Satellite
Show on map
  • Day 4

    Podgorica

    May 28, 2022 in Montenegro ⋅ ⛅ 28 °C

    Die Stadt am Zusammenfluss von Morača und Ribnica ist der ad­mi­nis­trative und wirtschaftliche Mittelpunkt des Landes und spielt in den touristischen Planungen allerhöchstens eine verkehrstechnisch be­deutende Rolle. Hier wird gelebt und gearbeitet, Urlaub ist wo­an­ders.

    Nirgendwo prä­sen­tiert sich­ der Meltingpot Monte­negro un­geschminkter als hier - und in welcher euro­pä­i­schen Großstadt kann man schon Eselsfuhrwerke im Stadt­zentrum sehen?

    Trotz ihres gesegneten Alters ist die Metropole eine sehr junge Stadt, nach der fast voll­ständigen Zerstörung im Zwei­ten Weltkrieg wurde sie als klas­sisch so­zia­lis­ti­sche Urbanisation auf dem Reißbrett völlig neu angelegt. Ge­wis­sermaßen in einem Auf­wasch ver­passte man ihr auch gleich einen neuen Name: Titograd (ganz hinten in­ der ser­bischen und montenegrinischen Pro­vinz findet man auch heute noch Rich­tungshinweise mit der alten Bezeich­nung). 1992 verschwand dann mit dem Bür­gerkrieg auch die letzte Reverenz an Tito, und die Wiedereinführung des alten, geo­grafisch motivierten Names (pod gorica = „unter dem Berglein“) er­for­derte neue Briefbögen im Rathaus.

    Beim Wiederaufbau nach dem Krieg wurde, wie auch andernorts im Ost­block, auf ästhetische Überlegungen kei­ne Zeit verschwendet; in den Vor­städ­ten reiht sich Wohn­block an Wohn­block, und im Stadtzentrum wird ein neues Hochhaus nach dem­ anderen aus dem Boden gestampft - auf dem Im­mobilienmarkt herrscht Gold­grä­ber­stim­mung. Woher das ganze Geld kommt und warum es hierherkommt, ist­ nicht schlüssig zu erklären, aber es hat die Stadt in sehr kurzer Zeit maß­geb­lich ver­ändert. Die post­so­zia­lis­ti­sche Tristesse ist zumindest im Stadt­zen­trum inner­halb­ einer Dekade fast völ­lig überbaut worden. Vom his­to­ri­schen Kern am Zusam­men­fluss von Ribnica - im Sommer nur mehr ein dün­nes Rinnsal - und der tief in den­ Fels eingespülten Morača ist nicht mehr viel zu sehen, und so muss Pod­go­rica oh­ne eine wirklich gegliederte Struk­tur auskommen, nur grob las­sen sich drei Schwer­punkte ausmachen: Die meisten Geschäfte und Ministerien lie­gen in Nova Va­roš (Neustadt), am gegenü­berliegenden Ufer befindet sich ein gro­ßes Plat­ten­bau­viertel mit vielen Woh­nungen und den Instituten der Uni­versität. Ver­bunden sind­ diese bei­den Teile seit 2005 mit einer kühnen ein­hüftigen Schrägseil­brü­cke, der­ Millenium Most (Prahlbauten sind ganz offensichtlich kein Vor­recht des So­zia­lis­mus). Das Viertel am Südufer der Ribnica, Stara Varoš (Alt­stadt), wird über­wie­gend­ von Moslems bewohnt. Dahinter liegen die riesigen Fel­der des staat­li­chen Plantaže-Wein­guts, die sich bis zum Skadar-See erstrecken. Wei­tere wichtige land­wirt­schaft­liche Produkte in dieser äußerst fruchtbaren Ebene sind Obst, Tabak und Mais. Die drin­gend notwendige Bewässerung ge­währ­leisten meh­rere Flussläufe, ne­ben den schon genannten sind das Zeta, Sitnica und - der schönste von allen - die Cijevna. Podgorica nennt sich des­halb auch gerne die „Stadt an den fünf Flüs­sen“. Nimmt man die schmale Ma­re­za noch dazu, sind es so­gar sechs.

    Nach offizieller Statistik zählt die Stadt knapp 200.000 Einwohner, tat­säch­lich dürf­ten es deutlich mehr sein. Ein Blick auf die Wellblechsiedlungen in den östlichen Randbezirken, wo im­mer noch viele Flüchtlinge aus den jüngs­ten Balkankrisen le­ben, macht schnell klar, dass an eine präzise Zäh­lung kaum zu denken ist. Hinzu kom­men die recht stark vertretenen Roma, deren Lebens­weise sich einem korrek­ten Zensus ohnehin entzieht.
    Read more