständlich bin ich fertig. Ich bin heute 7 Kilometer weiter gelaufen als mein bisheriger Rekord und das ausgerechnet auf der steilsten Etappe der gesamten Reise. Meine Füße haben schon vor einigen Stunden aufgehört nur "weh" zu tun.

    Gleichzeitig bin ich froh, dass ich nicht gekniffen und in einem teuren Hotel geschlafen oder für einen Teil der Strecke den Bus genommen habe. Sonst wüsste ich jetzt nicht, wozu ich fähig bin und dass meine körperlichen Grenzen deutlich höher liegen, als ich mir zugetraut hätte. Denn obwohl ich fertig bin, fühle ich mich, als wäre sogar noch mehr möglich, nicht empfehlenswert, aber möglich. Dieses Gefühl, meine angeblichen Grenzen überschritten zu haben, macht mich stolz und ist sehr motivierend.

    Dafür, den Weg adäquat zu beschreiben, fehlt mir jedoch die Energie und es würde eh zu lange dauern. Ich bin entlang eines Flusses, durch einige wunderschöne Dörfer, auf einem fast 200 Jahre alten Gebirgspass, durch Wälder, Wiesen und sogar meinen ersten Tunnel auf der Reise gelaufen. Die Eindrücke, die ich heute bekommen habe, lassen sich schwer verschriftlichen, aber sie bleiben fest gespeichert in meinem Kopf und das ist das Wichtigste.
    Angefügt sind einige meiner Lieblingsbilder des Tages, die hoffentlich einen kleinen Einblick geben in die Schönheit der Natur, die ich heute erleben durfte.

    Etwa 40 Minuten vor meiner Ankunft in Pontarlier hat es angefangen zu regnen, besser gesagt zu schütten. Auch meine Regenjacke und Rucksackhaube waren keine große Hilfe. Wenn ich nicht kurz vor meinem Ziel gewesen wäre, weiß ich nicht, ob ich die Motivation hätte aufbringen können, den Marsch klitschnass zu beenden. Dieses Erlebnis bekräftigt mich in meiner Entscheidung, (dieses mal) die Schweiz zu überspringen, für welche niedrige Temperaturen und Regen vorhergesagt sind, und stattdessen meine Reise im sonnigeren Italien fortzusetzen.

    Meine Unterkunft in Pontarlier ist eine klassische "auberge de jeunesse". In der Nebensaison bedeutet das für mich aber bloß: 4-Personenzimmer bezahlen, Einzelzimmer bekommen. Da beziehe ich sogar gerne mein Bett selbst. In dieses kuschele ich mich übrigen nach einer heißen Dusche rein und genieße nach einem nasskalten Tag die Wärme. Abends gehe ich nur nochmal raus, um mir einen Döner zu holen. Dafür, Pontarlier zu erkunden, bleibt morgen noch mehr als genug Zeit, denn erneut habe ich mir einen Tag Pause herausgearbeitet.
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  • Pontarlier 2

    25. september 2020, Frankrike ⋅ ☁️ 8 °C

    Die Nacht ist sehr erholsam und ich wache um 7:30 Uhr auf, genau rechtzeitig für das Frühstück, welches um 7:45 Uhr beginnt. Außer mir sind noch 2-3 Leute beim Frühstück, was ziemlich sicher auch der Anzahl der besetzten Zimmer in der Herberge entspricht. Nach dem Frühstück lege ich mich in den gemütlichen Gemeinschaftsbereich. Hier gibt es Wlan und ich schaue, was ich heute machen kann.

    Die Recherche ist ernüchternd, denn Pontarlier hat mit seinen 17.000 Einwohnern nicht soo viel zu bieten. Außerdem hat es heute kuschelige 5-6 Grad und nieselt den ganzen Tag. Mein wärmstes Kleidungsstück, ein Thermopulli, trocknet zudem noch, nachdem ich ihn gestern gewaschen habe. Meine Motivation, die warme Herbege zu verlassen, hält sich in Grenzen.

    Um 11 Uhr überringe ich mich dann doch und mache mich zunächst auf den Weg ins Touristenbüro. Dort hole ich mir einen Stempel für meinen Pilgerpass ab und frage, was man hier in Pontarlier so machen kann. Die junge Dame zögert nicht lange und gibt mir einen Flyer mit einer Karte, auf welcher eine Route abgebildet ist, die alle Sehenswürdigkeiten enthält. Das passt mir sehr gut, denn so habe ich ein konkretes Programm und kann mich besser motivieren, dem kalten Wetter zu trotzen.

    Um 12 Uhr bin ich mit der Tour fertig. Pontarlier ist wirklich nicht sehr groß. Die Highlights umfassen die Kirche, in welcher zu meinem Glück gerade Orgel gespielt wurde, eine alte Kapelle, welche heute als Galerie für Kunstausstellungen fungiert, und die interessante Geschichte von Philippe Grenier, einem Arzt, der Anfang des 20. Jahrhunderts eine lokale Berühmtheit war und maßgeblich die ausgeprägte muslimische Gemeinde in Pontarlier mitgestaltete.

