• 29.11. ganz "harter Tobak" in Varanasi

    December 1, 2024 in India ⋅ ⛅ 24 °C

    Der Nachmittag begann ganz harmlos, endete aber wirklich gruselig und gefühlt so dreckig, dass ich nach der Rückkehr ins Hotel ALLES waschen musste, was ich am Körper trug - - inklusive Schuhe und lange heiß duschte. Die Eindrücke ließen sich jedoch nicht abspülen...
    Nach einem Vormittag mit Waschen, Blogeinträgen, Hotel buchen etc traf ich Nikhil um 13 Uhr im Karki, weil ich ihn dort zum Lunch und Bier einladen wollte. Lange waren wir die einzigen Gäste dort und hatten Pasta + Lassi (ich) und Pizza + Bier (er). Als ich eine Mail entdeckte mit der Rückerstattung der Ticketkosten für den Zug am 1.12. ( Begründung: "all seats occupied")., war ich erstmal frustriert. Wo ich die Online- Buchung doch zum 1. Mal ganz alleine bewältigt hatte! Dann war ich aber einfach froh, mit Nikhil am Tisch zu sitzen, der ja die RICHTIGE indische Bahnapp UND das Knohow hat. Er buchte mir also in der kommenden Stunde - ja, das dauert alles (Telefon- und Pass- Nr, alle meine sonstigen Daten, diverse missglückte Bezahlversuche mit meiner MasterCard...) Schließlich bezahlte er meine beiden nächsten Tickets (am 2.12.nach Agra, am 3.12. nach Jaipur) mit seiner Karte und ich gab ihm alles in bar...
    Obwohl jetzt alles nochmal einen Tag später war (früher gab's keinen freien Zug Platz von hier nach Agra), war ich so FROH!!! 🙏 (Das Hotel für den 1.12. zu stornieren und auf den 2.12. neu zu buchen war nun wirklich das kleinste Problem.) Und: so hatte ich noch einen Tag mehr hier in Varanasi, was mir im Grunde Recht war. Wenn das ältere französische Paar hier jedes Jahr 4 Monate verbringen kann, dann würde ich es wohl auch gute 4 Tage aushalten können... 😉👍

