• DasLebenIstEinLangerRuhigerFluss

    August 30, 2019 in China ⋅ ☁️ 30 °C

    Ein bisserl Ausschlafen gönnen wir uns heute bis 9:00. Gefrühstückt wird das Frühstück heute mit Dach überm Kopf, es regnet, nicht schlimm, aber halt nass. Heute rüsten wir uns besser als gestern für die Feuchtigkeit von oben, man lernt ja schließlich dazu. Wechselklamotten in Tüten, Regenschutz über die Rucksäcke und Regenschirme. Dazu muss ich noch sagen, gestern hat uns der Regen überrascht, er war auf keiner Wetter-App angesagt. Egal, Heute ist heute. Als wir losradeln tröpfelt es nur noch, eine Viertelstunde später, als wir mitten in der Stadt sind, wieder Regen. Aber das Schicksal hat es gut mit uns gemeint und wir landen direkt unter der Markise von einem Regenmantelgeschäft, also in erster Linie ein Anglerladen, und zur Anglerausrüstung gehört natürlich auch, na?
    Vier Plastikmäntel in schrecklichen Farben bitte!
    Blau, Gelb, Pink, Pink. Und wer bekommt den zweiten pinken Mantel? Papa Clown, klar. Einer kostet nen Euro. Der bunte Radel Vierer erreicht nach bekannter Route durch die Stadt wieder das große Portal der Ruhe von gestern, vom Stadtlärm zur Stille der E-Scooter.
    Vor der Brücke über den Yulong River und vor dem Ancient Banyan Tree biegen wir heute rechts ab statt gerade aus und folgen der kleinen Straße entlang dem Fluss.
    Und das ist die Idee für heute. Entspannt immer den Fluss entlang, bis wir irgendwann auf der anderen Seite wieder zurück radeln.
    Es regnet jetzt ordentlich, warm immerhin, wir radeln unverzagt und ohne Murren. Die nasse Landschaft im nassen Licht hat ihren ganz besonderen Reiz. Satte Farben, wenn auch trüb, Wolkenfetzen und Nebelschwaden verleihen der eh schon besonderen Natur noch mehr Mystik. Dazu die Stille, die den ruhigen Fluß begleitet. Very zen! Nur an den nassen Hosen klebt das Bewußtsein des Irdischen und halten meine Aufmerksamkeit in der Realität. Das ist gelegentlich auch besser so, denn immer wieder schleicht sich ein E-Auto an oder es donnert einer dieser LKWs vorbei, vollgepackt mit Bambusfloßen, mit denen später weiter flussaufwärts eine Passage inklusive Steuermann für diverse Etappen gebucht werden kann.

    Ich stoppe häufig, um Fotos zu machen, den vergrößerten Abstand zu den vorneweg radelnden Kindern muss ich dann in einem kleinen Spurt wieder aufholen. Ich pedaliere mit Schirm statt Regenhaut, denn sonst würde ich darunter höllisch schwitzen.
    Irgendwann warten die Kinder dann auf mich, mit diesen bestimmten Blicken: Nass, Hunger, Durst, Pause. 200 Meter zuvor war am Wegesrand ein Glashaus direkt am Reisfeld, das sehr einladend aussah und das nicht nur mir aufgefallen war. Einstimmig kehren wir um und ein.
    Es ist ein Teehaus mit selbst gemachten, ausgefallenen Tees, Eis, Kakao und kleinen Gerichten, alles organic, ein Stück Individualität und modernes China. Die Getränke und die taiwanesischen Nudeln halten, was die Karte blumig versprochen hat. Es ist sehr schön bei Regen in diesem Glashaus zu sitzen, heisse, leckerste Getränke zu genießen und hinaus in die triefende Natur zu blicken und sich zu unterhalten. Die eineinhalb Stunden fliegen.
    Der Regen hat nachgelassen und wir schwingen uns wieder auf die Sattel. Ein kleiner Weg zweigt links ab, den wir zunächst zu Fuß erforschen. Er führt uns durch Reisfelder und Bambuschwerk zum Flussufer. Hinter einen kleinen Brücke befindet sich dann ein kleinerer Weg, der direkt am Flussufer entlang führt.m, hier fahren keine Autos. Das ist es doch, wir holen unsere Räder.

    An einer breiteren Stelle des Flusses steigen wir ab und zwischen Steinen herum und testen abwechselnd unsere zwei neuen Steinschleudern, die wir auf dem Markt gekauft haben, richtig coole Dinger. Die üppige Vegetation am Fluss ist fast tropisch, immer wieder Bambusinseln am Uferweg. Das Tal in dem wir gerade sind, ist ständig umgeben von diesen einzigartigen Kalkbergen, Harmonie pur.
    Immer wieder gondeln diese schmalen Bambusfloße an uns vorbei, auf zwei Stühlen sitzen fotografierende Touristen, ein großer bunter Schirm schützt sie vor den Elementen und ein Steuermann hält das Floß mit langem Bambusstab auf Kurs. Manchmal geht es über kleinere Wasserfallstufen etwas rasanter, das ist die Challenge bei dieser Tour, es darf gekreischt werden, liebe Chinesendamen, und es darf heldenhaft beschützt werden, liebe Chinesenherren. So werden Helden gemacht und Herzen erobert.

