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  • Day 5

    Arschloch-Camino

    June 5, 2023 in Spain ⋅ ☁️ 24 °C

    Wanderung 6, Tag 4, WT 3, Itziar - Markina-Xemein, 23,80 km, Steigung 890 Meter, Gehzeit 9:30, Montag, 5.6.2023

    Die Nacht zur Erholung war nur kurz, denn die heutige Tour würde lang und beinhart werden. Außerdem mussten wir vorher noch ein Abholtaxi für uns organisieren. Das Gepäcktaxi für unsere Koffer, hatten wir gestern schon geregelt. Um halb sieben wars also vorbei mit der Erholung.
    Als Weichei-Pilger die wir bekennendermaßen sind, wandern wir natürlich nur mit Tagesgepäck. Ein kleiner Rucksack für Beide, der es aber mit dem ganzen Zeug, was man eben für den Notfall braucht, inklusive zwei bis drei Liter Wasser, auf gut fünf Kilo bringt.

    Im Laufe der letzten Wanderung 2019 sind wir mehr und mehr auf den Trichter gekommen uns an dem Endpunkt eines Wandertages einfach von einem Taxi abholen-, und dann zu einem geografisch günstig gelegenen Hotel, von dem aus wir mehrere Wanderabschnitte erledigen konnten, kutschieren zu lassen.
    Am nächsten Morgen brachte uns das Taxi dann wieder dorthin zurück. Wir nannten solche Hotels „Sternhotels“ wegen der Sternfahrten. Ein Sternhotel war dann oft für drei bis vier Wanderabschnitte gut.
    Sie hatten den gewaltigen Vorteil, dass wir unsere Koffer, drei an der Zahl, nicht jeden Tag neu packen-, zur Rezeption schleppen- und in ein Transporttaxi verfrachten mussten. Auch entfiel das Organisieren desselben ebenso wie die Kosten dafür. Obendrauf fühlten wir uns auch nicht mehr so gehetzt, weil wir nicht jeden Tag die Koffer neu packen mussten, das fühlte sich mehr als Urlaub an.
    Andererseits hatten wir dafür dann die Kosten für den Abhol- und Bringdienst. Das Schwierigste aber war es, auch in der tiefsten Provinz ein Taxi zu finden das einen solchen Service übernimmt und weiter-, dem Fahrer den Abholtort, der meist irgendein unbedeutender Punkt im Nirvana war, zu erklären.
    Leider machte es nicht immer Sinn „Sternhotels“ zu nutzen, dann war wieder tägliches Kofferpacken angesagt.

    Auf Sternhotels wollen wir nun auch bei dieser Wanderung zurückgreifen, das Erste davon war das „Silken Grand Hotel“ in „Durango“, bereits ab heute Nacht. Wir benötigten also einen Abholservice vom vierundzwanzig Kilometer entfernten Endpunkt unserer heutigen Wanderung, dem „Torre de Barroeta“, ein alter Steinturm nahe des Ortes „Markina-Xemein“, der uns nach unserer Ankunft zum rund fünfundzwanzig Kilometer Entfernung gelegenen Hotel chauffiert.

    Wie erklärt man diesen komplexen Zusammenhang telefonisch einem Taxiunternehmen aus „Durango“ in dem keiner, auch nur ansatzweise englisch spricht? Schwierig!
    Mit Google“ Translate“ und einer komplexen Zeichnung erklärten wir unserer aktuellen Gastgeberin, ebenfalls mit englisch etwas überfordert, zeitaufwendig unser Anliegen. Sie wiederum gab es in Spanisch- an das Taxiunternehmen weiter, gebongt.
    Im Urvertrauen, dass unser Anliegen richtig übertragenen- und verstanden wurde, hinkten wir los, Tschüss „Ariola Txiki“. Eine Voltaren Resinat am Abend zuvor und eine Ibu 600 am Morgen waren obligatorisch.
    Heute würde beinhart, das versprach schon allein das Höhenprofil. Gleich hinter der Unterkunft erst einmal zweihundert Meter Abstieg nach „Deba“, bis auf Meereshöhe. Danach kurz den Fluss „Deba ibaia“ überquert um dann, verteilt auf sechseinhalb Kilometer, auf fast sechshundert Meter Höhe aufzusteigen.
    Das Gute war, dass wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten, was das alles zu bedeuten hatte.
    Bereits der Abstieg, ein wunderschöner Feldweg verteilt auf zwei Kilometer, mit bis zu zwanzig Prozent Gefälle, war brutal, ein Kniekiller. Oft führte er durch den kühlenden- und von Vogelgezwitscher geschwängerten Wald. Aber meist, wie gehabt, links Bayern, rechts das Meer, wunderschön.
    Unten angekommen gabs erst mal eine Cortado-Pause, ein paar Minuten Erholung für die zitternden Beine und sammeln vor dem Aufstieg!

