• Stoßdorfer See

    October 19 in Germany ⋅ ☁️ 9 °C

    Der kleine Wassermann und das grün-gelbe Kajak

    Es war ein goldener Herbsttag, als der kleine Wassermann sich aus seinem Moosbett reckte. Die Sonne stand hell am Himmel, doch der Wind zerrte an den Zweigen der Bäume und kräuselte das Wasser. Heute wollte er einen neuen Ort erkunden – den Stossdorfer See, von dem die Libellen am Mühlenweiher immer schwärmten.

    Durch unterirdische Wasseradern schwamm er, bis er schließlich an die Oberfläche des Stossdorfer Sees stieg. Sofort spürte er den Wind, der ihm die Haare zerzauste. Die Wellen waren hoch und unruhig, tanzten wie aufgeregte Kinder über das Wasser. Am Himmel zogen Gänse in V-Formation, ihre Rufe hallten über den See. Kraniche standen am Ufer, stolz und wachsam, während ihre langen Hälse sich im Wind wiegten.

    Am Ufer saßen Angler, in dicke Jacken gehüllt, ihre Ruten fest in den Händen. Sie warteten geduldig, während die Böen an ihren Hüten zerrten. Auf dem See schaukelte ein kleines Angelboot, in dem zwei Männer ihre Köder entlang einer Reihe gelber Bojen auswarfen. Die Bojen tanzten auf den Wellen, als würden sie ein geheimes Muster zeichnen.

    Der kleine Wassermann beobachtete alles mit großen Augen. So viel Leben, so viele Geräusche! Er tauchte unter, schwamm zwischen den Bojen hindurch, lauschte dem leisen Summen der Ang. Plötzlich – ein neues Geräusch. Ein leises, rhythmisches Platschen, das sich von den anderen unterschied.

    Er tauchte auf – und da war es: ein Kajak, vorn grün wie junges Moos, hinten gelb wie Herbstlaub. Es glitt durch die Wellen, als hätte es keine Angst vor dem Wind. Der kleine Wassermann erkannte es sofort. Es war das Kajak aus dem Wooberg See! Und tatsächlich – da saß er wieder, der Mensch mit der schwarzen Mütze und der Brille, das Gesicht ruhig, fast träumerisch.

    Der Wassermann war erstaunt. Wie hatte der Kajakfahrer den Weg hierher gefunden? Hatten ihn die Wasseradern geführt, so wie ihn selbst? Oder war es der Wind, der ihn trug?

    Er schwamm näher, ließ sich von den Wellen treiben, bis er unter dem Kajak hindurchtauchte. Kleine Blasen stiegen auf. Der Kajakfahrer blickte kurz auf, lächelte – und paddelte weiter, als wüsste er genau, dass er nicht allein war.

    Der kleine Wassermann blieb noch lange im Wasser, beobachtete die Gänse, die Kraniche, die Angler, das Boot – und das grün-gelbe Kajak, das langsam zwischen den gelben Bojen verschwand.

    Und er wusste: Der Stossdorfer See hatte ihn willkommen geheißen. Und vielleicht, nur vielleicht, würde er den geheimnisvollen Kajakfahrer eines Tages ansprechen.
    Read more