Satellite
Show on map
  • Day 4

    Bobo Bogotá

    August 18, 2016 in Colombia ⋅ ⛅ 11 °C

    Die Regenjacke zählt in einem Land, das zu 1/3 aus tropischen Regenwäldern besteht, zu den besten Freundinnen des Reisenden. Manche würden sogar so weit gehen, sie als eines der elementarsten Reiseutensilien zu bezeichnen. Und dann gibt es da Leute (mich), bei denen Schusseligkeit eines der elementarsten Persönlichkeitsmerkmale darstellt und genau diesen essentiellen Ausrüstungsgegenstand vom Gepäck ausschließen. Ein wunderbarer Anlass, einen der nördlicheren (und damit schickeren) Teil Bogotás zu erkunden, wo sich kaufkräftige Bogotanos und budgetbelastende Shopping-Malls tummeln. Der Weg dorthin war ein Erlebnis für sich. In Ermangelung jedweden Schienenverkehrs (dh weder U-, noch S-, noch Straßenbahn) gestaltet sich der Verkehr in dieser Mega-City abenteuerlich. Wie in einem überdimensionalen Ameisenhaufen wuseln gelbe Taxis, blaue Busse und lebensmüde 2-Radfahrende durch das schachbrettartige Straßennetz.

    Trotz der unfassbaren Größe dieser Stadt fällt die Orientierung in Bogotá überraschend leicht. Das liegt nicht zuletzt am geradezu mathematisch präzisen Adressensystem: im Osten ragt die östliche Andenkordillere über der Stadt, die fast von überall her sichtbar ist; Straßen die von Norden nach Süden verlaufen werden “carrera“ genannt und von Süden her aufsteigend nummeriert. Ost-West verlaufende Straßen (“calle“) sind von Osten (also den Bergen weg) aufsteigend nummeriert. Straßennamen sind überflüssig. Eine Adresse lautet beispielsweise Calle 13 # 3-25; das System ist gleichermaßen simpel wie genial: das Gebäude befindet sich in der calle 13, 25m nach der Kreuzung mit carrera 3. Genial, oder? Soviel dazu.

    Nachdem ich Einkaufen ungefähr so genieße wie die morgendliche Erkenntnis, dass der Kaffee alle ist, brachte ich das Ganze schnell hinter mich, um anschließend durch Chapinero zu strawanzen. Dieses “Boboville“ Bogotás zeigt sich deutlich gepflegter und eitler als La Candelaría. Mit extravaganten Sex-Shops, französischen Pastelerías und großzügigen Grünflächen erinnert “Chapigay“ (so genannt da große Teile der LGBT-Bevölkerung hier hausen und vor allem feiern) an europäischen Großstädte.
    Der morgendliche Regenguss verzog sich just in dem Moment als die Regenjacke über die Theke wanderte und ließ mich mit meinen wasserfesten Trekkingschuhen im darauf folgenden Sonnenschein ziemlich doof aussehen. Im modebewussten Chapinero zog meine orange-schwarze Beschuhung kritisch-verdutzte Blicke auf sich. Zum Glück ist mir das herzlich egal (Mode war schließlich noch nie mein Ding) und so kehrte ich einigermaßen verschwitzt nach Candelaría zurück. Nach einer köstlichen comida corriente (Suppe, frisch gepresster Saft und ein Hauptgang) um 8.000 COP (nicht mal 3€) verzog ich mich ins Hostel zurück.

    Dort traf ich Gabriela, eine süße Bogotana, die sich anbot, mir ein wenig die Stadt zu zeigen. An der hektischen Plaza La Mariposa zum Beispiel finden sich zahlreiche halblegale Geschäfte, wo man von Kleidung bis Waffen so ziemlich alles erstehen kann. Wir trafen Gabrielas Tante, die uns auf heiße Schokolade mit Käse und Zimt (klingonisch, schmeckt aber überraschend gut!) einlud und Videos von betrunkenen/tanzenden/ausgelassenen Verwandten zeigte. Gabriela sah ihre Mutter noch nie zuvor so betrunken, und ich nie zuvor jemanden so herzlich lachen.

    Nachdem Gabis Tante sich verabschiedete und im dichten Gewusel der carrera septima verschwand, gab mir Gabriela einen Überblick über die faszinierende (und leider ziemlich gewaltreiche) Geschichte Kolumbiens. Seit einigen Jahren ist jedoch Frieden in weite Teile dieses wundervollen Landes eingekehrt (auch wenn Guerrillagruppen in einigen abgelegenen Regionen weiterhin aktiv sind) und Kolumbien erlebt derzeit einen regelrechten Boom - nicht zuletzt wirtschaftlich.
    Auf eine sehr lehrreiche folgte einige sehr inspirierende und unterhaltsame Stunden mit der wunderbaren Gabriela. Später gesellten sich Reisende aus Brasilien, Australien, Argentinien, Israel, Schweden und den Staaten dazu und gemeinsamen wunderten wir uns über das endlose Lichtermeer, das sich vor unserer Dach-Terrasse ausbreitete.

    Später am Abend zogen wir weiter zur International Night in ein bizarres Touri-Lokal (Reggaeton und Statuen der Jungfrau Maria wollen für mich nicht so recht zusammen passen), wo wir glücklicherweise keinen Peso ausgaben - den Gutscheinen vom BoGo Hostel sei dank. Nach einigen gratis Heineken (von denen die beschwipste Barkeeperin wohl auch schon einige intus hatte) schleppte uns die verrückte Schwedin Rebecca in eine unscheinbare, aber bei den Einheimischen sehr beliebte Tequila-Bar. Dort freundeten wir uns an mit José Cuervo, Salz und Limetten und verbrachten einen fantastischen Abend. Kurz nachdem unser neuer Freund José von uns gegangen war, geschah etwas Erstaunliches: als ich mich im Lokal umsah, erblickte ich Javier, einen kolumbianischen Kunststudenten, den ich am Flughafen kennen gelernt hatte. Ich kenne exakt eine Person in dieser 8+ Millionen-Stadt und genau diese spaziert plötzlich an mir vorbei, in einer unscheinbaren Hinterhofbar - echt schräg!

    Am Weg nach Hause begann es wieder zu schütten (die neue Regenjacke natürlich sicher im hostel verwahrt) weshalb wir gelegentlich Halt machten. Dabei trafen wir auf unglaublich interessante, freundliche (großteils obdachlose, oder zumindest recht arme) Bogotanos. Sogar diese vermeintlich schwierigen Begegnungen waren voller Herzlichkeit. Nie habe ich jemanden so dankbar für eine Zigarette oder eine kleinen Geldschein erlebt. Es war ein wundervoller (vorerst letzter) Tag in Bogotá.

    Kurze Nebenbemerkung: ich bin einigermaßen stolz, bislang weder bestohlen, bedroht, ausgeraubt oder abgezockt worden zu sein (zumindest nicht wissentlich). Ich verleihe mir dafür selbst ein dickes Mitarbeitsplus.

    Im Moment befinde ich mich voller Vorfreude im Flugzeug auf dem nach Leticia, der Hauptstadt von Kolumbiens Amazonas-Region und brenne darauf, in die magische Welt des bedeutendsten Ökosystems unseres Planeten einzutauchen.
    Read more