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  • Vorwort zur 6. Wanderung nach Santiago

    May 29, 2023 in Germany ⋅ ☁️ 16 °C

    Rostock, 28.Juni 2023

    Vorwort zum sechsten Abschnitt unserer Wanderung von Hamburg nach Santiago und weiter ans Ende der Welt, diesmal von „San Sebastian“, Spanien, nach Gijón, Spanien, knapp 500 Kilometer.

    Liebe Freunde unserer „Europäischen Angelegenheit“,
    gleich ist es wieder so weit, am 1. Juni 2023 sind wir wieder auf Wanderung, weiter als ungläubige „Pilger“ auf unserem Weg nach Santiago de Compostela und weiter „ans Ende der Welt“.
    Wie immer ist die Endstation unserer letzten Wanderung, San Sebastian, unser Startpunkt der Aktuellen.
    Eigentlich sollte dieser Abschnitt unser Letzter werden. Das wären jedoch insgesamt noch rund 950 Kilometer gewesen, unter den gegebenen Umständen zu weit für nur vier Wochen Zeit, denn es gab einige Veränderungen.

    Aber fangen wir von vorne an …
    Seit der letzten Wanderung sind gute vier Jahre vergangen. Geplant war der letzte Abschnitt bereits 2020, was arbeitstechnisch aber leider nicht realisierbar war. Außerdem kam in diesem Jahr noch unser Umzug von Ramelsloh nach Rostock obendrauf und als wir dann endlich im Frühjahr 2021 starten wollten, wurde die Welt von CORONA erobert, nichts ging mehr, nirgendwo. Unser Rucksack bekam Depressionen.

    Kurz vor Weihnachten 2021 bekam ich dann auch noch, völlig überraschend, eine echte Scheißdiagnose. Sie bescherte mir ein halbes Jahr Intensiv-Therapie und anschließend vier Wochen Intensivstation. Ende August wurde ich dann, zwölf Kilo leichter, im Rollstuhl entlassen. Ich konnte nur noch wenige Schritte gehen. Vier Wochen liegen und die Therapie davor waren meiner Muskulatur und meiner Kondition eben nicht gerade zuträglich.

    Nun, das Kämpfen war schon immer eine meiner Stärken. Mühsam und diszipliniert habe ich mich nach dieser erfolgreichen Prozedur wieder zurück gekämpft, jetzt geht’s mir wieder gut. Alle Muskeln sind wieder da, wo sie hingehören, allerdings bin ich nicht mehr ganz so belastbar wie vor meiner Erkrankung, aber damit kann ich gut leben. Insofern haben wir die Tageskilometer dieser Wanderung deutlich reduziert und den Durchschnitt von dreißig auf gut zwanzig Kilometer am Tag eingedampft. Anstrengend wird es dennoch, denn wir folgen dem „Camino del Norte“, dem Küstenweg, bekannt für seine vielen Höhenmeter, rund zehntausend werden es bei dieser Wanderung sein.
    Auch deshalb haben wir unsere „Urlaubstage“ dazwischen deutlich vermehrt, nach jeweils vier bis fünf Tage Genussplagerei wollen wir uns jeweils einen Tag Erholung gönnen. Beim letzten Mal durften wir im Schnitt nur alle acht Tage ausschlafen.

    Die reduzierten Tageskilometer und die üppigeren freien Tage transformierten den geplant letzten Abschnitt nun zum Vorletzten-, egal, so haben wir eben noch einen weiteren Abschnitt auf den wir uns schon jetzt freuen.
    Auch versprechen wir uns dadurch mehr Zeit, um auch an den Zielorten Land und Leute noch intensiver kennenzulernen.
    An der Organisation haben wir soweit nichts geändert, nur Tagesrucksack, die Koffer werden geliefert. Und wie es sich für „Luxuspilger“ nun einmal gehört, gönnen wir uns abends immer ein angenehmes Hotel- bzw. eine angenehme Pension, meist mit Pool den wir hoffentlich wettertechnisch, nach einer Wanderung, auch genießen können.

    Marion hat sich übrigens eine Woche vor unserem Start noch mit CORONA infiziert und liegt aktuell mit deutlichen Beschwerden immer noch im Bett. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie sich bis zum Start noch rechtzeitig erholen wird, Daumen drücken.

    Also, wir werden berichten, Günter und Marion
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  • Day 1

    Anreise

    June 1, 2023 in Spain ⋅ ☁️ 20 °C

    Wanderung 6, Anreise, 1.6.2023

    Dass „Vueling“ Airlines bisher nur Platz 726 meiner Airline Rangliste belegte war nicht unbegründet. Um einen Handgepäckskoffer mit an Bord nehmen zu dürfen löhnten wir satte einhundert Euro. Aufgeben wollten wir ihn nicht, weil wir in Barcelona auf einen anderen Vueling Flieger umsteigen sollten. Leidvolle Erfahrungen mit nicht ankommenden Koffern bei derartigen Umsteigeverbindungen lassen einen vorsichtig werden, also einhundert Euro in den Airline-Rachen geworfen. Dafür in meiner Airline-Liga abgestiegen und jetzt in der „nie mehr wieder Tabelle“ angekommen. Hier sind sie jetzt mit „Iberia“ in guter Gesellschaft.

    San Sebastian, diesmal gegen Mittag, bei warmen Wetter und blauem Himmel zu erleben war ein völlig anderes Erlebnis, eine ganz andere Stadt als beim Ende unserer letzten Wanderung. Unser Hotel, das „La Galeria“ residiert am Strandteil des „Antiguo“ Viertels. Hier, im Westen der Stadt finde ich es heimeliger als in den östlichen Stadtteilen, nicht so großstädtisch, was mir als Landei sehr entgegenkommt. Auch der Strandabschnitt von Antiguo gefällt mir besser als der sehr gut besuchte im Ostteil des viele Kilometer langen Strandes.