    Nach der Tour mache ich mich auf den Weg zum Supermarkt. Mir ist inzwischen so kalt, dass ich sogar meine Maske anziehe, damit meine warme Atemluft mein Gesicht wärmt. Im Supermarché hole ich mir zwei Tiefkühlpizzen, eine Paprika, Skyr und etwas Obst. Als ich wieder in der Herberge ankomme und mir die Pizzen machen möchte, wird es lustig. Es gibt gar keinen Ofen und die Mikrowelle hat auch keine Backfunktion. Nach kurzem googlen finde ich heraus, dass es möglich ist, Tk-Pizza in der Mikrowelle zu machen und danach in der Pfanne anzubraten, um sie zumindest ein bisschen knusprig zu machen. Nicht empfehlenswert, aber möglich. Gesagt, getan, 10 Minuten später "genieße" ich meine Pizza, die tatsächlich essbar geworden ist.

    Auch nachmittags regnet es durch und das einzige, das es noch zu sehen gebe in Pontarlier, ist eine Absinthbrauerei am anderen Ende der Stadt. Die reizt mich nicht genug, um die Wärme zu verlassen, weshalb ich den restlichen Tag auf der Couch im Gemeinschaftsraum in der Jugendherberge verbringe. Auch solche Tage gibt es. Meine Füße haben jedenfalls nichts dagegen.
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  • Mailand

    26. september 2020, Italia ⋅ ☀️ 17 °C

    Der Titel dieses Footprints überrascht vielleicht den ein oder anderen Leser. Auch wenn ich im Laufe dieser Reise immer längere Strecken zurückgelegt habe und jeden Tag über mich hinausgewachsen bin, so ist die Strecke Pontarlier-Mailand weder auf der via francigena vorgesehen, noch mit insgesamt 398 Kilometern im Rahmen des für mich möglichen.

    Was heute stattdessen auf dem Programm steht, ist es, mich mit meiner Mama in Bern zu treffen und anschließend zusammen nach Mailand zu fahren. Von dort aus planen wir nach Ivrea zu fahren, damit wieder auf die via francigena zu stoßen und dieser dann gemeinsam für eine Woche zu folgen.

    Das Stück Pontarlier-Ivrea zu überspringen macht mir aus mehreren Gründen nichts aus.
    1. Die letzten zwei Tage in Pontarlier haben mir einen Vorgeschmack dafür gegeben, was mich für ein Wetter in der Schweiz erwartet. Es ist durchaus möglich, bei 3 Grad und Regen zu wandern, mit Spaß hat es nach meinem Geschmack jedoch nichts zu tun.
    2. Ab Pontarlier gibt es keine vernünftige Strecke, die man in 6-7 Tagen laufen könnte. Wie Naomi und ich bereits vor 2 Wochen erfahren durften, liegen nicht alle Ziele entlang der via francigena in der Nähe von Bahnhöfen. Da meine Mama aber mit der Abbreise am 3.10. wegen ihrer Arbeit nicht sehr flexibel ist, müssen wir nächsten Samstag an einem Bahnhof sein. Das ist in Italien besser möglich als in den Bergen der Schweiz.
    3. Ich werde dieses Stück nachhholen. Mir hat das Pilgern sehr viel Spaß gemacht und die via francigena in ihrer Gesamtheit zu vollenden, habe ich mir schon mehr oder weniger fest vorgenommen. Dazu gehört das Stück, Canterbury-Reims, Pontarlier-Ivrea und was uns nach den 7 Tagen noch Richtung Rom übrig bleibt. Alle diese Strecken eignen sich gut für 2-3 wöchige Reisen und lassen sich bequem in die Ferien eines Studenten einbauen.

    Auf der Zugfahrt von Pontarlier nach Bern bin ich alleine im Zug. Das ist mir ganz recht, denn so kann ich ganz schamlos von einem Fenster zum anderen laufen, um die malerischen Voralpen zu bewundern und zu fotografieren. Als der Zug auf halber Strecke am Genfer See und den vielen schönen modernen Häuser vorbeifährt, die alle den riesigen See überblicken, frage ich mich, wie die Jobaussichten für Psychologen in der Schweiz aussehen, denn hier lässt es sich definitiv leben.

    In Bern treffe ich dann meine Mama, die praktisch gleichzeitig mit mir ankommt und 30 Minuten später sitzen wir gemeinsam im Zug nach Mailand. Dieser ist erstaunlich voll und zum ersten mal kommt mir die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr sinnvoll vor.
    Die gelegentliche Aussicht auf die Alpen während der Zugfahrt ist zwar überwältigend, aber die Hälfte der Zeit sind wir im Tunnel, weshalb ich die Zeit lieber mit dösen und Blog schreiben verbringe.

    Um 16:40 Uhr kommen wir in Mailand an und begeben uns direkt zu unserem (4-Sterne) Hotel (Danke Mama). Mir fällt sofort auf, dass ich seit langem in keiner so großen Stadt war. Mit 1,3 Millionen Einwohnern ist Mailand mehr als 10 mal so groß wie Besançon, welches ich vor einigen Tagen noch als anonyme Großstadt betitelt hatte. Davon die Leute zu grüßen, kann hier überhaupt nicht die Rede sein. Trotzdem muss ich zugeben, dass es eine wunderschöne, moderne und saubere Stadt ist, in welcher viele sehr gut angezogene Leute herumlaufen.

