• Tag 179: Korla bis Urumqi

    September 5, 2023 in China ⋅ 🌧 15 °C

    Heute Morgen ist das Frühstück entspannter. Es sind deutlich weniger Gäste im Speißesaal und die Küchendamen sind uns gegenüber auch ruhiger. Vielleicht liegt das allerdings auch daran, dass wir es gestern mit dem Frühstück dann doch recht selbstständig hinbekommen haben.
    Wir bedienen uns nochmal reichlich am Büffet und suchen nochmal den Busbahnhof in den verschiedenen Apps heraus, damit wir ihn auch später finden. Die Abfahrt des einzigen Buses am heutigen Tag ist auf 12:30 Uhr festgelegt, was uns noch reichlich Zeit gibt.
    Wir frühstücken also gemütlich, packen dann alles ein und fahren zum 1 km entfernten Busbahnhof. So einfach sollte es allerdings nicht werden, denn wir erkennen nicht direkt wo der Busbahnhof liegt. Natürlich sehen wir die ganzen Busse die dort parken, doch der dort stehende Wächter deutet auf die andere Seite der Häuser und verschränkt immer wieder die Arme und sagt ein uns mittlerweile sehr bekanntes Wort "meiyou" (dt. nein), um uns anzudeuten, dass dies nicht der richtige Eingang ist.
    Wir fahren also wieder zurück zu dem von ihm gezeigten Ort und fragen dort mit dem Google Übersetzer nach. Die können uns keine Auskunft geben.
    So langsam werden wir unruhig, denn die Abfahrt des Busses rückt immer näher. Also fahren wir zurück zum Wächter. Dieser ruft einen in der Nähe stehenden Polizisten her. 'Oh nein!', denken wir, 'Nicht wieder die Polizei!'
    Wie zu erwarten will er zunächst unseren Pass sehen. Da uns allerdings immer weniger Zeit bleibt und wir bisher mit der Zügigkeit der Polizei keine gute Erfahrung gemacht haben, antworten wir im Gegenzug mit "meiyou" und drängen weiter darauf den Eingang zum Busbahnhof gezeigt zu bekommen. Der Polizist will uns jedoch keinerlei Auskunft geben, wenn wir nicht die Pässe herausrücken und ansonsten scheint niemand anderes zu wissen, wie wir in den vor uns liegenden Busbahnhof hinein kommen.
    Mit fortschreitender Zeit und unserem immer dünner werdenden Geduldsfaden geben wir schließlich nach und händigen die Pässe aus.
    Der Polizist winkt uns hinter sich her. Da wir die Fahrräder mit unserem gesamten Gepäck nicht einfach auf dem Bürgersteig zurück lassen wollen, warte ich draußen, während Lukas den mittlerweile zwei Polizisten hinterher läuft.
    Kurz darauf kommen sie wieder. Ohne mich geht es nicht, meint Lukas. Wir kommen erst einen Schritt weiter, wenn ich auch mit rein komme. Wir erklären ihnen unsere Situation mit den Rädern und der Wächter erklärt uns mit Händen und Füßen, dass er auf die Räder aufpassen wird.
    Nicht wirklich davon überzeugt, aber keinen anderen Ausweg sehend, gehen wir mit unseren Wertsachen also hinter den beiden her. Die Pässe geben sie selbstverständlich nicht mehr aus den Händen!
    Sie leiten uns durch einen kleinen, unbedeutenden Eingang zwischen den anderen kleinen Läden in den Busbahnhof, der durch keinerlei Zeichen (außer vielleicht den chinesischen) zu erkennen ist.
    Keine drei Meter vom Eingang müssen wir durch einen Bodyscan, dann folgen wir nun nur noch dem einen Polizisten an allen in der Reihe stehenden Fahrgästen vorbei zum Schalter. Jeder weicht selbstverständlich vor dem Polizist zur Seite und wir werden mit Interesse und Freude betrachtet.
    Wir nennen der Frau am Ticketschalter unser Fahrziel, bezahlen und bekommen die Tickets ausgedruckt. Bevor wir allerdings unsere Räder holen dürfen, um den nun schon bald abfahrenden Bus zu erreichen, deutet uns der Polizist an, dass wir noch Fotos machen müssen.
    Wir halten also unsere Pässe mitsamt den Tickets vor unserer Brust hoch und bekommen á la "Fahndungsfoto" mitten in der Halle Bilder gemacht.
    Dann holen wir unsere Fahrräder von draußen. Natürlich hatte der Wächter kein Auge auf sie. Aber zum Glück ist nichts passiert.
