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  • Day 73

    Auf hoher See

    December 13, 2021, Caribbean Sea ⋅ ☁️ 27 °C

    Als "Binnenländler" und sprichwörtliche Landeier konnten wir uns im Vorfeld nicht so recht vorstellen, wie es wohl sein würde, mit so einem kleinen Boot auf das offene Meer zu fahren 🤔. Wird uns Neptun🔱 gnädig gestimmt sein? Werden wir Delfine oder sogar Wale sehen🐬🐋? Wie funktioniert das mit dem Kochen und können wir bei starkem Wellengang überhaupt schlafen? Das waren die etwas einfacheren und weniger beängstigenden Fragen.

    Es gab aber noch viel mehr, das uns "Wunder" nahm. Vor allem Dani musste sich in Acht nehmen, nicht zu viel zu lesen und das Kopfkino zusätzlich zu befeuern (wie oft "kippen" Segelschiffe eigentlich? Wie tief ist die karibische See und "was" lebt dort?) 🐙🦈🦑. Obwohl wir beide schon mal mit Segelschiffen unterwegs waren - Martina zu den Whitsundays in Australien und Dani zu den Komodoinseln und nach Flores in Indonesien - löste die knapp 45-stündige Fahrt über das offene Meer das eine oder andere Unbehagen aus ⛵. Die Gespräche mit anderen Seglern waren nicht besonders aufschlussreich. Frank, unser deutscher Zimmernachbar in Puerto Lindo, riet uns die "geilen Wellen" zu geniessen (ist er Sadist oder Adrenalin-Junky?), Hans, der Wirt in Puerto Lindo, beschwichtigte uns mit dem Hinweis, dass bei Sturmwarnungen entlang der Küste gesegelt würde (ist das weniger gefährlich?) und ein holländisches Seglerpaar erzählte uns, dass sie aufgrund des zu hohen Wellengangs und der zu starken Winde noch nicht lossegeln würden (hmmm...) 🌊⛈⚡.

    Am 12. Dezember um 14 Uhr war es dann soweit und das Unvermeidbare stand an. Für einen Rückzieher war es zu spät und der Einzige der das Boot in San Blas verliess, war ironischerweise der Schiffseigner John🙈. Dieser verzichtete auf die Weiterfahrt, da er aufgrund der neuen Pandemie-Restriktionen als Ungeimpfter in Kolumbien nicht hätte einreisen können. Mark und Simon, unsere verbliebenen Kapitäne zwei und drei, lichteten den Anker⚓ und wir genossen die letzte Mahlzeit ohne Schaukeln sowie flaue Gefühle in der Magengegend. Wenig später steuerte Ari, Kapitän Nummer eins, das Schiff langsam auf das offene Meer hinaus.

    Bis zum Sonnenuntergang durften wir auf Deck bleiben. Bei Dunkelheit wäre dies zu gefährlich gewesen - zu stark war der Wellengang und zu schwierig eine allfällige Seerettung. So genossen wir alle die frische Luft, die leichte Brise und die letzten Sonnenstrahlen🌞. Wir setzten uns etwas abgesetzt vom Rest der Gruppe ganz vorne am Bug hin, liessen unseren Blick in die Ferne schweifen und sahen dem Schauspiel der Wellen zu 🌊. Das Auf und Ab kommentierten wir anfänglich noch mit "Ah" und "Oh" und fanden es lustig, wenn wir nass gespritzt wurden.

    Mit Beginn der Dämmerung änderte sich allmählich auch der Seegang und damit die Stimmung. Wer konnte, versuchte sich irgendwo festzuhalten und sich noch nicht hinzulegen. Liegt man nämlich erst mal flach in der Koje, ist das Austehen gleich doppelt anstrengend und der Mageninhalt schneller oben, als man denkt 😝. Für diejenigen im oberen Stockbett kam als zusätzliche Challenge hinzu, dass es weder Leiter noch Tritte gab und man sich mit viel Schwung aufs Bett hieven musste. Der einfache Toilettengang 🚽 wurde so zum wohlüberlegten Akt und der Weg dorthin zur Zitterpartie. Auf der Kloschüssel "angekommen", galt es einen möglichst "festen" Sitz zu wahren und nach erledigtem Geschäft die Hose wieder ohne hinzufallen hochzuziehen. Mit Entspannung hatte dies nichts mehr zu tun 🧘‍♂️.

    Nach oder schon während dem Abendessen auf See wurden die beiden Party-Irinnen seekrank und mussten sich hinlegen 🤢. Eine der beiden sahen wir erst bei der Ankunft in Cartagena wieder auf Deck. Urs, einer unserer deutschen Reisekumpanen, klammerte sich derweil verbissen an die Türhalterung des Führerstandes😬. Er hatte sich den Segeltörn als Binnensee-Kapitän etwas ruhiger vorgestellt. Hinter Urs sass das irische Geschwisterpaar bleichgesichtig auf der gepolsterten Sitzbank 🥴.

