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  • Day 366

    365 Tage - Rückblick Hoi An

    October 3, 2019 in Vietnam ⋅ ⛅ 33 °C

    Heute vor genau einem Jahr, sind wir in den Flieger gestiegen. 365 Tage sind wir durch Südostasien gereist und heute landen wir in Nepal. Genau am Dach der Welt werde wir uns einer neuen Herausforderung stellen. Wie herausfordernd das werden wird, erzähle ich dir später.

    Doch bevor ich dich mit nach Nepal nehme, möchte ich noch über die letzten drei Monate in Hoi An berichten.

    Mit Hoi An haben wir einen Ort entdeckt, der uns zur richtigen Zeit genau das gibt, was wir sehnlichst suchen: Routine.
    Auch wenn Malaysia abenteuerlich war, musste ich feststellen, dass mich diese Zeit sehr gestresst hat. Ich hatte das Gefühl nicht mehr zur Ruhe zu kommen.
    Für Ralf gibt es hierfür nur eine Lösung: Hoi An.
    Und ich vertraue seiner Intuition. Und wie so oft hat er recht. Ich machte mir noch Gedanken, ob wir schon wieder nach Hoi An gehen konnten. Doch als wir dort ankamen, war es wie nach Hause zu kommen. Wir mussten uns nicht mehr zurecht finden. Denn wenn man an einen Ort kommt, den man noch nicht kennt, muss man sich immer erst orientieren und eingewöhnen:
    1. Wo gibt es gute Restaurants?
    2. Wo können wir frühstücken oder etwas kaufen um es selbst zu machen?
    3. Wo ist die nächste Wäscherei?
    4. Wie kommt man zum Strand?
    5. Wo gibt es ein Moped?
    6. Wie ist das Internet?
    7. Kann ich von der Unterkunft arbeiten oder muss ich ein Café finden?
    Etc...
    All das war nicht nötig.

    Wir ziehen zu Mike und Hanh. Mike, ein Brite verheiratet mit Hanh, einer Vietnamesin. Sie selbst hatte einige Jahre in London gelebt und liebt Großbritannien sehr. Es ist toll für drei Monate ein Teil ihrer Familie zu werden. Wir werden dadurch noch intensiver mit den Gewohnheiten der Vietnamesen in Verbindung kommen.

    Die beiden entscheiden sich in der Zeit als wir da sind, eine Woche Urlaub in Bangkok zu machen (mir ist immer noch schleierhaft, wie man es überhaupt aushält dort Urlaub zu machen).
    Für diese eine Woche zieht der Vater von Hanh ein. Ich vermute er ist Mitte sechsig. Er ist sehr fit, hört aber nicht mehr sehr gut. Seine Aufgabe ist es die vier Hunde rauszulassen und sie zu füttern. Und wir werden feststellen, dass er nicht mehr als diese beiden Aufträge als seine Aufgaben ansehen wird.
    In weniger als 24h sieht das Haus aus wie ein Saustall. Ihn scheint es nicht zu stören. Überall sind Essensreste verteilt, die hunderte Ameisen anziehen. Der Boden ist gefliest. Und wir bleiben mit jedem Schritt daran kleben.
    Für mich die Hölle. Bei meinen Füßen hört der Spaß bei mir auf. Am zweiten Tag kommt die Rettung. Hanhs Mutter putzt das ganze Haus und scheint ihrem Mann einen Einlauf zu verpassen. Die Tage danach versucht er immer mal wieder seinen Dreck wegzumachen. Tut sich aber schwer damit. Denn das ist Aufgabe der Frauen.
    Der Höhepunkt wird am vierten Morgen erreicht. Ich möchte zum Frühstück einen Obstsalat zubereiten. Genau in dem Moment, wo ich die Küche betrete, die direkt am Wohnzimmer anschließt, wo der Vater jeden Tag auf Coach Wrestling schaut und nachts schläft, macht er den Musikkanal an. Modern Talking & Madonna.
    Ich erinnere dich: er ist schwerhörig.
    Ein und das selbe Lied von Modern Talking und Madonna um 9 Uhr morgens. Mich wundert, dass er immer näher an den riesigen Fernseher rutscht und beide Lieder auf Dauerschleife stellt. Und Ralf lüftet das Geheimnis: "In den Videos sind 'sexy' Frauen." Zurück im Zimmer und nach dem Frühstück mit Vollbeschallung & sexy Frauen bekommen wir einen Lachanfall, der nicht zu einem Heulkrampf wechselt. Aber ich bin kurz davor. Entscheide mich aber zu lachen. Nach 7 Tagen kommt die Erlösung. Mike und Hanh kommen aus Bangkok zurück und die Tage gehen wieder ihren gewohnten Gang.
    Mike arbeitet beim Schneider als Kundenberater. Hanh kümmert sich um die Buchungen in ihrer Unterkunft und empfängt die neuen Gäste. Ihre Schwester Julia putzt das Haus und macht uns jeden Morgen Frühstück.
    Außerdem hängt Hanh jeden Tag stundenlang über ihrem Smartphone und spielt ein virtuelles Rollenspiel. Ich bin fasziniert sie dabei zu beobachten, wie sie in ihre Scheinwelt verschwindet.
    In den hinteren Apartments lebt Peter. Er ist kurz vor uns eingezogen und lebt seit drei Jahren in Vietnam. Er ist ein angesehener Fotograf. Und macht Fotos für den National Geografic. Manche Tage starten bei ihm bereits mit einem Bier. Ist ja hier alles nur Wasser, versucht er uns zu erklären. Es gibt so viele verschiedene Lebenskonzepte.