    Das „La Galeria“ ist eine große, prächtige alte Baskenvilla, macht schon was her, ansonsten aber nix besonderes. Morgens wird in einem Kellerzimmer ein ziemlich lückenhaftes Frühstück angeboten.

    Nach dem „Nachholschlaf“ gut erholt vom frühen Aufstehen, entdeckten wir ganz in der Nähe das „Orburu“, ein vegetarisches Juwel in einem Kellergewölbe und cooler Jazz Atmosphäre. Das Essen war unglaublich, eine Geschmacksexplosion jagte die Nächste. So etwas entdeckt man zufällig nur ein paarmal im Leben, der richtige Ort, um auf unser Vorhaben voller Neugier und Vorfreude anzustoßen.
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  • Day 2

    Hansa Rostock

    June 2, 2023 in Spain ⋅ ⛅ 24 °C

    Wanderung 6, Tag 1, San Sebastian frei

    Marion hat es nicht leicht mit mir, Städtetouren gehen nicht, Großstädte und viele Menschen schon gar nicht. Insofern keine Kultur, kein Shopping, kein Bummeln, kein gar nix. Wobei Shoppen ohnehin nicht auf Marions Hitliste steht.
    Das Einzige, was ging, wäre, rein theoretisch, ein „Spaziergang“. Allerdings, auch spazieren gehen geht nicht, es müsste schon Wandern sein, mit einem klaren Ziel vor den Augen.

    Also wanderten wir immer der Strandpromenade entlang zum berüchtigten „Pintxos“-Viertel zwischen dem Strand und dem „Urumea-Fluss“. „Pintxos“, eine Art Tapas, waren ein exzellentes Ziel für und uns und diese „Stadt-Wanderung“.

    Am Ende unseres letzten Wanderabschnitts 2019 gaben Rahul und ich uns mit diesen Leckereien so richtig die Kante, die Erinnerungen sind bis heute legendär, insofern ein würdiges Ziel.

    Schnell viel auf, dass irgendetwas in dieser Stadt anders war, ja genau, kein Graffiti-Geschmier und keine Aufkleber von Hansa Rostock, wie angenehm. Überhaupt, hier war es supersauber, alles sehr gepflegt, auch die wohltuenden- und lebensbejahenden Menschen. Keine Frage, auch der Lebensstandard war viel höher als beim letzten Mal wahrgenommen. Davon zeugten auch die vielen kleinen Geschäfte mit ihrem diversifiziertem und hochwertigen Angebot, wow, auch als Nicht-Shopper beeindruckend.

    Die Strand-Promenade war gesäumt von Straßenkünstlern die ausgefallenes darboten, spannend.
    Nur die Pintxos, am Ziel, waren enttäuschend. Die Nachmittagsauslagen waren vergleichsweise armselig, denn Spanier-, bzw. Basken, fangen erst ab 21:00 an überhaupt über Dinner nachzudenken. Erst dann werden die Richtigen Pintxos aufgefahren, es war belastend.

    Abends dann, gemütlich im Bett liegend, durften wir, die gerne bei offenem Fenster schlafen, live erleben was es den Basken bedeutet am Freitagabend das Wochenende einzuleiten. Ich schweige an der Stelle lieber. Nur so viel, es war laut, sehr laut auf der kleinen, kneipenlosen Straße vorm Hotel, einfach nur laut.
    Keine Ahnung, wo das alles herkam, lachen, schreien, grölen, das ganze Repertoire. Als das alles nicht mehr reichte, hielt es die Feiernden auch nicht davon ab, sich um drei Uhr morgens noch ein kleines Fußball-Mach auf der Straße zu liefern.
    Egal, morgen geht’s los. Wir sind echt gespannt, wie der Weg sein wird.
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  • Day 3

    Samerberg

    June 3, 2023 in Spain ⋅ ⛅ 23 °C

    Wanderung 6, Tag 2, Wandertag 1:
    San Sebastian - Zarautz, 27,4 km, Steigung 725 Meter, Gehzeit 9:44, Samstag, 3.6.2023

    Unser Hotel, das „La Galeria“, in San Sebastian, befindet sich im Westen der Stadt, direkt am Strand, auf Meereshöhe. Das wäre der ideale Ausgangspunkt für unsere erste Etappe auf dem Camino gewesen, der die Stadt im Wesen verlässt. Dumm nur, dass der Endpunkt unserer letzten Wanderung, vor vier Jahren, das Hotel „Arima“, im Süden der Stadt war, ziemlich weit oben auf dem Berg und rund einhundert Meter über dem Meer. Ein ziemlich ungünstiger Startpunkt, denn um auf de Camino zu kommen müssen wir von dort aus erst einmal einhundert Meter absteigen, um dann über 230 Meter wieder hoch zum Camino aufzusteigen.

    Der Abstieg, meist ein „Single-Trail“, war steil, teilweise glitschig, ausgesetzt, und ziemlich mühsam. Er leistete einen ordentlichen Beitrag für unseren ersten Muskelkater. Kaum unten angekommen lauerten bereits die ersten kleinen Straßen und danach ein anderer, Single-Trail auf uns, um auch bergauf ihren Beitrag für ein morgentliches Hinken zu leisten. Wenig trainiert waren wir die idealen Opfer.
    Bereits die kleinen Nebenstraßen waren mit 10% Steigung eine einzige Gemeinheit, der Single-Trail danach aber, mit seinen Sage und Schreibe 18%, verlangte uns alles ab. Er war nicht nur brutal steil, er war auch schmierig, zugewuchert und ebenfalls teilweise ausgesetzt. Triefend vor Schweiß und völlig erschöpft standen wir endlich auf dem an der Stelle komfortabel breiten und gekiesten Camino, sehr hart erarbeitet, ein echt schöner Weg.

