- Show trip
- Add to bucket listRemove from bucket list
- Share
- Saturday, January 30, 2021
- 🌧 2 °C
- Altitude: 64 m
GermanyAltstadt Nord50°56’12” N 6°57’32” E
Die Holzfahrt des Marsilius

Vierkaiserjahr in Köln
Es begab sich im Jahre 69 nach Christus, dass ein Jahr nach Kaiser Neros Tod sich mehrere Rivalen um den Thron im römischen Imperium zankten. Wobei zanken etwas untertrieben klingt. Die römischen Heerführer fochten blutige Bürgerkriege untereinander aus. Auch der römische Statthalter in Köln mit Namen Vitellius sah seine Chance gekommen. So ließ er sich in Köln von den dort stationierten Legionen am Rhein zum Kaiser ausrufen. Aber wieso meuterten die Legionen am Rhein?
Ein Grund war, dass der neue Kaiser Galba bei seinem Amtsantritt den Legionen am Rhein nicht den Geldbonus zahlte, den andere Legionen erhalten hatten. Galba hatte die Truppen am Rhein schlichtweg nicht bedacht.
Nach einem Jahrhundert, in dem Kaiser kamen und gingen, wurde von jedem Legionär erwartet, eine saftige Bonuszahlung zu bekommen, wenn ein neuer Kaiser sein Amt antrat. Das Leben in der Legion war eh kein Zuckerschlecken.
Und jetzt auch noch das!
Wenn der neue Kaiser im fernen Rom ihnen nicht den Respekt entgegenbrachte, den sie verdienten, suchten sie sich einen anderen, der dies tat. Vitellius spürte diese Stimmung und nutzte sie erfolgreich aus. Mit einer Parade durch die Stadt proklamierten sie ihn als neuen Kaiser. Glückselig führte ihn die Parade wohl auch über die antike Hohe Straße. Dabei soll er aus dem örtlichen Tempel des Mars gar das Schwert des inzwischen vergöttlichten Cäsars erhalten haben.
Für Köln bedeuteten die folgenden Wochen, dass in der jungen Stadt reger Betrieb herrschte. Truppen aus der ganzen Region waren in und um Köln versammelt. Man wollte ja in den Krieg ziehen nach Italien. Die Aussicht auf Gold und andere Reichtümer ließ auch die Legionen aus Britannien, Gallien und Spanien zu Vitellius stoßen.
Marsilius
Bis hierhin ist nahezu alles bisher geschriebene historische Wirklichkeit. Aber was wäre die Geschichte unserer Stadt ohne eine Sage? Hier kommen wir zum tapferen Kölner Bürger Marsilius.
Marsilius war ein ehemaliger römischer Hauptmann und nun pensionierter Veteran, der sich nach seinen aktiven Jahren im Militär in der römischen Kolonie Köln niedergelassen hatte. Wie viele seiner Kameraden waren sie mit Mitte 40 in den Ruhestand getreten und hatten sich in der neuen, jungen Stadt am Rhein niedergelassen. Für ihre treuen Dienste hatten sie entweder Geld oder Land in der Region erhalten. Auf dieser Grundlage würden sie den Rest ihres Lebens als Kaufleute oder Bauern leben und vielleicht sogar nebenbei eine Familie gründen.
Was ist für junge Eltern am wichtigsten? Natürlich ein gutes und gesundes Umfeld zu haben, um die Kinder aufzuziehen.
Einen Usurpator (jemand, der widerrechtlich etwas in Besitz nimmt, bzw. die Macht an sich reißt) in offener Revolte gegen das damals mächtigste Reich der bekannten Welt in der eigenen Stadt zu haben, ist jedoch nicht das, was man sich als fürsorgliche Eltern wünscht.
Marsilius wollte, dass Vitellius und seine Legionen aus Köln verschwinden. Bald hatte er viele Menschen in Köln von seinem Anliegen überzeugt. Mit deren Unterstützung heckte Marsilius einen Plan aus:
Die Holzfahrt
Alle Legionen von Vitellius waren in schnell errichteten Lagern außerhalb von Köln stationiert. Vitellius verließ oft im Morgengrauen die Stadt, um seine Truppen zu inspizieren.
Also ließen die Kölnerinnen und Kölner an einem Morgen, nachdem Vitellius aufgebrochen war, die Stadttore verriegeln. Nun konnte Vitellius die Stadt nicht mehr betreten. Eben jene Stadt, die er als Hauptquartier nutzte. Nicht mal ins Prätorium, seinem Statthalterpalast, konnte er hinein. Wie sollte Vitellius die Macht im römischen Reich erobern, wenn er nicht einmal in seiner eigenen Stadt herrschen konnte? Es war eine Blamage!
Erzürnt über diesen in seinen Augen deutlichen Verrat befahl Vitellius, die Stadt zu belagern. Marsilius und seine Mitbürgerinnen und Mitbürger hatten sich jedoch auf diese Reaktion vorbereitet. Sie hatten im Vorfeld heimlich Lebensmittel, Wasser und andere Vorräte eingelagert. Aber ausgerechnet ausreichend Brennholz hatte man vergessen. Zuerst bediente man sich mit Fensterläden, Türen, und Möbeln. Aber auch dieser Vorrat ging schnell zur Neige.