    Als wir abends in Chinatown essen gehen, ist in der Stadt ordentlich was los. Klar, Mailand hat 1,3 Millionen Einwohner und es ist Samstag Abend. Selbstverständlich ist das zu Zeiten von Corona trotzdem nicht. Beim Chinesen tippe ich einfach nur zufällig auf die Karte und kriege eine sehr leckere Nudelsuppe, die ich mit meiner ersten Kokosmilch aus der Dose abrunde. Um halb 9 sind wir wieder im Hotel, denn morgen geht's wieder früh los.
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  • Roppolo

    27. september 2020, Italia ⋅ ☀️ 7 °C

    Um 6:30 Uhr heißt es aufstehen. Für meine Mama, sonst eine Frühaufsteherin, ist das am Sonntagmorgen eine kleine Herausforderung, aber nach ein paar Minuten überwindet sie sich auch. Das Frühstück ist üppig. Es gibt 6 verschiedene Arten von Croissants, unterschiedliche Kuchen, Joghurt, Rührei, Speck und vieles mehr. So gut gestärkt, wie sonst selten, machen wir uns um 7:45 Uhr auf zum Milano Centrale und nehmen dort den Zug nach Ivrea. Um 10:30 Uhr sind wir da.

    Ivrea liegt am Fuße der Alpen, unweit der Schweizer Grenze. Das merkt man, denn die Stadt ist lebendig und wohlhabend. Durch Ivrea hindurch fließt ein Fluss aus sauberem blaumatten Bergwasser, es gibt Parks mit Brunnen und gut besuchte Cafés. Auf dem Weg durch die Stadt kommen wir bei einem Infopoint speziell für Pilger der via francigena vorbei. Noch bevor wir da sind, kommt uns schon Paolo entgegen und fragt uns auf Französisch, ob wir Stempel für unseren Pass haben möchten. Das möchten wir tatsächlich und kommen mit ihm in das kleine Gebäude rein. Dort fragt er mich auf energetisch-italienische Weise aus, woher wir kommen, wohin wir gehen und was unser Tagesziel ist. Als wir sagen, dass wir nach Viverone wollen, empfiehlt er uns stattdessen einen Ort weiter zu gehen nach Roppolo, denn hier gebe es bessere Unterkünfte. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und ruft bei einer Bekannten von ihm an und fragt, ob sie für heute Abend noch Plätze hat und erklärt ihr, dass zwei Pilger, Mutter und Sohn, noch eine Unterkunft suchen. Als er auflegt, haben wir eine Unterkunft für heute abend, die günstiger ist als, die die wir ausgesucht hatten, und zudem ein Frühstück beinhaltet. Nach dem Telefonat gibt er uns beiden noch eine Karte, zwei via francigena Broschen und fotografiert uns mit einem lebensgroßen Pilgeraufsteller.

    Nach diesem sehr glücklichen Zusammentreffen machen wir uns weiter die via francigena entlang. Da meine Mama sich heute noch keinen 22 Kilometern gewachsen fühlt, kürze ich mithilfe von Google Maps den Weg ein wenig ab und serviere ihr das "Landstraße-Special" für 7 Kilometer. Immer, wenn uns das Laufen entlang der Landstraße jedoch entmutigt, konnten wir uns umdrehen und die beeindruckende Aussicht auf die Alpen genießen.

    Der Rest des Weges führt uns entlang eines Kanals, der die selbe Farbe hat wie der Fluss in Ivrea, durch Maisfelder und schöne, wirklich schöne italienische Dörfer. In Viverone machen wir kurz Halt am Lago Viverone, welcher besser besucht ist als der Chiemsee in der Hauptsaison.

    Um 16:30 Uhr kommen wir bei unserem B&B "Emilia" in Roppolo an. Die Besitzerin Loretta kommt 20 Minuten später mit 2 Freundinnen an und wundert sich, wo wir denn lang gelaufen seien. Sie seien uns entgegengelaufen und hätten uns nicht finden können. Dieser Umstand ist mit unserem kurzen Abstecher zum See schnell erklärt und Loretta führt uns mit erstaunlich gutem Englisch durch das gemütliche und charmante B&B. Sie fragt uns, ob wir Wäsche haben, die gewaschen werden soll, und erklärt meiner Mama (nicht mir) wann die Waschmaschine fertig ist und wo man die Wäsche aufhängen kann. Wir wechseln ein paar Worte über unsere Reise, sie empfiehlt uns wiederum einen anderen Ort als geplant und nach einer kurzen Ruhepause gehen wir um 19:30 Uhr in ein Restaurant im Ort, das offenbar spezielle Preise für Pilger hat.

