• Kurz vor'm Abflug...
    Die Lehre zur Schildkröte abgebrochen und dann Pilz geworden.Es braucht so wenig blau, um den ganzen Tag zu retten.Zossen mit Mützchen, jetzt kann kommen, was will.

    10. August

    August 10, 2024 in Sweden ⋅ ☁️ 11 °C

    Ich habe so gut geschlafen, bis um neun. Dabei habe ich nicht mal mitbekommen, dass es irgendwann in der Nacht angefangen hat zu regnen. Und so kümmere ich mich am Morgen erst mal um die Stellen, an denen es von oben reingetropft hat. Glücklicherweise auf den Rucksack, das ist verschmerzbar, ich decke für die restliche Zeit die Stelle mit meinem Handtuch ab. Es scheint sich eingeregnet zu haben, dabei windet es hier oben am Berg ganz ordentlich und ja, außenrum ist alles grau und neblig. Während des Frühstücks lässt der Regen deutlich nach, es ist mir aber zu unsicher, alles draußen zu packen, wer weiß, wie lange das anhält. Also beginne ich, das Innenzelt und alles runterzunehmen, packe den Rucksack innendrin und habe am Ende nur noch das Zeltcover mit Gestänge und den Außenbefestigungen stehen. Zuletzt heißt es also nur noch die Sturmleinen lösen, die letzten Heringe raus und just in diesem Moment passiert, was niemals passieren darf: Ich bin für einen Moment unaufmerksam und wende mich von der ungesicherten Halbkugel ab, der Wind greift rein und es beginnt die Slapstickkomödie des Morgens, die für mich allerdings gar nicht lustig ist. Wie ein großer Ball rollt die in sich stabile Halbkugel und der Wind kickt sie immer wieder an. Ich renne schreiend hinterher: „Nein, nein, nein…“. Rennen ist in diesem Gelände so eine Sache, da der Untergrund so wechselhaft ist, das ganze Strauchwerk, kleine Löcher, Steine… und es dauert gefühlt ewig, bis ich mich annähere. Dabei gehen wir die wildesten Bilder durch den Kopf: „Was, wenn ich es nicht schaffen kann, nicht schnell genug bin?“ Nach gut achtzig bis hundert Metern bin ich ganz dicht dran, die ersten zwei oder drei Versuche, es zu greifen, scheitern noch, dann habe ich es!
    „Gottverdammte Sauzucht!“ schreie ich es hellwach und pumpend an. Oder eher mich selbst. Da war jetzt eimerweise Glück dabei, dass es nicht den Berg hoch oder sogar runtergeweht wurde, das hätte ich von der Geschwindigkeit her niemals schaffen können. Wie lange hätte ich hinterher rennen können, wenn ich es nicht so schnell geschafft hätte? Okay, nun also zurück zum Rucksack, hier binde ich mir eine der Sturmleinen an den Arm, um alle weiteren Eventualitäten auszuschließen. Gegen elf verlasse ich diesen schönen Schlafplatz. Es zieht sich jetzt noch weiter hoch aufs Plateau der Regen nimmt zu und je höher ich komme, desto mehr Nebel ist dabei, der Wind treibt sie beide quer übers Land. Gleich zu Beginn kann ich noch ein paar Rentiere sehen und ab dann ist es nur die kleine Welt, in der ich mich bewege. Ein paar Wanderer begegnen mir entlang des Weges, die meisten von Ihnen wollen gar nicht stehen bleiben, da sie sofort anfangen zu frieren. War der Weg anfangs eher ein ausgetretener Pfad im Grasland, wird es mehr und mehr steinig und es liegen große Felsblöcke verstreut umher. In diesem Nass in Nass habe ich auch kaum Lust, Fotos zu machen, da eh alles beschlagen ist. Da ist der Typ in der merkwürdigen Aufmachung, der mir am Nachmittag entgegenkommt, doch zur Erheiterung tauglich: Ein kleiner Regenschirm, der teils vom Wind hochgestülpt ist, die Jogginghose mit dazu passenden Schuhen und das lodderige Gepäck wirken irgendwie, als wäre er grad aus einem Heim rausgeflogen. Als erstes fragt er mich nach einer Zigarette… Ein zusammenhängendes gescheites Bild ergibt das in meinem Kopf nicht, wenige Minuten später auf dem Weg löst aber eine junge Italienerin das Rätsel auf. Er ist ihr Freund, und er ist der beste in der Gruppe, sagt sie mir. Braucht all dieses Zeugs nicht, was wir alle haben, gegen Regen und so. Naja, ich glaube, sie mag ihn sehr.
