• Fehlende Zugstickets, Herzbeben und Tee

    17–20 Mar, İngiltere ⋅ ☁️ 7 °C

    Gestern noch die Meister des ÖV, heute die Könige des Schwarzfahrens. Wir marschierten in Stratford Int. wie in ein Abenteuer, ohne Ticket, aber mit dem Mut der Verzweifelten.

    Alles beginnt in Stratford International: Statt brav ein Ticket zu lösen, spazieren wir einfach durch den Metroeingang, nichtsahnend wie zwei Touristen im Tarifdschungel. Erst unten, bei den Gleisen, platzt Claudia der Geistesblitz: „Ähm … wir sind an keiner Schranke vorbei, oder?“ Stille. Nachdenkliche Blicke. Dann meine gewagte Analyse: „Lass uns einfach einsteigen. Vielleicht gibt’s im Zug ja einen Automaten.“

    Der Zug fährt ein, wir steigen ein – und finden: keinen Automaten, kein Ticketentwerter, aber dafür goldene Logenplätze ganz vorne mit Blick auf die Gleise. Perfekt! Wir lassen alle Sorgen hinter uns, jubeln wie Kinder und tun so, als würden wir den Zug selbst steuern. Wer braucht schon ein Ticket, wenn man den Lokführer mimt?

    In West Ham steigen wir um, diesmal in der Hoffnung auf Schranken – aber auch hier: kein Ticketkauf in Sicht. Na gut, jetzt sind wir schon so weit gekommen, also weiter im Abenteuer. Nächster Halt: Big Ben.

    Doch dann beim Ausgang der Endgegner: die Schranke. Kein Ticket, keine Ausrede, keine Chance – oder doch? Ich greife zum letzten Ass im Ärmel: mein Handy. Kontaktloser Zahlknopf. Ein kurzes Piepen, die Schranke öffnet sich wie von Zauberhand. Ich grinse, drehe mich zu Claudia und zucke mit den Schultern. Man muss nur wissen, wann man modern zahlt … oder einfach ein bisschen Glück haben.

    Kaum treten wir aus der Underground in die Upground, bleibt uns erst mal die Luft weg – und ein ungläubiges „Wow“ hängt in der Luft. Vor uns, in all seiner Pracht, thront der Big Ben.

    Phu, was für ein Monument! Ein britisches Kultsymbol, das seit 1859 über London wacht, als wäre es der offizielle Zeitwächter des Königreichs. Technisch gesehen ist Big Ben ja nur der Name der Glocke – ein 13-Tonnen-Koloss, der im Herzen des Elizabeth Towers schlägt. Aber wen interessieren schon technische Details, wenn man vor diesem neugotischen Meisterwerk steht?

    Und dann die Nachrichten: Erst kürzlich hat ein Mann den Turm erklommen, eine palästinensische Flagge geschwenkt und wurde prompt verhaftet. Tja, einige gehen eben wortwörtlich hoch hinaus, um sich Gehör zu verschaffen.

    Neben Big Ben erhebt sich das Westminster-Gebäude, nicht minder beeindruckend, ein steinernes Zeugnis britischer Macht und Geschichte. Wir spazieren zuerst zur Brücke, zücken unsere Kameras – und stellen fest: Entweder ist Big Ben schief, oder das Nebengebäude. Beides gleichzeitig gerade abzulichten? Unmöglich. Ein Architekturmysterium, das nur unsere Handykameras enthüllen.

    Dann bummeln wir Richtung Westminster Abbey weiter, staunen, starren, lassen uns treiben. Denn manche Wahrzeichen muss man nicht nur sehen – man muss sie erleben.

    Das Lustige an London? Ampeln sind hier reine Deko-Elemente. Eine Art urbane Weihnachtsbeleuchtung, die das Stadtbild schmückt, aber absolut niemanden interessiert.

    Während in anderen Ländern Menschen brav auf Grün warten, spielen die Londoner ihr eigenes Straßenroulette. Links schauen, rechts schauen – und hopp, rüber geht’s! Rot? Orange? Völlig egal. Die Straße gehört dem Mutigsten.

