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  • Day 87

    Auf den Spuren der Zeit

    August 26, 2020 in Germany ⋅ ☀️ 22 °C

    Jonas schreibt...

    Wir wollen uns noch einmal in die Wildnis begeben und besuchen den Nationalpark der sächsischen Schweiz. Hier erwartet uns eine komplett anderen Welt, die aus dichten Nadelwäldern und verschlungenen Felsgebilden besteht. Doch so Kolossal diese fantastischen Formationen auch wirken, so zerbrechlich sind sie auch, handelt sich doch um Sandstein, der von Regen und Witterung geprägt, über Jahrtausende verschlungene Formen und viele Höhlen und Spalten gebildet hat.
    Anders als in den übrigen Nationalparks ist hier das Übernachten an ausgewählten Orten, sogenannten Boofen, gestattet, die als Felsvorsprünge oder kleine Höhlen auftreten.
    Nie hatten wir auf unserer Reise so schöne und wilde Schlafplätze, bei denen wir in luftiger Höhe freien Blick auf Sonnenauf oder Untergänge und denn Vollmond hatten. Des Nachts begegnen und besteigen uns putzige Siebenschläfer, die hier waghalsig herumklettern und (leider) auch dann und wann Abstürzen (zur Beruhigung: alle haben überlebt) .
    Unsere täglich zurückgelegte Strecke erreicht einen neuen Tiefstand legen wir doch gefühlt alle fünf Minuten eine halbstündige Rast ein um den Ausblick zu geniessen.
    Wir haben viel Glück, was das Wetter betrifft, regnet es doch täglich erst dann, wenn wir jeweils eine feste Felswand über unseren Köpfen haben. Auch das nahen des Herbst wird spürbar, denn die Nächte sind mehr und mehr so kühl, dass wir uns endlich wieder über unsere dicken Schlafsäcke freuen können.

    Für einmal kommt auch endlich unser hightech Wasserfilter zum Einsatz: Mit mässigem Erfolg, da das "aufbereitete" Wasser in unseren Flaschen eine hübsche grün gelbe Farbe aufweist, die aber unsere täglich konsumiere Menge an Trinkwasser deutlich schmäht.

    Unsere tägliche Dosis Literatur hat sich aus dem humoristischen ins klassische verschoben und ist nun auch etwas gehaltvoller geworden. Wir lesen "Narziss und Goldmund" von Hermann Hesse und können indes dessen Vagabundendasein aus eigener Erfahrung nachvollziehen. Anfangs lockt die Aussicht auf die Verfilmung, die derzeit in den Kinos angelaufen ist, die Lotte aber alsbald, deilluisioniert vom Trailer, schnell wieder verwirft und sich wünscht, ihn nie gesehen zu haben.
    Wir erheitern und verstörend (?)mit unserer Buchwahl auch unsere Boofen-Mitbenützer, die an einer sehr delikaten Buch-Stelle, deren Inhalt das intime Verhältniss zweier sehr junger Schwestern mit dem Protagonisten beschreibt, hereinplatzen und sich eigentlich nur zur Ruhe legen wollen. Wobei sei erwähnen sei, das es im Nachgang wohl fast keine Stelle im Buch gibt, die nicht auch ähnlich passend und verstörend gewesen wäre.

    Langsam neigt sich auch unsere Zeit zusammen mit Isolde zuende und damit auch ihren philosophischen Fragen des täglichen Lebens, die uns derzeit sehr beschäftigen. Wir sind äusserst beunruhigt, dass sich dem Anschein nach, noch fast kein Mensch, dem wir begegnen, Gedanken darüber gemacht hat, wie er seinen Zenauren nennen würde, hätte er denn einen zum Haustier...

    Auch machen wir uns viele Gedanken zum Thema Werbung, wie uns diese in unserem Alltag omnipräsent begleitet und beeinflusst ob wir es nun wollen oder nicht. Könnten die ganzen Flächen nicht für sinnvollere Inhalte verwendet werden und wäre Werbung für keine Werbung ein Widerspruch oder legitim?

    Nach fünf Tagen wünschen uns alle sehnlichst eine Dusche und bekommen diese ganz unerwartet in der kommenden Nacht. Es regnet so stark, dass in unserer Boofe etwas wie eine natürliche Dusche entsteht, die jedem Luxus-Natur-Hotel das Wasser gereicht hätte. Am nächsten Morgen besucht uns Line, eine gute Freundin und frühere Mitbewohnerin von Celine, die im Elbsandsteingebirge ihren Geburtstag feiert und bringt uns ein wahres Festessen und ein paar neue Vorräte mit.

    Gegen Ende unserer Reise werden von einem Wanderführer als "echte Höhlenmenschen" bezeichnet und landen mit etwas Glück wohl noch im einen oder andern Ferienfotoalbum einiger Tourist*innen, die wenig mit dessen Humor anfangen konnten...

    Wir wagen ausserdem das Experiment, uns gegenseitig ungefiltert zu beschreiben, in unseren Potenzialen und Stärken aber auch in unseren Schwächen und Schatten. Es ist spannend für einmal unser Selbstbild mit dem Bild zu vergleichen das in der Aussenwelt von uns entsteht und es wird uns klar, das wir die allermeisten Punkte, die gesagt werden, eigentlich schon wissen, aber nicht immer akzeptieren wollen.
    Unser Bild von einander vertieft sich mehr und mehr durch unsere Erzählungen und Analysen über unsere vergangenen und gegenwärtigen Beziehungen und deren teils tragischen, teils skurielen Höhen (eher wenige) und Tiefen (eher viele). Dabei kommt letztlich soviel an Material zusammen, dass die Idee für ein Buch mit dem Titel "Ratgeber für eine zwanghaft harmonische Beziehung" aufkeimt und wohl auch eine reelle Chance hätte, irgendwann auf die Liste der Bestseller aufgenommen zu werden.
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