    Mit unseren Rädern, Pässen, Tickets und nun immer weniger Zeit bis zur Abfahrt werden wir durch den Bodyscan geschleust, der nicht wirklich mit Nachdruck durchgeführt wird. Dann sollen wir dem Polizist weiter folgen. Allerdings erkennt dieser nicht, dass wir mit den Rädern nicht durch das Drehkreuz kommen, durch das wir normalerweise nach dem Bodyscan durchlaufen müssen. Wir tippen unser "Problem" also in den Übersetzer ein, doch als wären wir nicht schon gestresst genug, ignoriert der Polizist unsere Übersetzung einfach und spricht ständig etwas anderes in unser Handy hinein. Irgendwann sind wir so genervt, dass wir bei seinem erneuten Versuch etwas ins Handy zu sprechen dieses zurück ziehen und ihm ungeduldig auf Deutsch sagen "Nein, lies das erstmal!"
    Nach einer Weile haben wir ihn soweit, dass er uns eine Lücke in der Absperrung freiräumt, durch die wir hindurch kommen. Dann schieben wir schnellstmöglich zu dem Bus, unser Polizist rennt hektisch voran.
    Am Bus angekommen müssen die Fahrräder in den Bus hinein. Wir nehmen also die Taschen ab und müssen aufpassen, dass sie nicht schon irgendwo in den Bus hinein geräumt werden. Während ich also unser Gepäck "bewache", kümmert sich Lukas um die Räder. Dabei bekommt er zwar Hilfe von dem Busfahrer und anderen Gästen, diese machen sich aber keine allzu großen Sorgen um unsere Räder, sodass wir ständig befürchten müssen, dass sie etwas abbekommen.
    Außerdem kommen ständig andere Busse die uns hektisch auf die Seite scheuchen und fast schon panisch werden, als wir wegen der Räder und Taschen keine andere Möglichkeit haben, als ihnen im Weg zu stehen.
    Dieser erzeugte Stress kommt nochmal zusätzlich zu unserem ohnehin schon erhöhten Stresspegel hinzu.
    Bald sind die Räder verstaut und unsere Taschen in ihrer Nähe. Wir gehen noch schnell nacheinander auf Toilette, da wir nicht wissen, wann wir anhalten werden. Der Busfahrer macht uns eine Menge Stress, damit wir auch pünktlich da sind, also beeilen wir uns.
    Kurz vor Abfahrtszeit sitzen wir im Bus, ständig mit etwas sorgenvollem Blick hinunter auf die Gepäckfächer, in denen unsere Räder mittlerweile wahrscheinlich schon einige Schäden davon getragen haben.
    Dann geht es los. Der Motor geht an und wir fahren ein Stück rückwärts. Mitten auf dem Busparkplatz bleiben wir stehen, der Bus geht aus und wir warten. 'Haben wir etwas vergessen?', denken wir. Nein, nichts scheint zu fehlen. Die Zeit vergeht und es passiert scheinbar nichts. Dann wird uns bewusst, dass nun alle Fahrgäste im Busbahnhofsgebäude nochmal "kontrolliert" werden nach dem Motto "Wer fährt wann wohin?". Wir blicken uns um und sehen, dass um uns herum nur Uiguren sitzen. Kein einziger Han-Chinese sitzt mit uns im Bus. Kurz befürchten wir, dass wir der Grund sind, weshalb wir hier nochmal über eine Stunde stehen. Wir scheinen allerdings nicht das Problem zu sein. Stattdessen steigt der Busfahrer in den Bus ein und winkt einen jungen Mann heraus. Wir verstehen zwar nicht, was genau gesagt wird, allerdings ist dieser ganz und gar nicht mit dem Gesagten einverstanden. Trotz bezahltem Ticket und Kontrolle muss er den Bus verlassen und darf nicht mitfahren. In jedem anderen Land hätte ich gedacht, dass er vielleicht schwarz fahren wollte oder in einen teureren Bus eingestiegen ist. Hier in China wäre allerdings ein solches "Versehen" keinesfalls möglich, da nicht nur einmal kontrolliert wurde, dass wir auch in den richtigen, auf dem Ticket vermerkten Bus einsteigen. Unsere Vermutung, die sich mehr und mehr verfestigt und nur allzu gut zu unseren bisherigen Erfahrungen in diesem Land passt ist, dass er schlichtweg nicht die Erlaubnis hatte diese Region zu verlassen. Was zunächst erstmal unglaublich klingt wurde uns nur wenige Tage später von einer von solch einer Einschränkung Betroffenen bestätigt.