    Im Restaurant kriegen wir das "Pilgermenü". Das bedeutet Vorspeise (Gemüsesuppe oder Käsecrèpe), Hauptspeise (wir haben beide Fisch mit Polenta genommen) und jeweils Bier oder Wein für insgesamt 24 €(!!!). Nach so einer Mahlzeit kann man ja nur gut schlafen.
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  • Santhìa

    28. september 2020, Italia ⋅ ☀️ 15 °C

    Heute gibt es keinen Grund, uns sonderlich zu beeilen. Um 7:15 Uhr klingelt der Wecker, was für mich schon quasi ausschlafen bedeutet. Um 8 Uhr serviert Loretta uns ein typisch italienisches Frühstück, welches aus verschiedenen Kuchen, Keksen, Plätzchen, Joghurt und Obstsalat besteht. Das einzige, das nicht süß ist, ist eine selbstgemachte Zitronenmarmelade. Die ist nämlich vor allem sauer. Für mich ist das keine besondere Umstellung, denn das französische Frühstück bestand meistens auch nur aus Baguette, Marmelade und manchmal Honig. Meine Mama probiert hingegen hier und da, entscheidet sich aber schließlich für eine kleine Schüssel Fruchtmüsli mit Joghurt. Anschließend verabschieden wir uns von Loretta und Farouk (so heißt ihr cleverer Hund) und machen uns um 8:45 Uhr auf den Weg.

    Dabei erlebe ich heute eine Premiere, denn wir laufen den gesamten (13 Kilometer langen) Weg nach Santhìa nur anhand der Wegweiser der via francigena, ohne Handy. Das ist hier ziemlich gut möglich, denn überall sind Aufkleber, Schilder, Pfeile, Zeichnungen und Sprays angebracht, die keine Zweifel bezüglich der Wegfindung übrig lassen.

    Der Weg führt uns durch den Wald, die Felder und sogar an einer Kiwiplantage vorbei. Das ist das erste Mal, dass ich sehe, wie Kiwis wachsen. Nach circa 9-10 Kilometern machen wir eine Pause und essen ein paar von den Snacks, die meine Mama noch von zuhause mitgenommen hat und die ihr jetzt schwer im Rucksack liegen. Kurz vor Santhìa kommen wir an einem kleinen Hof vorbei, auf dem zwei Esel, ein Ziegenbock und ein Schaf leben. Sie sind Pilger anscheinend gewöhnt und kommen erwartungsvoll zum Zaun, wo wir sie (wahrscheinlich nicht als erste) mit Mais und Äpfeln füttern, die genau auf der anderen Seite des Weges wachsen.

    In Santhìa machen wir Mittagspause in einem kleinen Park. Meine Mama macht ein Nickerchen auf einer sonnigen Bank und ich lege mich zum Lesen und Blog schreiben auf die Wiese. Die Ruhe und Entspannung bleibt jedoch aus, denn die Wiese lebt. Am helllichten Tag werde ich von mehreren Mücken attackiert, Fliegen und Ameisen sind sowieso überall und als mir dann eine Raupe aufs Handtuch krabbelt, reicht's mir auch wieder. Das war in Frankreich anders. Dort war es kälter und oder trockener und die Insekten waren schon im Wintermodus oder vertrocknet. An sich nichts gutes, aber Mittagspausen wie am Tag in "Champlitte" gehören zu meinen Highlights der Reise.

    Nach dem großen Krabbeln gehen wir in den Supermarkt, wo wir uns mit Lebensmitteln für heute Abend und ein paar Snacks für morgen eindecken. Von dort aus haben wir nämlich noch etwas über 6 Kilometer bis zu unserer Unterkunft, die zwar zu Santhìa gehört, aber über eine Stunde Fußmarsch von der eigentlichen Stadt entfernt liegt. Der Weg dahin führt entlang einer komplett geraden, kaum befahrenen Landstraße durch die Reis(!?)felder Italiens. Auf diese Art und Weise sehen wir schon zu Anfang, wo unsere Unterkunft ist, brauchen aber über eine Stunde dahin. Ein wenig makaber. Jedenfalls haben wir auf dem Feld wieder eine, welches Wort hatte ich noch nicht... grandiose Aussicht auf die Gipfel der Alpen und um kurz vor 4 kommen wir dann auch endlich an.

    Das "B&B il Passatempo di Enrica" ist eine kleine Wundertüte. Als wir auf den Standort auf der Karte zu laufen, sehen wir Ruinen einer alten, verlassenen, wie wir glauben, Stadt (Bild 7). Es gibt einen Turm aus rotem Backstein, bei welchem das Dach eingefallen ist und Löcher in den Wänden sind. Darunter sind mehrere Gebäude, aus denen Pflanzen wuchern und Bäume quer hindurch wachsen, und eine Stadtmauer, die inzwischen zur Hälfte nur noch aus Gebüsch zu bestehen scheint. Ich finde es aufregend und bin fasziniert von diesem Anblick, meine Mama hingegen, im Herzen einfach noch keine richtige Pilgerin, hat Angst, dass dort unsere Unterkunft liegt.