    Selbst Italiener würden hier ehrfürchtig nicken. In Rom gibt es Chaos, ja – aber in London? Hier wirkt es fast so, als hätten die Fußgänger einen geheimen, unsichtbaren Vertrag mit den Autos: „Wir tun so, als wären wir vorsichtig – und ihr tut so, als würdet ihr bremsen.“ Ein System, das auf gegenseitigem Vertrauen (und vielleicht ein bisschen Wahnsinn) basiert.

    Nach unserem Besuch in Westminster zieht es uns weiter zum Buckingham Palace. Doch anstatt den royalen Glanz direkt anzusteuern, wählen wir die malerische Route durch den St. James’s Park. Ein kleiner Spaziergang im Grünen – was soll da schon passieren?

    Kurz vor dem Eingang durchschneidet plötzlich ein Heulen die Luft. Polizeisirenen. Drei Autos rasen heran, quietschende Reifen, Blaulichter zucken. Bevor wir auch nur einen klaren Gedanken fassen können, halten sie direkt vor und neben uns. Ich grinse noch und scherze über unseren vergessenen Billettkauf – bis plötzlich sämtliche Türen aufreißen und eine Horde Polizisten aus den Wagen springt.

    Und sie stürmen direkt auf uns zu.

    „Stop it! Don’t move!“ brüllt einer aus der Ferne. Reflexartig erstarren wir, atmen nicht, bewegen uns nicht – zwei menschliche Salzsäulen inmitten eines britischen Actionfilms. Mein Puls rast. Schweiß bricht aus. Habe ich etwas verbrochen? Oder etwa Claudia? War das Ticket-Dilemma doch ein Staatsvergehen?!

    Doch dann rauscht die ganze Polizeieinheit einfach an uns vorbei. Direkt vor uns wird ein junger Mann zu Boden gerungen, Handschellen klicken. Unser Atem setzt sich langsam wieder in Bewegung, wir werfen uns einen panischen Blick zu – und dann sind wir weg. Ab in den Park. So schnell wie möglich.

    Wer hätte gedacht, dass der Weg zum Buckingham Palace so viel Adrenalin mit sich bringt?

    Kate haben wir tatsächlich gesehen – wenn auch nur aus der Ferne. Ein kurzer Blick, ein elegantes Winken unsererseits, und schon war sie wieder verschwunden. Tja, der Nachmittagstee mit der Prinzessin fällt wohl ins Wasser. Schade eigentlich, wäre bestimmt nett gewesen, aber Geschäfte gehen nun mal vor. Wir nehmen es mit britischer Gelassenheit:

    Also knipsen wir noch ein paar Erinnerungsfotos vom Buckingham Palace und dem Victoria Memorial, bevor wir weiterziehen Richtung Piccadilly Circus.

    Dort angekommen, stehen wir mitten im Londoner Trubel. Neonreklamen blinken, Menschenmassen wuseln durcheinander, und irgendwo dazwischen thront der berühmte Shaftesbury Memorial Fountain – der übrigens gar nicht Eros zeigt, sondern seinen weniger bekannten Bruder Anteros. Ein Detail, das sich hartnäckig in jedem Reiseführer falsch hält.

    Piccadilly Circus ist das Londoner Pendant zum Times Square – nur mit mehr britischer Eleganz und weniger überdimensionalen Hotdog-Werbungen. Umgeben von Theatern, Geschäften und historischen Fassaden, spüren wir die Energie der Stadt.

    Mittag gibt’s im „Happy“ – und der Name ist Programm. Zufrieden und satt schlendern wir später ins L’ETO, wo wir uns gegen 16 Uhr einen edlen Pfirsich-Holunder-Tee und ein himmlisches Beeren-Ricotta-Törtchen gönnen. Ein süßer Abschluss für einen ereignisreichen Tag.

    Mit neuem Energielevel geht’s schließlich zurück ins Hotel – diesmal mit Ticket. Man muss sein Glück ja nicht zweimal herausfordern.
    Okumaya devam et