    Okay - nun ging's los mit unserer Sightseeing- Tour zu den hinteren Ghats einschließlich des Manikarnika-Ghat mit den vielen offenen Krematorium- Scheiterhaufen. Wir fuhren per Tuktuk zum Ghat davor und gingen Ghat für Ghat weiter zu Fuß stadtauswärts bzw. flussaufwärts. Dabei machten wir gegenseitig diverse Fotos.
    Allerdings ist offiziell am Krematoriumsghat selbst jegliches Fotografieren streng verboten.
    Hätte ich dem Typen, der mich dazu überreden wollte, allerdings Geld gegeben, hätte ich es sehr wohl tun können. Aber sein aufdringliches Drängen nervte mich so, dass ich dankend ablehnte. Die Bilder bleiben MIR sowieso und meine "Follower" sollen selbst entscheiden, ob sie Bilder im Internet ( YouTube?) suchen und anschauen wollen.
    Ein junger "Guide" hatte uns beide nämlich sofort am Wickel und führte uns schließlich nicht nur ZU, sondern mitten IN die brennenden Scheiterhaufen. Die Leichen sind lose in schlichte helle Baumwolltücher gewickelt, aber da man die Körperumrisse sehr gut erkennt und zum Teil Haare oder Füße herausgucken, weiß man meistens, ob es Männer oder Frauen, Jüngere oder sehr Alte sind. Die Zehen der Frauen haben z.B. oft Fußringe...
    Generell tragen die Verstorbenen oft Schmuck. Da die Asche anschließend in den Ganges geworfen wird, gibt es dort offenbar "Goldsucher", die am Ufer und im Wasser nach Gold- oder Silberschmuckstücken fahnden...
    Wir wurden also zuerst an mehreren Barbieren vorbeigeleitet. Die sitzen da und rasieren den männlichen Hinterbliebenen- also engen Verwandten (Kinder, Geschwister) die Kopfhaare vollständig ab. Nun ging es an kleineren Verbrennungsstätten vorbei bis wir am Ende direkt auf der obersten Plattform standen- kaum 1 m entfernt von der ersten Reihe mit etwa 5 Feuern. Dahinter nochmal etwa 3 Reihen... Es war heiß wie in der Hölle, dabei soll das ja der allerheiligste Platz sein, an dem die Verstorbenen DIREKT ins Nirwana kommen, wo sie Moksha ( Erlösung) erlangen. Wer hier verbrannt wird, der / die muss keine Wiedergeburt mehr fürchten. Es geht von hier aus pfeilgrad sündenfrei in den Himmel! Weshalb die gläubigen Familien offenbar aus dem ganzen Land die Leichen ihrer Verstorbenen herbringen. Unser selbsternannter "Guide" erzählte, dass hier ständig 27 Feuer auf einmal brennen, dass eine Leiche mindestens 3 Stunden braucht, bis sie vollständig zu Asche geworden ist und dass am Tag hier zwischen 300 und 400 Leichen verbrannt werden. (Die Rechnung geht SO allerdings nicht ganz auf?) Denn: Der zweite, stadtnähere Verbrennungsplatz Hatichandra ist nur sehr klein - mehr als 3 Scheiterhaufen gab es da nicht, als ich am Tag danach mit Dipa vorbeikam.
    Oben auf die Plattform, wo wir in der "Vorhölle" schmorten, dürfen keine weiblichen Angehörigen hoch - nur Touristinnen wie ich. Denn: Frauen sind zu emotional 😭 und heulen oft. Dann kann der / die Tote nicht gehen, d.h. kommt nicht ins Nirvana.
    JEDER Guide - selbst mein sehr wortkarger Ruderer vom erstem Morgen! - erklärt einem voller Inbrunst, dass 5 Sorten von Verstorbenen prinzipiell NICHT verbrannt werden dürfen bzw. dies nicht benötigen: Kinder unter 10 Jahren, Schwangere, Sadus, Menschen, die von einer Schlange gebissen wurden oder welche, die an ... leiden (habe Krankheit vergessen) Sie werden in den Ganges geworfen und kommen von dort aus direkt ins "Paradies".
    Ich war froh, dass ich schon morgens daran gedacht hatte, wenigstens eine FFP2- Maske mit zu nehmen. Dass der Rauch und Gestank hier mehr als unangenehm waren, brauche ich wohl nicht zu betonen. Über die Einzelheiten, die ich gesehen habe, schweige ich besser...
    Es war ein gruseliges Gefühl, direkt über die Bambus-Bahren zu gehen - also AUF das Holz, den trockenen Dung, die abgewickelten farbenfrohen äußeren Stoffbahnen und Dekorationen der Bahre zu treten, mit denen die Körper her transportiert worden waren. Darunter viele Schichten weicher weißer Asche .
    Die Bambustragen bleiben übrig, weil der eingewickelte Körper am Schluss von der Bambustrage herunter genommen und direkt auf einen Holzstapel gelegt oder gar geworfen wird...
    Sogar Nikhil, für den diese Verbrennungsrituale ja "normal" und nicht weiter irritierend sind, schien hier über das Ausmaß der "Abfälle" etwas entsetzt. Er äußerte sein Befremden darüber, dass das hier angeblich einer der heiligsten Plätze ist, aber gleichzeitig einer der dreckigsten...
    Angeblich wird einmal täglich "aufgeräumt". Meine emotionale Betroffenheit wurde natürlich vom Guide waidlich ausgenützt. Er verlangte von mir eine dicke Spende - angebliche für die Armen, die sich die Kosten für eine Verbrennung (Holz?) nicht leisten können. Ich gab seiner Meinung nach zuerst viel zu"zu wenig' - nur 700 Rupien, sprich 7,50 € woraufhin er voll einen auf moralisch machte und ein Riesendrama veranstaltete: ich sei nur einmal im Leben hier, und würde hier etwas lernen fürs Leben... (Blablabla) Nach weiteren 500 Rupien gab er sich schließlich "zufrieden". Nikhil meinte, dass davon wahrscheinlich nur etwa die Hälfte an die "Armen" gehe. Dipa und ich sind aber überzeugt, dass der Guide ALLES selbst behält. Egal. Sie meinte heute, dass ich mich nicht ärgern solle, weil mein Karma durchs Geben gut sei, seins durch den "Betrug" aber ganz schlecht. ;-)

    Nachdem das überstanden war, klapperten wir alle weiteren Ghats bis zum letzten ab.
    Bei einem Hotel mit hübscher Außengastro tranken wir Capucchino. Am allerletzten Ghat hörten und sahen wir noch bei einer Art " Schüler- Arati" zu. Die jungen Brahmanen werden hier zu Priestern ausgebildet und üben offenbar hier die allabendliche Zeremonie.
    Der Heimweg war dann wirklich nochmal eine Nervenprobe mit Höllenlärm und Gehupe- zu Fuß, per Tuktuk und per Fahrradrikscha. Der arme Kerl, der uns barfuß ! auf seiner Rikscha und eine Teil des Weges zusammen mit weiteren durch Höllenverkehr bugisierte, tat mir echt leid. Ich bezahlte ihn deshalb großzügig Wir waren ja bis zum allerletzten Ghat gelaufen, d.h. hier in die Außenbezirke verirrten sich offenbar kaum Touristen. Es war wirklich wieder eine andere, mir doch SEHR fremde Welt. Ich fühlte mich ein bisschen wie in einem Film - zurück in die Vergangenheit (Teil 2 nach der mittelalterlichen Scheiterhaufen- Zeremonie).
    Wir gingen dann noch kurz am Assighat in einem indischen Terrassenrestaurant Abend essen und verabschiedeten uns dort. Nikhil war etwas wehmütig, weil sein "Urlaub" morgen früh zu Ende geht...
    Und ich glaube - er sagte das auch! - , dass er es besonders heute nett fand, die Zeit mit mir zu verbringen statt alleine. Ich glaube wir fanden uns gegenseitig nett und unkompliziert.
    (Anmerkung: Nikhil erkundigte sich während der folgenden 2 Wochen immer wieder wie es mir geht und schickte mir nun auch Weihnachts- und Neujahrswünsche)
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