    Als wir diese "Stadt" umlaufen, finden wir eine Auffahrt, in der ein Auto steht. Fast verzweifelt klingeln wir dort und fragen, wo das B&B Passatempo liegt. Die Frau, die zwar kein Englisch spricht, versteht, was wir suchen, und führt uns zu einem Tor, das direkt zu den Ruinen führt und welches wir gerade beim Vorbeilaufen bewusst ignoriert hatten (Bild 8). Neben dem Tor hängt dann wirklich ein kleines Schild mit dem Namen des B&Bs. Meine Mama ist immer noch "skeptisch" (milde Formulierung), aber alleine durch den Umstand, dass es Nachbarn gibt, auch ein wenig beruhigt.
    Mir der Besitzerin Enrica hatte ich zuletzt gestern Abend Kontakt, weshalb es nicht unbedingt der Beruhigung zuträglich ist, dass sich weder nach mehrmaligem Klingeln, noch nach mehreren Anrufen jemand meldet. Erst als ich ihr auf Whatsapp schreibe, gibt es ein Lebenszeichen und sie kommt nach vorne zum Tor spaziert.

    In kürzester Zeit kippt bei meiner Mama die Stimmung von Skepsis hin zu Begeisterung. Enrica führt uns über das riesige Grundstück, hin zu einem Gästehaus, das neben den Ruinen steht. Hier zeigt sie uns unsere großen und altertümlich eingerichteten Zimmer, das Bad und den Saal, in dem wir morgen frühstücken. Alles ist sehr majestätisch und nur ein bisschen gruselig. Während wir kochen (es gibt Tortelloni mit Käsesauce) unterhalten wir uns mit Enrica und sie erzählt uns von ihrem Mann, ihrem Sohn und ein wenig über das Anwesen. Dieses war früher eine kleine Landburg, die über die Jahre immer wieder zerfallen ist und wieder aufgebaut wurde. Was wir heute sehen, sei größtenteils im 18. Jahrhundert gebaut, ein-zwei mal renoviert und seit vielen Jahren wieder ignoriert worden. Sie wolle das Ganze wieder aufbauen und seie dafür zur Zeit auf der Suche nach Geldgebern. Auf die Frage, ob wir uns die Ruinen mal etwas genauer anschauen könnten, reagiert sie gelassen. Wir dürften so viel schauen, wie wir wollen, es sei aber alles auf eigene Gefahr.

    Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und stehen bald im Innenhof des "Castello". Das ist zwar aufregend, reicht uns aber nicht ganz. Wir gehen durch eine Tür in das Gebäude hinein und klettern vorsichtig über die Turmtreppe in die oberen Stockwerke. Ich bin ganz verblüfft, dass meine Mama nicht interveniert, sondern in einem Fall sogar vorgeht und noch neugieriger ist als ich. Nach ganz oben auf den Turm lässt sie mich dann aber nicht klettern (zugegebener Maßen sehr vernünftig), was jedoch nicht schlimm ist, denn wir haben bereits genug gesehen. Es ist ein absolut faszinierender und leicht gruseliger Ort, der es auf jeden Fall in eine Sendung von Galileo "Lost Places" schaffen würde.

    Nach der Erkundungstour reden wir nochmal kurz mit Erica und gehen anschließend auf unser Zimmer. Morgen wartet wieder ein großer Tag auf uns.
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  • Vercelli

    29. september 2020, Italia ⋅ ⛅ 16 °C

    7 Uhr klingelt der Wecker, um 8 Uhr gibt's Frühstück und um 8:45 Uhr geht's wieder los.
    Das Frühstück ist ähnlich wie das gestrige, unterscheidet sich aber auf zwei Weisen. Zum einen gibt es heute etwas deftiges: zwei Weichkäsesorten, die selbst mir erstaunlich gut schmecken; zum anderen frühstücken wir heute aus einem fein verzierten Porzellanservice und auch sonst hat Enrica beim Anrichten viel Auge aufs Detail gelegt. Das Frühstück ist einem alten Landschloss würdig.

    Gestärkt machen wir uns auf den 20 Kilometer weiten Weg nach Vercelli. Da wir außerhalb Santhìas geschlafen haben, sind wir abseits der via francigena und lassen uns heute mal wieder von Google Maps leiten. Wir laufen durch die gelben Reisfelder auf einem Weg, der noch ganz nass ist vom Morgentau, die Sonne im Rücken und vor uns eine Aussicht über das Flachland Piemonts. Kurz darauf fühle ich mich schlauer als Google und entschließe, dass wir einem Weg folgen, der nicht auf Maps verzeichnet ist, aber wahrscheinlich eine Abkürzung darstellt. 10 Minuten später stehen wir mitten auf dem Feld vor einer Sackgasse und müssen den gesamten Weg zurücklaufen. Da es morgens ist und wir noch voller Kräfte sind, ist dieser kleine Umweg schnell vergessen und wir laufen motiviert weiter.

    An dieser Stelle ist es Zeit für ein kleines Suchbild. In Bild 4 hat sich ein kleiner Kollege versteckt, der auf die "tot stellen"-Taktik gesetzt hat. Seine vielen Artgenossen, an denen wir täglich vorbeilaufen, setzen eher auf die "Flucht in den Bach"-Taktik und sind damit schwieriger vor die Linse zu kriegen. Wer findet das Tier in Bild 4, das übrigens auch in einigen Regionen Italiens eine Delikatesse darstellt und nicht nur in Frankreich?

