• Eine irrwitzige Zugsfahrt

    3月22日〜30日, イングランド ⋅ ☁️ 13 °C

    6:15 Uhr, und Claudias Wecker reißt uns mit der Feinfühligkeit eines startenden Düsenjets aus dem Schlaf. Was zum…? Das kann doch unmöglich schon 8 Uhr sein! Mit der Eleganz eines verkaterten Faultiers blinzele ich in die Dunkelheit, schiele zur Uhr – 6:05. Hä? Ist die Zeitmaschine kaputt? Ich greife zum Handy – 6:05. Zweites Auge auf. Hirn hochfahren. Erkenntnis trifft mich wie ein nasser Waschlappen: Wir wurden zwei Stunden zu früh aus dem Schlaf geprügelt.

    „Warum um alles in der Welt klingelt dein Wecker um 6:05?!“, knurre ich. Claudia schießt hoch, als hätte jemand eine Maus in ihr Bett geworfen, murmelt eine entschuldigung und stoppt den akustischen Angriff. Was hat sie bitte um diese unchristliche Uhrzeit vor? Geheimverhandlungen mit der UNO? Ein heimliches Rendez-vous mit James Bond oder ein konspiratives Treffen mit der Morgenmuffel-Gewerkschaft? Mir egal – ich verkrieche mich zurück unter mein Duvet, schotte mich von der feindlichen Außenwelt ab…

    …nur um zehn Minuten später wieder von demselben Höllenapparat aus meinen Träumen gerissen zu werden. Diesmal reicht’s. Ich ziehe mir das Kissen über den Kopf und erkläre offiziell: Die Welt kann mich mal. Zumindest noch für ein paar Minuten.

    Aus den großzügig eingeplanten zwei Stunden Schönheitsschlaf wurde eine klägliche Stunde – eindeutig zu wenig, um als halbwegs funktionierendes Mitglied der Gesellschaft durchzugehen. Mit der Eleganz eines schlaftrunkenen Pinguins tapse ich unter die Dusche. Doch siehe da, das warme Wasser wirkt wie ein Reset-Knopf für meine Laune: Erst grummelig wie ein Gewitter, dann langsam aufklarend, bis ich schließlich einsehen muss – was soll’s? Schlaf wird überbewertet. Zur Not penn ich im Zug. Oder halt irgendwann im nächsten Leben.
    Claudia hat inzwischen Kaffee gemacht – ein wahrer Rettungsanker für meine müden Lebensgeister. Ein paar Schlucke später bin ich wieder auf Empfang, die Welt ist nicht mehr ganz so grau, und – Überraschung – ich verwandle mich zurück in den hellsten Sonnenschein.

    Mein Koffer ist gepackt. Naja, fast. Er weigert sich standhaft zu schließen. Mit der Strategie „Draufsitzen, Pressen, Stöhnen und Beten“ schaffe ich es aber, das widerspenstige Ding zu bändigen. Halleluja, ein Triumph der Physik! Bauchtasche umgeschnallt, Rucksack geschultert – und zack, der Packesel ist bereit für den Marsch.

    Etwas zu früh machen wir uns auf den Weg zum Bahnhof – besser so, denn man weiß ja nie, welche unerwarteten Abenteuer das Reisen bereithält. Unterwegs decken wir uns im Sainsbury’s mit Frühstück ein, damit wir die nächsten Stunden Zugfahrt nicht mit knurrenden Mägen überstehen müssen. Habe ich schon erwähnt das wir quer durchs Land nach Bournemouth fahren wollen?unser nächstes Ziel: das Meer!

