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  • Day 117

    Mit "Henry 8" nach Pucallpa, Peru

    December 6, 2018 in Peru ⋅ 🌧 30 °C

    Wir sind pünktlich um 15:00 Uhr am Hafen 😊 "Henry 8" heißt unser Frachtschiff! Wir suchen uns ein strategisch gutes Plätzchen im obersten Geschoss um unsere Hängematten aufzuhängen. Kriterien: gut sichtbar und an einer Wand um unsere Rucksäcke gegen "Langfinger" besser im Griff zu haben und ein Plätzchen, von dem aus man gut nach draußen sehen kann. Um 17:00 Uhr ist Abfahrt. Ich flitze noch schnell die Straße entlang, um noch etwas Warmes zum Essen zu kaufen...

    ... Es ist mittlerweile 18:00 Uhr und wir schauen den Hafenarbeitern zu, wie sie pro Mann fünf schwere Zementsäcke auf einmal vom Nachbarschiff abladen...

    ... 21:00 Uhr, mittlerweile haben sich unzählige Hängematten zu uns gesellt und wir sehen dem Gewimmel im Hafen zu und wie ein Teil der Fracht mit großen Planen gegen Regen abgedeckt wird...

    23:00 Uhr, das wird wohl nichts mehr mit 17:00 Uhr Abfahrt. Wir kuscheln uns in unsere Hängematten, "Gute Nacht!"

    1:30 Uhr, es rumpelt und kracht. Unsere Hängematten schwingen nach links und rechts. Da tut sich was 🙂
    Es gibt nur ein Problem! Unser Boot ist eingeparkt von dutzenden Schiffen und unseres schiebt und drückt sich wie auf italienischen PKW Parkplätzen in 40 Minuten aus unserem Stellplatz. Verrückt... Es geht los! Ganze 800 Kilometer Fluss aufwärts nach Pucallpa. Erst auf dem Amazonas, dann den ersten schiffbaren Nebenfluss des Amazonas, dem Ucayali, entlang. Beide Flüsse sind braun von der ganzen Erde und Sedimente, die sie mitführen - und riesig! Soooo viel Wasser! ... und das ist erst der Anfang vom Amazonas!

    Es ist keine klassische Kreuzfahrt. Es ist vielmehr ein alternativloses Verkehrsmittel für viele tausend Menschen, die entlang des Flusses leben.

    Unser Boot ist das größte der "Henry" - Flotte und misst vielleicht 120m Länge. Genug Platz also für eine ganze Menge Fracht. Da Iquitos eine konsumierende und keine produzierende Stadt ist, sind die Frachter von Pucallpa kommend, immer mehr beladen, als in unserer Fahrtrichtung - dadurch können wir uns ein wenig auf dem Boot bewegen.

    Unser Boot hält wie hier die Busfahrer 🙂 eben überall dort, wo Bedarf besteht - in jedem Dorf und noch so kleiner Siedlung. Sei es, daß Fahrgäste ein-, oder aussteigen, oder dass eben Fracht auf-, oder abgeladen wird. Mehrmals am Tag und in der Nacht halten wir an. Manchmal für ein bis zwei Stunden, manchmal aber auch nur für wenige Sekunden bis jemand aufgestiegen ist.

    Wir stehen an der Reling und schauen in die tief dunkle Nacht. Ungestört von künstlichem Licht strahlen unglaublich viele Sterne am Himmel. Es ist ein Gedicht! Wir fragen uns, wie unser Kapitän in der Lage ist, unser Boot durch die tief schwarze Nacht zu steuern, ohne für uns ersichtliche Orientierungspunkte. Es gibt keine Karten, kein Radar und auch kein GPS. Aldo, der Supervisor des Schiffes nimmt sich viel Zeit für uns und erklärt uns unsere Fragen. Für den Kapitän genügen wohl die unterschiedlichen Dunkel Töne, die die Bäume am Ufer machen, manchmal kontrolliert der Kapitän mit Scheinwerfern die Richtung - wahnsinn!

    Plötzlich erkennen wir ein blitzendes Licht in der Ferne. Nachdem von unserem Schiff mit großen Scheinwerfern die Stelle abgesucht wird, erkennen wir den Grund des Lichtes. Es ist ein Mann mit Taschenlampe, der unser Schiff sozusagen anfunkt und um Mitnahme von sich und seiner Waren zu bitten. Wir steuern die Stelle an und rammen mit dem Schiffsbug in die bewachsene Uferbefestigung. Es erscheint eine kleine Siedlung von vielleicht zehn Häusern. Der Mann springt auf und weiter geht es! Verrückt! Dieses Schauspiel wiederholt sich dutzende Male. Manchmal werden ganze Bananen-Ernten, oder der Fischfang des Tages mit unzähligen Dorfbewohner aufgeladen. Ich hätte nicht gedacht, dass doch so viele Menschen hier am Amazones/Ucayali im Dschungel wohnen.