    Die Landschaft war einzigartig, und hat uns fast umgehauen, vor allem mich als Oberbayern. Hier sah es aus wie auf dem „Samerberg“ im Chiemgau. Sanft nach oben geschwungen, wie im Voralpenland, geprägt von Kuhweiden und Landwirtschaft. Und die hohen Berge dahinter, emporsteigend in den weiß-blauen Himmel, exakt wie der Blick in den bayerischen Alpen. Auch der Geruch von trocknendem Heu und das leise Gebimmel der Kuhglocken erinnerte unweigerlich an die geschätzte Heimat. Allerdings gab es dann doch entscheidende Unterschiede.
    Blickte man rechts des Wege fiel das abfallende „Voralpenland“ am Ende steil in den endlos blauen Atlantik, irre. Und dann waren da noch die einzelnen Palmen, Zitronenbäume und kleinen Weinberge die uns belehrten, dass wir hier im Baskenland sind und nicht in der oberbayerischen Heimat.
    Der Weg erfüllte unsere nebulösen Vorstellungen und mehr als das.
    Kurz vor dem zehnten Kilometer tauchte endlich das „Nikolaus Erretegia“ auf, unser vorgemerktes Mittags-Restaurant mit schöner Terrasse, das einzige auf dem Weg an diesem Tag.
    Als wir erschöpft, hungrig und durstig, auf der unbesetzten Terrasse standen, um uns einen Tisch auszusuchen fauchte mich eine Frauenstimme von hinten mit einem unverschämt lauten „Ola“ an. Als ich nicht gleich reagierte, sofort noch einmal. Ihr kurzer Kommentar, „all occupied“. So erging es auch anderen Rucksack- „Pilgern“, keine Frage, hier war der Rucksack-Rassismus zu Hause.
    Zum Glück gab es am Camino öffentliche Wasser-Zapfstellen und Brunnen an denen wir uns so richtig „volllaufen“ lassen konnten, unseren Dank den Spendern.

    Es war ziemlich warm, schwüles Schwitzewetter, und der Weg blieb weiter anstrengend, mutierte zu einem wahrhaftigen „Erlebnispfad“. Ständig ging es bergauf oder bergab, meist aber bergauf, die Landschaft entschädigte.

    Mit dem vierzehnten Kilometer zierte ein Zeltpavillon überraschend den mittlerweile zu einer kleinen Straße gewachsenen Camino. Dahinter ein alter Bauernhof mit deutlichen Gebrauchsspuren. Im Pavillon zwei Bärtige, jeder mit einem sanften und äußerst sympathischen Lächeln, kein Zweifel, positive Menschen. Unter dem Pavillon ein großer Tisch gedeckt mit selbstgemachten Köstlichkeiten wie Kuchen und Suppe, dazu Kaffeekannen zur Selbstbedienung.
    Eine Sitzbank und Stühle ermunterten die müden, des Weges ziehenden Pilger zu einer Rast, alles war kostenlos. Es stand einem frei eine Spende zu geben.
    Es waren Mitglieder einer weltweiten Organisation in der jeder willkommen ist, der an Gott glaubt, egal an welchen von den vielen, egal ob Muslime, Christen oder Buddhisten. Klang schon ein bisschen wie Sekte, und auch die Heftchen auf dem Tisch erinnerten in ihrer minderwertigen Qualität deutlich an den „Wachturm“ der Zeugen Jehovas, waren sie aber nicht. Keiner der beiden wollte einen zu irgendetwas überreden, im Gegenteil, man musste schon fragen, um Antworten zu bekommen. Auch wenn ich mit Religion nichts anfangen kann, die beiden und ihr Angebot waren beeindruckend, insbesondere der selbstgebackene Kuchen den wir gemeinsam mit einem koreanischen Pärchen und einer Amerikanerin gemütlich verdrückten.

    Ab hier ging es erst einmal über dreihundert Meter, mit bis zu 20% Gefälle, steil abwärts, Kniekiller, fast so unangenehm wie der Aufstieg.
    Unser Lohn war mit dem achtzehnten Kilometer der kleine und ziemlich alte Hafenort „Orio“, an der Mündung des „Ori Ibaia“ gelegen. Auf dem Dorfplatz wurde der Samstag von den Einwohnern in spanischer Lautstäke angemessen gewürdigt.
    Egal, wir hatten weder Kraft noch Zeit, denn mittlerweile war es bereits drei Uhr nachmittags. Immer noch hatten wir neun Kilometer bis „Zarautz“ vor uns. Unsere schlechte Fitness von der wir eigentlich glaubten, dass sie eine Gute wäre, raubte uns jede Vorstellungskraft wie wir den Auftrag bis dahin erledigen können.

    Mit dem zwanzigsten Kilometer, dem Ziel schon deutlich näher, brummte uns der blöde Weg dann auch noch einmal einhundert Meter Steigung auf. Irgendwie haben wir uns da in der sengenden Sonne hochgequält. Marion war die Heldin des Tages, Rucksackträgerin beim Hochquälen. Immer noch wechseln wir uns beim Tragen des gemeinsamen Rucksacks ab, wie gehabt.

    Völlig am Ende torkelten wir die Einfallstraße nach „Zarautz“ entlang und standen endlich vor dem kleinen Hotel „Olatu“, inmitten des historischen Ortskerns. Dumm nur, dass es dort keine Rezeption gab und wir uns den Zimmerschlüssel und unsere Koffer rund einhundert Meter entfernt, in einem anderen Hotel, abholen mussten, auch das noch. Also auch noch drei schweren Koffer abgeholt und über den Dorfplatz geschleppt.
    Das Zimmer selbst war so winzig, dass man nur im Slalom zur hochbegehrten Dusche balancieren konnte. Alle Fenster waren zum Innenhof ausgerichtet, und dennoch war es laut, es war Samstag, gleiches Phänomen wie in San Sebastian.

