• Zeit vergeht nicht, Zeit entsteht

    April 22, 2017 in Namibia ⋅ ☀️ 14 °C

    Unser Vormittag enthielt die typischen Höhen und Tiefen, wie auch jeder Arbeitsalltag sie enthalten könnte. Zunächst stellten wir genervt fest, dass bei der Sossusvlei alle Campingplätze ausgebucht sind, und ärgerten uns, dass wir nicht früher angefangen hatten zu planen, etc. Nach einer gewissen Zeit hatten wir dann einen anderen Plan und eine Strecke ausgetüftelt mit der wir beide zufrieden waren und es stellte sich wieder gute Laune ein.

    Auf der nächsten Farm auf der wir übernachten wollten, fand ich unten stehenden Text und musste wieder dran denken, wie wir sooft im Leben, auch an diesem Morgen, versuchen unser Leben zu planen, einzuteilen und dabei ganz vergessen zu fühlen und zu erfahren.

    Ich habe sie gesehen:
    Die Makonde Schnitzer unter dem Strohdach in der tansanischen Steppe:
    singend, dösend, wartend
    Und auch die Bananenverkäufer am Rande der Steppe nach Yoshi:
    schweigend, plappernd, sitzend
    Auch die Sisalarbeiter auf der abgebrannten Erde des Dorfes:
    schwitzend, lachend, gähnend
    Die alten und die jungen Leute unter den Feuerbäumen:
    liegend, horchend, beobachtend
    Es umgab mich in diesem Land die verführerische Faszination der Ruhe.

    Aber ich reagierte Europäisch und fragte meinen schwarzen Freund: „Was machen all die Leute da? Die sitzen und dösen und plappern und warten. So könnt ihr niemals den Anschluss an den Fortschritt gewinnen.“
    „Du hast den Eindruck unsere Leute sind faul, nicht wahr?“, fragte er.

    Ich verhehlte nicht, dass meine Gedanken zumindest in die Richtung gingen.
    „Was ich jetzt sage,“ fuhr er fort, „wirst du kaum verstehen:

    Diese Leute sitzen da und machen Zeit. Das alte Afrika kennt in seinen Sprachen keine Zukunft. Wir haben keine Zeit , also können wir auch nicht über sie verfügen, können nicht planen, und uns nicht festlegen. Alle Zeit ist ein Geschenk. Sie muss nicht entstehen, wir können sie erwarten.“

    „Und wodurch entsteht Zeit“, fragte ich.

    „Durch Regen“, sagte er „oder durch die Geburt eines Kindes, durch Krankheit - durch Hochzeit - durch eine Begegnung - durch einen Tanz, - durch ein Gespräch oder ein Fest. Dann ist die Zeit geboren, und wir können in ihr leben.
    Dann rechnen wir auch nicht wie ihr Europäer die Zeit nach Tagen und Jahren, sondern nach Erlebnissen und Ereignissen, mehr noch: wir rechnen nicht, sondern erfahren. Dadurch bekommt unser Leben seinen Sinn und seine Hoffnung.“

    „Ich will darüber nachdenken“, warf ich ein. „Das ist schon der erste Fehler“, meinte mein Freund. „Du musst dich öffnen für das, was auch dich zukommt.“

    Mir fiel damals auf, dass sie alle keine Armbanduhren hatten. Ich fuhr nach Hause mit den Gedanken, wie schön es wäre wenn….
    Aber dazu ist es wohl zu spät.

    (Peter Stangenerg)
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