    Um die Dörfer herum sind meist die Dschungel-Bäume durch Platanen ersetzt. In Guatemala haben wir erlebt, was dabei heraus kommt, wenn man Menschen einfach machen lässt - sie benötigten immer mehr Holz und auch Fläche... Aldo erklärte uns, was wir eigentlich aus dem Erdkundeunterricht schon wussten: wird eine Fläche im Dschungel abgeholzt und bebaut, so ist der Ertrag im 1. Jahr gut, im 2. noch ok und im 3. erntet man schon nicht mehr genügend um die Familie zu ernähren und noch ein wenig zu verkaufen - also müssen neue Flächen gerodet werden... Wir sehen auch mehrere Flächen, wo viel Holz geschlagen wurde, ohne dass eine Aufforstung oder landwirtschaftlicher Nutze darauf folgte. Inwieweit Peru hier ein Auge drauf hat, können wir nicht sagen, aber so, wie wir die Dschungel-Bevölkerung auf dem Frachter kennen lernen dürfen, scheint da nicht viel für Naturschutz bei den Menschen übrig zu sein. Es ist normal, den Müll in den großen braunen Fluss zu schmeißen... der Müll ist dann ja schließlich weg...

    Und das, was wir im "Centro de Rescate" gehört haben, dass die Leute noch immer Tiere aus dem Dschungel als süße kleine Haus- und Knuddeltiere mehr schlecht als recht halten, bestätigt sich auf dem Frachter: 1 Mann mit großem Papagei in Mini-Schachtel, 1 Dame mit 4 kleinen Loros (Jessica, total nett, unsere "Nachbarin", aber auch völlig falsche Ernährung für die kleinen: Plätzchen Fisch, etc. - Loros essen eigentlich kein Fleisch), 1 noch junger Affe an einer Schnur festgebunden, später auf der Fahrt ein Händler, der große Loros für 'n Appel und 'n Ei verkauft... Schade - das macht einen traurig!
    ... haben die Leute doch gelernt, dass sie das Klopapier nicht in den Klo, sondern daneben in eine Tüte werfen, warum können sie Plastik nicht in Mülltonnen werfen (selbst Ameisen haben eine "Mülldeponie") und die Tiere da lassen, wo sie hingehören?!?

    Es ist fantastisch, welch' freundliche Menschen mit den außergewöhnlichsten Geschichten uns an Bord begegnen. Ein älterer Mann zeigt uns ganz stolz riesige Bunte Federn einer Papageienart, giftige Pflanzen und die Haut einer kleinen Boa Negra. Das Öl sei gesund, sagt er! Es würde durch die Hand rinnen und diese ganz warm machen. Dann erzählt er, es gäbe Boas mit 30m Länge und andere mit 2 Köpfen! Dem nicht genug: Es leben Tiere im Dschungel, die faustgroße Diamanten im Kopf haben...! Wir müssen uns zusammenreißen um nicht zu lachen. Ja, vielleicht muss man nur ganz fest daran glauben 😁
    Ach ja - und es gibt gute und schlechte Delfine. Die schlechten springen aus dem Wasser und hauen mit den Schwanzflossen die Fischer aus den Booten. Und ein Tierchen namens Perrito, das Männern mit seinen kleinen Insektenschaufeln das Schnarchen aus der Nase zaubern

    6:00 Uhr, wie jeden Morgen klingelt, nachdem auch der Hahn aus dem Frachtraum gekräht hat, eine Glocke. Essen ist fertig, bedeutet dies! Und kurz darauf stehen wir mit in der großen Schlange vor der "Cocina", der Bordküche, mit unseren Schälchen und warten auf unser Frühstück. Das Prozedere wiederholt sich um halb 12 und nochmal gegen 17 Uhr zum Abendessen. Die Zeiten sind wie immer sehr variabel. Zu essen gibt es Reis mit Hühnchen, die frisch aus dem Todestrakt im Maschinenraum an Board geschlachtet werden, Reis mit Suppe und Reis mit süßer Milch-Wasser-Zubereitung. Die Hühner, die unter unserem Tisch gelagert werden, sind wohl erst mal noch verschont. Nach dem Essen wird gespült... Sehr gewöhnungsbedürftig, dass aus dem Hahn das braune ungefilterte Flusswasser läuft. Übrigens auch aus der Dusche... 😜

    Es kostete ein wenig Überwindung, die Duschen zu benutzen, aber nachdem Marcos lange Haare ein eigenes Biosphärenreservat zu werden drohten, war duschen dringend notwendig. Manche Einheimische tranken nach dem Spülen noch vom Wasser - wie man es gewöhnt ist😣

    Auf so engem Raum zusammen mit den vielen Einheimischen, lernen wir deren Sitten recht gut kennen: Viele Frauen reisen mit ihren Kindern. Die kleinsten bekommen eine ultra-süße Limonaden-ähnliche Plörre zum Frühstück, Mittag, Abend und zwischendurch. Aber sehr abwechslungsreich wird mal Brot, oder auch Chips darin getunkt! 🙃 schön bunt für die Kinder. Aber dass die Familie gemeinsam isst, sieht man nicht.