    Als wir zwei Stunden später die Einsiedelei von „Calvario“ fluchend erreichten, waren wir schon fix und fertig und vom Berg glitsche nass geschwitzt. Auch das Bombenwetter meinte es nur „gut“ mit uns. Der Camino hatte bereits mehrere, mir zuzuschreibende Tode hinter sich.
    Wenigsten war der steile Weg auf dem letzten Kilometer betoniert, ein kleines Entgegenkommen des Caminos, um weitere Tode zu vermeiden. Zwei Drittel des Aufstiegs mit den schlimmsten Steigungen lagen jedoch noch wie Blei vor uns, ein unerträglicher Gedanke.
    An der Einsiedelei gab es eine köstliche Wasserstelle zum Volllaufen lassen, Gelegenheit für eine kurze Rast.
    Mittlerweile latschten wir wieder auf einer gepflegten, kleinen Landstraße die uns einen halben Kilometer weiter nach „Vistas de las montañas“ brachte. Vielleicht drei Häuser, eine Pilgerherberge ohne Pilger und eine Bombenaussicht über das geschwungene, strotzend grüne Land, wie gehabt und ohne jede visuelle Verschmutzung von Windkraftwerken oder irgendwelchen Gebäuden. Unter einem Zitronenbaum in einem der kleinen Gärten versammelten sich Hühner im kühlenden Schatten. Hühner unter einem Zitronenbaum, echt kurios.

    Bis auf eine rastende Hardcore-Pilgerin an der Wasserstelle der Einsiedelei mit einem dicken-, fetten-, und bestimmt zehn Kilo schweren Rucksack sind uns bislang keine Menschen begegnend, schön und etwas beklemmend zugleich, wenn man doch einmal Hilfe bräuchte.

    Nach rund zehn Kilometern und drei Stunden später standen wir auf dem Gipfel des Berges beziehungsweise dem höchsten Punkt der heutigen Wanderung.
    Welche Mühen es uns gekostet hat diese unscheinbare Stelle ohne jede „belohnende“ Markierung bei bis zu vierundzwanzig Prozent Steigung auf ausgesetzten Pfaden zu erkriechen erspare ich mir lieber. Nur so viel, der Camino mutiert eindeutig zum Arschlos-Camino. Wieder einmal frage ich mich, was ich hier eigentlich mache. Ich hoffe die Antwort fällt mir bald wieder ein.
    Bis auf zwei kleine Zwischenanstiege geht es von nun an bis zum „Torre de Barroeta“, nur noch abwärts. Mein Segen ist Marions Fluch, denn Steigungen sind für mich, mit meinen niedrigen „Hämoglobin-Werten“ deutlich anstrengender, Marion wiederum kann starkes Gefälle wegen ihrer Knie nur schwer aushalten. Abwärts ging es etwas moderater als aufwärts, dafür ohne Ende, rund sechzehn Kilometer lang. Die Landschaft zeigte ihr Antlitz als geschwungenes Hochland, menschenleer und einsam, schon beeindruckend.
    Irgendwann begegneten uns freilaufende Ziegen, die Marions verschwitze Hand als willkommene Salz-Quelle intensiv beleckten.

    Es fiel auf, dass immer mehr nackte, nach Brand riechende Hänge zu sehen waren, die massiv mit Eukalyptus aufgeforstet wurden. Vermutlich wütete hier einmal ein großer Waldbrand.
    An einer einsamen Hausruine, direkt am Pilgerweg, trafen wir auf einen ebenso einsamen Stuhl. Irgendein Witzbold hat ihn wohl für müde Pilger zum Rasten hier hoch geschleppt, wir sagen Danke.

    Nach neuneinhalb Stunden und achthundertneunzig Höhenmetern hinkten wir endlich, völlig erschöpft und am Ende unserer Kräfte, die letzten Meter zum „Torre de Barroeta“.

    Unser Taxi wartete bereits, unser Anliegen wurde richtig übertragen.
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