    Zurück zum Wesentlichen: Den Weg teilen wir mit einer Mittagspause in "Olcenengo" in zwei. Es gibt Tortelloni von gestern, eine Salatgurke (ich merke, dass ich nicht mehr allein über das Essen entscheide) und einen Proteinriegel. Nach der Pause auf einer schattigen Steinbank werden die restlichen 10 Kilometer in Angriff genommen. Diese bestehen aus genau 10 Kilometern kerzengerader Landstraße, auf welcher wir uns mit Diskussionen über interessante Themen (Politik) ziemlich effektiv die Zeit vertreiben.

    Um 13:30 Uhr kommen wir in Vercelli an, wo wir uns kurz ausruhen und um 14 Uhr ins Touristenbüro gehen. Dort holen wir uns Stempel ab und lassen uns erklären, was es in Vercelli zu sehen gibt und wo man etwas essen kann. Letzteres setzen wir zuerst in die Tat um und genießen ein Bier und eine Piadina am Hauptplatz Vercellis. Danach machen wir uns an die Besichtigung der drei Kirchen, die uns empfohlen wurden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Vercelli 46.000 Einwohner hat und es deutlich mehr Kirchen gibt, als die drei besichtigten.
    Kirche Nummer 1 ist die "Chiesa di San Cristoforo" (Bild 6+7). Diese könnten wir nur zwischen 15:30-16:30 Uhr besichtigen, es würde sich aber wegen den beeindruckenden Wandmalereien lohnen. Um 16:25 Uhr sind wir dann auch wirklich dort und erstaunen. Jede freie Wand ist bemalt oder auf eine andere Art verziert. Die Deckenbemalung könnte man sich stundenlang ansehen und würde immer noch neue Besonderheiten bemerken. Zusammen mit der spärlichen Beleuchtung ergibt sich ein leicht geheimnisvolles Ambiente, ganz anders als man sonst von Kirchen gewöhnt ist.
    Die zweite Kirche ist die Kathedrale von Vercelli (Bild 8+9). Hier muss man die Einwohnerzahl im Hinterkopf behalten, denn während die Kathedrale fast so groß ist wie der Frankfurter Dom(!), ist sie deutlich, deutlich schöner und majestätischer. Als Laie kommt sie mir von der Architektur mit ihren marmorbesetzten Säulen und hohen weißen Decken schon fast altgriechisch vor. Zudem wurde hier auch nicht an goldenen Verzierungen und sonstigen Zurschaustellungen des Reichtums der katholischen Kirche gespart. Der goldende über dem Alter hängende Jesus alleine ist mehr als lebensgroß (Mann im Bild zum Vergleich).
    Last but not least kommt die "Basilica di Sant'Andrea" (Bild 1 +10). Diese gehört zu einem größeren Gebäudekomplex und bietet daher von außen den besten Fotohintergrund von den dreien dar. Die Türme und Wände aus roten Backsteinen, abgewechselt mit weißen Elementen und die spitzen Turmspitzen geben ihr den begehrten "Hogwarts-Look". Im Inneren ist sie dafür sehr schlicht gehalten und lässt erkennen, dass es hier mehr um die Funktionalität als Glaubensstätte und nicht zur Darstellung von Reichtum geht. Außerdem hat die Fertigstellung der Basilika damals nur 8 Jahre gedauert. Für die Größe und das Alter eine sehr kurze Zeit.

    Nach diesem Tribut an das Pilgerdasein gehen wir zum "B&B la Rosa Bianca". Hier wollten wir uns um 18 Uhr mit dem Besitzer treffen. Als wir ankommen und den Besitzer anrufen, gesteht er uns aber, dass er im Stau steht und erst um 19 Uhr kommt. Das bedeutet eine Stunde warten, obwohl es sowieso schon spät ist. Der Gedanke, stattdessen in ein nur geringfügig teureres Hotel zu gehen, steht auf jeden Fall sehr präsent im Raum, wir entscheiden uns aber dagegen. Unsere Geduld macht sich schließlich zumindest teilweise bezahlt, denn das B&B ist klein, aber gepflegt und der Besitzer entschuldigt sich mit einer Portion Spaghetti und Wein bei uns. Beides lassen wir uns munden und bereiten uns anschließend auf den nächsten Tag vor.
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  • Robbio

    30. september 2020, Italia ⋅ ☀️ 17 °C

    Das 19 Kilometer entfernte Robbio ist unser heutiges Ziel. Um dieses zu erreichen, stehen wir um 7:30 Uhr auf, frühstücken um 8 Uhr und laufen um 8:45 Uhr los. Das Frühstück ist heute sehr übersichtlich. Wir kriegen jeweils ein gefülltes Croissant und auf dem Tisch stehen noch 6 Cracker, die wir mir etwas Butter und Marmelade zu uns nehmen. Semi gestärkt und semi begeistert von der Unterkunft machen wir uns auf den Weg.

    Heute folgen wir wieder ganz offiziell der via francigena. Das bedeutet wir überqueren Flüsse, laufen durch die Reisfelder (sie sind wirklich überall) und kommen an dem ein oder anderen süßen Schild vorbei (Bild 2).

