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  • Day 46

    G(l/r)o(w) with the flow

    October 16, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 14 °C

    Ich habe meine Pläne geändert. Ich werde nicht weiter mit dem Fahrrad fahren. Sorry, Sven ;)
    Gestern bin ich von Yoga Vidya Ashram in Bad Meinberg zurück gekommen. Dies ist ein unglaublich friedvoller Ort, voll positiver Energie und meine Zeit war geprägt von körperlichen und spirituellen Höhen und Tiefen.
    Ich begann diese besondere Zeit mit einem zweitägigen Yoga-Thai-Massage-Einführungskurs am vergangenen Freitag. Gundi, unsere Kursleiterin, schaffte es, uns bis Sonntag eine ca. einstündige Ganzkörpermassage beizubringen. Lena und ich fanden schnell zusammen und massierten uns gegenseitig entlang unserer Energielinien an Füßen, Beinen, Armen, Händen und Rücken. Sowohl das Geben als auch das Empfangen der Massage bereitete viel Freude. Ich wollte schon seit Jahren lernen, wie man richtig massiert. Hier durfte ich in eine Technik reinschnuppern, die man nahezu jederzeit und ohne größere Anstrengung und ohne Hilfsmittel durchführen kann. Die traditionelle Thai-Yoga-Massage wird bekleidet, ohne Öl und auf einer Matte durchgeführt. Ich war schnell überzeugt, dass ich mehr von dieser Art der Massage lernen möchte.
    In der Nähe von Bad Meinberg befinden sich die Externsteine - eine ebenso schöne wie beeindruckende Felsformation. Ich wollte sie mir unbedingt am Wochenende anschauen, da ich befürchtete, in der kommenden Woche keine Zeit mehr dafür zu haben. Außerdem war am Wochenende Vollmond und nahezu wolkenfreier Himmel. Also fuhr ich Samstag nach dem Abendessen hin. Auf dem Weg zu Bob traf ich auf Lena und fragte, ob sie spontan mitkommen würde. Ebenso spontan sagte sie zu und wir fuhren gemeinsam zu den Steinen. Die Atmosphäre mit dem strahlenden Mond, den einzigartigen Formationen und dem See war sehr mystisch. Wir spazierten um den See und setzten uns anschließend eine Weile auf eine Bank. Wir lernten einander etwas besser kennen und unterhielten uns über Reisen, Yoga Vidya und ein wenig unseren Glauben. Außerdem erzählte mir Lena von ihrem VW Caddy, den sie sich als Camper zugelegt hat. Das Campen wurde ihr quasi mit in die Wiege gelegt. Da der Caddy viel in der Werkstatt war, hatte sie mit ihm bisher leider nicht allzuviel Freude. Gerade ist sie mit dem Bulli ihrer Eltern auf Tour.

