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  • Day 164

    Esoterischer Kommerz im Paradies

    September 16, 2021 in Guatemala ⋅ ⛅ 19 °C

    Wie auch bereits beim ersten Ort am Lago Atitlan, ist dieser Ort einfach nur spektakulär, bezaubernd und widersprüchlich zugleich. Es ist ein Ort wo Hippies, New-Age-Jünger und Esoteriker aus aller Welt sich treffen und teilweise auch niedergelassen haben, da sie diesem Ort eine besondere Energie zuschreiben. Hier gibt es esoterische Zeremonien jeglicher Art, Yoga, Meditationstempel, Reiki, ganzheitliche Therapien, holotropes Atmen, Estatic-Dance, Mantra-Singkreise, Kambo, und eigentlich die komplette weitere Bandbreite was diese sich überschneidenden Szenen zu bieten haben. Jedoch ist das Seelenheil der westlichen Menschen ja noch nie günstig gewesen und an diesem besonders energetischen Ort ist es noch kostspieliger. Ich wundere mich schon ein bisschen, wie die ganzen Hippies, die sonst nie Kohle für irgendwas haben, für das Erlernen von oben benannten Techniken plötzlich tausende von Dollar investieren können/ wollen. Ich war nämlich z. B. nicht bereit für einen 6-tägigen Workshop zum Thema "Pilzzucht" 1700 Dollar zu bezahlen, obwohl mich das Erlernen davon wirklich interessiert hätte. Naja, wenn die selbsternannten, westlichen Schamanen dann ihr geheimes Wissen über Körper und Geist ihren Padawans dann übermitteln, dann muss der Energieausgleich (so nennt man die Barzahlung in dieser Szene) auch wiederum angemessen sein. Kai und mir ist die kommerzielle Ausbeutung von spirituellen Themen zu flach, und einfach zu wenig authentisch. Das Dorf führt nämlich ein Doppelleben. Während sich die oben beschriebenen Touristen und Expats unten am Seeufer tummeln, leben oben auf den Hügeln die Mayas und gehen dort ihren uralten, traditionellen, spirituellen Ritualen nach. Am Hauptplatz treffen beide Teile unter dem großen matapalo-Baum (Würgefeige) zusammen um Lebensmittel im Laden zu kaufen. Leider mischen sich die beiden Gruppierungen ansonsten nicht wirklich miteinander, so dass trotz einer spirituell ausgerichteten Lebenssuche bzw. -wandel beider Gruppen es den Anschein macht, dass dort einfach kein echtes gegenseitiges Interesse besteht. Für die Mayas ist eine Partizipation an dem Geschehen der westlichen Esoteriker am Seeufer, ohnehin wegen den aufgerufenen Wucherpreisen gar nicht möglich. Und umgekehrt, ist es für eine westliche Reisende, wie ich es bin, nicht möglich gewesen, einen zwischenmenschlichen Kontakt an einen der dort ansässigen Maya zu bekommen und etwas über ihre Kultur zu lernen. Sobald ein erster, oberflächlicher Kontakt stattgefunden hat, schlug das Gespräch schnell um und es wurde versucht in irgendeiner Form Geld aus mir heraus zu pressen. Ich kann es den Mayas noch nicht einmal verdenken. Sie leben in ihrem Dorf an der Armutsgrenze, während die reichen westlichen Touristen sich im gleichen Dorf esoterische Kurse, pseudo-hippieske Unterkünfte und veganes Essen für unendlich viel Geld leisten, wovon die Mayas, trotz ihres eigentlich ebenfalls spirituellen Lebens, nichts abbekommen. Irgendwie finde ich diese Entwicklung am Lago Atitlan ziemlich paradox und traurig zugleich. Irgendwie auch am eigentlichen Sinne des suchenden Reisenden vorbei.
    Kai und ich haben beschlossen uns dann eben mehr auf die herrliche Kulisse mit den Vulkanen zu konzentrieren und sind um 4.00 Uhr morgens auf Indian Nose (einen der Berge um den See) geklettert um dann einen magischen Sonnenaufgang zu bestaunen, welcher uns 7 Vulkane offenbart hat, die man von dort aus dann am Horizont sehen konnte. Dieser Moment war unbezahlbar und magisch und hat mich wahrscheinlich viel näher an das ersehnte Gefühl gebracht, als es jeder dieser angebotenen Anwendungen hätte bei mir tun können.
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