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  • Day 8

    Partnerlook des Grauens

    January 24, 2018 in Argentina ⋅ ⛅ 14 °C

    Wir machen uns also auf den Weg nach Ushuaia, dem "Ende der Welt". Als wir so in der Abflughalle für "domestic flights" in Buenos Aires sitzen, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Sue und ich sind im Partnerlook unterwegs, grüne Hose und so. Shit, wie konnte das passieren? Haben wir doch genügend sich unterscheidende Kleidungsstücke in unseren prall gefüllten Rucksäcken. Nach einer kurzen (und ergebnislosen) Diskussion stelle ich mir bzw uns die Frage, wieso findet man(n) den Partnerlook eigentlich so zum Kotzen? Ich nutze die verhasste Wartezeit und recherchiere im Internet. Dabei stosse ich auf die durchaus treffende Bezeichnung vom Märchen-Pärchen-Alptraum (http://www.thisisjanewayne.com/news/2011/05/17/…), welche die Zurschaustellung der "ach so Verliebtheit" für Aussenstehende zum Alptraum werden lässt. Ja, zum Kotzen ist das. Da wir uns noch immer nicht einig sind, ob wir denn nun im Partnerlook unterwegs sind, bzw Sue es nicht einsieht (ganz nebenbei, ich liebe diese Diskussionen, man tauscht Meinungen und allerlei Begründungen derer aus und zum Schluss habe ich doch recht. Und wenn der andere mal recht haben sollte? Hm, das schauen wir dann wenn es mal soweit ist), schalte ich einen Gang höher bzw ein externes Gremium ein ...

    Ja wen nehmen wir denn da? Ich unterbreche einfach mal die 3 älteren und sympathischen Mitmenschen, welche uns zu dem Zeitpunkt gegenüber sitzen, in ihrem ohnehin belanglosen Gespräch über vergangene Reisen. Wir leben und reisen schliesslich heute. Meine freundliche Anfrage „may you help us with a quick outfit assessment?“ scheint noch keinen Sinn zu machen. Alle drei sitzen da und lächeln verlegen. Scheisse, was soll das? Nuschel ich oder was? Habe doch die letzten 5 Minuten eure Gespräche belauscht und kann mit Sicherheit sagen, du bist Amerikaner und ihr ein Pärchen aus England (nicht im Partnerlook). Oder habe ich vielleicht immer noch meine einschüchternde „erzähl keinen Scheiss“-Fratze auf? Hm, könnte sein. Einen Spiegel habe ich aber gerade nicht zur Hand und so versuche ich es zur Abwechslung einfach mit einem breiten Lächeln und weiterführenden Erklärungen zum gewünschten Assessment: „would you consider this a partnerlook?“ ... Jetzt kommt Bewegung ins Gespräch (liegt wohl am Lächeln) und nach kurzer Musterung und Besprechung ist das Jury-Ergebnis eindeutig. Natürlich sitzen wir unübersehbar im Partnerlook da. Wusst ichs doch, ein Gefühl von Erfolg und Freude überkommt mich, wie es sich für einen Sieger gehört, welches sich allerdings nach geschätzten 2 Sekunden in ein Gefühl der Abneigung und Scham wandelt. Wäre doch besser gewesen, Sue hätte recht gehabt.

    Nachdem ich den ersten Schock aufgrund der eben geschaffenen Fakten überwunden habe und mit Sue im Flieger sitze, merke ich dann doch wieder, dass wir wie unsere grünen Hosen zusammen gehören. Und so hole ich mir alle paar Minuten einen Kuss ab und kann wie immer die Finger nicht von ihr lassen. Klar, für Singles zum Kotzen, für andere eher weniger, und so lassen wir die Armlehne zwischen uns auch auf diesem Flug oben. Ausserdem einigen wir uns bei der Begründung für die Abneigung denn auch darauf, dass (vor allem) man(n) sich in erster Linie ein wenig peinlich berührt fühlt beim Betrachten eines Pärchens im Partnerlook, weil man(n) selber nicht den Mut hat seine Zuneigung in der Form nach aussen zu tragen, denn dort wird man(n) angreifbar und verletzlich ... Shit, ich schweife ab und "sülze" rum, sorry, der Flieger von Latam Flug LA7744 füllt sich und ist dank angemessener Beinfreiheit und äusserst freundlichem Personal kein Vergleich zum Trombosebomber von Iberia. Bravo.

    Im Flieger beginne ich mit dem Buch „The Power of Now“, während Sue an ihren Video-Post-Production-Skills arbeitet. Als eine Combi aus dem coolen TopGun-Maverick und dem weniger coolen dafür eher kleinen und dicken Bruno (de Kameramaa!) liefere ich eindrückliches Bildmaterial von unserer schnuckeligen Drohne, aus welchem Sue dann noch eindrücklichere Clips fertigt. Erste Beispiele erobern bald Youtube! Vielleicht. Das Buch habe ich von meinem grossen Bruder geschenkt bekommen und ich bin sofort in seinem Bann. Schliesslich befinden wir uns auf einer äusseren UND inneren Entdeckungsreis, wie er es treffend formuliert hat. Unser Glück liegt in unseren eigenen Händen. So geht es auch bei „The Power of Now“ - wie in vielen spirituellen und meditativen Lehren - um die destruktive Kraft der eigenen Gedanken, die einen viel mehr beherrschen als man sich eingestehen möchte. Die Kunst liegt darin, den Moment zu leben ohne von Gedanken gestört, die von Natur aus hauptsächlich die Vergangenheit durchwühlen oder die Zukunft vorauszusagen versuchen (hört mal genau hin, dann werdet ihr es schnell realisieren).