    Sonntag Nachmittag war der Kurs bereits wieder vorbei und am Abend begann für mich ein Meditation- und Schweigeretreat im Shivalya Tempel. Dies ist ein ganz besonderer Ort auf dem Yoga Vidya Campus. Im ganzen Bereich herrscht Schweigen. Gedämpftes Sprechen ist im Flur und Küchenbereich möglich, wenn die Notwendigkeit dazu besteht. Alles ist lichtdurchflutet. Es gibt mehrere helle Räume mit jeweils eigener spiritueller Kraft und eine große Dachterrasse.
    Wir waren eine Gruppe von zwölf Personen - fünf Männer und sieben Frauen. Angeleitet wurde das Retreat von der Visionärin, Leiterin und gleichzeitig guten Seele des Shivalaja Tempels, Swami Nirgunananda.
    Swami Nirgunananda strahlt einen solchen Frieden, eine Spiritualität und Inspiration aus, wie ich sie noch bei keinem Menschen gespürt habe.
    Unsere Tage begannen morgens um 5 Uhr mit einer zweistündigen Meditation und endeten abends um 22 Uhr ebenfalls meditierend. Wir meditierten täglich fünf bis sechs Stunden still und haben die gesamte Woche schweigend verbracht. Die nonverbalen Kommunikation wurde auf das nötigste beschränkt. Ich hörte kein Radio, las keine Nachrichten, schaute kein YouTube und auch meine Handynutzung schränkte ich weitestgehend ein. Gänzlich konnte ich sie nicht vermeiden, da ich einige Sachen, wie beispielsweise mein Unterkunft nach dem Retreat, klären musste. Doch alles geschah ohne zu sprechen.
    Das Schweigen fiel mir überraschender Weise gar nicht so schwer, obwohl ich davor anfangs den größten Respekt hatte. Die Kommunikation wurde auf das nötigste beschränkt - meist ein "Bitte" oder ein "Danke". Die Gesten hierfür kamen intuitiv und jeder verstand einander. Mehr noch - die Reaktionen auf ein nonverbales Danke mit Gesten, einem Lächeln und Blickkontakt erschienen mir viel intensiver und herzlicher, als ein "Dankeschön", welches ich im Alltag auch schonmal gedankenlos dahinsage. Doch nonverbal war jedes "Danke" eine aufmerksame Geste und diese wurde vom Gegenüber ebenso aufmerksam und freudvoll registriert. Es entstand für einen kurzen Moment eine spürbare Verbindung. Swami Nirgunananda hatte einführend gesagt, dass durch das Schweigen eine Kommunikation der Herzen entsteht. Dies Beschreibung trifft diesen Moment ziemlich gut.
    Recht schnell fiel es mir gar nicht mehr schwer, nicht zu sprechen. Im Gegenteil - bald genoss ich sogar das "Privileg", nicht zu allem etwas sagen zu müssen. Auf dem Ashram Campus gab es weit mehr Gäste als uns zwölf und diese durften selbstverständlich reden. Es gab ein kleines Café. Dort saß ich manchmal und gönnte mir nachmittags still einen Kaffee. Ich las in meinem Büchlein "Geschichten zum Nachdenken" von Jorge Bucay und hörte dabei unweigerlich den Gesprächen der anderen Gäste zu. Ich hatte einen kleinen Anstecker auf dem "Schweigen" stand und fühlte mich somit davor geschützt, in das Gespräch meiner Nachbarn eingebunden zu werden. Meistens lächelte ich nur, las und lauschte weiter.

    Was mir anfangs weitaus schwerer als das Schweigen fiel, war das lange Sitzen während der Meditation. Meditation ist mir nicht neu. Ich kenne es von der Kontemplation. Gudrun, die gute Seele des Berlinprojekts, leitet jeden Dienstag dieses stille Gebet in der Galerie an. Ich war dort vor Jahren das erste Mal und seither immer mal wieder. Seit Corona allerdings so gut wie gar nicht mehr. Bei Gudrun's Kontemplation meditieren wir zweimal 25 Minuten in Stille - mit einer kurzen Gehmeditation dazwischen. Über diesen Zeitraum still zu sitzen bereitete mir keine Probleme mehr.
    Die Meditationen im Shivalaya waren allerdings doppelt so lange. Zweimal 45 Minuten mit einer Gehmeditation dazwischen. Und dies etwa dreimal täglich. Montag Abend fühlte sich mein Rücken an, als hätte ich den ganzen Tag Kartoffelsäcke geschleppt. Ich habe keine Ahnung, wie es sich anfühlt, Kartoffelsäcke zu schleppen, aber so stelle ich es mir vor. Ich probierte verschiedene Sitzpositionen, Sitzkissen und Sitzbänkchen aus. Es änderte nicht viel. Immer wenn ich dachte, diese Position ist es, kam doch früher oder später ein Ziehen im Rücken, ein Drücken im Fuß oder ein Stechen im Knie. Mittwoch hatte sich wohl mein Körper an die Anstrengung gewöhnt und die Schmerzen ließen nach. Ich behielt meine augenblickliche Position und mein Kissenarrangement für den Rest der Woche bei. Endlich konnte ich mich weg von meinem Körper hin zur Meditation fokussieren. Ich gewann in vielen Dingen Klarheit. Ich erkannte neue Wege für mich und auch ein kleines spirituelles Licht, welches ich sehr lang Zeit nicht mehr gefühlt hatte, begann wieder zu leuchten. Was das genau bedeutet, lässt sich mit Worten schwer beschreiben. Ich gewann an Ruhe. Ich war dankbar für mein Leben und die Möglichkeiten, die sich mir boten. Wahren Frieden finde ich nicht im Außen sondern nur in mir selbst. Hierfür gilt es, große Baustellen an mir und insbesondere meinem Ego anzugehen. Ein möglicher Weg dies alles zu erreichen - so scheint mir - kann die Verbindung aus Yoga, Meditation und mein persönlicher Glaube sein. Diesem Weg möchte ich nun folgen. Ich glaube, wo dieser Weg entlang führt, wäre ein Fahrrad sehr hinderlich. Deshalb werde ich wieder auf Rucksack umrüsten und ins Flugzeug steigen.
    Ich möchte meine Reise in Südostasien beginnen. Eine Region, die mich bisher nie gereizt hat, zieht mich seit dieser Woche magisch an. Dieser Anziehung, diesem Flow, möchte ich folgen. Hierfür muss ich in den nächsten Tagen einige kleine Vorbereitungen treffen und hoffe so bald wie möglich ins Flugzeug zu steigen.

