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  • Day 3

    Samerberg

    June 3, 2023 in Spain ⋅ ⛅ 23 °C

    Wanderung 6, Tag 2, Wandertag 1:
    San Sebastian - Zarautz, 27,4 km, Steigung 725 Meter, Gehzeit 9:44, Samstag, 3.6.2023

    Unser Hotel, das „La Galeria“, in San Sebastian, befindet sich im Westen der Stadt, direkt am Strand, auf Meereshöhe. Das wäre der ideale Ausgangspunkt für unsere erste Etappe auf dem Camino gewesen, der die Stadt im Wesen verlässt. Dumm nur, dass der Endpunkt unserer letzten Wanderung, vor vier Jahren, das Hotel „Arima“, im Süden der Stadt war, ziemlich weit oben auf dem Berg und rund einhundert Meter über dem Meer. Ein ziemlich ungünstiger Startpunkt, denn um auf de Camino zu kommen müssen wir von dort aus erst einmal einhundert Meter absteigen, um dann über 230 Meter wieder hoch zum Camino aufzusteigen.

    Der Abstieg, meist ein „Single-Trail“, war steil, teilweise glitschig, ausgesetzt, und ziemlich mühsam. Er leistete einen ordentlichen Beitrag für unseren ersten Muskelkater. Kaum unten angekommen lauerten bereits die ersten kleinen Straßen und danach ein anderer, Single-Trail auf uns, um auch bergauf ihren Beitrag für ein morgentliches Hinken zu leisten. Wenig trainiert waren wir die idealen Opfer.
    Bereits die kleinen Nebenstraßen waren mit 10% Steigung eine einzige Gemeinheit, der Single-Trail danach aber, mit seinen Sage und Schreibe 18%, verlangte uns alles ab. Er war nicht nur brutal steil, er war auch schmierig, zugewuchert und ebenfalls teilweise ausgesetzt. Triefend vor Schweiß und völlig erschöpft standen wir endlich auf dem an der Stelle komfortabel breiten und gekiesten Camino, sehr hart erarbeitet, ein echt schöner Weg.

    Die Landschaft war einzigartig, und hat uns fast umgehauen, vor allem mich als Oberbayern. Hier sah es aus wie auf dem „Samerberg“ im Chiemgau. Sanft nach oben geschwungen, wie im Voralpenland, geprägt von Kuhweiden und Landwirtschaft. Und die hohen Berge dahinter, emporsteigend in den weiß-blauen Himmel, exakt wie der Blick in den bayerischen Alpen. Auch der Geruch von trocknendem Heu und das leise Gebimmel der Kuhglocken erinnerte unweigerlich an die geschätzte Heimat. Allerdings gab es dann doch entscheidende Unterschiede.
    Blickte man rechts des Wege fiel das abfallende „Voralpenland“ am Ende steil in den endlos blauen Atlantik, irre. Und dann waren da noch die einzelnen Palmen, Zitronenbäume und kleinen Weinberge die uns belehrten, dass wir hier im Baskenland sind und nicht in der oberbayerischen Heimat.
    Der Weg erfüllte unsere nebulösen Vorstellungen und mehr als das.
    Kurz vor dem zehnten Kilometer tauchte endlich das „Nikolaus Erretegia“ auf, unser vorgemerktes Mittags-Restaurant mit schöner Terrasse, das einzige auf dem Weg an diesem Tag.
    Als wir erschöpft, hungrig und durstig, auf der unbesetzten Terrasse standen, um uns einen Tisch auszusuchen fauchte mich eine Frauenstimme von hinten mit einem unverschämt lauten „Ola“ an. Als ich nicht gleich reagierte, sofort noch einmal. Ihr kurzer Kommentar, „all occupied“. So erging es auch anderen Rucksack- „Pilgern“, keine Frage, hier war der Rucksack-Rassismus zu Hause.
    Zum Glück gab es am Camino öffentliche Wasser-Zapfstellen und Brunnen an denen wir uns so richtig „volllaufen“ lassen konnten, unseren Dank den Spendern.