    Shit, ich schweife schon wieder ab. Entschuldigung! Aber kein Wunder wurde das Buch auch von Oprah Winfrey - die erste Talk-Masterin die es zur Milliardärin geschafft hat (Warnung: Aussage basiert auf gefährlichem Halbwissen und ich habe keinen Bock den Wahrheitsgehalt zu recherchieren) - gehiped, das Buch ist wirklich fesselnd. Aber ja, die Guru-Posts masse ich mir erst an, nachdem wir Indien, die Wiege der Spiritualität, besucht haben.

    Ich lebe also für einen kurzen Moment den Moment, bevor meine eigenen Gedanken wieder Überhand nehmen und mich sämtliche Flüge meines Lebens durchgehen lassen, um zu bestimmen, in welchem Flieger ich denn die meiste Beinfreiheit genoss (ganz eindeutig in der Business-Class von Singapore Arlines, lange her, war ne schöne Zeit). Der Landeanflug entwickelt sich dank der vorherrschenden patagonischen Winde zu einer veritablen Achterbahnfahrt und auch das absturzartige Aufsetzen lässt auf Rückenwind und Vollgummireifen schliessen. Aber einmal mehr haben alle überlebt. Wir auch. Um ein Haar hätte ich mich dem frenetischen Applaus der Überlebenden angeschlossen. Aber der ist etwa gleich verpönt wie der Partnerlook. Also sitze ich einfach da und erfreue mich am Moment.

    Und was macht man nun am Ende der Welt? Der Nationalpark, natürlich, ein Must-See. Das erzählt man hier aber scheinbar jedem und so sind denn auch alle da, trotz saftiger Preise (die angepeilten 100.- pro Tag werden in Ushuaia sehr wahrscheinlich nicht reichen). Wohl so ein "once in a lifetime" Ding. Und wie ich gesagt habe, klauen geht gar nicht, zu viel verlangen, ok. Und wir müssen ja unbedingt da rein, so oder so, ich habe Pavel eine Karte vom südlichsten Briefkasten der Welt versprochen ... und er soll diese Postkarte bekommen. Er liess mich schliesslich auch mit seinem R8 (nota bene mein damaliges Traumauto) und der schönen Sue auf dem Beifahrersitz nach und durch Locarno cruisen. Dafür und für die zahlreichen Segeltörns (und siegreichen Regatten ua gegen den schönen jedoch unfotogenen und nachweislich langsameren Robin) als Skipper stehe ich wohl noch lange in seiner Schuld.

    Also ab zu den Bussen zum Park ... Ha, und wer steht denn da etwas hilflos und als einziger ohne Ticket? Bob (wie wir später erfahren haben), der Ami aus der Partnerlook-Jury, seines Zeichens Biologe und nach eigenen Aussagen in erster Linie am ... äh, an den Vögeln interessiert. Ohne uns wirklich zu erkennen, erkundigt er sich nach den Tickets, die er für überteuert hält. Wir geben ihm zwar Recht, haben aber, wie es sich für einfältige Touristen gehört, keine Alternative parat. Nachdem er sich dann doch noch erkundigt, woher wir uns denn kennen würden, bestätigt er, dass wir diesmal definitiv nicht im Partnerlook unterwegs wären, aber auf jeden Fall toll aussehen würden. Vor allem Sue. Freut mich. Es sollte nicht das letzte Wiedersehen sein an diesem Tag.

    Im Park angekommen, wandern wir los und von einer Wandergruppe zur nächsten. So ist das eben, wenn jeder mal das Ende der Welt sehen will, zumindest eines davon. Sue zieht nach meiner kurzen Nörgelei aufgrund des vorherrschenden Massentourismus mit grossen Schritten davon und sieht in grün/weiss/hipster-beige zum Anbeissen süss aus. (An dieser Stelle gäbe es noch einen ganzen Abschnitt zum Thema "gänzlich in frischem Knoblauch getränkte Zwischenverpflegung vom Vortag für die immer hungrige Sue", welcher mir allerdings verboten wurde. Zusammenfassend sei aber die Frage erlaubt: wie kann etwas so Schönes nur so müffeln?). Nach unzähligen Überholmanövern mittels Anrempeln älterer Leute und kleiner Kinder, lichtet sich das Feld allmählich. Wir ziehen uns das Maillot Jaune über und sind plötzlich für uns. Wunderschöne Trampelpfade führen entlang der Küste, was uns ein wenig ans Wallis erinnert, einfach mit Meer-Brise. Schade ist einzig (neben dem omnipräsenten Knoblauchgeruch), dass eine wirklich breite Strasse (es können problemlos zwei Reisecars kreuzen, während am Strassenrand Glace verkauft wird, was nie so passiert ist, nur um die Dimension zu verdeutlichen) quer durch den ganzen Nationalpark führt. So gibt es zahlreiche Reisecars, Busse und Mietautos, welche die Highlights und Hotspots, die wir uns zu Fuss teils hart erarbeiten, einfach so anfahren. Crétins!

