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  • Day 5

    Ihr könnt‘ och Zweehe!

    September 5, 2022 in Germany ⋅ ☁️ 23 °C

    Niko und ich sind in Brück. Genauer gesagt bei Gisela im Schützenhaus. Doch der Reihe nach…

    Gestern Morgen war ich noch einmal im Kino Babylon. Leonie hatte mich zuvor angerufen und gefragt, wie die Planung meiner verbleibenden Tage ausschaut. Beim Morgengottesdienst hatte ich die Gelegenheit, noch einmal mir wichtigen Menschen meiner Gemeinde „Auf Wiedersehen“ zu sagen und anschließend mit Leonie, Fanny, Jonny und Theo ein kleines Picknick im Volkspark zu veranstalten. Ich holte Pizza und Leonie hatte einen kleinen Kuchen als Nachtisch gezaubert. Leonie bemerkte selbstkritisch, dass der Yoghurt im Kuchen nach nix schmeckte. Was wohl stimmte und durch Theo mehrmals goldig bestätigt wurde. Kindermund… Dennoch war die Gesamtkomposition gelungen und das kleine Picknick in der Runde perfekt.
    Obwohl es sooo schön war, mit diesen Menschen einen der letzten Sommertage im Freien zu genießen, verabschiedete ich mich gegen vier. Ich musste noch in meine Wohnung, Bob gegen Camino (mein Rad) tauschen, Sachen packen und nach Potsdam radeln.
    Ich wollte in Potsdam schlafen und mich Montag mit Niko dort treffen.
    Also startete meine erste (halbe) Etappe doch schon Sonntag. Ich packte mir Musik von Lucy Clearwater auf die Ohren und radelte durch Kreuzberg. Lucy hatte ich heute morgen im Babylon zum ersten Mal gehört. Sie hatte dort live gespielt.
    Die Grünflächen, Wege und Tische der Aussengastronomie waren mit Menschen in Sommerkleidung gefüllt. Viele lachten, schwatzten oder genossen still die letzten Sonnenstrahlen. Es war, als hätte sich Berlin zum Abschied noch einmal rausgeputzt und zeigte sich von seiner schönsten Seite. Mit Lucy’s Stimme in meinen Ohren zogen diese Bilder wie in einer Schnittszene eines Roadmovie an mir vorbei. Am Radhaus Schöneberg präsentierte eine Tanzgruppe dem flanierenden Publikum ihre Künste zu Popmusik. Für mich - eine kleine Abschiedsvorstellung… Ich radelte weiter.
    Zwischen all den Rennrädern und Citybikes hatte ich den Eindruck, mit meinen Packtaschen durchaus aufzufallen. Eines der Rennräder sah ich an den roten Ampeln immer wieder. Es wurde von einem sportlichen Typen in meinem Alter gefahren. Auch ihm war aufgefallen, dass wir anscheinend den gleichen Weg hatten und er sprach mich an. Er fragte, wohin ich unterwegs sei und ich erzählte ihm von meinem heutigen Ziel Potsdam und von meinen Plänen darüber hinaus. Er fragte, wie ich mich vorbereitet hätte (ähhh?!), ob ich einen Reifen wechseln könnte (das hoffe ich in den ersten Tagen von Niko zu lernen) und wie lange ich geplant hätte (so ca. zehn Wochen - Ende offen). Wir unterhielten uns vielleicht ein, zwei Kilometer. Dann trennten sich unsere Wege und wir wünschten uns jeweils eine gute Reise. Das kurze Gespräch gleich zu Beginn machte mir Mut, auf meiner Reise noch vielen interessanten Menschen zu begegnen.

    Niko kam heute nach. Er hatte bereits etwa 30 km in seinen Beinen und so war es für ihn Zeit für eine Pause und für mich für ein spätes Frühstück/ frühes Mittagessen. Anschließend - gegen 13:30 Uhr rollten wir los.
    Unser eigentliches Ziel für die heutige Etappe hieß Beelitz-Heilstätten. Das war nur etwa 25 km von Potsdam entfernt. Wir ließen uns die Option offen, dort zu entscheiden, ob wir vielleicht doch noch ein wenig weiter radeln. Wir folgten dem EuroVelo 7 Richtung Süden, welcher uns über sehr schöne Wege aus Potsdam hinaus, vorbei an Seen und durch Wälder führte. Es rollte sich ohne große Anstrengung dahin und gab uns die Möglichkeit über Fahrradausrüstung und andere Themen zu fachsimpeln.