    Auch uns beiden ging es unterschiedlich gut. Martina hatte mit wiederauftretender Übel- und Appetitlosigkeit zu kämpfen und probierte mit ausgestreckten Armen und Beinen in ihrer Koje nicht hin und herzurutschen 💪. Dani schluckte alle vier Stunden eine der empfohlenen Wunderpillen und versuchte möglichst lange wach zu bleiben💊😶. Zusammen mit Veit, einem weiteren Deutschen, hatte er nämlich den undankbaren Schlafplatz im oberen Stockbett direkt am Bug erhalten (oberhalb von Martina). Am Bug spürte man die raue See am stärksten und da wir gegen den Nordost-Passatwind segeln mussten, war es nicht ganz einfach, auf das Bett zu klettern und dann auch drin zu bleiben. Übrigens erfuhren wir zwischenzeitlich auch, dass es deutlich heftiger ist, von Panama nach Kolumbien zu segeln, als umgekehrt. Macht Sinn: Wir wollen in den Süd-Osten und haben Wind aus Nord-Osten. 🙈 Uns wurde dann auch klar, weshalb wir immer mit der Unterstützung des lärmigen Motors unterwegs waren.

    So hatten wir Landratten in der ersten Nacht auf hoher See allesamt mit grossen und kleinen Herausforderungen zu kämpfen. Unsere Kapitäne genossen währenddessen den Wellengang und amüsierten sich wohl auch das eine oder andere Mal über uns 😅.

    Richtig ruhig wurde die See bis kurz vor Cartagena nicht mehr. Allerdings wirkten Seegang und Wellen bei Tageslicht viel weniger bedrohlich, als bei kompletter Dunkelheit 🌑. Deshalb konnte am nächsten Tag zumindest ein Teil unserer Truppe den Vor- und Nachmittag auf Deck verbringen, den Delfinen zuschauen, Musik oder Podcasts hören und dazwischen die Seekranken mit Essen und Wasser versorgen 🐬🎵🤕. Lesen hingegen ging nicht und schlaue Bilder zu knipsen war ein Ding der Unmöglichkeit.

    Normal zu kochen war bei diesem Wellengang ebenfalls unmöglich, weshalb wir vornehmlich einfache Speisen wie Sandwiches, vorgekochte Pasta oder Dosenfood serviert bekamen 🥪🥫. Lecker war das alles nicht, aber angesichts der Umstände irgendwie akzeptabel. Schwierig gestaltete sich auch die Trinkwasser-Situation. Dieses wurde uns zur Verfügung gestellt und kam aus einem auf Deck platzierten grossen Plastikkanister, welcher seit gefühlt zehn Jahren nicht mehr gereinigt worden war. Da bis auf uns niemand eigenes Wasser mitbrachte, mussten unsere Reisegspändli nach Tagen des exessiven Bierkonsums wohl oder übel mit dieser trüben und gräulich riechenden Brühe Vorlieb nehmen 💦🤮. Hier hätten wir uns von der Agentur eine transparentere Info und von der Crew einen bedachteren Umgang mit der Hygiene gewünscht.

    Die Hygiene auf solchen Trips aufrecht zu erhalten ist so oder so nicht ganz einfach. Weder Toilette noch Kombüse konnten gereinigt werden und das Essgeschirr musste mit kaltem Meerwasser gespühlt werden 🧹🧼. Die permanente Anwesenheit der beiden Hunde war ebenfalls spür- und riechbar. Auch wenn die beiden gute Stimmung aufs Boot brachten, war die Vorstellung, irgendwo in einen frischen Haufen zu treten und denselben Teller wie die Hunde zu benutzen, wenig prickelnd 💩.

    Etwas mehr als 42 Stunden nachdem wir das San Blas Archipel verlassen hatten, konnten wir am zweiten Morgen auf hoher See in der Ferne erstmals grosse Frachtschiffe 🚢 erspähen. Der Hafen von Cartagena war nicht mehr allzu weit entfernt. Nach und nach tauchte am Horizont die Skyline von Cartagenas modernem Geschäftsviertel auf 🏙. Wir waren erleichtert, dass sich dieses Abenteuer dem Ende entgegenneigte und sehnten uns nach festem Boden unter den Füssen 👣.

    Im Hafen von Cartagena liessen uns jedoch zunächst die kolumbianischen Behörden noch etwas "zappeln". Mit der Erledigung der Grenzformalitäten hatten sie es nicht allzu eilig und genehmigten sich vor der Abfertigung unseres Segelschiffs eine grosszügige zweistündige Mittagspause. Ausserordentlich durstig, hungrig und müde freuten wir uns nun alle auf ein kaltes Getränk, einen gesunden Snack sowie eine erfrischende Dusche 🧃🥗🚿.

    Ein solcher Segeltörn war für uns beide etwas wirklich Einmaliges. Allen Unnannehmlichkeiten zum Trotz, fühlten wir uns bei der Wild Card Crew gut aufgehoben und sicher. Würden wir es wieder tun? Sehr wahrscheinlich schon. Aber mit anderen Erwartungen und sicherlich nicht in den nächsten paar Wochen. Reisende auf solchen Segelschiffen sind in den Augen der Crew primär Fahrgäste, die sicher von A nach B gebracht werden müssen. Eine konstante und transparente Gästekommunikation war unseren Kapitänen fremd und vieles wurde spontan Ad-hoc entschieden, was uns manchmal auf die Probe stellte. Wer eigene Bedürfnisse vorübergehend zurückstecken und sich schnell auf Unvorhersehbares einlassen kann sowie auf engem Raum mit vielen unterschiedlichen Menschen und Charakteren zurechtkommt, für den ist eine solche Reise aber sicherlich empfehlenswert!
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