    Nach ein paar Stunden erreichen wir eine Art Guest-House, was sich als riesiges Restaurant mit etwa 200 Sitzplätzen und 15-seitiger Speisekarte entpuppt. Mitten im Nationalpark?! Wir essen trotzdem die mitgebrachten Früchte und Nüsse, bevor wir für den anschliessenden Kaffee die Mega-Lodge beehren. Als wir uns danach den Weg nach draussen bahnen, werden wir durch Ruths Lächeln abrupt gestoppt. Da sitzt sie, die komplette Partnerlook-Jury vereint. Die gemeinsame Zeit als unsere Jury scheint zu neuen Freundschaften zu führen. Gern geschehen. Ruth und Peter, wie sie uns später verraten, erkennen uns sofort und freuen sich über alle Massen uns zu sehen. Bob der kleine Vogelkundler scheint erneut keine Ahnung zu haben, wer da vor ihm steht. Was ist mit dem bloss los? Wohl mehr Vögel als Menschen gesehen im Leben. Oder einfach zu viele Vogelbeeren genascht. Wir lassen Bob the Brain bei seinen neuen Freunden und wandern weiter.

    Kurz bevor wir unser Tagesziel am Ende des Parks erreichen, erkennen wir den universellen Fehler des Tages, der an diesem Tag ausnahmsweise uns unterlaufen ist. Wir brechen fast zusammen als wir realisieren, dass wir die versprochene Postkarte nicht wie versprochen geschrieben und eingeworfen haben, als wir unsere Wanderung bei eben diesem Briefkasten begannen. Zu gross war der Trubel und der Drang möglichst schnell weg von den Massen und in Führung zu gehen. Jetzt sind wir Stunden entfernt und der Tag neigt sich dem Ende. Die letzte Chance ist also der Shuttle-Bus Fahrer, der uns wieder zurück nach Ushuaia fahren wird. Optimistisch packt Sue ihren ganzen Charme aus, um den eben eingetroffenen Fahrer - ich nenne ihn Ramon (Madlen wird wissen warum) - von einem kleinen Umweg zu überzeugen. Als ich merke, dass es Sue, der ich fremdsprachlich nicht das Wasser reichen kann, nicht zu schaffen scheint, schalte ich mich mit allerlei Gesten in die Diskussion ein. Doch auch das mehrfache Reiben der Fingerspitzen, als eindeutiges Zeichen einer versuchten Bestechung, helfen hier nicht weiter. Ramon will oder kann einfach nicht. Ich versuche noch für einen Augenblick den Moment zu leben, aber zu spät. Ich bin stinksauer. Auf Ramon, mich, Sue und das Universum.

    Ramon der Arsch, aka der Unbestechliche, nimmt uns noch ein Stückchen mit, bevor wir dem schmerzenden Halux den Kampf ansagen und ein paar weitere Kilometer unter die Füsse zu nehmen. Endlich am abgelegenen Post-Office angekommen, stellen wir enttäuscht aber nicht überrascht fest, dieses ist schon geschlossen. Ist ja auch schon spät geworden. Also entscheiden wir uns anstelle der Ansichtskarte im Briefkasten für ein Foto von mir am Briefkasten, welches Pavel dann als Post via "Eine-Postkarte-Pro-Tag-Gratis"-App erhalten soll. Wir finden es sowieso passender, anstelle einer einfältigen Ansichtskarte ein Foto mit meinem zwar leicht schmerzverzerrten aber trotzdem siegreichen Grinsen zu verschicken. Mission accomplished!

    Nach allerlei weiteren Ausflügen und Expeditionen, von denen sicher noch Bilder folgen werden, machen wir uns als nächstes auf nach El Calafate (in der Hoffnung, dass es dort dann wirklich ruhiger und die Berichte wieder etwas kürzer werden). Nachdem wir festgestellt hatten, dass alle Busse aus Ushuaia heraus für Tage oder gar Wochen ausgebucht sind, nehmen wir erneut den Flieger. Soviel zu "mir lueged de vorzue und so". Total fail! Verdammte Anfänger ... Vielleicht lernen wir was daraus, vielleicht auch nicht. Was wir allerdings schon gelernt haben, ist Kleidungsstücke erst zu wechseln, wenn sie stinken und nicht weil einem das gleiche Outfit am nächsten Tag stinkt. Ausser beim Partnerlook.

    Ein Video zum Ausblick aus unserer Wohnung in Ushuaia gibt's hier: https://youtu.be/OQdvWAjL3y8
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