• 16. Juli

    July 16 in Norway ⋅ ☀️ 10 °C

    Ich war die ganze Nacht im Rausch dieses magischen Flusses, an dem ich gegen halb neun erwache und mich vor der Anglerhütte zum Frühstück ausbreite. Während ich das recht lange genieße, träume ich in den Wellen durch das Wasser, dass da so ewig rastlos hastet. Immer weiter und durch nichts aufzuhalten, bis es bald etwas Ruhe findet im Fjord in völlig neuer Umgebung. Salzig und tief und nur der Mond und der Wind bewegen es noch. Gegen zehn schaffe ich meinen Klump wieder die paar Stufen hoch zum Weg und starte kurz danach. Es ist heute wieder Sonnenschein mit blauem Himmel und einigermaßen windig. Für gut 20 km geht es jetzt noch weiter am Fluss entlang, also abwärts Richtung Repparfjorden. Aber was sich so elegant anhört, braucht dann doch deutlich mehr Kraft als gedacht. Der Wind hat sein Spiel von gestern noch nicht ausgespielt und wir drehen die Windrose heute auf Gegenwind. Besonders ab Skaidi, wo ich nach links weg Richtung Westen von der E6 auf die 94 abbiege. Es bläst so kräftig direkt von vorn, dass ich in die niedrigsten Gänge runter muss und teils kaum schneller als ein Fußgänger bin. Der Weg führt mich heute nach Hammerfest, der nördlichsten Stadt der Welt. Die liegt zwar nicht auf der EV-Route, aber ich habe mir am Wochenende überlegt, diese Zeit zu investieren und die gut 60 km pro Richtung zu absolvieren. Kostet mich also je einen Tag hin, einen bleiben und wieder einen zurück bis nach Skaidi. Gegen halb zwölf mache ich eine Pause direkt am Fluss, wo er schon sehr weit wie ein Delta ausgebreitet kurz davor ist, sich gleich in der Klubbucht mit dem Fjord zu treffen. Und da er angesichts der Breite nicht so tief ist, lässt es mir keine Ruhe: Ich muss doch mal da durch. Mit Crocs und der kurzen Hose, die ich eh trage, gehe ich bis zur Mitte eines der Arme, um doch festzustellen, dass die Strömung immens ist. Aber immerhin, wir waren noch mal in direktem Kontakt. Und bleiben in Form von Brackwasser jetzt noch eine Zeit miteinander verbunden, da die Straße sich am Repparfjord entlangzieht. Hier ist deutlich weniger Verkehr, da die Massen doch eher Richtung Nordkap strömen. Was den Wind betrifft, habe ich schnell verstanden, dass er wohl doch den längeren Atem hat und von daher aufgehört, richtig reinzutreten. Ich mache halt langsamer vor mich hin, selbst wenn ich das Tagesziel heute nicht erreiche. Die kleinen Dörfchen mit schmucken Häusern, den vielen Hütten und Bootshäusern auf den kunterbunten Wiesen sind viel zu schön, gerade in diesen hellen Licht, als dass mich irgendetwas stören könnte. An einer dieser schon gut verfallenen Hütten sind ein paar runde Baumscheiben im Gras, auf denen ich gegen halb drei zur Pause sitze. Einziger Wermutstropfen bei aller Fahrerei ist das styroporische Quietschen meiner gefederten Sattelstütze. Schon seit Tagen macht sie bei jeder Pedalumdrehung ein deutlich nerviges Ih-Ih, das insbesondere bei steilen Steigungen durch das schnellere Rotieren durchaus das Potenzial einer Nervensäge hat. Aber irgendwie war ich doch noch nie bereit, mal jemanden nach Kriechöl zu fragen. Zweimal habe ich es mit meinem Kettenöl versucht, das hat mir maximal 2 Stunden Ruhe verschafft. Nichtsdestotrotz geht es quietschvergnügt weiter und gegen drei komme ich an den Kvalsund und die einzige Brücke, die mich sehr windig rüber auf die Insel Kvaløya führt. Den gleich folgenden Tunnel umfahre ich außenrum wunderbar am Meer entlang auf einer einsamen, alten Rappelstraße. Die Sonne sengt, die Hitze steht in der Luft und je weiter ich raus Richtung offenes Meer komme, desto mehr Dunst sehe ich über den gigantisch großen