• Day 11

    11 Auf der Blumenstrasse ins Blaue

    April 10 in Italy ⋅ ☀️ 16 °C

    Gestern war für heute noch Sturm angesagt. Also hielt ich ein Zwiegespräch mit meinem Freund Petrus und bat um einen windstillen Tag. Bei Sturm ist es immer so schwierig, ein Zeitraffervideo zu machen. Schwups, ist das Stativ umgefallen, Aufnahmen im Eimer und Kamera kaputt.

    Die Sonne strahlt warm vom Himmel, der sich im tiefsten Postkartenblau zeigt und das Meer geht in den Himmel über. Und kein Zweig rührt sich. Danke Petrus.

    Unser letzter Tag in dieser Gegend. Wir haben alles gesehen und besucht, was geplant war. Also heute eine Fahrt ins Blaue. Die Hotspots sind allesamt abgehakt. Wir fahren also ins Hinterland. Da gibt es vielleicht nicht die Highlights, aber dafür magische Landschaften voller Farben. Man muss nur hinschauen und genießen.

    Schmale Straßen winden sich durch sanfte Hügel, links und rechts gesäumt von einem dicken bunten Band aus Blumen – leuchtendes Gelb, tiefes Rot, zartes Lila, pastelliges Blau. Als hätte jemand die Farben des Frühlings großzügig über die Landschaft gestreut. Kilometerlang.

    Was für eine Natur! Zwischen den Hügelkuppen ziehen sich ordentliche Reihen von Weinreben, silbrige Olivenbäume werfen weiche Schatten auf den Boden. Und es riecht nach Honig. Das es so etwas in dieser Fülle noch gibt. Das reinste Schlaraffenland.

    In der Ferne erkennt man die Winzer, wie sie mit ruhigen, geübten Bewegungen ihre Felder vorbereiten – die Erde wird gelockert, Reben werden zurückgeschnitten, während die Sonne mild über allem liegt. Es liegt ein Gefühl von Aufbruch in der Luft, aber auch von Beständigkeit, als würde die Landschaft selbst tief durchatmen und sich auf die kommende Zeit freuen.

    Wir erreichen Salemi. Nicht lachen, es heißt so, nicht etwa Salami. Salemi ist ein eher unbekanntes Städtchen, hat aber definitiv versteckte visuelle Schätze, die sich super für einen besonderen fotografischen Blick eignen.

    Dazu ein wenig Geschichtliches: Nachdem es Schauplatz mehrerer kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Selinunt und Segesta gewesen war, wurde Salemi von den Römern erobert und als freie, d. h. nicht steuerpflichtige Stadt deklariert. In der Folge fiel Salemi an die Wandalen und die Westgoten und geriet sodann nacheinander unter arabische, normannische und staufische Herrschaft. 1860 proklamierte Garibaldi von der hiesigen Piazza aus die Diktatur des Reiches Beider Sizilien, die der Ausrufung des Königreiches Italien voranging.

    Durch das verheerende Erdbeben von 1968 wurde ein Teil des historischen Stadtkerns zerstört, und danach verlagerte sich der Schwerpunkt des städtischen Lebens auf das Gebiet unterhalb des Hügels. Die heutige Altstadt folgt in ihrer Anlage dem arabischen Muster und präsentiert sich mit zahlreichen gewundenen Gassen und Gässchen, die vor versteckten Innenhöfen enden, und mit zahlreichen besonders steilen Treppen.

    Damit hat der Stadtkern von Salemi durchaus seinen Reiz, auch wenn die Atmosphäre von den nach dem Erdbeben errichteten „modernen“ Bauten teilweise zerstört ist. Mitten im Stadtzentrum erhebt sich die eindrucksvolle Burg Castello di Federico II. Darüber hinaus hat Salemi auch ein „Mafia-Museum“, das viele Besucher aus aller Welt hierher lockt.

    Nach dem Erdbeben wurde ein Teil von Salemi aufgegeben. Einige dieser verlassenen Häuser stehen noch – eingestürzte Fassaden, wild wuchernde Pflanzen. Lost Places mit mediterranem Flair. Lost places finden wir auch reichlich auf und zwischen den Hügeln inmitten dieser sanften Traumlandschaften. Überall sind sie zu finden. Die verlassenen Häuser und großen Gehöfte sind heute wie eingefrorene Momentaufnahmen der Vergangenheit. Mauern, die einst Leben schützten, geben nun den Blick frei auf das, was war.

    Pflanzen erobern sich ihren Raum zurück, als wollten sie das Geschehene überwuchern. Und wenn das Licht durch die Ritzen fällt, scheint es fast, als erzähle es Geschichten von früher – flüchtige Schatten von Stimmen, Gerüchen, Alltagsmomenten. Ein Lost Place, ja – aber nicht verloren. Nur im Wandel.

    Den krönenden Abschluss haben wir in den Ruinen der alten Thunfischfabrik. Ein Sonnenuntergang wie in einem Märchen. Und gegenüber der fast volle Mond.

    Es gibt soviel wunderschöne Ecken auf unserer Welt. Wenn Fotos erzählen könnten, was man in diesen Momenten und Augenblicken gefühlt hat, das wäre das perfekte Bild.
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