• Das heilige Tal

    September 1, 2024 in Peru ⋅ ☁️ 20 °C

    Es war einmal ein König, der die Welt verändern sollte: Pachacútec Yupanqui. Mit seinen „Kinder der Sonne“ formte er das grösste Imperium, das Südamerika je gesehen hatte. Das Inka-Reich erstreckte sich vom heutigen Ecuador bis nach Chile und Argentinien. Unter Pachacútecs Herrschaft wurde Cusco zum rituellen, politischen und kulturellen Mittelpunkt des Reiches.

    Wir machen uns auf eine kleine Entdeckungsreise – von Cusco aus, durchs nahegelegene Valle Sagrado, dem heiligen Tal der Inka. Und wir versuchen abseits der eingetrampelten Pfade der mysteriösen Geschichte der Inka etwas näher zu kommen.

    Wir starten unseren Streifzug in Chinchero. Ein ruhiges Dorf, wo einst Tupac Yupanqui, der Sohn des grossen Pachacútec, eine prächtige Sommerresidenz errichten liess. Die Einheimischen grüssen uns freundlich und scheinen etwas verwundert, dass die Gringos hier übernachten. Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg entlang einer der unzähligen Inka-Pfade, zur Ruine Huchuy Qosqo (übersetzt „kleines Cusco“). War es ein königliches Landgut oder ein Regierungszentrum nach dem Vorbild der Inka-Hauptstadt Cusco? Man weiss es nicht, die Inka-Kultur birgt bis heute noch viele Geheimnisse. Denn die Inka hatten keine Schrift, hinterliessen keine Dokumente und auch keine in Stein gemeisselten Hieroglyphen oder Schriftzeichen.

    Als wir uns den steinigen Weg hinaufkämpfen, stellen wir uns vor, wie einst die Chasquis, die Nachrichten-Kuriere der Inka, in Stafetten-Läufen diese steilen Wege hoch sprinteten. Sie sollen Nachrichten von Chile bis nach Ecuador in nur wenigen Tagen überbracht haben. Wir sind etwas langsamer unterwegs und kommen erst nach 5 Stunden in Klein-Cusco an. Am Torbogen sitzt eine Schaf-Hirtin und schaut hinab ins Tal. Ihre Schafe grasen gemütlich auf den gut erhaltenen Landwirtschaftsterrassen. Sie freut sich über unseren Besuch, wir sind wahrscheinlich die einzigen Menschen, denen sie heute begegnet. Nach der Ruinen-Besichtigung geht’s noch 1,5 Stunden steil bergab, bevor wir an unserem Tagesziel in Pisac ankommen.

    Pisac war zu Inka-Zeiten ein bedeutender, militärischer Kontrollpunkt. Heute ist Pisac eher bekannt für seine Hippie-Vibes. Yoga-Retreats und Mandala-Workshops sind noch das Harmloseste, was man hier findet. Von psychedelischen Wanderungen, über Ayahuasca-Sessions, Bufo-Ritualen (Krötengift) und jeder erdenklichen Sorte von "Medizin" bietet dieser Ort alles, was das moderne, alternative Herz begehrt. Wir geben uns eine Nacht in diesem Hippie-Nest, damit wir am nächsten Morgen in aller Frühe, noch vor den Busladungen voller Tagesausflügler, die eindrücklichen Festungsanlagen und Terrassen besuchen können.

    Genau aufs Zmittag sind wir zurück im Städtchen. Nach einem Menu del Dia und einem Matcha Chai Latte führt uns die nächste Etappe mit drei verschiedenen Colectivos weiter hinauf ins Tal - nach Maras. Von hier haben wir eine spektakuläre Aussicht auf das Heilige Tal und die dahinter liegenden Anden. In diesem staubigen Dorf treiben Frauen mit grossen Hüten und farbigen Röcken die Schafherden durchs Dorf. Dicke Munis und Schweine leben neben Güggel und Esel im Hinterhof. Ansonsten ist dieses Dorf angenehm ausgestorben, genau nach unserem Gusto.

    Nur zwei Stunden Wanderung vom Dorf entfernt gibt es etwas zu sehen, das uns eher an einen Science-Fiction-Film erinnert. Moray - das geheimnisvolle Labor der Inka. Diese kreisförmigen Terrassen, sollen den Inka als eine Art landwirtschaftliches Experimentierfeld gedient haben. Zwischen der obersten und untersten Ebene herrscht ein Temperaturunterschied von 12 Grad. So sollen die Inka untersucht haben, wie Höhe, Temperatur und Sonneneinstrahlung das Pflanzenwachstum beeinflusst – und was die besten Bedingungen für Gemüse und Getreide sind.

    Doch das war noch nicht alles, was Maras zu bieten hat. Zwei Stunden in die andere Richtung befinden sich die berühmten Salzsalinen. Wieder so ein Ort nicht von dieser Welt. Über 3000 Salzbecken reihen sich entlang eines Tals dicht aneinander. Seit der Inka-Zeit zapfen die Bewohner eine salzhaltige Quelle an, deren Wasser durch die Sonne verdunstet und das wertvolle Salz zurücklässt. Wir schauen staunend den Arbeiterinnen und Arbeiter in den Salzbecken zu, die heute immer noch in mühsamer Handarbeit das Salz gewinnen – auf gleiche Weise wie ihre Vorfahren.

    Lange Zeit lebten die Inka ohne Feinde auf Augenhöhe. Bis die Spanier kamen. Denn dem spanischen Konquistador Francisco Pizarro war zu Ohren gekommen, dass es in diesem “Biru” reichlich Gold gibt. Er startete seinen Feldzug an den Küsten des Inka-Reichs. Die Inka mit ihrer riesigen Armee waren nicht auf die Ankunft der Spanier vorbereitet, die mit ihren seltsamen grossen Tieren (auch bekannt als Pferde) angeritten kamen. Der Rest ist Geschichte: Die Spanier kamen, sahen und plünderten alles, was nicht niet- und nagelfest war.

    Die Inka mussten sich von den vorrückenden Konquistadoren zurückziehen. Eine der letzten Widerstands-Hochburgen war Ollantaytambo – weit hinten im heiligen Tal. Genau dort verbringen wir unsere letzten zwei Nächte im Valle Sagrado und besuchen die majestätischen Verteidigungsanlagen und Ruinen, die über dem hübschen Städtchen wachen.

    Insgesamt leisteten die Inka 40 Jahre lang Widerstand. Der letzte Inka-Herrscher Tupac Amaru (nicht zu verwechseln mit dem totgesagten Rapper Tupac Shakur) wurde 1572 gefangen genommen und in Cusco hingerichtet. Sein Tod markierte das endgültige Ende des Inka-Reiches.

    Ach ja, und was ist eigentlich mit Machu Picchu, dem versteckten Königspalast der Inka? Den haben die Spanier nie gefunden. Wir auch nicht. Entweder man muss Tickets Wochen im Voraus reservieren – oder zwei Tage Schlange stehen für ein Last-Minute-Ticket. Auf beides haben wir keine Lust. Also entscheiden wir uns, diesen Touri-Hotspot auszulassen und ihn auf unsere Liste “machen wir, wenn wir pensioniert sind“ zu setzen.

    Der Legende nach sollen die Inka ihre letzten Schätze tief im peruanischen Dschungel versteckt haben. Dort schlummern sie vielleicht noch immer. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben die Geister der Inka im tiefen Grün des Dschungels weiter...
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