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  • Day 200

    Merhaba Türkiye

    March 14 in Turkey ⋅ ☁️ 15 °C

    Es ist vier Uhr in der Nacht. Ich habe mir vorsorglich Ohropax gegönnt, denn der Muezzin ruft schon vor sechs Uhr zum Gebet, wenn ich noch ein bisschen schlafen möchte. Trotz der Stöpsel werde ich jetzt wach. Ich höre dumpfe Trommelschläge und Rufe, die eine ganze Zeit lang andauern, dann wird es wieder still bis später die Lautsprecher am Minarett den Gesang in den Ort verbreiten und den Tag ankündigen.

    Wir sind in einer anderen und für uns neuen Welt angekommen. Bei vergangenen Reisen sind wir schon in muslimischen Ländern gewesen, aber mit dem Fahrrad erleben wir es hier intensiver. Wir sind fast pünktlich zum Ramadan von den griechischen Inseln hier eingereist. Viele Fragezeichen schwirren in unseren Köpfen. Wir haben keinen Reiseführer à la Lonely Planet oder ReiseKnowHow dabei, wo man schnell mal das Kapitel über Land und Leute nachlesen kann. Daher rätseln wir erst einmal und überlegen selbst, warum hier etwas so und nicht anders ist. Dann fragen wir letztendlich Einheimische oder das Internet, das ich für die Auflösung der Fragezeichen echt liebe.

    Wir haben in dieser Nacht die Wecktrommler gehört, die noch in einigen Gegenden nachts durch die Straßen ziehen, um im Ramadan die Menschen vor dem Sonnenaufgang zu wecken, damit sie sich noch den Bauch vollschlagen, trinken und rauchen können. Denn bis zum Sonnenuntergang nach 19 Uhr ist Fasten und Enthaltsamkeit angesagt. Nicht alle Menschen nehmen aktiv am Ramadan teil, aber er ist schon allgegenwärtig: viele Restaurants öffnen zum Beispiel oft erst am Abend statt zum Mittagessen. Da die Supermärkte geöffnet sind, haben wir aber keine Probleme uns zu versorgen.

    Wir radeln von Ayvalik entlang der Küste - sogar mit Radwegen, aber auch auf einer vielbefahrenen Schnellstraße. Lesbos ist noch zu sehen. Einiges erinnert uns auch an Griechenland. Vor allem auf dem Teller gibt es Ähnlichkeiten. Sesamkringel, Feta, Gurken, Tomaten, Oliven und Olivenöl gehören auch hier zu den Grundnahrungsmitteln. Etwas ausladender ist das türkische Frühstück. "Serpme Kahvalti" war mit die erste Vokabel, die wir beherrschten. Der Tisch wird nach und nach vollgeladen mit kleinen bunten leckeren Schälchen. Pommes gehören genauso dazu wie Eier, Käse und Süßkrams.

    Die Griechen und Türken haben eine gemeinsame bewegte Geschichte hinter sich. Dies und jenseits des Bosporus lebten einst beide Nationen. Das osmanische Reich war bereits im 1. Weltkrieg zerfallen. Als Folge des Unabhängigkeitskrieges gegen Griechenland 1919-22, den die Türken gewannen, wurde die griechische Bevölkerung (die überlebt hatte) vertrieben und zwangsumgesiedelt, so dass Teile Anatoliens (zum Beispiel die Gebiete um Izmir an der Westküste) rein türkisch wurden.

    Mustafa Kemal, besser bekannt unter dem Namen Atatürk (Vater der Türken), spielte damals eine bedeutende Rolle. Er wird als Begründer der Türkei verehrt und sein Konterfei ist auch heutzutage noch an allen Ecken sichtbar. Als erster Präsident der neuen türkischen Republik im Jahr 1923 setzte er auf Modernisierung, Trennung von Religion und Staat und eine Orientierung eher nach Westen als nach Osten. Wir nehmen dies hierzulande als Personenkult wahr, ohne dass man sich wirklich kritisch mit seinen Handlungen auseinandersetzt, denn es gab da sicherlich auch eine Kehrseite der Medaille.

    Schnell wird uns die türkische Gastfreundschaft zuteil. Ein älterer Mann stellt mir gleich am ersten Morgen einen Stuhl zum Hinsetzen mitten auf den Bürgersteig und bietet mir Tee an - auch wenn wir keine gemeinsame Sprache haben. Insgesamt sind die Menschen hier nach unserem Eindruck sehr neugierig, sprechen uns an wegen des Fahrrads und begegnen uns insgesamt offener als in Griechenland. Ein paar Tage verbringen wir helfend in einem Gemeinschaftsprojekt in den Ida Bergen. Wir durchqueren einige kleine Dörfer und sehen den krassen Unterschied zwischen Stadt und dem sehr einfachen Landleben, mit Ziegen, Schafen und Landwirtschaft. Dann sind wir zu Gast bei Derya und ihrem lustigen Mann in Canakkale, die wir über Facebook gefunden haben. Ein toller Einstieg in dieses neue Land.

    Wir setzen die Kultur-Tour fort und wollen das sagenumwobene Troja besuchen. Mal wieder verlassen wir uns voll auf Komoot, unserem Navi. Zu naiv mal wieder und wirklich dumm, führt es uns auf einen ungeteerten Weg, eigentlich schon nah an den Ausgrabungen. Da beginnt unsere Matsch-Schlacht um Troja. Der Lehm setzt sich so fest, dass die Laufräder irgendwann gar nicht mehr weiterdrehen. Denise baut kurzerhand ihr komplettes Rad auseinander und wir tragen die Einzelteile bis wir auf Asphalt stoßen. Merke: Umkehren, denn es kann immernoch schlimmer kommen. Und einem Gerät sollte man weniger trauen als Denises Bauchgefühl...wir hätten einfach auf der Hauptstraße bis Troja auf Teer bleiben können...

    Istanbul wir kommen!
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