    Gerade sitze ich in einem gemütlichen Bungalow am Scharmützelsee. Nach dieser Woche schien mir nichts unpassender, als über das Wochenende wieder zurück nach Berlin zu fahren. Ich wollte die Stille noch etwas nachwirken lassen und hier ist genau der richtige Ort dafür. Einen kurzen Stop in Berlin hatte ich Freitag allerdings dann doch gemacht. Samuel Breuer hatte mit Band im Prachtwerk gespielt. Er geht auch ins Berlinprojekt und so waren viele mir vertraute Gesichter vor Ort. Es war schön, sie alle dort zu sehen. Es war auch schön, anschließend an diesen Ort der Ruhe zu fahren. Wie Swami Nirgunananda uns ans Herz legte, führe ich meine tägliche Meditationspraxis fort.
    Als ich eben am Ufer meditierte, wurde mir etwas bewusst. Es gibt da die Geschichte von dem alten Indianer, der mit seinem Enkel am Feuer sitzt. Sicher kennt der eine oder die andere sie.

    Der alte Indianer erzählt:
    „In jedem von uns lebt ein weißer und ein schwarzer Wolf. Der weiße Wolf verkörpert alles was gut ist - Freude, Friede, Liebe, Hoffnung, Freundlichkeit, Güte, Mitgefühl, Großzügigkeit, Wahrheit und all das Lichte in uns. Der schwarze Wolf steht für das Negative in uns wie Zorn, Neid, Trauer, Angst, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Schuld, Groll, Minderwertigkeit, Lüge, falscher Stolz. Zwischen beiden Wölfen findet ein ewiger Kampf statt. Dieser Kampf zwischen den beiden findet auch in dir und in jeder anderen Person statt, denn wir haben alle diese beiden Wölfe in uns.“ Der Enkel dachte kurz darüber nach und dann fragte er seinen Großvater,
 „Und welcher Wolf gewinnt?“
    Der alte Indianer antwortete: „Der, den du fütterst.“

    Mir gefiel diese kleine Geschichte schon immer. Doch gerade wurde mir eine neue Sichtweise bewusst. Ein Aspekt meines schwarzen Wolfes ist mein Ego. Dieses Ego füttere ich unter anderem, indem ich diesen Blog öffentlich schreibe. Es mag nur ein kleiner Happen sein, doch es nährt mein Ego - und somit meinen schwarzen Wolf. Ich merke es daran, dass ich manchmal überlege, wie ich Dinge schreibe. Ich schreibe sie dann nicht für mich, sondern aus der Sicht anderer Leser.
    Als Konsequenz dieser Überlegung werde ich diesen Blog nicht mehr öffentlich weiter führen. Ich werde ihn dennoch für mich weiter schreiben und schauen, ob sich dadurch etwas beim Schreiben ändert.

    Ich möchte mich bei allen bedanken, die mir hier gefolgt sind. Es war mir eine große Freude, euch bei mir zu wissen und euch ein Stück weit auf meine Reise - meinen Camino - mitzunehmen. Von hier an reise ich nun allein weiter. Mit vielen stehe ich auch weiterhin in Kontakt. Somit bin ich gar nicht allein und viele sind weiterhin bei mir. Ich wünsche euch von Herzen viel Glück und alles Gute auf euren Wegen.

    Passt auf euch auf!
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