    Irgendwie haben wir es mit letzter Kraft geschafft, gedopt vom Loch im Bauch, in der schmalen Gasse direkt vor der Haustür und inmitten der „alten Steine“, etwas zu essen.

    Es fehlte uns eindeutig die Vorstellungskraft wie wir das morgen „Überleben“ wollen.
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  • Day 4

    Ferien auf dem Bauernhof

    June 4, 2023 in Spain ⋅ ⛅ 22 °C

    Wanderung 6, Tag 3, Wandertag 2:
    Zarautz-Itziar, 24 km, Steigung 785 Meter, Gehzeit 8:40
    Sonntag, 4.6.2023

    Gegen 10 hatschten wir bedächtig Richtung Strand, weiter über die Strandpromenade und dann immer der Landstraße entlang, den gelben Pfeilen folgend. Mit ihrer Hilfe war das immer noch rund 760 Kilometer entfernte Santiago- und unser heutiges Tagesziel, das „Arriola Txiki“, zwischen „Itziar“ und „Deba“, nicht zu verfehlen.
    Unsere Navigationssoftware „Komoot“ war dank der Pfeile meist im Suspend-Mode, Urlaub für die Software.
    Der Camino ist hervorragend mit besagten Pfeilen markiert, mal als Aufkleber, mal einfach hingepinselt, aber immer leicht zu finden. Unseren Dank an der Stelle an all die Pilger-Kleber und „Künstler“.

    Nach Spaß war uns heute Morgen nicht wirklich zu Mute, viel zu kaputt und viel zu müde waren wir. Nur mit einer „Voltaren Resinat“ gestern Abend, und einer „Ibu 600“ heute Morgen, konnten wir unsere vielfältigen Muskelkäter einigermaßen überlisten, ein Restschmerz eigentlich überall in den Beinen, Po und Rücken blieb.
    Als wir während des Gehens gequält so vor uns hinschwiegen fragte ich mich, was ich hier eigentlich mache. Keine Ahnung, vielleicht würde es mir in zehn Kilometern wieder einfallen.
    Unser Weg begleitete die ersten drei Kilometer die Landstraße, immer den Buchten entlang, ein komfortabel markierter Fahrradweg. Heute war Sonntag, Tag des Sportes, überall hier. Das gerade ausgetragene Drachenboot-Rennen in der Bucht war insofern selbstredend.

    Der humane Start unserer heutigen Wegstrecke war nicht besonders repräsentativ, es würde auch diesmal wieder böse enden. Schon allein durch das zu bezwingende Höhenprofil der Strecke war das auch ohne viel Phantasie zu erahnen, siebenhundertfünfundachtzig zu ersteigende Höhenmeter. Wenigstens ließen die Schmerzen langsam nach, es lebe die Chemie.
    Nach rund vier Kilometer, gleich hinter „Getaria“, dessen Schönheit wir ignorierten, gings wieder los, einhundertzwanzig Höhenmeter reichten für zweieinhalb Kilometermeter Atemnot.
    Dennoch, die Landschaft war einmal mehr grandios, links die Berge, rechts das Meer, wie gehabt, dazwischen die Kühe. Langsam viel es mir wieder ein, was ich hier eigentlich mache, und Freude und Begeisterung besiegten die Erschöpfung.

    Es ging wieder Abwärts, die mühsam aufgebaute Höhe, alles umsonst. Nächste „Station“ war „Zumaia“, eine buchtumschließende, schöne kleine Hafenstadt. Die Sonnenschirme eines kleinen Restaurants, direkt an der kleinen Promenade, beschützen uns nach neun Kilometern vor der lauernden Sonne. Wir speisten vorzüglich, Galgenfrist.
    Steigungen sind ja per See unangenehm, mit vollem Bauch werden sie zur Folter.
    Deutlich über dreihundert Höhenmeter waren gefordert, verteilt auf acht Kilometer und zu bezwingen über drei große Aufs- und Abs. Die Beschreibung meiner Flüche die der Camino ertragen musste, lasse ich an der Stelle lieber, ich will ja nicht nur jammern, denn die Landschaft und das Glücksgefühl das sie einem gibt, entschädigt für so vieles. Es war eine Inszenierung, inszeniert von dem den der Weg huldigt, oder wem auch immer.

    Mit dem achtzehnten Kilometer durchschritten wir triefend das hoch auf dem Berg thronende Itziar, es war heiß, die Sonne knallte selbst um sechs noch erbarmungslos.
    Eine knappe Stunde später hatten wir den Auftrag erledigt.

    Das „Arriola Txiki“ war ein Bed & Breakfast am Rande einer kleinen Ansammlung landwirtschaftlicher Gebäude, Bestandteile der grandiosen Landschaft. Hierzulande würde man es als Ferien auf dem Bauernhof bezeichnen, nur Tiere hatte die nette Gastgeberin keine mehr.
    Das ländliche Gästegebäude war alt, ebenso wie sein vermutlich mühsam zusammen gesammeltes, historisches Mobiliar.
    Im schönen und weitläufigen Garten hatte man eine phantastische Aussicht auf das dreihundert Meter tiefer gelegene „Deba“ und den Atlantik, dazwischen immer wieder die Kühe.

