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- tirsdag den 14. marts 2023
- 🌬 4 °C
- Højde: 17 m
ChilePontificia Universidad Católica de Valparaíso33°2’42” S 71°36’16” W
Valparaíso

Als ich morgens die letzten Stufen hoch zum Sonnendeck erklimme, kann ich es schon hören. Nichts mehr mit Natur und Ruhe, wir liegen mitten im Industriehafen von Valparaíso, am Nachbarpier werden gerade riesige Karosseriebleche auf LKWs geladen, während sich die Silhouette der Stadt noch etwas schüchtern im Morgennebel an der Küste entlang schlängelt und schließlich dem Blick entzieht.
Heute ist Embarkation Day, die alten Gäste gehen von Bord und wir bekommen neue geliefert, fein säuberlich in Frischhaltefolie abgepackt und auf Europaletten fixiert. Naja, so ähnlich. 😉
Während für die Kolleginnen an der Rezeption dieser Tag ziemlicher Horror ist, können die meisten zumindest für ein paar Stunden das Schiff verlassen und die Stadt erkunden, bevor dann die neuen Gäste lächelnd begrüßt werden wollen am Nachmittag.
Keine Wertsachen mitnehmen wurde im Meeting gesagt, okay, das krieg ich hin. Ein Shuttlebus fährt mich zum Hafenterminal, wo ich genau durchleuchtet werde, ehe mich ein weiterer Shuttlebus ans Ende des Hafengeländes bringt. Dort schiebt ein freundlicher alter Herr ein recht provisorisch anmutendes Tor im Zaun auf und winkt mich hindurch. Ich stehe in Valparaíso – eine Stadt, deren einzige Assoziation bisher für mich ist, dass ein gewisser Dieter Mallinek in einem Reinhard Mey-Song eben genau hier hin auswandert, zusammen mit der Freundin von Reinhard Mey, die dann plötzlich nicht mehr seine Freundin ist. Und so habe ich den ganzen Tag dieses Lied im Ohr, während ich durch die Stadt laufe.
Die Stelle, an der ich aus dem Hafen gespuckt wurde, scheint mir etwas außerhalb zu liegen, also laufe ich in die Richtung, in der ich das Zentrum vermute. Die Straßen voller Menschen und Marktstände, alles wirkt irgendwie baufällig und heruntergekommen. Später erfahre ich von einem unserer Experten, dass die Stadt nach dem letzten großen Erdbeben nie wieder richtig aufgebaut wurde. Verbunden mit den sozialen Unruhen der jüngsten Vergangenheit und der durch den Panamakanal enorm gesunkenen strategischen Bedeutung der Stadt zeichnet sich ein eher verwahrlostes und trauriges Bild. Ich hab noch nie so viele streunende Hunde gesehen wie in den Straßen hier. Die Menschen, die hier an den Häusern lehnen oder unter ihren Zeltplanen sitzen, scheinen mir seltsam gleichgültig, teilnahmslos. Gibt’s hier keine Geschäfte oder Supermärkte? Doch, stellte ich nach einer Weile fest, aber deren Fassaden sind mit Metallwänden verbarrikadiert und in den kleinen Eingangsöffnungen stehen Wachleute. Was ist hier los?
Die Plätze und Straßen werden größer, ich komme dem Zentrum näher, aber es bleibt wuselig und schmuddelig. Wo sind die Standseilbahnen, für die die Stadt so berühmt sein soll? Ich beschließe, den langgezogenen Berghang hinaufzulaufen, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Und tatsächlich komme ich nach zwei Kreuzungen schlagartig in ein Viertel mit kleinen Straßen und Gassen. Bunt bemalte Häuser, kleine Cafés. Aber keine Menschen. Hier und da ein paar Touristen, aber sonst fast gespenstische Leere. Ich gehe weiter bergauf, habe schon eine schöne Übersicht, bin aber angefixt von dem Gedanken, von ganz oben hinunterzuschauen.
Der relativ dünne Streifen mit gepflegten bunten Häuschen geht wiederum recht plötzlich in Favela-ähnliche Bebauung über. Viele kleine Wellblechhütten, dicht an dicht. Dazwischen immer wieder nackter lehmiger Berghang – offensichtlich sind die Behausungen an diesen Stellen Erdrutschen zum Opfer gefallen. Vor manchen Hütten stehen Autos, die schon lange nicht mehr bewegt worden sein dürften und mit ihren platten Reifen und herabhängenden Stoßstangen traurig in die Ferne schauen.
Ein bisschen gruselig ist das schon, aber ich will noch weiter nach oben. Vorbei an der kleinen Kapelle mit blauem Dach. Mittlerweile hat sich der Dunst über der Stadt weitestgehend verzogen und gibt den Blick frei auf den dichtbesiedelten Berghang entlang des Küstenstreifens.
Hinter jedem zweiten Zaun knurrt mich mindestens ein Hund an, und als irgendwann die Zäune aufhören, die Hunde aber nicht, entschließe ich mich, den Rückweg anzutreten. In einem der versteckten Supermärkte decke ich mich noch mit ein paar Dingen des täglichen Bedarfs ein und laufe dann zurück zum Tor im Zaun des Hafengeländes. Links ächzt der Vorstadtzug quietschend an mir vorbei, während rechts ein älterer Mann bewegungslos mitten auf der dreispurigen Straße liegt, umringt von Menschen. Ein kollabierter Fußgänger, denke ich zunächst, aber als ich das völlig verbeulte Motorrad daneben sehe, schwant mir böses. Ich hoffe von Herzen, dass er seine Augen wieder aufgemacht hat.
Zurück am Schiff wurde mir erstmal ein frischer O-Saft und ein Erfrischungstuch angeboten. Was für eine krasse Parallelwelt.
Anke, meine Chefin hier an Bord, hat dann beim gemeinsamen Abendessen die Hände über’m Kopf zusammengeschlagen – „Du bist alleine durch die Stadt gelaufen!? Das macht man doch nicht, wir sind in Südamerika!“
Vielleicht macht man das nicht, (war mir so nicht bewusst), und vielleicht mache ich das auch nicht wieder, aber ich bin auch dankbar für die Erfahrung, 12km durch diese Straßen gelaufen zu sein.
Unfassbar, welch pervers-paradiesischen Lebensstandard ich auf dem Schiff und auch in Berlin mein Zuhause nennen darf.Læs mere
RejsendeWie eine Leseprobe aus einem Spiegel-Bestseller Rubrik "Reisen"!