    In "Palestro" machen wir um 11:20 Uhr Halt und haben zu diesem Zeitpunkt schon circa 12 Kilometer hinter uns. Pause bedeutet essen, entspannen und ganz wichtig: Blut aus den Füßen holen (Bild 3). Wegen des sparsamen Frühstücks entschließen wir uns bis 12 Uhr zu warten, um dann in einer Pizzeria essen zu gehen. Ich Vielfraß gehe in der Zwischenzeit zum Supermarkt, um mir schon mal etwas als "Vorspeise" zu holen und entscheide mich für drei Packungen Skyr. (Wenn man 3 kauft, kriegt man eine umsonst!) In der Schlange vor dem Supermarkt spricht mich eine italienische Fahrradpilgerin an, mit der ich nach besten Kräften einige Worte auf Italienisch austausche. Als ich 15 Minuten später mit meiner Mama auf einer Bank nicht weit vom Supermarkt sitze und meinen Skyr esse, kommt besagte Dame vorbei, schenkt uns eine Packung Kinder Bueno, erklärt uns auf ital-engli-deutsch, wo man hier Toiletten findet und wünscht uns einen guten Weg. Bei uns bestand zwar weder Bedarf nach Toiletten, noch nach Kinder Bueno (wir beide sind keine Süßigkeitenfans), aber allein diese unglaublich freundliche Geste lässt uns erstaunen.
    Um 12 Uhr stellt sich heraus, dass die Pizzeria seit neustem andere Öffnungszeiten hat und erst um 18 Uhr öffnet. Da wir beide in der Zwischenzeit ein bisschen was gegessen haben und es nach Robbio nicht mehr weit ist, entschließen wir uns, den Rest des Weges hinter uns zu bringen und dort dann etwas essen zu gehen.

    Die letzten 7 Kilometer sind vom Wanderweg her schon etwas aufregender und erinnern mich an meine Wanderung durch die Reisfelder der Philippinen. Über kleine Holzbrücken, in die Erde gehauene Stufen und einen engen Pfad direkt neben dem Bewässerungskanal bewegen wir uns weiter Richtung Süden (Bild 6).
    Um kurz vor 2 kommen wir an unserer Unterkunft in Robbio an. Diese hat folgende Vorgeschichte: Robbio ist zwar der offizielle Zwischenstopp auf der via francigena, aber die Unterkunfslage sei hier schon immer dürftig gewesen. Zu Zeiten von Corona hätten nun quasi alle Unterkünfte hier geschlossen, berichteten der Mann im Touristenbüro und der Mann, bei dem wir letzte Nacht übernachtet haben. Es gäbe in ganz Robbio (gar nicht so klein) nur noch ein einziges Zimmer. Die Zuständigen sprächen jedoch nur Italienisch, weshalb wir den Mann von unserer letzten Unterkunft gebeten haben, dort für uns anzurufen und nachzufragen, ob heute für uns Platz wäre. Er wechselt also heute morgen ein paar Worte mit einer Frau am Telefon und sagt zu uns: "Ja, ich glaube, es ist frei. Ruft diese Nummer an, wenn ihr auf dem Platz vor der Unterkunft seid." Das genügt mir inzwischen als Gewissheit und meine Mama sieht es auch gelassen, es gäbe ja ansonsten einen Bahnhof.

    Als wir bei der Adresse der Unterkunft ankommen, stehen wir vor dem "Municipio", quasi einem Verwaltungshaus, in dem die Polizei und Stadtverwaltung sitzt. Als ich bei der Nummer anrufe, meldet sich eine Frau und ich erkläre mit den Brocken Italienisch, die ich in den paar Tagen aufgeschnappt habe stichwortartig, was ich will: "Buongiorno. Mi chiama Michael. Filio e mama pellegrini. Arrivato." Die Frau sagt sehr viel auf italienisch, aber ich höre ein "venire" raus und kann beruhigt nach ihrem "Ciao" auflegen. Wir warten kurz (Bild 7) und 10 Minuten später kommt tatsächlich eine ältere Frau auf einem Fahrrad auf uns zu und begrüßt uns lächelnd. Sie zögert nicht lange und geht mit uns durch das Tor des "Municipio" hindurch. Auf dem Weg in die Pilgerunterkunft, die im Hinterhof gelegen ist, erklärt sie uns alles auf italienisch und irgendwie verstehen wir alles Wichtige. Am Ende lassen wir uns von ihr sogar eine Pizzeria empfehlen. Die Unterkunft ist ein richtiges "Ostello" und erinnert mich an meine Nacht im "presbytère" in Langres. Wir kriegen Einwegbettwäsche, Stempel in unseren Pass und den Schlüssel. Die Bezahlung ist "donativo" und falls wir Probleme haben, sollten wir einfach anrufen. Herrlich unkompliziert. Natürlich ist der Komfort begrenzt, aber es gibt alles, was man braucht (außer einen Duschvorhang (Bild 9) --> ich bin gezwungen, das erste mal in meinem Erwachsenenleben im Sitzen zu duschen) und wir sind froh, dass wir mit niemandem in einem Zimmer schlafen müssen. Nach einer kurzen Verschnaufpause machen wir uns auf den Weg in den Supermarkt, um uns etwas zu holen, das wir in unserer eigenen kleinen Küche zubereiten können.

