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- Day 3,193
- Tuesday, October 28, 2025 at 11:01 PM
- ⛅ 8 °C
- Altitude: 157 m
GermanyKassel51°17’56” N 9°28’56” E
Intern im INTERIM bis zur Evakuierung
October 28 in Germany ⋅ ⛅ 8 °C
Das INTERIM - die neue Spielstätte des Kasseler Staatstheaters eröffnet offiziell diesen Freitag die Pforten. Inoffiziell hatte ich am Dienstag als ehemalige Statistin die einzigartige Chance die Generalprobe des gigantischen, multimedialen und multiartiellen Stückes "AIDA" zu sehen.
Ursprünglich 1871 von Giuseppe Verdi verfasst, hat das Stück nichts mit dem Luxusdampfer gemein, welchen viele anfangs damit assoziieren.
Wo sich einst die Kasseler Jägerkaserne befand (was in Anbetracht des Tatsache, dass Verdi ein Plädoyer gegen Volk und Nation, gegen Religion und Militarismus verfasst hat, interessant ist) entstand in der Rekordzeit von 15 Monaten die Übergangsspielstätte INTERIM als Fertigbau. Von außen wird es oftmals mit einer Fabrikhalle verglichen.
Die Baustelle vor der Haustür, welche Parkplätze für Wohnmobile aber auch gewöhnliche PKWs vermissen lässt, als auch die Container Toilettenwagen, die an Kirmes erinnern, muten nicht gerade nach Hochkultur an.
Anders wird es beim Eintritt in den Theateraum, der neben einer starken Überforderung auch vom Gefühl begleitet wird, hier ein Stück Theatergeschichte mitzuerleben.
Immersive Ausstellungen sind nun schon länger Trend (z.B. die Titanic Ausstellung in u.a. der Expo-Halle Hamburg). Jetzt kommen immersive Theatererlebnisse hinzu, die mit sogenannten "Adventuresitzen" auftrumpfen. So erinnern die auf der Drehscheibe befestigten Zuschauerränge etwa an ein 4D Kino.
Besonders bemerkenswert ist, dass Zuschauende auf der Bühne oder Tribüne, hinten, vorne, oben, unten, mittig überall Platz finden und so jede Perspektive eine neue auf das Stück ermöglicht und - was fürs Theater ohnehin schon immer galt - jede Aufführung noch einzigartiger macht. Tatsächlich sitzen wir erst auf am meisten einer traditionellen Schaukasten - Tribüne entsprechenden Plätzen, allerdings sind Leinwände hinter und seitlich hinter uns. Eindrucksvoller als im 270° Kino.
Menschen schauen teils überfordert, teils ehrfürchtig, neugierig, suchend, abcheckend umher, Köpfe drehen und wenden sich, Augen sind geweitet, Ohren gespitzt. In der zweiten Hälfte des länger als erwartet dauernden Opernstückes sitzen wir in der Nähe von der Bar, wo vorher Liegestühle und Restauranttische dem Publikum Sitzmöglichkeiten boten. Dort bekommen wir nicht nur Drinks (die man für günstige 2€ im Nachgang bezahlt) sondern auch mehrfach vom Boardpersonal mit dem Hinweis auf "unsicheren Wellengang" die Aufforderung den Platz zu wechseln. Wir sind Teil der Schiffsfahrt und der Wellengang zweifelsohne Ausdruck der im alten Stück thematisieren und heute aktuellen gesellschaftlichen Brenzligkeit.
Neben der klassischen Liebesgeschichte zwischen der Angestellten Aida und dem verfeindeten ägyptischen Feldherren Ramedes, die mit imposanten Orchesterklängen aus dem mittig angeordneten Graben, mit italienischem Operngesang und entsprechender Emotionalität ausgetragen wird, bietet das Stück sehr viel mehr. Leinwände die collagenartig und brisant den sich entwickelnden Rechtsdruck im heutigen Europa zeigen, überspitzen, alarmieren.