    Die wenigen Gäste erholten sich im Obstgarten von den Strapazen des Tages, es waren fast alles „Pilger“, denn das „Arriola Txiki“ grenzt direkt an den Camino.
    Für all das hatten wir aber kaum noch ein Auge, das Einzige, was noch ging war Liegen. Dumm nur, dass wir das Fenster sofort weit aufgerissen haben, um die Landluft zu genießen, denn was gibt es bei jedem Bauernhof in Hülle und Fülle? Fliegen!
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  • Day 5

    Arschloch-Camino

    June 5, 2023 in Spain ⋅ ☁️ 24 °C

    Wanderung 6, Tag 4, WT 3, Itziar - Markina-Xemein, 23,80 km, Steigung 890 Meter, Gehzeit 9:30, Montag, 5.6.2023

    Die Nacht zur Erholung war nur kurz, denn die heutige Tour würde lang und beinhart werden. Außerdem mussten wir vorher noch ein Abholtaxi für uns organisieren. Das Gepäcktaxi für unsere Koffer, hatten wir gestern schon geregelt. Um halb sieben wars also vorbei mit der Erholung.
    Als Weichei-Pilger die wir bekennendermaßen sind, wandern wir natürlich nur mit Tagesgepäck. Ein kleiner Rucksack für Beide, der es aber mit dem ganzen Zeug, was man eben für den Notfall braucht, inklusive zwei bis drei Liter Wasser, auf gut fünf Kilo bringt.

    Im Laufe der letzten Wanderung 2019 sind wir mehr und mehr auf den Trichter gekommen uns an dem Endpunkt eines Wandertages einfach von einem Taxi abholen-, und dann zu einem geografisch günstig gelegenen Hotel, von dem aus wir mehrere Wanderabschnitte erledigen konnten, kutschieren zu lassen.
    Am nächsten Morgen brachte uns das Taxi dann wieder dorthin zurück. Wir nannten solche Hotels „Sternhotels“ wegen der Sternfahrten. Ein Sternhotel war dann oft für drei bis vier Wanderabschnitte gut.
    Sie hatten den gewaltigen Vorteil, dass wir unsere Koffer, drei an der Zahl, nicht jeden Tag neu packen-, zur Rezeption schleppen- und in ein Transporttaxi verfrachten mussten. Auch entfiel das Organisieren desselben ebenso wie die Kosten dafür. Obendrauf fühlten wir uns auch nicht mehr so gehetzt, weil wir nicht jeden Tag die Koffer neu packen mussten, das fühlte sich mehr als Urlaub an.
    Andererseits hatten wir dafür dann die Kosten für den Abhol- und Bringdienst. Das Schwierigste aber war es, auch in der tiefsten Provinz ein Taxi zu finden das einen solchen Service übernimmt und weiter-, dem Fahrer den Abholtort, der meist irgendein unbedeutender Punkt im Nirvana war, zu erklären.
    Leider machte es nicht immer Sinn „Sternhotels“ zu nutzen, dann war wieder tägliches Kofferpacken angesagt.

    Auf Sternhotels wollen wir nun auch bei dieser Wanderung zurückgreifen, das Erste davon war das „Silken Grand Hotel“ in „Durango“, bereits ab heute Nacht. Wir benötigten also einen Abholservice vom vierundzwanzig Kilometer entfernten Endpunkt unserer heutigen Wanderung, dem „Torre de Barroeta“, ein alter Steinturm nahe des Ortes „Markina-Xemein“, der uns nach unserer Ankunft zum rund fünfundzwanzig Kilometer Entfernung gelegenen Hotel chauffiert.

    Wie erklärt man diesen komplexen Zusammenhang telefonisch einem Taxiunternehmen aus „Durango“ in dem keiner, auch nur ansatzweise englisch spricht? Schwierig!
    Mit Google“ Translate“ und einer komplexen Zeichnung erklärten wir unserer aktuellen Gastgeberin, ebenfalls mit englisch etwas überfordert, zeitaufwendig unser Anliegen. Sie wiederum gab es in Spanisch- an das Taxiunternehmen weiter, gebongt.
    Im Urvertrauen, dass unser Anliegen richtig übertragenen- und verstanden wurde, hinkten wir los, Tschüss „Ariola Txiki“. Eine Voltaren Resinat am Abend zuvor und eine Ibu 600 am Morgen waren obligatorisch.
    Heute würde beinhart, das versprach schon allein das Höhenprofil. Gleich hinter der Unterkunft erst einmal zweihundert Meter Abstieg nach „Deba“, bis auf Meereshöhe. Danach kurz den Fluss „Deba ibaia“ überquert um dann, verteilt auf sechseinhalb Kilometer, auf fast sechshundert Meter Höhe aufzusteigen.
    Das Gute war, dass wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten, was das alles zu bedeuten hatte.
    Bereits der Abstieg, ein wunderschöner Feldweg verteilt auf zwei Kilometer, mit bis zu zwanzig Prozent Gefälle, war brutal, ein Kniekiller. Oft führte er durch den kühlenden- und von Vogelgezwitscher geschwängerten Wald. Aber meist, wie gehabt, links Bayern, rechts das Meer, wunderschön.
    Unten angekommen gabs erst mal eine Cortado-Pause, ein paar Minuten Erholung für die zitternden Beine und sammeln vor dem Aufstieg!

    Als wir zwei Stunden später die Einsiedelei von „Calvario“ fluchend erreichten, waren wir schon fix und fertig und vom Berg glitsche nass geschwitzt. Auch das Bombenwetter meinte es nur „gut“ mit uns. Der Camino hatte bereits mehrere, mir zuzuschreibende Tode hinter sich.
    Wenigsten war der steile Weg auf dem letzten Kilometer betoniert, ein kleines Entgegenkommen des Caminos, um weitere Tode zu vermeiden. Zwei Drittel des Aufstiegs mit den schlimmsten Steigungen lagen jedoch noch wie Blei vor uns, ein unerträglicher Gedanke.
    An der Einsiedelei gab es eine köstliche Wasserstelle zum Volllaufen lassen, Gelegenheit für eine kurze Rast.
    Mittlerweile latschten wir wieder auf einer gepflegten, kleinen Landstraße die uns einen halben Kilometer weiter nach „Vistas de las montañas“ brachte. Vielleicht drei Häuser, eine Pilgerherberge ohne Pilger und eine Bombenaussicht über das geschwungene, strotzend grüne Land, wie gehabt und ohne jede visuelle Verschmutzung von Windkraftwerken oder irgendwelchen Gebäuden. Unter einem Zitronenbaum in einem der kleinen Gärten versammelten sich Hühner im kühlenden Schatten. Hühner unter einem Zitronenbaum, echt kurios.