    Abends gehen wir dann endlich auf Pizzasuche. Nicht erfolgreich. Die empfohlene Pizzeria hat wie fast alles in der Stadt zu. Wir finden zwar letztendlich ein süßes Restaurant, aber die Speisekarte ist nicht unbedingt italienisch... naja seht selbst (Bild 10).
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  • Mortara

    1. oktober 2020, Italia ⋅ ☁️ 16 °C

    Heute stellen wir nicht einmal einen Wecker. So entspannt kann pilgern sein. Wir wachen zwar gegen halb 8 auf, aber eine angenehme Abwechslung ist es trotzdem. Wir frühstücken in Ruhe (Rührei und Käsebrot 🇩🇪) und machen uns pünktlich zum Glockenkonzert vor unserem Fenster um 10 Uhr auf den Weg. Besagtes Glockenkonzert stammt von einem Kirchenturm circa 20 Meter Luftlinie von unserem Fenster entfernt, welcher uns heute Nacht auf keinen Fall einige Male erschreckt hat.

    Der Weg lässt sich ziemlich gut gefolgt zusammenfassen: Landstraße, Feld, Feld, kurze Pause in "Nicorvo", Landstraße, Feld, Feld, Mortara. Es passieren jedoch zwei interessante Sachen, die mich etwas stolz machen.
    Kurz nach dem Loslaufen rufe ich in einigen Unterkünften für den morgigen Tag an. Viele gehen nicht dran, aber eine Frau nimmt den Hörer ab, das einzige Problem: Sie spricht nur italienisch. Trotzdem kriege ich es hin, für morgen, für zwei Personen, eine Unterkunft zu buchen, zu vereinbaren, dass wir um 16 Uhr ankommen, und den Preis herauszufinden. Dafür, dass ich vor vier Tagen nur "Buongiorno" und "Ciao, bella" kannte, ein ziemlicher Fortschritt.
    Nummer 2 ist nur möglich, weil die Wegweiser nach unserer Pause in Nicorvo quasi verschwinden. Wir werden noch aus dem Dorf geleitet und irgendwann von der Landstraße aufs Feld geführt. Kurz darauf stehen wir schon vor der ersten unausgeschilderten Weggabelung (Bild 6). Nur eine Richtung macht Sinn, aber danach gibt es für mehrere Kilometer keine Zeichen der via francigena mehr. Google Maps kennt keinen einzigen Feldweg in der Gegend und das einzige Hilfsmittel, das bleibt, ist mein Orientierungssinn. Dieser ist inzwischen jedoch ausgeprägt genug, dass wir ein paar Kilometer weiter und einige Abbiegungen später wieder auf einer beschrifteten Straße herauskommen und das Ganze schneller als eigentlich vorgesehen. Nimm das Google! Nimm das viafrancigena.org!

    Ansonsten verläuft der Weg sehr unspektakulär und um 13:30 Uhr kommen wir in Mortara an. Hier übernachten wir im "B&B Brigitte". Dabei handelt es sich um Brigitte Hoffmanns Wohnung, in welcher sie ein Zimmer als B&B vermietet und die Gäste ihr Bad mitbenutzen lässt. Brigitte Hoffmann klingt nicht nur Deutsch, sondern ist sie auch. Im Alter von 6 Jahren ist sie mit ihren Eltern nach Italien ausgewandert und hat seitdem an ihrem Deutsch gearbeitet, weshalb wir uns auch heute, Jahre später, problemlos auf Deutsch mit ihr unterhalten und uns von ihr erneut Pizzerias empfehlen lassen können.

    Ja, Pizza steht immer noch auf dem Programm. Aus diesem Grund gehen wir um 16 Uhr aus dem Haus, schauen uns zwei Kirchen an, kaufen etwas Gänsesalami, welche Frau Hoffmann uns ebenfalls empfohlen hat. Anschließend beobachten am Hauptplatz Mortaras die italienische Jugend, was ziemlich unterhaltsam ist und sehr gut die Zeit vertreibt, bis wir um kurz vor 7 Pizza essen gehen können. Um diese Uhrzeit sind wir die ersten im Restaurant, was sehr typisch für Italien ist. Zur Feier, dass es endlich Pizza gibt, bestellen wir als Vorspeise eine Meeresfrüchteplatte und danach jeweils naja, eine Pizza. Für mich ist das Luxus, den ich mir auf dieser Reise bisher nicht gegönnt habe. Als uns Prosecco als Aperitif und nach dem Essen jeweils ein Absacker angeboten werden, erkenne aber selbst ich an, dass es eine gute Idee war. Der Preis für das Essen ist am Ende erstaunlich niedrig. Da kriegt die süße Kellnerin, die mir ständig zugelächelt hat, sogar deutsche 10 % Trinkgeld.

    Nach dem Essen laufen wir wieder zu Frau Hoffmann, mit welcher sich meine Mama für eine Weile unterhält, während ich den Blog schreibe. So geht auch dieser Tag zu Ende und wir bereiten uns auf den nächsten vor, auf dass dieser ebenso gut verläuft wie der heutige.
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