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  • Day 3

    Bom caminho

    February 25, 2022 in Portugal ⋅ ⛅ 18 °C

    Draußen Möwen. Das Bett ist sooo warm und soooo bequem. Ich horche vorsichtig in meinen Körper hinein.
    Was machst du, Hüfte?
    Schultern, konntet ihr euch erholen?
    Geht es euch besser, Füße?!!
    Alles gut.

    Ich bleibe liegen bis ich leises Klappern aus der Küche höre. Ich ziehe die Wandersachen an und stelle direkt fest, dass ich das Fleece bereits gestern hätte waschen sollen. Ich rieche nach unterwegs. Feuchte, leicht angeschwitze Sportbekleidung hat ihren ganz eigenen Geruch. Das kenne ich von den Radreisen. Aber auf Radreisen betrete ich außer Supermärkten keine geschlossenen Räume.
    Egal.

    Ich sitze im Gemeinschaftsraum mit einem 60jährigen Iren, der den Weg ebenfalls läuft und einem Ehepaar, da zwei Monate in der Region verweilt, weil sie es hier auf einem Kurztrip im Dezember so schön fanden. Wir reden über den Weg, den kommerziellen Camino, das Wetter, die Schönheit Portugals. Zwischendrin kommen Kaffee, Saft und immer mehr Essen. Liebevolles Frühstück mit Wortmix und Gesten. Herzlich. Ich fühle mich fast ummuttert. Aber nur fast. Mich hat hier nich niemand erstaunt gefragt, ob ich allein gehe. In Deutschland fragen das alle.

    Der Ire spricht es aus. Taurige Ukraine. Ich atme tief ein. Ich weiß, dass der Krieg begonnen hat. Aber ich habe es ausgeblendet, keine Bilder gesehen, nur fassungslos, wütende und traurige Posts in meinen Netzwerken überflogen. Ich brauche aber auch keine Bilder. Ich weiß wie es aussieht, wenn Menschen aus Verzweiflung fliehen, weil nichts mehr sicher ist, wenn Menschen sterben. Hier ganz am anderen Ende von Europa ist alles so weit weg. Der Ire spricht aus, was ich verdrängt habe. Ich lausche den Möwen und bin traurig, kaue auf dem Brot, das nur mehr wird im Mund.

    Alu zum Einpacken. Enttäuschte Blicke, weil ich den "buem" Schinken liegen lasse. Auf geht es zum kleinen Fähranleger am Rio Mira. Ich kürze direkt um 3 Kilometer ab. 25 Katzen leben auf dem Steg. Das weiß ich, weil sie alle um mich herum stehen und liegen. Und weil es auf einem Aushang steht. Maria sorgt für sie. Und sie fährt Touristen mit einem kleinen Boot übers Wasser. Mich auch. Wir kommen ins reden. Über die Hunde auf dem Trail. Über ihre Katzen. Über das Glück nicht dort leben zu müssen wo es kalt ist. Sie wirkt glücklich. Ich hoffe, dass sie es ist.

    Weiter am Strand. Aber bald muss ich auf den Trail zurück, weil die Steilküste anfängt. Es geht über einen Parkplatz auf denen ein paar Camper frühstücken. Mein nächstes Projekt... Dann weiter bergauf und über eine riesen Kuheweide. Die Sonne brennt ziemlich. Ich creme mich lieber noch mal ein.

    Heute verläuft der Trail häufig etwas mehr vom Wasser entfernt. Das Tosen der Wellen ist unüberhörbar. Es gibt bessere Wege, dafür geht es oft durchs Gebüsch. Es ist ziemlich zugewachsen. Irritiert blicke ich auf die Wegmarkierung, die mich im Gestrüpp begleitet. Aber das soll so. Also mit dem schweren Rucksack in die Knie gehen und durch Zweige und Ranken quetschen. Es ist nicht wirklich kühler, die Wärme steht eher, der Wind fehlt. Ich habe Sorge was alles an meinem Rucksack, in meinen Haaren und im T-Shirt krabbelt. Und mache weiter brav Gymnastik im Dickicht. An einer der engsten Stellen kommt mir ein Wanderer entgegen. Wir lachen.
    "Bom caminho!"
    "Sim, bom caminho!"