    Am Bahnhof marschiert Claudia mutig zum Schalter, bereit, sich in die wilde Welt der englischen Ticketkäufe zu stürzen. Sie gräbt ihr bestes Schulenglisch aus den Tiefen ihres Gedächtnisses hervor und kehrt wenig später strahlend mit einem Ticket in der Hand zurück. Doch dann fällt ein Wort, das meine Stirn in tiefe Sorgenfalten legt: „andere Strecke“. Badabum. Andere Strecke?! Mein inneres Warnsystem schrillt lauter als ihr Wecker heute Morgen. Ich schnappe mir das Ticket, inspiziere es mit Argusaugen – und siehe da: Das ist nicht der Ort, wo wir hinwollen.
    „Doch, doch!“, beharrt Claudia. Sie ist felsenfest überzeugt, das richtige Ticket ergattert zu haben. Ich aber traue lieber Dr. Google als ihrer neuen Berufung als Ticketagentin – und siehe da, die auf ihrem Ticket vermerkten Stationen haben so viel mit unserer Route zu tun wie ein Pinguin mit einer Wüstensafari.
    Also zieht Claudia mit leicht genervtem Gesichtsausdruck erneut zum Schalter, während ich meinen neuen Job als Kofferhüter übernehme. Mit meiner Freifahrkarte sitze ich hier ganz entspannt, bestens gewappnet für die Gepäckbewachung. Am Schalter entbrennt unterdessen eine lebhafte Diskussion – so lebhaft, dass ich kurz vergesse, meine Gepäckhüter-Mission ernst zu nehmen. Worte fliegen hin und her, es wird erklärt, gestikuliert, diskutiert – und schließlich kehrt Claudia mit einem Sparticket triumphierend zurück. Sie ist und bleibt die Heldin des Tages!

    Doch das Schicksal liebt die kleine Dramatik: Unser ursprünglich geplanter Zug wird kurzfristig umdisponiert. Da Claudia nun stolze Besitzerin eines Sparticket ist, nehmen wir also einfach den, der 20 Minuten später fährt.

    Ab zum Bahnsteig 7! Wir stürzen uns ins Getümmel wie zwei Helden in einer epischen Quest. Lift runter, Lift rauf, eine elegante Kurve nach links, geschickt weichen wir Passanten und orientierungslosen Touristen aus, liefern uns ein verbissenes Drängel-Duell mit einem Kinderwagen um den letzten Platz im Aufzug – und schließlich erreichen wir unser Ziel: Bahnsteig 7. Oder zumindest das, was wir dafür halten.
    Erschöpft lassen wir uns auf eine Bank plumpsen, werfen wortlos Blicke in die Menge und genießen den Moment der Stille. Vor uns steht ein Zug nach London, bereit zur Abfahrt. Dann betritt ein Bahnangestellter mit leuchtend gelber Warnweste die Bühne. „Wollt ihr nicht einsteigen?“ fragt er freundlich.
    Synchron schütteln wir den Kopf. „Nein, wir möchten nach Southampton Central.“
    Seine Stirn legt sich in Falten. „Southampton? Dann seid ihr hier falsch.“
    Ich glotze ihn an, dann Claudia, dann das Schild über uns. Mein Blick bleibt an einer großen, unscheinbaren 8 hängen. Zeitgleich mit dem hilfsbereiten Bahnangestellten, der eifrig auf seinem Handy nachgesehen hat, rufe ich aus: „Ja himmel nochmal, wir sitzen ja auf Bahnsteig 8, nicht 7!“
    Er nickt geduldig. „Euer Zug fährt da vorne. Selbe Perron aber von Gleis 7.“
    Aha! Wir Detektive des öffentlichen Verkehrs haben also übersehen, dass dieser Bahnsteig zwei Gleise hat: Gleis 7 vorne, Gleis 8 hinten. Hätte der junge Mann nichts gesagt, würden wir wohl immer noch hier sitzen und auf einen Zug warten, der nie kommt.
    Mit einem peinlich berührten, aber dankbaren Lächeln schultern wir unser Gepäck und ziehen um zu Gleis 7 – diesmal wirklich. Hoffentlich.

    Da sitzen wir also wieder, geduldig wie zwei Steinstatuen, und warten auf unseren Zug. Die Zeit vergeht quälend langsam, bis mein Blick zufällig auf die vorbeifahrenden Züge fällt. Irgendwas stimmt hier nicht. Moment mal – die haben ja gar keinen Stromabnehmer!

    Sofort mache ich Claudia auf meine weltbewegende Entdeckung aufmerksam. Sie runzelt die Stirn, betrachtet die Züge genauer und stellt überrascht fest: „Stimmt! Die fahren ja ohne Bügel!“ Das Rätselraten beginnt. Wenn nicht mit Strom, womit dann? Kerosin wie Flugzeuge? Eher unwahrscheinlich – ein Zug mit Turbinenantrieb wäre wohl eher was für einen Science-Fiction-Film. Bleibt also nur Diesel. Oder Magie.