    Bis auf eine rastende Hardcore-Pilgerin an der Wasserstelle der Einsiedelei mit einem dicken-, fetten-, und bestimmt zehn Kilo schweren Rucksack sind uns bislang keine Menschen begegnend, schön und etwas beklemmend zugleich, wenn man doch einmal Hilfe bräuchte.

    Nach rund zehn Kilometern und drei Stunden später standen wir auf dem Gipfel des Berges beziehungsweise dem höchsten Punkt der heutigen Wanderung.
    Welche Mühen es uns gekostet hat diese unscheinbare Stelle ohne jede „belohnende“ Markierung bei bis zu vierundzwanzig Prozent Steigung auf ausgesetzten Pfaden zu erkriechen erspare ich mir lieber. Nur so viel, der Camino mutiert eindeutig zum Arschlos-Camino. Wieder einmal frage ich mich, was ich hier eigentlich mache. Ich hoffe die Antwort fällt mir bald wieder ein.
    Bis auf zwei kleine Zwischenanstiege geht es von nun an bis zum „Torre de Barroeta“, nur noch abwärts. Mein Segen ist Marions Fluch, denn Steigungen sind für mich, mit meinen niedrigen „Hämoglobin-Werten“ deutlich anstrengender, Marion wiederum kann starkes Gefälle wegen ihrer Knie nur schwer aushalten. Abwärts ging es etwas moderater als aufwärts, dafür ohne Ende, rund sechzehn Kilometer lang. Die Landschaft zeigte ihr Antlitz als geschwungenes Hochland, menschenleer und einsam, schon beeindruckend.
    Irgendwann begegneten uns freilaufende Ziegen, die Marions verschwitze Hand als willkommene Salz-Quelle intensiv beleckten.

    Es fiel auf, dass immer mehr nackte, nach Brand riechende Hänge zu sehen waren, die massiv mit Eukalyptus aufgeforstet wurden. Vermutlich wütete hier einmal ein großer Waldbrand.
    An einer einsamen Hausruine, direkt am Pilgerweg, trafen wir auf einen ebenso einsamen Stuhl. Irgendein Witzbold hat ihn wohl für müde Pilger zum Rasten hier hoch geschleppt, wir sagen Danke.

    Nach neuneinhalb Stunden und achthundertneunzig Höhenmetern hinkten wir endlich, völlig erschöpft und am Ende unserer Kräfte, die letzten Meter zum „Torre de Barroeta“.

    Unser Taxi wartete bereits, unser Anliegen wurde richtig übertragen.
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  • Day 6

    Saisonaler Pool

    June 6, 2023 in Spain ⋅ ⛅ 26 °C

    Wanderung 6, Tag 5, Durango, frei
    Dienstag, 6.6.2023

    Wenigstens der erste freie Tag war richtig geplant, denn alles andere als heute nicht zu wandern wäre absurd gewesen, zu anstrengend war der Tag gestern, alles schmerzte, egal wie man sich bewegte.
    Eigentlich hatte ich diesen sechsten Wanderabschnitt, ab San Sebastian, theoretisch moderater geplant als den letzten durch Frankreich. Nicht mehr dreißig Kilometer sollten es durchschnittlich am Tag werden, sondern zwanzig, am Nachmittag wollten wir die Tagestouren jeweils beendet- und noch genügend Zeit für unsere Erholung haben, soweit die Theorie.
    Die Praxis zeigte jedoch, dass unsere bisher eigentlich verlässliche Navigationssoftware „Komoot“, im Gebirge nicht nur ungenau-, sondern sogar gefährlich ungenau ist. Denn Entfernungsangaben sind bei Steigung- und Gefälle genauso falsch wie die Angabe der zu erwandernden Höhenmeter. Je nach Steilheit der Bergwege sind diese um bis zu vierzig Prozent mehr als prophezeit. Auch die insgesamt zu bewältigenden Höhenmeter, rein nur Anstiege gerechnet, sind um den gleichen Wert untertrieben. Das Resultat sind dann überforderte Weichei-Pilger wie wir, mit einer konditionellen- und zeitlichen Fehleinschätzung. Aus den bei der Planung avisierten Ankunftszeiten nachmittags, wurden abendliche mit nur kurzen Erholungsphasen.
    Der heutige freie Tag im „Silken Grand Hotel“ in „Durango“ hatte insofern für uns schon fast den Status eines Heiligen.

    Das Hotel war ein beeindruckendes, ehrwürdiges Gebäude in einer alten Stadt, eingebettet in einem ebenso beeindruckenden, „dolomitenhaften“ Tal. Umgeben von den felsigen Bergen, Ausläufer der Pyrenäen, konnten man sich dieses Eindrucks nicht erwehren. Allerdings erreichten sie bei Weiten nicht deren stolze Höhen.
    Das Hotel war unser erstes Sternhotel. Zu den Wanderstrecken mehrerer Wandertage wolllen wir uns von hier aus bringen- und holen lassen.
    Ich hatte es auch wegen des vorhandenen Pools gewählt. Nach heißen Wandertagen sprangen wir nachmittags in das kühle Nass und erholten uns von der jeweiligen Anstrengung des Tages, soweit der Gaul in meinem Kopf, der mit mir bei der Planung ziemlich durchging.
    Weit gefehlt, der „saisonale“ Pool, wie es in der Beschreibung stand, war am sechsten Juni, bei dreißig Grad Tagestemperatur, noch gar nicht eröffnet. Saison gab es erst ab Fünfzehnten Juni, Service-Wüste Spanien, der Gaul in meinem Kopf legte sich wieder hin.
    Dennoch, Zimmer und Hotel waren zwar nicht wie erwartet, aber okay, bis auf die kleine aber durchaus laute Straße davor.