    Unsere Tage starten im Fitnessstudio oder im Pool. Danach macht uns Julia um 9 Uhr Frühstück. Um 10 sind wir CoWorking Space. Um 13 Uhr gehen wir in einen unserer drei Lieblings-Mittag-Restaurants essen. Danach arbeiten wir bis nachmittags. Und gehen dann wieder in den Pool, zum Strand oder in die Altstadt, wo ich mir weitere Sachen schneidern lasse. Abends gehen wir in eines unserer fünf Lieblings-Restaurants oder probieren ein neues oder bestellen Essen.
    Obwohl ich früher gerne gekocht habe, habe ich hier einfach nicht das Verlangen danach. Die Bequemlichkeit und das gute Essen siegt. Es gibt indisch, vegan, Salate, glutenfreie Sandwiches und vietnamesische Spezialitäten. In Hoi An gibt es alles.
    Einmal die Woche wird unser Zimmer geputzt. Einmal die Woche wird unsere Wäsche gewaschen, gebügelt und akkurat perfekt zusammen gelegt.
    Wir sind im Luxus-Himmel und für immer versaut.
    All das gibt es hier für einen Bruchteil des Geldes. Wir leben wie die Könige. Unsere Ausgaben liegen etwa bei 1.500-2.000 Euro im Monat. Und wir könnten es noch günstiger haben. Unsere Freundin Sarah lebt in einem Luxus-Apartment für 300 Euro im Monat inkl. allem. Sie durfte sogar mitentscheiden welche Möbel für das Apartment gebaut werden und welche Zimmer, welche Funktion haben. Kosten dafür 0 Euro. Bekommt sie alles dazu. Ihre Vermieterin ist dankbar für ihre Wünsche und lernt dadurch was die Westler wollen und "brauchen".
    Wir versuchen nicht zu sehr eine Co-Existenz neben den Vietnamesen aufzubauen. Denn das passiert hier schnell. Es gibt die Vietnamesen und es gibt die Westler. Uns ist es immer noch wichtig, die Einheimischen kennenzulernen. Uns mit ihnen zu unterhalten. Auch wenn das nicht immer so leicht ist, denn anders als in Malaysia, wo die Kinder früh englisch lernen, sprechen die Vietnamesen fast kein Englisch und tun sich mit der Sprache sehr schwer. Wenn dann mein mittelmäßiges Englisch auf vietnamesisches Englisch trifft, können die Gespräche sehr lustig werden.
    Die Tage sausen dahin. Routine hat einen eigenen Motor. Eine eigene Geschwindigkeit.
    Wir gehen komplett in unserer Arbeit auf. Ich bediene 7 Kundinnen parallel und muss mich erstmal daran gewöhnen. Und plötzlich ist er wieder da, der Druck.
    Also entscheiden wir eine Woche Urlaub zu machen. Wir wollen nirgends hin. Nur Hoi An genießen und einige Workshops machen. Mit den Händen arbeiten und den Geist etwas ausruhen.
    Die Organisation ist kein Problem. Seit dem ich selbstständig bin schiebe ich mir die Termine wie ich sie brauche. Auch wenn meine Kundinnen und ihre Projekte sehr wichtig für mich sind. Es sind tolle Frauen mit großen Visionen und Ideen.
    In den 7 Tagen frei (obwohl ich natürlich trotzdem immer mal wieder einige Dinge checke) starten wir mit einem Leder-Workshop. Eine kleine Werkstatt, geführt von einem Vietnamesen Anfang 30, der zwei Dalmatiner hat und mit einem Vogel auf der Schulter rumläuft.
    3h messen, skizzieren, schneiden und falten wir Leder. Ralf macht es sich besonders schwer und wählt ein Design bei dem er das Leder nähen muss. Die perfekte Arbeit um sich komplett zu fokussieren. Am Ende habe ich zwei Portemonnaies und Ralf ein Ausweis-Booklet. Es war der perfekte Start.
    In der Urlaubs-Woche gehen wir zum Strand, zur Massage und lesen viel. Außerdem gehen wir mit Hanh, Mike und ihrer Familie aus. Was wir in den drei Monaten öfter machen werden. Und jedesmal ist es ein Erlebnis. Hanh und Mike sind toll. Sie versuchen uns zu integrieren und zeigen uns ihr vietnamesisches Lieblingsrestaurant. Es wird viel gegessen und noch mehr getrunken. Nicht viel geredet aber umso mehr Späße gemacht. Hier läuft viel über Körpersprache ab. Mike zum Beispiel ist sehr eng mit dem Mann von Julia. Die beiden unterhalten sich kaum. Denn Mike kann nicht so viel Vietnamesisch und der Schwager garkein Britisch. Für die beiden passt das. Eine echte Männerfreundschaft. Und sie sehen sich fast jeden Tag.
    In dem Restaurant geht es richtig rund. Die Tische sind lange Tafeln und überall sitzen Männergruppen. Generell sieht man in solcher Restaurants wenig vietnamesische Frauen. Als Einstimmung wird ein Kasten Bier direkt neben den Tisch gestellt und ein riesiger Eimer Eiswürfel.
    Der deutsche Biertrinker schlägt die Hände vors Gesicht. Bier und Eiswürfel gehören hier aber zusammen. Und dann wird alle 3 Minuten angestoßen. Was dazu führt das der Kasten in wenigen Minuten geleert ist. Ralf und ich trinken Cola und Wasser. Keiner stört sich daran. Jeder prostet uns trotzdem zu. Das Essen wird über 2 Stunden nach und nach gebracht. Viel Seafood. Eingelegte Beef. Saure Suppe. Und Pommes für die Kids. Wenn du jetzt denkst, dass es geordnet abläuft, irrst du dich. Denn mit jedem Gericht kommt mehr Dynamik ins Schauspiel. Teller werden gerückt, die noch nicht leer sind. Bier Dosen über den Tisch geworfen. Die Kids rennen umher und picken sich die schärfsten und fischigsten Dinge aus dem Essen. Ohne mit der Wimper zu zucken zerkauen sie die Chilis. Der kleine, er wird etwa 5 sein, reguliert die Schärfe in dem er Luft seitlich in die Wange zieht. Am Ende noch Pommes mit Chilisoße und Mayo und er ist glücklich.
    Alle Reste und Abfälle sowie Dosen landen unterm Tisch. So wirds gemacht. Am Ende wird alles weggefeckt und mit dem Wasserkärcher gesäubert.
    Hanh regelt alles. Ihre Essensauswahl ist super. Ralf und ich hätten das niemals bestellt. Die Beschreibungen sind oft kryptisch und die Bilder sehen aus wie die klebrigen Eier aus Alien.
    Am Ende sind es tolle Gerichte und wir gehen noch dreimal mit Hanhs Familie hier her.