Wasserflächen. Gegen halb vier mache ich noch mal eine längere Pause, versuche mich einerseits der Sonne zu entziehen, andererseits ist dann der Wind im Schatten doch gleich wieder kühl. Ein gutes Stündchen später sitze ich wieder auf dem Bock und beiße mich durch den Wind, teils durch Baustellen, an Pferdekoppeln entlang und immer mal auch mit ein paar Rentieren auf der Straße. Es ist inzwischen gegen sechs, ich nur noch gute 10 km von Hammerfest entfernt und unschlüssig, wohin jetzt. In die Stadt rein habe ich keine Lustvund dieses Fjäll am Meer, das mich hier auf der Insel so unglaublich fasziniert, ruft mich heute irgendwie auf den Berg. Kurzerhand links abgebogen komme ich nach gut 2 km nach Klokkerøy, ein Dörfchen mit wenigen Häusern, einem kleinen Hafen samt Fähre und kleinen, sanften Bergen, die so schön rund und grün sind. Noch während ich dort stehe und vom Hafen ein Foto mache, höre ich auf einmal den Blas von Walen. Und tatsächlich, obwohl hier im Hafen gerade ein neuer Fährkai gebaut wird, tauchen sie mehrere Male auf. Es sind vier Orcas auf Futtersuche. Hundert Meter weiter nach der Baustelle ist ein Anwohner gerade am Rasenmähen, ihn frage ich nach Trinkwasser und wie es aussieht, vorne am Wasser auf den Hügeln das Zelt aufzustellen. Es ist zwar Privatgrund, es spricht aber nichts dagegen und er macht sich auch gleich auf den Weg, meine Flaschen aufzufüllen. Ich lasse die Gelegenheit nicht ungenutzt, ihn auch nach Kriechöl zu fragen und wie selbstverständlich bringt er WD40 mit, so dass ich die Gelenke alle mal ölen kann. Wie erfolgreich das ist, werde ich morgen beim Weiterfahren hören. Habe ich es gestern noch pauschal ausgeschlagen, mein Gepäck zu Fuß irgendwo hinzutragen, ist es heute überhaupt keine Frage, ich raffe alles zusammen und ziehe die gut zwei bis dreihundert Meter auf circa 30 m Höhe. Der Wind ist kräftig, aber das Licht auf die kleine Insel nebenan und der Rundumblick sind einfach fantastisch. Allein Plätze fürs Zelt sind dort, wo ich gern sein möchte, nicht vorhanden. Auf blankem Fels kriege ich es nicht fixiert und weiter zurückversetzt möchte ich nicht liegen. Da das Wetter so toll ist, entscheide ich mich, heute Nacht ganz ohne Überdachung zu schlafen. Die Stelle ist schnell ausgemacht und während ich beginne, gegen acht gerade das Essen vorzubereiten, schaue ich dabei schon immer wieder über den Strømmen südwestlich rüber auf die Insel Seiland. Und wie ich mich allein schon über diesen Platz hier oben so vor mich hin freue, zieht doch tatsächlich die vierköpfige schwarz-weiße Familie draußen Richtung Norden an mir vorbei. Ich kann sie lange beobachten, wie sie zum Atmen immer wieder auftauchen und auch, wie schnell sie doch unterwegs sind. Dafür lasse ich natürlich alles stehen und liegen. Dieser Platz ist so ein Geschenk, schon jetzt ist der Umweg hier raus jeden Meter wert gewesen, selbst wenn ich Hammerfest noch gar nicht erreicht habe. Irgendwann gegen elf lege ich mich dann tatsächlich hin, ziehe alles recht dicht zu, da der Wind seit circa um zehn massiv nachgelassen hat und sich daher doch die eine oder andere Mücke hierher verirrt. Ein wunderbarer Liegeplatz, wie wir Matrosen sagen. Vom Gefühl her einer der schönsten Plätze, an denen ich bisher überhaupt übernachtet habe. Und so habe ich geradezu Angst, einzuschlafen. Angst, etwas zu verpassen und so reiße ich immer wieder die Augen auf, wenn sie mir doch kurz zufallen, weil hier eine Möwe schreit, da noch ein Schiff vorbeifährt oder sonst irgendetwas mich anspricht. Nicht zuletzt ist auch das Licht von hier oben aus ganz intensiv und so wird es ungefähr zwei in der Frühe, bis ich tatsächlich schlafe.Read more