Jede andere Stadt hätte bei dem Mangel an einem so wichtigen Rohstoff bald kapituliert. Aber Marsilius war schlau. Er befahl allen Kölnerinnen, sich als Soldaten zu verkleiden. Sie sollten so tun, als würden sie eine Abordnung von Holzfällern bewachen. Geplant war, aus einem Stadttor auszufallen und vorzugeben, zu einem nahen gelegenen Walde zu marschieren. Dabei benutzten sie Karren, die ganze Bäume hinter sich herzogen. Dies sollte so viel Staub aufwirbeln, um bei den Römern den Eindruck zu erwecken, die gesamte bewaffnete Kölner Bürgerschaft würde zum Holzschlagen losziehen.
Als Vitellius und seine Legionäre diese Abordnung aus der Stadt traten sahen, jubelten sie. Endlich eine Chance, der rebellischen Stadt und ihrer Bürgerschaft eins auszuwischen. Vitellius und seine Truppen stürmten sofort auf den Wald zu. Genauso wie es Marsilius geplant hatte. Die Römer bemerkten in ihrer Raserei nicht, dass sich auf der anderen Seite der Stadt Marsilius und der Großteil der verbliebenen Männer für einen Überraschungsangriff versammelt hatten. Unter ihnen waren zahlreiche Veteranen, wie es auch der Bürger Marsilius war.
In einer Zangenbewegung kesselten jeweils Marsilius und seine Männer auf der einen Seite und die Frauen auf der anderen Seite Vitellius und seine Leibgarde ein. Es stellte sich schnell heraus, dass die Frauen Kölns genauso tapfere Krieger wie ihre Männer waren. Völlig überrumpelt brach unter den Truppen des Vitellius das Chaos aus. Die Kölner Bürgerschaft fackelte nicht lange und nutzte die erste Chance, die sich ihnen bot, um Vitellius gefangen zu nehmen. Denn eine längere Schlacht hätten selbst die tapfersten unter ihnen wohl nicht überlebt.
Als die übrigen Truppen von Vitellius sahen, dass ihr proklamierter Kaiser und Heerführer gefangen genommen war, stellten sie umgehend den Kampf ein. Denn ein gefangener Kaiser kann ihnen ebenfalls kein Geld mehr zahlen. Für so jemanden ist es nicht wert, zu kämpfen oder zu sterben.
Vitellius wurde umgehend auf das Forum in Köln geschleppt. Der Henker war schon bereit, Vitellius den Kopf abzuschlagen, als Marsilius eingriff. Wenn sie Vitellius jetzt auf der Stelle töteten, wären seine Truppen ohne Führung und immer noch ohne Sold. Sie würden dann wahrscheinlich wieder zu den Waffen greifen, um die Stadt nach Reichtümern zu plündern. Fraglich, ob Köln beim nächsten Mal wieder so glimpflich davon käme.
Also schlossen sie einen Deal mit Vitellius, der, immer noch in Erwartung seines eigenen Todes, ein Häuflein Elend war. Der Usurpator gab der Stadt Privilegien und eine Wiedergutmachung. Vor allem musste er aber das Versprechen geben, mit seinem Heer umgehend abzumarschieren, was Vitellius auch tat.
Aber das ist die Sage des tapferen Kölner Bürgers Marsilius. Laut der Sage lebte er weiterhin in Köln und war zu seiner Lebzeit der meist geachtete Bürger. Angeblich war sein Grab nahe St. Aposteln, sein angebliches Grabmal, der Marsiliusstein, entpuppte sich in der jüngeren Forschung als Überbleibsel der Eifelwasserleitung. Die Überreste des Aquäduktes wurden bereits im 18. Jahrhundert bei Bauarbeiten abgerissen.
Aus meiner Sicht ist es daher schon etwas traurig, dass die Geschichte des Marsilius völlig frei erfunden und in keiner Weise wahr ist. Und was ist mit seinem Widersacher geschehen? Der historisch belegte Vitellius wurde noch im gleichen Jahr in Rom ermordet. Auf absolut unwürdige Weise. Als die Häscher seines Rivalen Vespasian ihn im Kaiserpalast suchten, fanden sie ihn kauernd in einer Hundehütte. Das Schwert des Cäsars hatte ihm wohl kein Glück gebracht.
Bis heute gibt es eine Steinfigur des Marsilius über einer Tür an der Ostfassade am Gürzenich, gleich neben einer anderen Statue des großen Marcus Agrippa. Beide haben glücklicherweise die Bomben des Zweiten Weltkriegs überlebt. Die Steinfigur misst um die 1,50 Meter und stammt aus dem 15. Jahrhundert. So verwundert es auch nicht, dass der römische Hauptmann in einer zeitgenössischen Rüstung des Spätmittelalters dargestellt ist. Längst verwittert ist ein dazugehöriger Schriftzug unter der Steinfigur. Dort soll einst gestanden haben:
„Marsilius Heyden ind der sere stoultze behielde Coelne ind sy voiren tzo houltze.“ Aus dem Westmitteldeutschen übersetzt heißt das ungefähr: „Der Heide und stolze Marsilius hielt Köln (Anm.: gegen äußere Feinde) und sie fuhren zum Holze.“ In christlicher Zeit feierte man in Köln eine Zeit lang jeden Donnerstag nach Pfingsten den Sieg des Marsilius mit einem Fest.
Und ich glaube, ein Glasfenster im Kölner Dom zeigt den Marsilius auch. Ich muss das Fenster bei meinem nächsten Besuch im Dom unbedingt finden. Es soll sich im nördlichen Seitenschiff bei den Fenstern aus dem 16. Jahrhundert befinden.
Euer WillemRead more