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  • Day 230

    Tag

    April 27, 2023 in Ghana ⋅ 🌧 24 °C

    Mehr als die Hälfte meines, von Euch ermöglichtem, Freiwilligendienstes ist nun vorbei.

    Eine der ”richtigsten” Entscheidungen meines Lebens, denke und spüre ich.

    Ich erlebe unendlich viel, so dass es mir schwer fällt, an Erfahrungen festzuhalten. Zwischenfazite zu ziehen, zu reflektieren. Dafür nehme ich mir wenig Zeit.
    Dadurch, dass mein Aufenthalt in Ghana von einer 22 und 23 eingerahmt ist, entsteht ein eigenartiges Zeitgefühl.

    Einerseits finde ich acht Monate eine lange Zeit.
    Andererseits habe ich das Gefühl nur mit einschlafen und aufwachen beschäftigt zu sein, weil die Tage so schnell vergehen.
    Ein Grund dafür sind sicherlich meine Arbeitszeiten.

    Das Tor ist manchmal schon verschlossen, die letzten Nachbarskinder schauen in der, mit Fernseher ausgestatteten, Schneiderei gegenüber Serie und die Sonne ging vor 2 Stunden regelgemäß unter, wenn ich vom Tag in Jamestown, zu meiner Heimatstadt Nima zurückfahre.

    Lasst uns die Uhr neu aufziehen, während ich Euch von einem typischen Tag in meinem Leben erzähle.

    Von Dienstag bis Samstag (keine Schule = mehr Kinder) stehe ich um Acht auf, putze meine Zähne, ziehe mich an, vergesse zu frühstücken und plane mit Cleo die Hinfahrt zu unseren Arbeitsplätzen.

    “GuMo Jascha, Bolt oder Trotro?”

    Bolt, ein “Taxi” Vermittler wie Uber, ist in Deutschland reguliert. Hier nicht, was zu einer noch größeren Konkurrenz unter Transportdienstleistern führt. Ein großer Komfort, zu kriminell niedrigen Preisen, bei denen man sich manchmal fragen muss, ob die paar, stumm übergebenen, Cedis überhaupt die Tankkosten decken.

    Dann gibt es noch das Trotrosystem, über dessen unfassbare Verlässlichkeit und landesweiten, ‘tschuldigung, kontinentweiten, Umfang, ich einen eigenständigen Eintrag schreiben müsste.
    Zusammengefasst: Typisches Fortbewegungsmittel mit der Möglichkeit, etwas wachmachendes, wie zum Beispiel das Abfallen der Tür, zu erleben. Pro.

    Die Tendenz meine Lebenserwartung erheblich zu verringern und Unkomfortabilität stehen dem schwitzenden Minibus entgegen. Deshalb und vor allem, weil wir für’s Trotro eine halbe Stunde früher aufstehen müssen, holt uns meist ein Toyota Vitz vor der Haustür ab. Das Vorkommnis dieses Automodels unübersehbar.

    An einer der ausführlichen Ampelphasen in Accras (Vulkan)ausbrechenden Verkehr, werden einem von Wassertütchen, bis hin zu Gesetzbüchern und Steinschleudern, ziemlich alles vorstellbare angeboten. Die gelassenen, zwischen den Autoreihen schlendernden Verkäufer*innen, müssen aufpassen, nicht von Motorrädern erwischt zu werden, während sie das Rückgeld durch die (immer) offene Fensterscheibe reichen.

    In Jamestown angekommen, biegen wir kurz vor dem bekannten Lighthouse ab und kommen mit Blick auf den Basketball Court und Cleos Stelle, dem Theater, zum Halt.

    Immer wieder werde ich von großen Zelten oder anderen Gerüsten auf unserem Platz begrüßt. Seine Funktion geht weit über die zwei Basketball Körbe hinaus.
    Es ist ein beliebter Veranstaltungsort in einer Stadt mit so wenig freien Raum. In Ghana ist es sowieso üblich, Feste mitten in der Öffentlichkeit zu feiern. Ein Grundstück, das alle Gäste bewirten kann, haben nur die Wenigsten im vollgepackten Accra. Dementsprechend kann es gut sein, dass man einen Umweg fahren muss, weil die Straße von einer Beerdigung besetzt ist.

    Das Besondere bei solchen Veranstaltungen ist, dass sich jeder zu jeder Zeit zusetzen kann. Ghanas (Gast)Freundlichkeit und Gemeinschaftlichkeit ist berührend.
    Es spiegelt sich in allen Bereichen wieder, vor allem aber beim Essen. “Your’re invited!” Eine, nicht nur daher gesagte, Aufforderung zum Teilen.
    Anfangs war es noch ungewohnt, gemeinsam von einem großen Teller zu essen. Jetzt käme mir die Frage “Getrennt oder Zusammen?” absurd vor. Heute zahlt einer, das nächste mal der Andere. Wenn es kein nächstes mal geben sollte, ist das auch gut, denn das was man hat, genießt man zusammen.

    Im stickigem Büro angekommen, begrüßen mich meine Kollegen freundlich.
    Abgesehen von der Hitze, herrscht im Büro eine optimale Arbeitsatmosphäre.
    Allgemein befinde ich mich bei DUNK in einer Umgebung, die mir das Gefühl vermittelt, wertvoller Teil eines großartigen Projekts zu sein. DUNK macht viel und ich sehe täglich, wie Leben positiv beeinflusst werden.