    Es war ziemlich warm, schwüles Schwitzewetter, und der Weg blieb weiter anstrengend, mutierte zu einem wahrhaftigen „Erlebnispfad“. Ständig ging es bergauf oder bergab, meist aber bergauf, die Landschaft entschädigte.

    Mit dem vierzehnten Kilometer zierte ein Zeltpavillon überraschend den mittlerweile zu einer kleinen Straße gewachsenen Camino. Dahinter ein alter Bauernhof mit deutlichen Gebrauchsspuren. Im Pavillon zwei Bärtige, jeder mit einem sanften und äußerst sympathischen Lächeln, kein Zweifel, positive Menschen. Unter dem Pavillon ein großer Tisch gedeckt mit selbstgemachten Köstlichkeiten wie Kuchen und Suppe, dazu Kaffeekannen zur Selbstbedienung.
    Eine Sitzbank und Stühle ermunterten die müden, des Weges ziehenden Pilger zu einer Rast, alles war kostenlos. Es stand einem frei eine Spende zu geben.
    Es waren Mitglieder einer weltweiten Organisation in der jeder willkommen ist, der an Gott glaubt, egal an welchen von den vielen, egal ob Muslime, Christen oder Buddhisten. Klang schon ein bisschen wie Sekte, und auch die Heftchen auf dem Tisch erinnerten in ihrer minderwertigen Qualität deutlich an den „Wachturm“ der Zeugen Jehovas, waren sie aber nicht. Keiner der beiden wollte einen zu irgendetwas überreden, im Gegenteil, man musste schon fragen, um Antworten zu bekommen. Auch wenn ich mit Religion nichts anfangen kann, die beiden und ihr Angebot waren beeindruckend, insbesondere der selbstgebackene Kuchen den wir gemeinsam mit einem koreanischen Pärchen und einer Amerikanerin gemütlich verdrückten.

    Ab hier ging es erst einmal über dreihundert Meter, mit bis zu 20% Gefälle, steil abwärts, Kniekiller, fast so unangenehm wie der Aufstieg.
    Unser Lohn war mit dem achtzehnten Kilometer der kleine und ziemlich alte Hafenort „Orio“, an der Mündung des „Ori Ibaia“ gelegen. Auf dem Dorfplatz wurde der Samstag von den Einwohnern in spanischer Lautstäke angemessen gewürdigt.
    Egal, wir hatten weder Kraft noch Zeit, denn mittlerweile war es bereits drei Uhr nachmittags. Immer noch hatten wir neun Kilometer bis „Zarautz“ vor uns. Unsere schlechte Fitness von der wir eigentlich glaubten, dass sie eine Gute wäre, raubte uns jede Vorstellungskraft wie wir den Auftrag bis dahin erledigen können.

    Mit dem zwanzigsten Kilometer, dem Ziel schon deutlich näher, brummte uns der blöde Weg dann auch noch einmal einhundert Meter Steigung auf. Irgendwie haben wir uns da in der sengenden Sonne hochgequält. Marion war die Heldin des Tages, Rucksackträgerin beim Hochquälen. Immer noch wechseln wir uns beim Tragen des gemeinsamen Rucksacks ab, wie gehabt.

    Völlig am Ende torkelten wir die Einfallstraße nach „Zarautz“ entlang und standen endlich vor dem kleinen Hotel „Olatu“, inmitten des historischen Ortskerns. Dumm nur, dass es dort keine Rezeption gab und wir uns den Zimmerschlüssel und unsere Koffer rund einhundert Meter entfernt, in einem anderen Hotel, abholen mussten, auch das noch. Also auch noch drei schweren Koffer abgeholt und über den Dorfplatz geschleppt.
    Das Zimmer selbst war so winzig, dass man nur im Slalom zur hochbegehrten Dusche balancieren konnte. Alle Fenster waren zum Innenhof ausgerichtet, und dennoch war es laut, es war Samstag, gleiches Phänomen wie in San Sebastian.

    Irgendwie haben wir es mit letzter Kraft geschafft, gedopt vom Loch im Bauch, in der schmalen Gasse direkt vor der Haustür und inmitten der „alten Steine“, etwas zu essen.

    Es fehlte uns eindeutig die Vorstellungskraft wie wir das morgen „Überleben“ wollen.
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