    Unsere Urlaubswoche endet mit einem Bambus-Workshop. Als wir in der Werkstatt, die im Dschungel am Fluss liegt, ankommen, bin ich total begeistert vom Grundstück. Alles ist aus Bambus. Die Atmosphäre ist warm und einladend.
    Und dann dämmert es mir. Mein Blick auf Ralf gerichtet, der eine Säge hält: "Oh nein. Wir müssen sägen." Wenn ich eines nicht mag, dann das.
    Als ich den Workshop gebucht habe, habe ich irgendwie nicht darüber nachgedacht. Bambus ist eine Art Holz und natürlich muss man es sägen um daraus etwas zu machen. Es ist ja ein Bambus-Workshop. Ralf ist im Himmel. Als Tischler glänzen seine Augen und natürlich muss er auch erklären, wie man die Säge richtig hält. Glücklicherweise nicht mir, sondern einer anderen Frau, die davon weniger begeistert zu sein scheint. Nach 5 Minuten ist mir klar: das ist nichts für mich. Also Beine hoch und Ralf machen lassen. Der Tag endet mit einem glücklichen Ralf und ich bin stolz, wie Bolle, dass ich am Ende noch ein Muster in "unsere" Kunstwerke eingebrannt habe.

    Die drei Monate in Hoi An vergehen schnell. Wir leben uns richtig ein. Unsere Stammplätze kennen uns und freuen sich, wenn wir vorbei kommen.
    Zwischendurch haben noch Hanh und Mike Geburtstag. Auch hier sind wir dabei. Der Abend endet mit Karaoke. Natürlich. Und 10 total verrückten vietnamesischen Freundinnen von Hanh. Eine Torte in Form einer Bikinifigur mit riesigen Brüsten aus Buttercreme darf da natürlich nicht fehlen. Sie sind alle verrückt. Sie sind alle herzlich und echt.

    Am Ende verabschieden wir uns bei einem Frühstück von Sarah, der Coworking Space Besitzerin, und ihrer Schwester Johanna. Mit den beiden hatten wir tolle Abende. Keiner spricht es aus, aber wir sind alle etwas traurig.
    Der Abschied von Pirat, der kleinen Hündin, die frisch geboren wurde kurz bevor wir kamen, fällt am schwersten. Sie hängt an uns. Wir an sie. Sie sitzt neben mir auf der Stufe und wartet mit mir aufs Taxi. Vielleicht erinnert sie sich irgendwann an uns. Ralf, der mit ihr durchs Haus gerannt ist und ihr alles durchgehen hat lassen und an mich mit der sie immer kuscheln wollte.

    Doch es ist Zeit. Alles ist vorbereitet. Wir haben 3 Monate im Studio trainiert. Der Annapurna Circuit wartet. Und so brechen wir nach Nepal auf....
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