    Den administrative Morgen lasse ich gegen 14 Uhr hinter mir, wenn ich mich zielsicher auf die Suche nach Nahrung mache. In vier von fünf Fällen gönne ich mir Bohnen, in Kombination mit frittierten Kochbananen. “Red-Red” oder “Gob3” heißt das Gericht und mein Spitzname.

    Vollen Magens bereite ich schließlich das Basketballtraining oder die Nachmittagsaktivitäten vor. Natürlich macht es am meisten Spaß, meine Kids zu trainieren. Es gibt neben meinem U16 Team, aber auch noch die ganz Kleinen, eine Frau- und eine Mannschaft.

    Ein kurzer Exkurs in meine Vorbereitungszeit in Ostfildern.
    Geplagt von Zukunftsängsten, lag ich eines frühjährlichen Morgens im Bett und scrollte durch weltwärts FSJ Angebote. Einzige Bedingung, Ausland.

    Nach einer Stunde Zukunftsbeschäftigung, bin ich über meine jetzige Gegenwart gestolpert und war interessiert. Noch am selben Tag, eine Woche vor der Bewerbungsfrist, habe ich also angefangen mein Motivationsschreiben an Aminu e.V. zu formulieren.
    Vier Wochen später lief ich, zwar immer noch übermüdet, aber entspannter zur Schule, da ich endlich wusste, dass etwas auf mich warten würde und ich nicht planlos dem postschulischem Chaos ausgesetzt sein würde.
    Was genau mich in Ghana erwarten würde? Darüber habe ich mir nie wirklich Gedanken gemacht. DUNKs Präsentation auf weltwärts Website reichte mir anscheinend. Wenn immer ich von meinen ghanaischen Zukunftsplänen erzählt habe, musste ich selbst grinsen, weil es so surreal schien.

    In Ghana gelandet, merkte ich schnell, wie gut es mir tat und tut, dass ich mich damals nur eine Stunde mit meiner Zukunft beschäftigte, denn gemachte Erwartungen stellten sich schnell nicht nur als unrealistisch, sondern als lächerlich, heraus. Die Umstände hierzulande sind unvergleichbar (weder negativ noch positiv), weshalb man große Anpassungsfähigkeit entwickeln muss.
    Wenn man also von Anfang an so gut wie keine (bewussten) Erwartungen hat, erleichtert das einiges.
    Erwarte das Unerwartete habe ich gepredigt, als mich letztens meine Mama und mein Bre besucht haben. Ein lebenswichtiges Mantra für mich.

    Zurück nach Jamestown.
    Eines dieser unerwarteten Phänomen ist die vielfältige Rolle eines Jugendtrainers. Erst jetzt fange ich an meine ehemaligen Trainer, mit ihren verschiedenen Persönlichkeiten und ihren unermüdlichen Aufwand wertzuschätzen.

    Ich denke, nicht nur jemand, der Übungen vormacht, zu sein, sondern manchmal fühle ich mich wie ein Vater. Basketball und das Umfeld bei DUNK bedeuten den Kindern unvorstellbar viel. Es ist eine Art Flucht aus einem schwierigem Alltag. Zeit, in der man unbedingt(e) Freude haben kann.
    Viele meiner Kinder sehe ich jeden Tag, so bin ich nicht nur für ihre basketballarische Entwicklung verantwortlich, sondern auch Bezugs- und Erziehungsperson. Anfangs habe ich das noch nicht so gesehen, aber umso mehr Zeit ich mit Allotey, Oko, Rauf, Atta Ayi und Co verbringe, desto mehr Verantwortung übernehme ich.

    Den letzten Pfiff gepfiffen, fülle ich noch ein digitales Anwesenheitsformular aus, um unsere Monitoring & Evaluation Protokolle einzuhalten und lasse die Bälle, Leibchen und Hütchen an den vorgeschriebenen Platz bringen. Zu guter Letzt, kriegt jeder ein oder ein halbes Tütchen Wasser.

    Während ich vor einem Jahr unter der Spielerbank noch zwischen den vielen, mit Sprudel-, Isotonic-, oder Magnesiumwasser gefüllten, Flaschen suchen musste, können sich unsere Spieler diesen Luxus nicht leisten. Wahrscheinlich nicht mal vorstellen.
    Einen eigenen Ball hat keiner meiner 16-jährigen Jungs, wir spielen meist ein halbes, höchstens ein Spiel pro Monat, auf Grund von zu hohen Transportationskosten.

    Auf dem Heimweg grüße ich noch die bekannten Gesichter an den Haltestationen und schaue zufrieden durch die Gegend.

    Tolles Leben.

    Am Ende des Tages bin ich d’accord mit meinen Arbeitsgewohnheiten und
    habe versucht keine Wertungen in meine Alltagsbeschreibung einzubauen.

    Manchmal…
    …vergesse ich mich selbst und meine Geliebten und ich bin mir auch sicher, dass es mir langfristig nicht gut tun würde, so viel (gedankliche) Zeit auf Arbeit zu verbringen.

    Meistens…
    … bin ich dankbar für mein Leben in Ghana und meine Integration bei DUNK und vertraue in eine fortschreitende Entwicklung, durch Aussetzung in einem inspirierendem Umfeld.

    Grüße und ein riesiges DANKESCHÖN an all meine Spender*innen. Ihr ermöglicht mein Glück.

    Euer Jascha
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