    An den Spuren im Sand erkenne ich die anderen. Es sind weiter 6. Caro nutzt Stöcke, die junge Belgierin läuft immer barfuß, die Schritte nahbeinander sind vom Ehepaar. Die restlichen gehören dem Iren und jemandem, den ich noch nicht kenne. Auf jedem Weg hast du deine Gruppe zu der du gehörst und die du immer wieder triffst. Camino-Gesetz.

    Immer wieder geht der Weg zurück zur Küste. Grandiose Ausblicke, riesige Wellen, wahnsinnige Felsformationen. Ich könnte ewig hier sitzen. Darf ich auch. Ich habe Zeit für 13 Kilometer. Die nutze ich. Am Ende brauche ich sie auch. Der Weg geht wieder auf der Steilküste durch Sand. Die Schritte werden langsamer. Ich mache Pause mit Aussicht auf einen ewige Strand. Ob ich stattdessen am Wasser laufen kann? Ich sehe, dass das Wasser bis an die Felsen ging. Wann kehrt es zurück? Schaffe ich es bis zur Treppe? Kommt eine Treppe? Ich versuche es nach einem Blick in die Karte. Auf der Hälfte gibt es eine Treppe. Das schaffe ich. Auch, wenn das Wasser steigt. Die Treppe stellt sich als Tau und schlammige Absätze heraus heraus. Ich kletter sie trotzdem hoch. Abends erfahre ich, dass es keine zweite Treppe gibt. Alles richtig.

    Ich trotte durch den Sand. Der Pfad schlängelt sich durch die Dünen. Ich brauche mein ganzes Wasser. Ich kann noch gehen, aber ich möchte jetzt ankommen. Das Dorf liegt zurückgesetzt. Ich bleibe noch kurz am Strand. Wenn ich oben bin, gehe ich heute nicht mehr ans Wasser.

    Ich komme im Ort an. Wasser und Radler auf einer Wiese am Picknicktisch. Heute bin ich 13 Kilometer in sechs Stunden gelaufen. Ich schaue auf dem Blog nach, den ich zu Orientierung nutze. 5 1/2 Stunden sind hier vermerkt. Ich denke, fitte Wanderer sind schneller, aber für mich war das heute gut. Ich bin zwei Tage in Folge mit Gepäck durch Sand gestapft. Gestern wusste ich noch nicht, ob ich das kann.

    Ich laufe zum Hostel. Der Schlüssel ist hinterlegt. Schöne Ausstattung, aber 50 Euro für ein simples Stockbett in dem man sich nicht mal anlehnen kann, finde ich happig. Ich dusche und wasche in der Hoffnung, dass es in der Nachmittagssonne trocknet. Einkaufen. Im Dorf treffe ich das Ehepaar. Sie sind auch in meinem Hostel. Auch Caro mit den Stöcken sehe ich wieder. Wie es mir ergangen ist und ihr? Wir quatschen und lachen.

    Auf der Terrasse trinke ich einen Cappuccino und gönne mit eine Pastel de Nata. Als gute Deutsche koche ich um 17.30 Uhr. Nudeln mit Soße. Tomaten und Gurke aus der Sonne, schmeckt man sofort. Eine Finnin leistet mir Gesellschaft.

    Dann kuschel ich mich ins Bett. Es ist echt kalt in den Räume. Ich bin froh, dass ich Ski-Unterwäsche mit habe. Ich hatte Angst vor kaltem Wind und wollte sie schon zurück schicken. Ich bin froh, dass ich sie habe. Trotzdem geht ohne Zusatzdecke nichts.

    Morgen wird ein langer Tag. In meinem Kopf werden die Routen jetzt kürzer. Das stimmt aber nicht. Es warten noch zwei 20-Kilometer-Etappen auf mich. Aber sie werden weniger sandig und damit leichter. Mein Kopf hat daraus kürzer gemacht. Also muss ich mental ein wenig nacharbeiten.
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