    Doch das reicht uns nicht. Wir müssen es wissen! Also konsultieren wir erst den allwissenden Dr. Google, der uns aber mit irrelevanten Artikeln zuspammt, statt eine klare Antwort zu liefern. In unserer Not wenden wir uns an das ultimative Orakel: ChatGPT. Und siehe da, endlich erhalten wir eine plausible Erklärung:

    England hat eine ganz eigene Philosophie, wenn es um Züge geht: Während in anderen Ländern alles fein säuberlich unter Strom steht, rollen hier vielerorts (10%) noch echte Dieseldinos durch die Landschaft. Besonders auf Strecken, die noch nicht mit schicken Oberleitungen gesegnet wurden, setzt man auf robuste Dieseltriebwagen (Diesel Multiple Units, DMUs) oder clevere Zwitterwesen, die sowohl mit Strom als auch mit Diesel fahren können – die sogenannten Bi-Mode-Züge. Die Spritvernichter der britischen Schienenwelt:
    Klassische Dieseltriebwagen (DMUs) – die Unermüdlichen
    Diese verlässlichen Arbeitstiere tuckern vor allem durch ländliche Gegenden und auf Strecken, die bisher vom großen Elektrifizierungs-Segen verschont blieben.
    Beispiele: Class 150, Class 156, Class 170 (Turbostar) – klingt wie ein Kampfroboter, ist aber nur ein Zug. Da viele britische Strecken – besonders im wilden Südwesten und im nordischen Nirgendwo – immer noch nicht elektrifiziert sind, brummen diese Dieselmaschinen weiterhin munter durchs Land. Aber keine Sorge: Man hat erkannt, dass die Zukunft grüner sein sollte und plant fleißig mit Alternativen wie Wasserstoff- oder Batteriezügen.

    Falls ihr also einen Zug ohne Stromabnehmer erspäht, keine Panik! Der fährt nicht mit Magie oder Muskelkraft, sondern schlicht mit gutem alten Diesel – oder ist ein Bi-Mode-Zug, der gerade inkognito unterwegs ist.

    Während wir noch über unser frisch erworbenes Bahn-Wissen philosophieren, füllt sich der Bahnsteig allmählich. Ich werfe einen Blick auf die Anzeigetafel – und runzle die Stirn. Der Zug hat… nur zwei Waggons? Wirklich? Das muss ein Tippfehler sein.
    Doch um 10:20 Uhr fährt er tatsächlich ein. Ein Minizug. Zwei Waggons. Ich blinzele ungläubig. Claudia auch. Gut, dann eben Kuschel-Express statt Schnellzug. Hauptsache, er bringt uns ans Ziel!

    Wir quetschen uns in den Kuschelexpress – und mit uns gefühlt die halbe Bevölkerung Südenglands. Ein wilder Kampf um die begehrten Sitzplätze entbrennt, Ellenbogen werden gezückt, Koffer strategisch platziert. Doch wir sind Profis im öffentlichen Nahverkehr und sichern uns erfolgreich zwei Plätze nebeneinander – ein Triumph, der fast nach einer Siegesfanfare verlangt.
    Kaum sitzend, mustere ich den Zug und fühle mich in eine andere Zeit katapultiert. Die Aufteilung erinnert mich verdächtig an die „Nina“ in der Schweiz: rechts sechs Sitze, links vier, dazu eng gestuhlt, als hätte man versucht, möglichst viele Sardinen in eine Dose zu quetschen. Beinfreiheit? Ein seltenes Luxusgut.
    Der Zug – oder besser gesagt, die zwei Waggons, die sich hier als vollwertiger Zug ausgeben – ist bis zum Bersten gefüllt. Es ist ein skurriles Gefühl: eine Mischung aus Nostalgie und Moderne. Die Türen schließen, ein sanftes Ruckeln geht durch die Wagen, dann setzt sich unser Mini-Zug in Bewegung.
    Und dann dieser Geruch – Diesel. Ein unverkennbares Aroma, das sofort klarmacht: Hier fährt keine schicke Elektroflunder, sondern ein echter Oldie. Und das zu Recht, denn dieser Dieseltriebwagen stammt aus den Jahren 1989 und 1992. Eine Zeit, in der Schlaghosen noch nicht wieder in Mode waren und Handys noch Antennen hatten.