    Kurz vor unserem Ziel wollte uns Komoot plötzlich quer über Stock und Stein durch einen Wald lotsen. Wir stoppten und suchten eine alternative Route. Bei der Gelegenheit hielten wir es für eine gute Idee, vielleicht vorher mal in der Unterkunft anzurufen, da sie von ihrem Glück, uns heute Nacht beherbergen zu dürfen, noch nichts wussten. Wir wiederum wussten nicht, dass die Unterkunft vollständig ausgebucht war. Freundlicherweise empfahl man uns am Telefon direkt eine weitere Unterkunft - etwa eine halbe Stunde mit dem Rad entfernt. Auch diese war aber leider ausgebucht. Ich dachte für einen Moment an mein Zelt und mein Nüsse als Abendessen. Niko hatte allerdings Schlafsack und Isomatte daheim gelassen und so fiel diese Notlösung aus. Wir telefonierten die Pensionen entlang unserer Route ab. In Brück wurden wir dann bei Gisela im Schützenhaus fündig. Wir hatten jetzt also noch gute 17 km vor uns.
    Diese zogen zwar ähnlich mühelos an uns vorüber wie die davor - dennoch waren wir recht zufrieden, als wir gegen 16 Uhr bei Gisela im Schankraum standen. Sie hatte uns bereits am Telefon vorgewarnt, dass heute Ruhetag sei und die Küche geschlossen ist. Der Schankraum sah tatsächlich ziemlich geschlossen aus. Selbst der Zapfhahn war mit einem Tuch verhangen und die Aussicht auf ein Zielbier schwand. Gisela verkörperte ideal, was man gemein hin unter Brandenburger Gastfreundlichkeit versteht. Sie wirkte recht gestresst und war im Ton schroff. Unter dieser rauen Schale erkannten wir aber sofort ein warmes Herz. Obwohl Ruhetag war, hing sie gerade am Telefon als wir hereinkamen. Wir verständigten uns kurz per Gesten, dass wir wohl die waren, die vor etwa einer Stunde wegen eines Zimmers angerufen hatten und Gisela deutete auf die Zimmerschlüssel auf dem Tresen. Sie legte auf und sagte, wir können unsere Taschen von den Rädern holen und ins Zimmer bringen. Anschließend könnten wir die Räder wegschließen. Großartig. Das Telefon klingelt erneut. Wohl eine gute Bekannte oder Freundin - jedenfalls zeigte uns Gisela unsere Zimmer, während sie sich mit der Gesprächspartnerin über ihre täglichen Sorgen austauschte. Zurück im Schankraum war das Telefonat beendet und ich wollte zumindest die Möglichkeit eines Zielbieres nicht unversucht lassen. Ich fragte, ob sie - trotz des Ruhetages - vielleicht zwei Bier hätte. Selbstverständlich! war Giselas Antwort und in einer Bewegung war das Tuch vom Zapfhahn verschwunden und flüssiges Gold floss in das erste Glas…. Okay - leicht dramatisiert, aber in dem Moment sah es beinah so aus.
    Während des Zapfens erklärte sie uns, dass sie heute allein sei und viele Arbeiter anreisen werden. Das Gasthaus ist quasi ausgebucht. Nebenbei muss sie einiges in der Küche vorbereiten - Kartoffeln schälen und Pfirsich-Marmelade kochen. Als wir unsere Biere hatten, gingen wir in den sonnigen Hof. Fast draussen rief und Gisela aus der Küche hinterher „Ihr könnt‘ och Zweehe!“
    Dieses Angebot nahmen wir sehr gern wahr. Anschließend machten wir uns im Zimmer frisch und gingen dann die Hautstraße entlang zu dem einzigen Restaurant, welches in Brück heute geöffnet hatte. Gute (ost-)deutsche Küche. Für uns hab es heute Cordon Bleu und Steak au four - jeweils mit Pommes.
    Morgen wollen wir weiter in die Lutherstadt Wittenberg. Niko möchte mich dann noch eine Etappe bis Torgau begleiten. Ich freue mich, dass wir rollen…
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