    Was mich mehr umtreibt, ist der Gedanke, heute nur 16 oder 17 Kilometer zu laufen und morgen einen Ruhetag zu machen. Von all den Leuten habe ich soweit die Vorhersagen mitbekommen, dass es heute und auch morgen regnen wird, was für mich bedeutet, einen ganzen Tag und zwei Nächte in der Tropfsteinhöhle zu sitzen. Also ist mein Gedanke eher dahingehend, so lange zu laufen, wie es irgendwie geht und vielleicht doch schon morgen in Kvikkjokk anzukommen. Der Regen ist zwar dort genauso nass wie hier, aber irgendwie ist das Gefühl, dass es dort eine Fjällstation gibt und ich mir irgendeinen von oben trockenen Unterschlupf ergattern kann, sehr verlockend. Ein älterer Herr, der mir gegen vier am Nachmittag begegnet, erzählt mir, dass er jetzt schon deutlich vor der für heute geplanten Zeit aufhört, er hat die ganze Zeit diese Bilder eines trockenen, gemütlichen Zeltes im Kopf und geht jetzt dieser Fantasie nach. Na vielen Dank auch. Zwischendurch beim Blick auf die Uhr bin ich gerade zu erschrocken, wie spät es jeweils schon ist, wenn ich denn mal eine kurze Pause mache. Es läuft sich halt so stupide dahin bei diesem Wetter. Gegen fünf komme ich an einen Platz mit einem Shelter. Ok, Shelter ist etwas hoch gegriffen. Es ist eine große Plane, die man schräg zwischen den Bäumen aufgespannt hat mit einem Brett darunter zum Sitzen. Ein Schwede sitzt dort und sucht Schutz, sie ist total löchrig und überall tropft es durch. Trotzdem wirkt sie einladend und ich setze mich zu ihm. Wir machen eine längere Pause, unterhalten uns gut, insbesondere auch, weil er gerade vom Nordkap kommt. Dabei wird es sechs und ich überlege hin und her, vielleicht jetzt hier mein Zelt aufzubauen, da es sogar eine Toilette gibt. In der Zwischenzeit sind einige Wanderer hier angekommen, die beginnen, ihre Zelte aufzubauen und mich fragen, ob ich auch hierbleibe. Ich hadere noch für einen Moment, breche dann aber auf, weil mir der Gedanke, nach Kvikkjokk zu kommen, noch im Kopf ist. Wie ich den Pfad weiter verfolge, merke ich irgendwann, dass die typisch roten Markierungen an den Bäumen fehlen, obwohl der Pfad selbst gut ausgetreten ist und es hierum nicht allzu viele in der Art gibt, der Blick in die Karte verrät mir, ich bin gut einen Kilometer an einer großen Hängebrücke vorbeigelaufen, die ich hätte überqueren müssen. Also einmal retour, dabei kann ich aber eine ganze Reihe Moltebeeren ernten und nach dieser langen Pause ist mir eh nach Laufen, Laufen, Laufen zumute, obwohl es weiterhin von oben gießt wie aus der Kanne. Und es brauchte wohl genau dieses Verlaufen, denn grad als ich auf dem Weg zurück Richtung Brücke bin, kommt mir die Idee, was ich gegen das Durchtropfen tun kann. Ich hatte schon an den Poncho gedacht, ihn oben drüber zu spannen in irgendeiner Art, aber nein, ich habe ja eine Rettungdecke, sie ist aus stärkerem Aluminium. Dann kann sie ihrem Namen auch alle Ehre machen und mir die nächsten Tage retten, bis ich mein neues Zelt habe. Ich werde sie oben quer über das Zelt spannen, gegen Wegfliegen fixieren und damit den undichten Bereich der Naht vom Wasser freihalten. Yes, das wird‘s. Inzwischen ist es neun geworden und der Regen hat nachgelassen, fast aufgehört, wie erfreulich. Was mich aber noch mehr wundert, statt dunkel wird es immer heller und wie ich mich umdrehe, sehe ich am Himmel ein klitzekleines Stück blau, wo es doch den ganzen Tag eine zusammenhängende graue Masse dort oben war. Für mich ist das die Bestätigung, dass es genau richtig war, weiterzulaufen und ich hoffe einfach mal, dass diese Regenpause jetzt für mich gedacht ist, in der nächsten halben bis Dreiviertelstunde einen Platz zu finden und das Zelt im Trockenen aufzubauen. Genauso wird es auch, gegen halb zehn habe ich auf einem Hügel einen Platz gefunden, der zwar nicht absolut gerade ist, aber der Wind pfeift so schön hier drüber und ich bin jetzt auch nach fast 28 km bereit, den Tag zu beenden. Es ist ein kleiner See ganz in der Nähe, eigentlich zu klein, um das Wasser pur zu verwenden, aber das, was ich hier rausnehme, werde ich eh nur für gekochte Sachen nehmen und damit ist es okay. Der Regen hat tatsächlich aufgehört und das Stückchen Azur ist viel größer geworden. Bei ziemlich starkem Wind konstruiere ich mir auf dem Zelt mithilfe meiner Leine eine Halterung, die das Zusatzdach fixiert und spanne den Rest gleich in die Bäume, um später all die nassen Sachen zum Trocknen aufzuhängen. Das alles nimmt sicher 1 Stunde in Anspruch, die ich aber gerne bereit bin und so kann ich gegen elf die Augen zumachen und freue mich darauf, morgen den Ruhetag abzuhalten, egal wie das Wetter wird.
    Read more