    Ein gepflasterter Weg führt uns im weiteren zu einem kleinen hübschen offenen Holzpavillion, ein Pagödchen, mit Bänken darunter. Was für eine Einladung! Eine Bank für jeden, nur sehr selten ein Spaziergänger, nur Schmetterlinge und leise kreischende Damen und es hat aufgehört zu regnen.
    Diese Ruhe in dieser fantastischen Landschaft, das ist einfach zu viel der Harmonie, irgendwie döst irgendwann jeder einmal ordentlich weg oder schaut nur zufrieden in die Naturunde oder beschäftigt sich sonstwie mit allem, was da so kreucht und fleucht.
    Wir verlieren das Zeitgefühl, ist das nicht schön?
    Drei Stunden verchillen wir so. Das ist glaube ich das erste Mal, dass wir so richtig zur Ruhe kommen, und das ganz ohne omnipräsente chinesische Gesellschaft.

    Wir beschließen den Uferweg so lange zu beradeln, bis er irgendwann aufhört. Bis dahin müssen wir die Räder immer wieder über hübsche, kleine Steinbrücken hieven, unter denen ein Bewässerungskanal in die zurzeit hellgrünen Reisfelder führt. Immer wieder und immer öfter ziehen Floße an uns vorbei, hier muss irgendwo win Bus sein... Insgesamt begegnen wir auch ganzen drei Hochzeitsshootings auf den Dämmen, die quer in den Fluss hineinragen und die begehbar sind. Die Landschaft ist natürlich eine atemberaubende Kulisse, mit Brautkleid und schwarzem Anzug mit Fliege, ein fast schon kitschiger Fotobackground. Sehr lustig, wie oft das Setting „Braut mit fliegenden Hochzeitskleid trifft auf schmalem Damm bei untergehender Sonne auf erwartungsvollen Bräutigam, mit offenen Armen laufend“ wiederholt werden muss, bis DAS Bild im Kasten ist. Ins Wasser gefallen ist immerhin keiner. Aber ungelogen und ganz neidlos, es ist eine nachvollziehbare Romantik, ein bisschen zu dick aufgetragen vielleicht. Ach, dieses poetische Volk. Auf dem Foto sieht es vielleicht auch noch so aus, als ob die Liebenden gerade über das glitzernde Wasser laufen, die beiden Hochzeits Klöpse in Zartrosa und schwarzer Wursthaut mit Fliege.
    Da hat sie uns auch schon wieder, die Realität und die Endstation der Floßpassagen. Das Tal, die Reisfelder, der Bambus, der Fluss, die Berge, der Sonnenuntergang am Horizont, zum Niederknien, das geht ganz ganz tief rein ins Herz, sage ich euch.
    Schwerst beeindruckt und entspannt radeln wir zurück in die Stadt, immer wieder verwundert über die Art und Weise, Bedürfnisse und die Ausprägungen des einheimischen Tourismus.
    Beim Kletterfels zum Beispiel, sind bei allen Routen die Haken schon in der Wand und am Ende der Route hängen riesenhafte Teddybären, mitten am Fels, ein sehr schräger Anblick. Alles supersafe, convenient, gelenkt, strukturiert und absolut risikofrei, kurze, gepflasterte Wege, Treppenstufen, inszenierte Natur. Die wahre, wilde Natur sieht man an diesen touristischen Orten meist nur aus sicherer Entfernung. Besser so, bevor eine begeisterte Masse alles niedertrampelt. Es ist gar nicht so leicht und bedarf eines gewissen Aufwands, sich in diesem Land individuell spontan off the beaten track zu bewegen. Also das geht natürlich schon, aber ich zumindest bräuchte da einfach etwas mehr Zeit und Muße für Orientierung und Planung.
    Es ist wie immer egal, in welches Restaurant am Ort man einkehrt, die Speisekarten sind wirklich nahezu identisch. Die Location macht oft nur den Unterschied. Wir suchen uns Heute Abend eines der Lokale in der Stadt direkt am Fluss aus. Eine unangenehme Dame mit rauher Stimme belabert uns prompt und penetrantest mit dem Menü eines der Restaurants, die sich hier aneinander reihen. Als wir nicht anspringen, versucht sie es mit diversen Rabattstufen.
    Wir gehen unbeeindruckt in die Lokalität daneben, weil wir nämlich draußen dinieren wollen, auf der Terrasse über dem Fluss mit Blick auf Hafen und Stadt, das gibts im anderen Resto nämlich nicht. Kaum haben wir und gesetzt, kommt eine Bedienung und versucht uns im geschlossenen Gastraum zu platzieren, wo auch alle anderen Gäste sitzen, in Aircon unterkühltem Kaltlichtambiente. Wir wollen Terrasse, als einzige Gäste. Es ist wunderschön da draussen zu sitzen. Das Mückenargument lassen wir auch nicht gelten und sprühen uns demonstrativ ein. Der Ventilator über uns wird ausgeschaltet, wir wollen trotzdem Terrasse. Das Licht wird reduziert. Wir bleiben. Man ist anscheinend sehr besorgt um uns und es ist so gar nicht nachvollziehbar, warum wir gerne an der ungekühlten Luft zwischen diversen Insekten speisen wollen. Dann haben wir sturen Langnasen-Böcke auch schon unsere Gerichte ausgesucht und bestellen bei der resignierten Dame. Das Essen mundet einmal mehr sehr gut bis auf die Tatsache, dass gefüllte Bittergurken tatsächlich richtig bitter sind. Die waren so appetitlich fotografiert in der Speisenkarte.

    Mit aufgestockten Wasservorräten und Knabberzeug kommen wir Zuhause an und verbringen die Zeit bis zum Schlafengehen mit zocken und schreiben und ratschen.
    Wenn wir nachts auf dunklen Straßen mit den Rädern unterwegs sind, haben wir übrigens Stirnlampen an. Der letzte hat dann das Rotlicht am Hinterkopf. Beruhigend auch immer wieder die Tatsache, dass der Straßenverkehr hierzulande nicht sehr schnell ist.
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