A propos Alarm. So endet das Stück auch an diesem einzigartigen Tag der Spielraumeinweihung, aber dazu gleich mehr...
Flammenden Zorn der an Barbie oder Sharpay aus HSM erinnernden Diva
Amneris, die Radames versprochene Pharaonentochter, ergänzt das imposante Spektakel. Ihre Brüste und Präsenz sind so groß, dass sie trotz reizüberflutender Raumbespielung den Fokus auf sich zieht 😀
Wir sind also Teil der Schifffahrt, bei der manchmal unklar ist, ob wir uns noch auf dem Schiff oder einfach inmitten von einem historischen Werk oder saftiger Gesellschaftskritik befinden.
Passend zum Zuschauerraum sind wir dazwischen.
Zwischen Europa und Afrika, zwischen EU, Äthiopien und Ägypten, zwischen Krieg und Frieden, zwischen Meeren und Länderkämpfen, zwischen historisch und hochmodern, zwischen Operngesang und casual Kleidung der Hauptperson, (die an die auf Scooter fahrenden Jünger Jesu aus "Die Passion" erinnern), zwischen klassischer Musik und riesigen Leinwänden, zwischen altem Stoff und brandneuem Bühnenraum.
A propos brandneu. Das Stück mit Publikumseinbindung endet mit der Durchsage "Achtung, Achtung, verlassen Sie umgehend den Zuschauerraum." Wäre es nicht mitten in einer finalen Arie mit viel Pam Pam und Rauch gewesen, hätte man es als Teil des interaktiven Stückes verstehen können. Habe ich auch kurz und fand die Idee wunderbar, bis ich die Blicke der Matrosen und damit die Ernsthaftigkeit der Lage sah.
Ja zu viel Rauch von Nebelmaschine und Fake Zigarren hatte den Feueralarm ausgelöst. Alle Leute wurden evakuiert und die Generalprobe endete frühzeitig. Eine halbe Stunde zuvor ging übrigens der Fernbedienung gesteuerte, umgebaute Oldtimer Ferrari nicht, auf dem Amneris immer einfuhr.
Na, wenn das nicht mal eine gelungene Generalprobe mit kleinen und großen Pannen war?!
Ich jedenfalls empfehle dieses Stück Theatergeschichte definitiv weiter, unabhängig der eigenen Opernpräferenz!
FUNFAKT:
1. Da End-& Generalproben für Aida wohl schneller kamen als die Räume des INTERIMs fertig waren, bedurfte es einer zweiten Zwischenlösung für die Zwischenlösung.
An das Containerdorf, welches für Maske, Ankleide und Co. vorhandenen ist, wurde ein zusätzliches Containerdorf angebaut. Das Interim des Interims war geboren 😁
2. Da bei dem schnellen Bau des Bühnenraums an einem Tag der Boden gelegt werden sollte (und musste), obwohl die Technik an den Decken nicht fertig gestellt war, zog die rasant arbeitende Baufirma kurzerhand einen Zwischenboden durch den riesigen Bühnenraum, sodass oben und unten gearbeitet werden konnte. Klingt aufwendig? Ist es! Aber der Zeitdruck macht's nötig! 👌
3. Das INTERIM soll eine Übergangsspielstätte sein, bis das in die Jahre gekommene Opernhaus am Friedrichsplatz innerhalb der nächsten 5 Jahre restauriert wird. Durch das Bestreben Oper(nraum) völlig neu zu denken, ist es wahrscheinlich, dass die Zukunft des Opernhauses nicht halb so viel kann wie das multifunktionale bzw talentierte INTERIM. Das wäre ja schade..😅
Quellen bzw. Zusatzinformationen:
https://www.hessenschau.de/kultur/aussen-fabrik….Read more


TravelerWahnsinn, wenn das mal nicht eine Hommage an diese außergewöhnliche Spielstätte ist, und die vielleicht beste Werbung Verdis Oper Aida dort zu er erleben. Danke dafür 🙏😘