    Die kleine Stadt mit ihren dreissigtausend Einwohnern, gegründet im dreizehnten Jahrhundert, überzeugte mit einem schönen- aber überschaubaren alten- bis uralten Ortskern. Außerhalb davon war der Ort unschön bis industriell verkommen.
    Keine Frage, die besten Zeiten hatte er hinter sich. Das Hotel lag aber ganz in der Nähe der Altstadt und insofern auch für unsere müden Pilgerknochen gut geeignet.
    Wir genossen zwar die „alten Steine“ der Stadt, ärgerten uns aber einmal mehr über die baskisch-/spanischen Ess-Gepflogenheiten, bis 15:30 und ab 20:00, dazwischen ging nichts außer „Pintxos“ in den Bars. Mittlerweile konnten wir die belegten Weißbrotschnitten aber nicht mehr sehen.
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  • Day 7

    Hawaii

    June 7, 2023 in Spain ⋅ ☁️ 27 °C

    Wanderung 6, Tag 6, WT 4, Markina-Xemein - Bizkaia, 21,35 km, Steigung 650 Meter, Gehzeit 7:25, Mittwoch, 7.6.2023

    Ein Tag Pause war nichts, aber besser als gar keine. Immer noch peinigten uns diverse- und aufsummierte Muskelkater der letzten Wandertage, es war schlimm. Kaum vorstellbar, dass wir heute wieder wandern wollen.
    Ein Taxi brachte uns zurück zum Steinturm, dem „Torre de Barroeta“, Endpunkt von vorgestern.
    Am späten Nachmittag würde uns der Fahrer am neuen Endpunkt, bei der gut einundzwanzig Kilometer entfernten Kirche, „Iglesia Santo Tomás“, wieder abholen und zurück zum Hotel nach Durango fahren, es winkten gute Geschäfte.
    Die Wanderung begann auf einer kleinen Nebenstraße, die sich trügerisch mit ihrem leichten Gefälle präsentierte. Ihre hinterhältige Absicht war es, uns von den vor uns liegenden drei Anstiegen, mit insgesamt 650 Höhenmetern, in vermeintliche Sicherheit zu wiegen.
    Nach ein paar hundert Metern luscherten wir neugierig durch eine offene Tür in ein eigenartiges Gebäude. Es war die Einsiedelei von „San Miguel de Arretxinaga“, sah aber von außen gar nicht so aus. Angeblich eine Barockkapelle deren Schlichtheit nicht gerade daran erinnerte. Das beeindruckende aber waren drei große-, über 40 Millionen Jahre alte Felsen, so angeordnet, dass sie eine Art innere Kapelle in der Kapelle bildeten. In der Mitte, unter den mächtigen Felsen, wurde man von einer christlichen Figur-, keine Ahnung wen sie darstellen sollte, beobachtet. Wer mehr dazu wissen möchte wird hier fündig.https://www.euskadi.eus/ermita-de-san-miguel-de…
    Eine viertel Stunde später revidierten wir unser Vorurteil über „Markina-Xemein“. Der Ort, mit seinen fünftausend Basken, war nicht ganz so klein und unbedeutend- aber vor allem auch schöner als wir dachten.
    Die nächsten drei Kilometer führte uns ein komfortabler Kiesweg, eingebettet in einen schmalen-, auenähnlichen Grünstreifen, entlang des kleinen Flüsschens „Artibai ibaia“. Die Häuser verloren sich nach und nach, was eine Fülle von Auen-Vögeln mit ungewöhnlichen Stimmchen auf der Suche nach Partnern, mit sich brachte.
    Nach gut fünf Kilometern saßen wir in so etwas ähnlichem wie einem verkommenen „Biergarten“ an der nicht minder verkommenen Bar „Armola“, inmitten der vermutlich nicht verkommenen- aber wenigen Seelen von „Iruzubieta“, immer noch am Flüsschen „Artibai ibaia“ und direkt am Camino gelegen.
    Die wenig frequentierte Hauptstraße trennte Bar und Biergarten sowie die wenigen Häuser des Ortes. Ein paar Hardcore-Pilger genossen ihre Rast ebenso wie wir, Zeit für einen Cortado, letze Erholung vor der ersten Gemeinheit des Tages. Nur kurz zum Verständnis, Hardcore-Pilger sind die mit dem Riesenrucksack, die sich lange-, vom Schnarchen erfüllte Nächte, in einer von anderen Pilgern gewürzten Luft, in einem engen Etagenbett eines endlosen Schlafsaales, um die Ohren hauen. Sie verdienen von uns Weicheiern das uneingeschränktes Beileid plus unsere volle Bewunderung.

    Nach dem ersten, schweißtreibenden Anstieg, so zu sagen zum Warmlaufen vor der ersten echten Gemeinheit, zauberte uns der kleine, schöne und sehr gepflegte Ort „Ziortza-Bolibar“ ein wohlwollendes Lächeln ins Gesicht. Er ließ uns die erste Anstrengung des Tages vergessen. Seine steinalte- und monomentale Kirche war wie gehabt, für gläubige- und ungläubige Pilger geschlossen, Beten nicht erlaubt. Gut, dass ich nicht beten muss. Aber als Gläubiger wäre ich da schon sauer. Bisher waren alle Kirchen am Weg verschlossen, da könnte man einem Pilger viel über deren geschichtsträchtige Vergangenheit vorlügen.

