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  • Day 151

    Selbstverantwortung

    February 7, 2023 in Ghana ⋅ ☀️ 31 °C

    “Ein halbes Jahr braucht der Lehrer jetzt schon, bis er fertig ist mit Korrigieren.”

    Ich grüße Euch warm und ruhig. Die Schule hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf mich und ich fange jetzt erst an, angeeignete Denkmuster und Gewohnheiten zu entdecken. Wir haben eine Art zu lernen, gelernt. Aber eben nur eine. Das Fehlen eines Bestätigungssystem stresst mich.

    Recht Früh, ungefähr nach dem ersten Monat meines nicht mehr neuen Arbeitsalltags, habe ich das erste Rückbleibsel des Schulalltags entdeckt. Ein positives. Während vor fünf Jahren um 14 Uhr an einem durchschnittlichen Wochentag schon seit zwei Stunden verpixelte Schwerter und Baublöcke in meinem Kopf rumschwirrten, ist mein Arbeitstag heute gerade mal zur Hälfte vorbei.

    Es war ein nicht wertgeschätzter Luxus, die zweite Hälfte des Tags frei gestalten zu können. An einem Wochenende habe ich diese Erkenntnis gemacht, denn vor allem Sonntags und Montags klammere ich mich an die 48 frei gestaltbaren Stunden und schaue dem unaufhaltbaren Zeiger nach. (meine untere Woche endet Samstags)

    Ich bin mir sicher, dass auch dieser Stundenplan zur Gewohnheit wird und man leichter Wege findet, die Sekunden vor und nach dem Arbeitsblock energievoll zu nutzen, aber es kann langfristig doch nicht gesund sein, täglich acht Stunden im gleichen Setting, zu arbeiten. Mal davon abgesehen, dass es erschöpfend ist, den Großteil des Sonnenlichts in einem schattig, sitzenden Umfeld zu verbringen und es mir nicht möglich erscheint, sich, ohne Situationswechsel, für diesen langen Zeitraum zu konzentrieren, stresst mich das Konzept der Arbeitszeit mehr, als die zu verrichtende Arbeit selbst.
    Von 10 Uhr morgens bis 18 Uhr Abends fühlt es sich falsch an, arbeitsunabhängige Sachen zu tun. Ein Blick auf die, vom Doppelpunkt getrennten, Zahlen auf dem Handy reicht also aus, um in uns ein Gefühl von Unproduktivität auszulösen. Ausgeschlossen der Mittagspause natürlich. Eine Stunde in der man schnellstmöglich alle, am morgen ausgedachten, Gedanken wegschiebt.

    Mit meiner jetzigen Arbeitssituation bin ich trotzdem sehr zufrieden. Basketballtrainings am Nachmittag gleichen den interessanten, aber energieziehenden Vormittag aus, so dass ich mich im Konstrukt der Arbeitszeiten gut zurecht finde. Bei DUNK arbeite ich in einer mich inspirierenden Umgebung und ich bin einer Platform ausgesetzt, die es mir ermöglicht, kreative Gedanken zu teilen und verwirklichen. Ob ich’s dann auch wirklich mache und wie diese Projekte aussehen, ist meine Verantwortung.

    Selbstverantwortung ist ein Stichwort und Gefühl, das mich seit den letzten 4 Monaten begleitet. Auch das Verantworten hat einen Bezug zu meiner Schulzeit.

    Zehn Jahre lang hat uns unsere Jugend durch ein Labyrinth ohne Abbiegungen geschoben. Zeit als Antriebskraft. Abi als Ziel. Aber was als Perspektive?

    Minimale Gestaltungsmöglichkeiten machten das Schulleben bis hin zur Oberstufe zu einem starren, einfachen Weg, den man nicht hinterfragt hat. Wieso sollte man sich mit seinem “Leben nach der Schule” beschäftigen, wenn man Montags und Freitags drei Stunden Bio hat, oder Dienstags, Mittwochs und Donnerstags drei mal die Woche Sportunterricht?
    Die Fächer und Themen waren gesetzt, es gab also keinen Raum, in dem man sich selbst und seinen Interessen ausgesetzt war. Keine Motivation, über die vom Lehrplan diktierten Inhalte, hinaus zu denken.
    Ab der Oberstufe wurde es besser, weil es mehr Möglichkeiten gab, vor allem seine Leistungskurse, zu wählen. Aber nach dem man die 2 wöchige Frist zum Kurswechseln am Anfang der K1 verpennt hat, war die Wahl auch wieder einmalig und die, in Kursen getarnten, Fächer, gesetzt. Kein Raum für Veränderung. Kein Raum für Selbstbeschäftigung. Nur der Inhalt des jeweiligen Fachs selbst.

