France
Nans-sous-Sainte-Anne

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Travelers at this place
    • Day 39

      Freie(burger) Blicke

      April 14 in France ⋅ ⛅ 18 °C

      Kalter Morgen im blauen Bus, ich habe Musik vom Cohen aufgelegt, eine Tasse Kaffee, hinter mir sind Hilde und Marion tief in der Bettdecke versteckt. Ich habe noch eine kleine Kerze angezündet, eine Amsel hüpft suchend am Fenster vorbei. Windstill ist die Luft voller Geräusche des erwachenden Tages, die Kühe sehe ich nicht, aber ihre Glocken kommen näher. Vogelgezwitscher, Kondensstreifen. Wenn alle aufwachen, bin ich schon weit hinterm Horizont, auf dem Weg in neue Welten.

      Tatsächlich wären es unbekannte Entdeckungen für mich, wenn ich wirklich nochmal auf einem anderen Kontinent wachwerden würde, denn eigentlich habe ich Europa nie verlassen. Und doch ist auch ohne eine ferne Reise mein Leben angefüllt mit Entdeckungen unbekannten Terrains.

      Wenn ich meinen Kopf recke über die Hecke, sehe ich den farbenschönen Flieder, dessen Duft mir sofort aufgefallen ist, als wir auf diesen schönen Platz gekommen sind. Wie meine Sinne sich weiten, als Marion ihre Türe öffnet, uns in ihr Leben einlädt. Ich spüre mehr in den Raum hinein als dass ich die vielen Kleinigkeiten eines anderen Lebens aufnehmen kann. Mich trotzdem sofort warm umarmt fühle, obwohl ich hier fremd bin. Hilde bewegt sich aufs Fenster zu, durch dessen Jalousien der Tag uns begrüßt.

      Während sie leichtfüßig auf ihren vier Pfoten den Hindernissen ausweicht, warte ich auf die Bilder, die mich begrüßen. Die Bücher in Stapeln auf dem Boden, die Kissen auf dem Bett, das Dunkle der Tischplatte, die Bilder an den Wänden, Schalen voller Geschichten, Blumen der Weisheit, der Buddha aus dem Gestern, in dessen Ebenmäßigkeit ein Sonnenstrahl tanzt.

      Auf dem Tisch zwei Äpfel, rotwangig schauen sie eine Teekanne an, auf deren Boden noch die Reste von letzten Tropfen warten, neu aufgegossen zu werden. So fern ich diesem Leben hier bin, so nah fühle ich mich seiner Geschichte, bin überwältigt von seinen Eindrücken, diesem warmen Willkommensgruß aus einer fremden Welt, du kannst hier bleiben, wenn du willst, für eine Stunde, für ein Leben, unsere Zukunft.

      Ich habe ein Brot mitgebracht. Nicht Blumen. Ein gutes Brot, gebacken aus den Zutaten einer Ewigkeit, der Geruch liegt in ihren Händen, als sie es aus der Tüte nimmt, ihre Augen voller Vorfreude auf den ersten Biss, die Butter füllt die Poren aus, die Sonne glänzt zwischen den Momenten des Atmens und Kauen. Ich mag nicht mehr den Blick wegnehmen.

      Hilde hat ihren Platz gefunden, macht es sich auf einem Kissen gemütlich, die Sonnenstreifen zwischen den Jalousienlücken liegen auf ihrem Fell. Ihre Hand streift meinen Arm, es geht dir gut bei mir, nicht wahr. Zwei Welten, ein Leben, das wir uns teilen können. Der Blick ins Sesshafte, den Fuß auf die Weite, jeder von uns steht an der Schwelle eines neuen Abenteuers. Das eine geht nicht ohne das andere, darüber sind wir uns schnell im Klaren. Und in jeder Hinsicht ist es ein Kommen und Gehen, ein Abschied, ein Willkommen, ein Miteinander, ein Zusammenhang, ein Alleinsein.

      Immer mit Hilde. Chantal im Märchen, nur im Kino, höre ich einer Werbung nach, weiß nicht, wovon sie reden. Aber wo ich bin, wo wir sind, das spüre ich sofort. Mit großer Liebe, tiefer Intensität. Where is my gypsy wife tonight. Eng umarmt, den Hund am Fußende unter der Bettdecke. Lass uns bleiben, Papa, lass uns gehen, der blaue Bus steht vor der Tür. Zusammen. Zurück kommen.

      Zwei Welten, ein Leben. Aus der eigenen Vergangenheit den Bogen schlagen in ein gemeinsames Morgen, das Abenteuer des Älterwerdens, des Miteinandergehen, die Vermischung von Leben unter Beibehaltung unserer individuellen Einzigartigkeit.

      Fühlst du dich wohl. Auch du Hilde, denn ohne sie geht gar nichts, aber mit ihr alles. Über den Hügeln, in meinem Blick öffnet die Sonne die Spitzen der Bäume. There is a crack in everything, this is how the light gets in. Cohens Statement. Anthem. Eine Hymne. Ein Riss in unserem alten Leben, die Sonne erhellt unsere Zukunft, wie Hände sich fühlen, führen, Fingerspitzen sich spüren im Abschied, Umarmung im Wiedersehen, der unausgesprochenen Einladung ins eigene Leben, ins andere Sein. Mein Sein, dein Sein, Unssein.

      Im blauen Bus ist alles noch viel kleiner, enger, näher sich fühlen, sich spüren, den anderen, miteinander sein. Alleine bleiben. Jeder trägt für sich Verantwortung, damit das Wir gelingt, ob auf Reisen oder jetzt hier am Tisch zwischen den Büchern, der Tasse Tee, den Sonnenstrahlen, die dem Buddha begegnen aus einer Ewigkeit in die Endlichkeit unseres Lebens.

      Die Bilder sind in den letzten Tagen in Freiburg entstanden.
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    Nans-sous-Sainte-Anne

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