    Was nun folgte war ein uralter- und extrem steiler Pilgerweg, seit vielen hundert Jahren unverändert, er würde die größte Gemeinheit des Tages werden. Solche Wege zeichnen sich durch einen unregelmäßigen Verbund runder Steine aus auf dem es sich nur schwer gehen lässt, besonders bei einem steilen Anstieg. Ständig knicken einem die Füße um. Er führt hinauf ins zwei Kilometer entfernte-, alte Kloster „Zenarruzako Santa Maria Kolegiata“ und weiter über den Berg.
    Während sich mein T-Shirt mit Schweiß nur so vollsog, ich staune immer wieder wieviel Liter so weig Stoff an Flüssigkeit aufnehmen kann, begegneten wir "Hawaii".
    Hawaii, keine Ahnung wie er wirklich hieß, war ein überaus freundlicher Typ um die fünfzig, der mit seiner Frau am Wegesrand vom bisherigen Aufstieg nach Luft rang. Endlich einer der eine schlechtere Kondition hat als wir, dachte ich leicht schadendsfroh, Verzeihung. Die adrette Kleidung sowie die fröhliche Offenheit der Beiden zeugte davon, dass sie offensichtlich nicht zur Gruppe der Schlafsaal-Märtyrer gehörten, sie hatten vermutlich gut geschlafen.
    Er, „Hi, how are you?“ ich, "I'm doing fine, thanks", was natürlich gelogen war. Ich verfluchte gerade wieder einmal, völlig außer Atem, diesen scheiß Weg, während mir die Schweißtropfen vom Kinn auf das bereits getränkte T-Shirt platschten das mittlerweile seine Kapazitätsgrenzen erreicht hatte. Die beiden waren aus Hawaii, wow, er war Priester, so, so. Ich bemerkte gleich, dass er irgendwie anders war, denn so einen netten Menschen kann es eigentlich gar nicht geben, zumindest nicht in meinem bescheidenen Horizont. Da musste schon ein Gott seine Finger im Spiel haben, sonst geht das nicht.
    Mit dem neunten Kilometer war die Hälfte des ersten großen Leidens überwunden, der steilste Abschnitt lag hinter uns. Wir standen in der Klosteranlage von „Zenarruza“ mit ihrer alten Stiftskirche die, man glaubt es kaum, sogar geöffnet war.

    Das Kloster gilt als ein nationales Denkmal- und ist eines der Schätze des Baskenlandes. Es beinhaltet eine gotische Stiftskirche aus dem fünfzehnten-, und einen Kreuzgang aus dem sechzehnten Jahrhundert, sowie mehrere historische Nebengebäude des Klosterlebens. Auch eine Pilgerherberge gab es hier, angeblich. Kaum vorstellbar, so menschenleer wie es hier war. Hier zu übernachten, würde bei mir unmittelbar Depressionen auslösen. Es gab nichts worüber man sich erfreuen konnte nur alte Steine und ganz, ganz viel unangenehme Stille, erdrückend. Ohne weitere Menschen in unserer Umgebung verfielen wir, von der Stille genötigt, sofort ins Flüstern. Im Mittelalter und insbesondere während der Renaissance war das Kloster übrigens eine wichtige Enklave des Camino.
    Wir ließen uns im Kreuzgang nieder und ruhten uns aus. Marion hatte, neben anderen Beschwerden, insbesondere Knie, obwohl es bereits in allen erhältlichen Farben mit deren therapeutischen Fähigkeiten, getapt war, nicht gut.

    Mit dem elften Kilometer passierten wir, ohne dass irgendein Hinweis unsere Leistung gewürdigt hätte, den höchsten Punkt des vierhundert Meter langen Aufstiegs.
    Es folgte ein ebenso mühsamer Abstieg durch den Wald. Teilweise war das Gelände so steil und glitschig, dass für die Pilger elend lange Holztreppen gebaut wurden. Marion fluchte, die Stufen gaben ihrem Knie den Rest, meine waren ebenfalls kaum noch belastbar.
    Müde ließen wir uns am Dorfplatzes von „Munitibar“ nieder. Ein öffentlicher Brunnen war eine gute Gelegenheit, um unsere dezimierten Wasservorräte wieder aufzufüllen. Ohne einen gewissen Wasservorrat wurde Marion immer leicht panisch, was beim Wandern stets für Stress sorgte.
    Von den Vierhundertdreiundsiebzig Einwohnern bekamen wir nur wenige zu Gesicht.

    Gleich hinter dem Ort erkämpften wir uns das nächste Tagesleiden, zwar deutlich kürzer als das davor, aber mit vierzehn Prozent Steigung genauso steil. Keine Frage, dieser Pilgerweg war eine Tortour.

    Der nun folgende Lohn war eine wunderschöne Landschaft. Ein ausgewogener Mix aus Wiesen, und Wäldern, eingebettet in eine liebliche Hügellandschaft. Dazwischen wenige-, aber gepflegte Häuser und Höfe im traditionellen Stil. Auch das ist der Camino. Schönes muss man sich eben hart erarbeiten.

    Wieder im Wald und mit dem achtzehnte Kilometer, schleppten wir uns auf den letzten Hügel vor unserem Ziel, der „Iglesia Santo Tomás“. Im Vergleich zu den vorangegangenen Steigungen eher lächerlich, dennoch forderte sie unsere letzten Kräfte.

    Mit dem einundzwanzigsten Kilometer ließen wir uns kraftlos in eine der Bänke vor der Kirche fallen. Vor uns der Ausblick über das weite-, fast unberührte Tal, hinter uns die gotische Kirche aus dem sechzehnten Jahrhundert die uns heute jedoch nicht mehr interessierte, ohnehin wäre sie verschlossen gewesen, ganz bestimmt.

    Unser Taxi brachte uns zurück zum Hotel nach Durango. Der Fahrer war voller Erwartungen morgen seine Brieftasche erneut füttern zu können.
    Unsere Erwartung war dagegen eine Dusche und ein erholsames Dinner in der Altstadt von Durango. Die Vorfreude nach so einer Anstrengung lässt sich kaum vermitteln.
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