    Am 4. Tag sind zu uns unzählige Fahrgäste hinzu gekommen und mittlerweile zählen wir fast 200 Hängematten. Marco fungierte aufgrund seiner Größe auf unserem Deck als "Hängemattenaufhänger". In Tierra Blanca steigen überwiegend Männer und Frauen in traditionellen Kleidern hinzu. Die Männer in Hemden, Latzhose und Hüten, die Frauen in Kleidern. Wir vermuten eine Glaubensgemeinschaft wie Mormonen, oder Menoniten. Sie kommen wohl ursprünglich aus den Niederlanden es sind großgewachsene, meist blonde Männer und helle Frauen, sie sprechen dutsch. Sie siedeln bei Tierra Blanca in einer abgeschlossenen Kommune mit mehreren Kolonien/Familien mit bis zu 150 Menschen. Wir trafen einen, der auch ein wenig deutsch konnte, die Kommunikation war jedoch schwierig. Einige Familien kamen vor kurzem aus Belize, andere aus Bolivien. Wir haben nicht herausbekommen, warum sie dort weg sind. Echt verrückt!

    Wie auch in den Bussen stürmen unzählige Verkäufer an manchen Dörfern das Schiff und verkaufen Getränke, Obst, Kuchen, Fisch- und Fleischgerichte. Wir kaufen einen super leckeren Bananen-Kuchen und 2 Platano-Kugeln (tacacho), von denen Marco eine halbe isst und den Rest verschenkt. Die Menschen aus dem Dschungel sind unheimlich stolz auf deren Essen-sie lieben vor allem den frischen Fisch, von dem es hier genügend gibt, sowie Platano - wir können nach dem dritten Tag keine Freude mehr darüber empfinden 😒

    Beim Essen sind uns weitere hiesige Gepflogenheiten aufgefallen: Das Essen wird eher geschaufelt, Knochenstückchen und alles, was dann doch im Mund stört einfach vor sich gespuckt oder geschmissen... auch auf die eigenen Füße... und später läuft man dann da durch und andere richten ihr Nachtlager auf dem Boden😝

    Abends, wenn die Nacht anbricht, lockt das Licht unseres Bootes unzählige Moskitos, Falter, Käfer und sonstige seltsame Geschöpfe an Bord - wir zwei, als einzige Gringos an Board, haben uns natürlich gut eingedeckt und sowohl Fliegenschutzspray UND für jeden ein Moskitonetz gekauft - wir sind die einzigen an Bord mit so 'nem Kram... Da fallen die Gringos wieder auf😊 wir beide waren aber, angesichts dieser viele Käfer, Falter und sonstigen Krabbeltiere soooo froh, dass wir uns unter dem Netz in die Hängematte kuscheln konnten! Und wir haben echt gut geschlafen! Auch mit Motorengebrumm, Musik vom Handy anderer Mitfahrer, Gelächter, lautes Geschnatter... Die Einheimischen haben den gaaaanzen Tag in der Hängematte gelegen, entspannt und abends ging es dann los... Insgesamt ist uns aufgefallen, dass hier nicht sehr viel Rücksicht aufeinander genommen wird. Ein Parade Beispiel war unser Hängematten-Nachbar. Immer laut, übertrieben freundlich und dann fehlten uns 2l Wasser, während seine Flasche wieder gefüllt war... Ein Einheimischer, der schon mal in Deutschland im Urlaub war beschrieb es so, dass hier kein Respekt vor dem anderen gelehrt wird - was er wohl in Deutschland als positiv empfand.

    Unser Deck war verhältnismäßig wenig besetzt. Für 1 Nacht ist das Schiff so voll geworden, dass einige unter freiem Himmel schlafen mussten. Aldo erzählte uns, dass manchmal 400 Leute mitfahren (Kapazität: 200 Personen). Dann werden zusätzlich Planen gespannt! Die hygienischen Verhältnisse will ich mir gar nicht vorstellen! Solche Stoßzeiten seien, wenn die Kinder Ferien bekommen und wenn Wahlen anstehen - wer nicht wählt muss Strafe zahlen (aber ob das geahndet wird, wenn so viel Gravierenderes übersehen wird!?!).

    Am Ufer wird auch Reis angebaut. Wenn der Wasserspiegel dann steigt, finden die Bauern keinen Halt mehr zum Stehen und Ernten im Kajak oder schwimmend. Der Reisanbau ist wegen der Wasserschlangen nicht ganz ungefährlich!

    Neben Wäsche flicken, Block schreiben, Spanisch lernen und mit anderen an Board quatschen, genießen wir es, auf den Fluss zu schauen und die frische Luft zu atmen, vor allem am Abend, wenn es kühler wird! Schiffe, die uns entgegen kommen, scheinen vor Ladung fast unter zu gehen. Wir haben Glück und sehen einige Amazonas-Delfine! Und... am letzten Tag wurde ein Deck unter uns noch ein Kind geboren. 😊

    Ein großes Abenteuer...

    Viele Grüße vom Amazonas
    Ariane & Marco
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