• Tag 8 - Arashiyama

    24 Nov–1 Dis 2024, Jepun ⋅ ☁️ 9 °C

    EIN SONNTAGSSPAZIERGANG AUF JAPANISCH

    Wir haben uns entschlossen, nach Arashiyama zu düsen, um den angeblich magischen Bambuswald zu erkunden.

    Nach unserem Billet-Fiasko im Bahnhof in Tokyo, das uns wie ein verwundeter Phönix zurückließ, beschließen wir, Kyotos Umgebung zu erobern. Unser Ziel ist der Bambuswald von Arashiyama - ein grünes Märchen, das wie ein sanfter Siren-Gesang unsere Reisesehnsucht lockt. Wir sind Entdecker auf einem Expedition ins Unbekannte, mit Abenteuerlust als Kompass und Neugier als Treibstoff.

    Der Bahnhof Kyoto ist ein lebendiger Organismus, ein Bienenstock voller menschlicher Energie.
    Wir dachten, der Bahnhof wäre eine Oase der Ruhe, doch stattdessen befinden wir uns im Auge eines Sturms wieder.

    Kyotos Bahnhof ist ein beeindruckendes Beispiel futuristischer Architektur. Mit seiner riesigen Glasfassade und dem stählernen Skelett wirkt er wie ein Raumschiff, das inmitten der traditionellen Stadt gelandet ist. Der Bau des Architekten Hiroshi Hara ist ein Monument der Moderne und steht im faszinierenden Kontrast zu Kyotos historischen Tempeln und Schreinen. Das Gebäude erstreckt sich über 15 Stockwerke und bietet unter einem Dach eine Vielzahl von Funktionen und Erlebnissen.

    Weltenbummler schwirren wie aufgescheuchte Kolibris, Geschäftsleute gleiten wie Schatten durch die Menge. Koffer von Fernwehgeplagten tanzen einen wilden Tanz, als würden sie eine chaotische Choreographie aufführen. Jeder Quadratmeter pulsiert wie das Herz einer schlaflosen Stadt. Es ist ein brodelnder Hexenkessel.
    Wie in einen Bienenstock surrt und summt es, während die Rolltreppen wie Fließbänder einer gigantischen Maschine arbeiten. Die Hauptkonkurrenzhalle, bekannt als “The Matrix”, beeindruckt mit ihrem offenen Dach und den gewaltigen Stahlträgern, die an das Gittermuster von Kyotos Straßennetz erinnern.

    Claudia und ich werfen uns einen entschlossenen Blick zu und rufen: „Auf in den Kampf!“ Ich steuere auf einen uniformierten Burschen zu und frage frech: „Excuse me, where can I buy a ticket? We want to go to Arashiyama!“ Dabei halte ich meine Suica-Karte hoch wie ein Siegesbanner.
    Der Uniformierte zeigt auf die Schranke und murmelt etwas von „240“, bevor er sich wieder anderen Reisehungrigen zuwendet. Bei vielen Japanern fühlt es sich an, als müsste ich zuerst einen Dechiffriercode knacken, um ihre Mischung aus Englisch und Japanisch zu verstehen. Alles klar, Schranke und 240 habe ich auf dem Schirm, also marschieren wir entschlossen zur Schranke. Was das 240 bedeutet, bleibt allerdings ein Rätsel, das wir noch nicht gelöst haben.

    Die Schranke und ich sind wie zwei Magneten mit gleicher Polarität – wir stoßen uns ab. Kaum lege ich meine Suica-Karte auf den Scanner, bricht ein Alarm los, der so laut ist, als hätte ich den Feueralarm ausgelöst. Der ganze Bahnhof weiß nun, dass mein Ticket so gültig ist wie ein Loch in einem Eimer. Rote Lichter blitzen auf wie Warnsignale auf hoher See. Natürlich, was hätte auch sonst passieren sollen? Soll ich jetzt die Schranke stürmen oder brav stehenbleiben?
    Da ich am Vorabend schon mit einem Schrankenwärter aneinandergeraten bin – als ich ohne Ticket einfach durchmarschierte, um ein Restaurant zu erreichen – bin ich diesmal vorsichtiger. Ein Schrankenwärter nähert sich und erklärt mir freundlich, aber bestimmt, dass die Suica-Karte hier nicht reicht; wir brauchen ein echtes Ticket. Während die Menschenmassen um mich herum wie ein unaufhaltsamer Fluss weiterströmen und mich ignorieren, bleibt uns nichts anderes übrig, als zurück zum Anfang zu gehen.

    Wo in diesem Labyrinth aus Gängen und Gleisen bekommt man ein Ticket? Kein Schalter in Sicht, also steuere ich auf die Informationsinsel zu, wie ein Schiff auf der Suche nach einem Leuchtturm. Die freundliche Dame dort weist mich darauf hin, dass wir unser Glück bei einem Automaten versuchen sollen. AUTOMAT! Dieses Wort verfolgt mich wie ein hartnäckiger Ohrwurm.
    Vor uns stehen sie in Reih und Glied: rote, blaue, grüne, gelbe und violette Maschinen, als wären sie ein Regenbogen aus Rätseln. Für uns soll der blaue Automat der Schlüssel zum Erfolg sein. Also reihen wir uns in die Schlange ein, die glücklicherweise so kurz ist wie ein Katzensprung.
    Nach wenigen Minuten sind wir an der Reihe. Ich tippe entschlossen auf Englisch, und die Maschine präsentiert mir eine Benutzeroberfläche in vertrauter Sprache. Wir wählen „Ticket kaufen“, doch das Ding lässt sich Zeit wie ein alter Computer beim Hochfahren. Schließlich fragt es nach der Zahlungsart. Suica-Karte? Ja, bitte!
    Dann erscheinen etwa 20 verschiedene Preise auf dem Bildschirm. Es ist wie ein Ratespiel: Ene mene muh – welcher Preis ist wohl der richtige? Während wir normalerweise mit Zielen arbeiten, läuft das hier über Zahlen. Ich erinnere mich an die mysteriöse 240 und tippe sie ein.
    Und schwups – das mechanische Monster spuckt zwei winzige Tickets aus, kaum größer als Briefmarken. Sie erinnern mich an die alten Kartonbillette von früher – nostalgisch und doch rätselhaft. Ob das nun korrekt war? Keine Ahnung! Aber solange wir durch die vermaledeite Schranke kommen, ist uns alles recht.
    Und siehe da: Die Schranke öffnet sich gnädig vor uns. Triumphierend schreiten wir hindurch und fühlen uns wie Helden nach einer erfolgreichen Quest. Mann, sind wir gut!

