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  • Santo Stefano

    July 2, 2017 in Italy ⋅ 🌧 15 °C

    Sonntag Abend kamen wir nach 14 Stunden Autofahrt in Santo Stefano di Sessiano. Unsere Wohnung liegt sehr ruhig und verfügt über eine große Terasse, die an einen wilden Hang angrenzt, sehr naturbelassen. Vögelgezwitscher und bunte Schmetterlinge zeugen davon, dass hier die Welt noch in Ordnung ist. Heute sind wir zu müde, um den Ort zu erkunden. Wir schaffen es nur noch in einen nah gelegenen "Kuhstall" zum typischen abruzzesischem Abendessen. Morgen ist auch noch ein Tag. So hofften wir jedenfalls.

    Montag war noch ein Tag. Wir sind dieses Jahr in ein Erdbebengebiet gefahren. Die Abruzzen sind von je her immer wieder von Erdbeben betroffen. Aber was sich hier in den letzten Jahren abspielt, steht in keiner Relation zu dem, was hier sonst so los war.
    2009 war wohl eines der Erdbeben, dass das meiste Aufsehen erregte. Danach kam die Erde aber nicht mehr zur Ruhe. Fast wöchentlich wackelt es hier mal stärker, mal schwächer. 2016 kam es dann zur nächsten Katastrophe. Neben erheblichen Erdstößen fiel unendlich viel Schnee. Die Abruzzeser wussten gar nicht mehr wohin mit dem Schnee. Viele Dörfer lagen eingeschneit und mussten wochenlang ohne Strom und Wasser auskommen. Manche Häuser lagen bis zu drei Meter unter dem Schnee. Durch das Beben lösten sich Lawinen, die alles unter sich begruben und zum Teil alles mit sich ins Tal rissen. Der Schnee hielt sich lange in den Bergen und so verpassten viele Fruchtbäume ihre Blütezeit. Besonders waren mal wieder die Oliven betroffen.
    Man fragt sich vielleicht, wieso macht man dort Urlaub? Nun, trotz alledem ist es ein sehr schönes Land. Eine interessante Gegend in Italien und es ist ein Stück Heimat, welche ich nie so ganz begriffen habe. Soviel Gegensätze und so voller Menschen, die noch gastfreunlich, geschäftstüchtig und auch schlitzohrig sind. Überlebenskünstler, die bleiben und sich nicht vertreiben lassen. Die einfach leben und stolz auf ihre Abruzzen sind. Am Montag Morgen starteten wir mit der Erkundung von Santo Stefano. Was sofort ins Auge fiel, waren die vielen eingerüsteten Gebäude, die Kräne und die Menschen, die an ihren Häusern arbeiteten. Der Ort liegt sehr schön auf einem Hügel und ist schon mindestens 1000 Jahre alt. Aber es sind auch Spuren aus Römischer Zeit zu finden. Urkundlich benannt wird Santo Stefano erstmals im 13. Jahrhundert. 2009 fiel der Turm, das Wahrzeichen der Stadt, einem Erdbeben zum Opfer. Er ist, wie vieles hier in den Abruzzen, noch nicht wieder aufgebaut. Ein Metallgerüst steht dort in Originalgröße des ehemaligen Turms. Lange Zeit war nicht klar, ob er wieder aufgebaut werden sollte. Zu viele Häuser wurden zerstört. Zuvieles musste wieder rekonstruiert und repariert werden. Zuviele Menschen verloren ihr Dach über den Kopf, da war wohl ein Turm zu unwichtig. Außerdem nahmen andere Städte viel mehr Aufmerksamkeit in Anspruch. Da ist L’Aquila und Onna. Dort war das Epizentrum. Dorthin flossen viele Spenden und viel Geld. Sie standen in der Öffentlichkeit. Ich bin in den letzten Jahren oft durch das Erdbebengebiet gefahren. Ich sah, wieviele alte Dörfer betroffen waren, wie groß die Schäden sind. Viele Bauerndörfer und viele Kirchen und Klöster waren betroffen, aber nie hörten wir irgendwas. Ich weiß nicht, wer entschädigt wurde und wem geholfen wurde, aber es ist schon sehr befremdlich, wenn ich heute durch Dörfer fahre, in denen es immer noch rote Zonen gibt. Andererseits wurde der Aufbau der Kirche in Onna finanziert und den Ort gibt es gar nicht mehr. Wir waren gestern noch da, da steht eine frisch renovierte und neu aufgebaute Kirche in einem Dorf, das nur noch aus Schutt und Asche besteht. Diese Kirche sieht sehr gut aus, es gibt nur keine Menschen, die dort zu Messe gehen, weil diese Menschen heute an einem anderem Ort, zwar sehr nahe, aber eben sehr neuem Dorf leben mit einer neuen Kirche. Onna war ein sehr altes und armes Dorf. Die einfachen Häuser, in denen die früheren Einwohner von Onna heute leben, sind besser als die alten, in denen sie vorher lebten. Zwar bedauern einige alte Menschen, dass es ihr altes Dorf nicht mehr gibt, aber sie bauen es nicht mehr auf. Warum auch?

    Zurück nach Santo Stefano. Für mich hat diese Stadt einen sehr eigenen Flair. Als wir so durch die alten Gassen spazierten, sahen wir auch viele Gerüste und vieles was noch sehr baufällig aussah. Andere Gebäude erstrahlten in alter Pracht. Der Charme der Vergangenheit war wieder spürbar. Die Menschen waren freundlich und sehr gastfreundlich. Wir nahmen Platz zwischen den engen Gängen auf wacklige Stühlen, die zu einer Eisdiele gehörten. Ein Italiener kam heraus und fragte, womit er uns eine Freude machen könne. Wir bestellten einen Espresso und ein Cappuccino. Wir staunten nicht schlecht, als wir sahen, was er uns brachte. Ich kann es kaum beschreiben: Eine Kaffeekanne aus Aluminium mit einem Aluminiumbecher darauf. Die Kombination sah sehr alt und sehr traditionell aus. Ich habe schon einige alte Kaffeekannen gesehen, aber sowas noch nie. Dazu ein großer Keramiktopf mit heißer Milch. Die Espressotasse war ebenfalls aus Keramik und wirkte so, als hätte man sie nach dem Erdbeben wieder zusammengeklebt. Mich wunderte, dass sie dicht war. Mein Cappuccinobecher sah nur etwas besser aus. Dazu gab es hausgebackenen Kuchen und eine Schale frisch geschlagene Sahne. Wir ließen es uns gut schmecken, beobachteten das Dorfleben und lauschten den Gesprächen. Die Menschen waren gut gelaunt und sehr gelassen. Nichts von Unzufriedenheit war zu spüren. So erging es uns dort noch an vielen Stellen. Diese Menschen strahlten und lebten.
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