    Während wir so durch die Landschaft tuckern, kann ich mir das Bild nicht verkneifen: Es fühlt sich an, als würden zwei Waggons ganz allein durch die Gegend spazieren – ein kleiner, aber tapferer Zug auf großer Mission. Charmant? Absolut. Effizient? Naja. Aber hey, Hauptsache, wir kommen an!

    Im Zug entfaltet sich ein wahres Schauspiel britischer Eigenarten. Die Engländer, besonders die älteren Damen und Herren, sind wahre Meister der Unterhaltung – unbeabsichtigt, versteht sich. Gegenüber von uns sitzt eine Dame, die ausstrahlt, als wäre sie kürzlich aus einem Filmset der „Teatime Dynasty“ entsprungen. Ihre Kleidung ist modern, aber ihr Blick, dieser stolze, würdige Blick, könnte direkt aus der viktorianischen Ära stammen. In aller Ruhe schaut sie sich die Welt an, während sie, fast majestätisch, ab und zu ihre Nägel feilt – als ob sie dabei das Schicksal des britischen Empire neu schmiedet.

    Neben ihr ein älterer Herr, der in seiner Melone, mit Schirm und charmantem Lächeln, völlig unbeeindruckt von allem um ihn herum die Zeitung liest. Ganz der Inbegriff des englischen Understatements. Dahinter? Ein junger Mann, der sich in ein Gespräch mit seiner Freundin vertieft, als ob sie die einzige Person auf der Welt wären.

    Doch das wahre Drama entfaltet sich weiter hinten im Zug. Ein tapferer, vielleicht sogar ein bisschen verbitterter, Herr kämpft gegen ein klappriges Fenster, das sich einfach nicht entscheiden kann, ob es offen oder zu bleiben soll. Es ist ein Duell der Extraklasse – Fenster zu, Fenster auf, Fenster zu, Fenster auf – und das über 30 Minuten! Es ist eine unglaubliche Show von Geduld und Hartnäckigkeit. Das ganze Abteil ist inzwischen in den Kampf involviert und feiert jeden Sieg des Fensters mit einem kollektiven Schmunzeln. Ein großes Gelächter entbrennt, als der tapfere Herr einen letzten, siegreichen Ruck an der Kurbel macht und das Fenster endlich bezwingt.

    Inmitten dieser Szene aus britischer Lebenskunst wird weiter getrunken, gelesen, die Haare gebürstet – was von den älteren Generationen mit einem erzieherischen Stirnrunzeln beobachtet wird. I love it. Wir sind im Wagon des englischen Lebens angekommen – eine wunderbare Mischung aus Komik, Charme und purer Geduld.

    Die Zugsfahrt ist alles andere als ein langweiliger Spaziergang durch die Lande. Entweder sind wir völlig fasziniert von der wilden, grünen Schönheit der britischen Landschaft oder wir schmunzeln über die Eigenheiten unserer Mitreisenden – oder auch beides. So vergeht die Zeit wie im Flug, und plötzlich sind wir schon schneller in Southampton, als wir „Full English Breakfast“ sagen können.

    Nun heißt es umsteigen – die Devise lautet „Schneller, weiter, besser“, also nichts wie ab nach Bournemouth. Unsere Wahl fällt auf die schnellere Verbindung, und zack – sind wir nun nicht mehr im schicken GWR (Great Western Railway), sondern im SWR (South Western Railway). Dieser Zug ist ein echter Trendsetter: modern, fast leer und geräumig. Perfekt, um die Füße zu strecken und uns mit einem australischen Paar zu unterhalten, das uns beim Plaudern glatt die halbe Strecke verkürzt.

    Tatsächlich kommen wir schneller an als erwartet – fast zu schnell, als dass wir uns richtig in den modernen Komfort des SWR-Zuges eingefunden haben. Aber was soll's, das Abenteuer geht weiter!

    Juhuu, wir sind am Meer angekommen! Die Wellen rauschen, der Duft der salzigen Luft liegt in der Nase, und wir freuen uns riesig auf ein paar entspannte Tage hier!
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