    Nach dieser andauernden Verzögerung fahren wir dann schließlich los. Nach einigen Stunden kommen wir in eine Kontrolle, bei der jeder den Bus verlassen muss. Während die Einheimischen durch einen Gesichtsscan hindurch laufen und damit die Kontrolle hinter sich bringen, müssen wir lange, uns mittlerweile allzu bekannte Gespräche führen, beziehungsweise Fragen beantworten.
    Aus welchem Land kommt ihr? - Deutschland - Wo wart ihr schon? - Kashgar, Aksu, ... Korla - Wo geht es als nächstes hin? - Urumqi, dann nach Takeshiken und in die Mongolei - Mongolei, was macht ihr da? - Reisen - Was ist der Grund für die Reise? - Tourismus - Aus welchem Land kommt ihr nochmal? - Deutschland
    So geht das ganze zwei Mal. Zweimal halten wir an und werden auf ein und der selben Straße ohne jeglichen Abzweig befragt. Angeblich sind diese Kontrollen zur Eindämmung von Corona installiert worden. Interessant, dass dann ausgerechnet Passkontrollen und Interviews statt Fieberthermometer als Methode verwendet wurden.
    Überrascht sehen wir an den Kontrollen auch, dass sie handschriftliche Listen mit unseren Namen vor sich liegen haben. Diese wurden ihnen bereits bei unserer Abreise aus Korla übermittelt und werden jetzt verglichen, damit auch ja jeder im Bus ist und niemand fehlt beziehungsweise zu viel ist. Aber überrascht sind wir auch darüber, dass alles hier so fortschrittlich und modern ist, dann aber eine Liste von solch scheinbar hoher Bedeutung ausgerechnet handschriftlich geführt wird.
    Die gesamte Fahrt dauert knapp 9 Stunden. Nach 4 Stunden machen wir die erste Toilettenpause, welche auch die einzige bleiben wird. Wir halten in einer Haltebucht, alle steigen aus und verteilen sich. Was? Ja, denn hier gibt es keine Toiletten. Alle schwärmen aus, steigen über die Leitplanke und suchen sich ihr Plätzchen. Eine andere Frau und ich haben beide einen Hügel ausgemacht, hinter dem wir Sichtschutz suchen. Die ein oder andere spart sich auch die Kletterei und geht noch vor der Leitplanke in die Hocke.
    Wir schnappen noch ein bisschen frische Luft, bevor es weiter geht. Nach der Pause lernen wir Charon kennen der mongolischer Abstammung ist. Er erzählt uns mit dem Übersetzer etwas über sich, dass er immer 6 Monate am Stück 7 Tage die Woche bei einer Ölraffinerie in der Wüste arbeitet und selbst noch nie in der Mongolei war.
    Um 22 Uhr erreichen wir Urumqi, die Hauptstadt der Uiguren und dementsprechend auch Hauptstadt der Überwachung. Unsere Fahrräder und Taschen werden mitten auf der Straße abgeladen, da der Weg zum Busparkplatz durch eine Baustelle versperrt ist.
    Charon bietet an für uns bei einem Hotel anzurufen um herauszufinden, ob wir als Ausländer in diesem auch übernachten dürfen. Nach wenigen Anrufen wird er fündig. Wir verabschieden uns und radeln hin.
    Dort angekommen erklären wir mit dem Handy, dass ein Freund bereits angerufen hat und wir daher die Bestätigung haben, dass wir hier bleiben dürfen. Statt allerdings das von uns Geschriebene zu lesen, ignoriert er es einfach, weigert sich etwas zu verstehen und hat auch merklich keine Lust dazu.
    Also geben wir auf und suchen das nächste Hotel heraus. Die beiden Frauen am Schalter sind zwar gewillt uns aufzunehmen, auch wenn der Preis sehr hoch ist, doch für die Räder müssten wir nochmal drauflegen, um sie im nicht sehr vertrauenswürdigen Hinterhof abzustellen.
    Wir fahren also weiter. Die Stadt ist vollkommen chaotisch und Fahrräder haben nicht wirklich Platz auf den Straßen. An jeder Ecke steht ein Polizist und an jeder zweiten eine Polizeistation. Das übertrifft selbst das von uns bisher Gesehene!
    Für 400 Yuan (knapp 50€) finden wir nach langer Suche schließlich ein von einem Uiguren geleitetes Hotel, in dem wir unter kommen. Der Preis liegt zwar auch deutlich über der Norm, aber wir entscheiden uns dazu, um die ewige Suche hinter uns zu haben.
    Wir gehen noch essen und werden voller Ehrfurcht und Interesse von dem jungen Angestellten empfangen. Dann kaufen wir noch etwas fürs Frühstück ein und legen uns schließlich müde und erschöpft vom langen Tag ins Bett.
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