    In den Fächern selbst gab es ähnlich wenig Freiraum, was unter anderem dazu führte, dass die Frage, was ich denn später machen wolle, meist auf ein “Hasch ja au no Zeit” rauslief. Dadurch, dass es klar war, was wir wie, wo, wann und mit welchem Lehrer lernen, habe ich mich der Verantwortung entzogen, mich mit meinen eigentlichen Interessen und zukünftigen Lebensvorstellungen zu beschäftigen.

    Dieser Blogeintrag ist ein Ausschnitt meiner Gedanken, ich kritisiere nur indirekt das Schulsystem, indem ich einige überraschende Rückstände aufschreibe. Verbesserungsvorschläge habe ich nicht. Noch nicht.

    Lasst mich zum Einleitungssatz zurück kommen. Ein halbes Jahr ist es her, seitdem die Herzen im Klassenzimmer schneller schlugen, seitdem die rot umkreisten “Notenpunkte” darauf warteten, von fixierten Augen entdeckt zu werden. Das Seufzen, die Beleidigungen oder die “JA MANN!”s wurden nur gedämpft wahrgenommen, während die Gesamtpunktzahl mit der Zahl im Taschenrechner verglichen wurde.

    Eine Beobachtung: Auf dem Weg durch die Klassenzimmertür zum Schulhof, um sich bei den Anderen um die ungerechte mündliche Note zu beschweren, konnte man die selben, umkringelten, meist einstelligen Notenpunkte im Mülleimer finden.
    Die Klausuren und vor allem die wertvollen Antworten, wurden teilweise direkt weggeschmissen. Und somit das gelernte Wissen.

    Trotzdem fühlt es sich im Gegensatz zur Schulzeit jetzt so an, als ob ich nichts lerne. Dabei weiß ich, dass ich sogar mehr lerne. Wieso?

    Weil es kein Bestätigungssystem mehr gibt. Ein Teil von mir wartet wie gewohnt auf Benotungen, aber nun gibt es keine externe Instanz mehr. Kein Lehrer der mich korrigiert und bestätigt.
    Wenn ich damals sporttheoretische Prinzipien auswendig gelernt habe, hatte ich ein paar Wochen später einen Beweis, dass ich mir das Wissen angeeignet habe.
    Eine Metrik, die mir sagt, ob und zu welchem Ausmaß ich ein Thema gelernt habe. Dabei konnte ich die Prinzipien bis dahin gar nicht mehr auswendig.

    Heute sagt mir mein Nachbar, ich habe mich gut eingelebt. Dementsprechend muss ich ghanaische Verhaltensmuster gelernt und mir angeeignet haben, oder? Trotzdem fühlt es sich ohne Zahl, ohne Nummer, die evaluiert und bestätigt, nicht danach an.

    Eine letzte Sache: Der Notendurchschnitt zum Ende der Halbjahre, war eine Einheit, die Entwicklung angegeben hat. Zu wie viel Nachkommastellen
    hat man sich verbessert oder verschlechtert?

    Dieser Vergleichswert alleine hat aber natürlich nicht gereicht. Man hat sich automatisch mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern verglichen. Dabei sollten die Notenskalen an sich doch der Vergleichswert und die Bestätigung sein, dass man etwas, zu einem gewissen Ausmaß, gelernt hat. Die Metrik alleine (1-6; 15-0) und die dazugehörigen Bezeichnungen waren aber mangelhaft und ungenügend.

    Das Zeugnis gab also eine Übersicht, wo man gerade steht, wo man stand und wo die anderen stehen. Durch “Was hast du für’n Schnitt?” wurden die Noten auch gerne auf die komplette Entwicklung, auf den ganzen Menschen projektiert, dabei erfassen sie nur so wenig.

    Eltern kennen das vielleicht. Auf die Frage, wie sich der Kleine denn mache, wird tendenziell eher auf die Schulentwicklung, in Form von Testergebnissen oder Lehrergesprächen, verwiesen und nicht darauf, wie er sich mittlerweile seine Schuhe selber bindet und den Schulweg alleine läuft. (Habe keinen Beweis und vielleicht kommt’s euch trotzdem bekannt vor.)

    Zahlen in Metriken sind anschaulich und bestätigend. Ich würde mich über eine Zwei im Verhalten, nachdem ich die letzten Jahre immer Dreier hatte und letztes Jahr sogar eine vier, auch mehr in meiner Entwicklung bestätigt fühlen, als wenn mir der Lehrer sagt “Du benimmst dich ja gar nicht mehr so schlimm wie Früher…”

    Es gibt keine Noten mehr. Seit letztem Sommer führt mich niemand mehr durch das Labyrinth. Aus keinen Abbiegungen, wurden unendlich viele. (M)eine Definition von Selbstverantwortung.

    Bilder und ein Update von mir folgen. Danke, dass Ihr euch die Zeit nehmt, meinen Blog zu lesen. Feedback und weiterleiten ist willkommen.

    Ganz liebe Grüße,
    Euer Jascha
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