    Die erste Hürde ist genommen, aber nun stehen wir vor der nächsten Herausforderung in diesem verworrenen Labyrinth aus Gleisen und Gängen. Wir müssen den richtigen Weg finden, um den Zug zu erwischen, der uns zu unserem Ziel bringt. Claudia, die unerschrockene Pfadfinderin, hat während meines Duells mit der Schranke und dem Automaten bereits ihre Fühler ausgestreckt. Sie lotst uns durch das Gewirr aus Menschen und Schildern, als wäre sie ein erfahrener Kapitän auf stürmischer See.
    Auf und ab, querfeldein – mal hierhin, mal dorthin – zwischendurch wieder zurück, lol, laufen wir durch die Gänge des Labyrinths. Nach einer Weile lichtet sich der Nebel des Unbekannten, und wir finden den richtigen Weg zum Zug. Es fühlt sich an, als hätten wir den Minotaurus im Labyrinth besiegt und den Faden gefunden, der uns sicher ans Ziel führt.

    Die Zugfahrt selbst ist ein Erlebnis für sich. Während der Zug durch die malerische Landschaft gleitet, wechseln sich moderne Städte und traditionelle Dörfer ab. Heute ist offensichtlich Waschtag in der Nachbarschaft. Überall hängen frisch gewaschene Unterwäsche auf den Balkonen, als wären sie kleine Fahnen, die den Sieg über den Schmutz verkünden. Die bunten Teile flattern im Wind wie fröhliche Wimpel, die Geschichten von Sauberkeit und Frische erzählen.
    Die beeindruckenden Stromleitungen in Kyoto ziehen sich wie filigrane Spinnennetze durch die Stadt und verbinden die Häuser miteinander. Sie wirken, als hätte eine riesige Spinne ihr Meisterwerk aus Draht und Energie gewebt, das über den Dächern schwebt. Diese elektrischen Fäden scheinen das pulsierende Herz der Metropole zu sein, das die Lebensadern der Stadt mit Energie versorgt. So tragen sie zur einzigartigen Atmosphäre der japanischen Städte bei – eine Mischung aus Tradition und Moderne. Bei uns undenkbar!

    Die Vorfreude steigt mit jedem Kilometer, der uns näher an unser Ziel bringt. Die japanische Landschaft bietet eine beruhigende Kulisse, die perfekt zu unserer inneren Aufregung passt.

    Wir treffen am Bahnhof Arashiyama ein und folgen den japanischen Schildern wie einem geheimen Pfad, der uns in eine andere Welt führt und tun so, als würden wir jedes Wort verstehen. Hey, immerhin haben wir Godzilla den Automaten und King Kong die Schranke besiegt! Sind wir nicht grossartig…
    Google Maps sei Dank, wir wären ohne den Meister verloren, er ist unser heiliger Gral in diesem Land. Unser Retter in Not, unser Kompass und Lichtbringer. Auch wenn er uns zwischendurch in die Irre führt – es sei ihm verziehen, denn wer sonst würde uns so charmant zeigen, dass der Weg zum Ziel auch mal über die nächste Gelassenheits-Oase führen kann!

    Wir machen uns auf den Weg zum Bambuswald, und was als romantischer Spaziergang unter schattenspendenden Bambusstangen geplant war, wird schnell zur chaotischen Pilgerreise. Umgeben von gefühlten 10.000 anderen Entdeckern und Eroberer fühlt sich die Idylle an wie ein überfüllter Jahrmarkt, wo Romantik und Frieden wie eine alte Socke im Strudel der Menschen verschwinden. Die majestätischen Bambusrohre stehen da wie stumme Wächter, die uns an die vergängliche Schönheit des Augenblicks erinnern, während wir uns durch die Massen schieben – ein Abenteuer, das mehr nach Komödie als nach Poesie riecht!

    Nichtsdestotrotz ist die Umgebung mit den Tempeln einfach atemberaubend. Der Herbst entfaltet seine Farbenpracht wie ein Künstler, der mit leuchtenden Rot- und Goldtönen auf einer Leinwand zaubert. Trotz der Menschenmassen genießen wir unseren Spaziergang in vollen Zügen. Jeder Schritt durch das raschelnde Laub wird von der friedlichen Aura der Tempel begleitet, die wie stille Zeugen der Zeit wirken. Es ist, als ob die Natur und die Kultur in einem harmonischen Tanz vereint sind, und wir lassen uns von dieser magischen Atmosphäre mitreißen. Ein genussreicher Nachmittag, der uns zeigt, dass selbst im Trubel die Schönheit des Moments immer noch strahlt! Spaziergang auf Japanisch halt.
    Baca lagi