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  • Day 79

    Ethan Hunt wäre stolz auf mich. OK, uns.

    April 5, 2018 in Ecuador ⋅ ⛅ 28 °C

    Endlich ist es so weit, wir landen auf den Galapagos Inseln. Die Einreise wird von allerlei Vorsichtsmassnahmen (und natürlich horrenden Kosten) begleitet. Nichts soll das einzigartige Ökosystem gefährden. Ab so viel Staat, Kontrolle und Autorität wird mir schlecht bzw ich kriege irgendwie kalte Füsse. Einerseits habe ich ja einschlägige Erfahrungen mit erniedrigenden Kontrollen und Leibesvisitationen, andererseits steckt ja noch diese grosse Tüte mit verschiedenen Nüssen in meinem Rucksack. Ich spüre deutlich die prüfenden Blicke und Vorverurteilungen des ziemlich sicher schwer bewaffneten Sicherheitspersonals. Ich glaube auch zu hören, wie sämtliche Sicherheitskameras auf mich gerichtet werden und neu fokussieren. Verdammt, gleich schlagen sie zu. Ich weiss es. Hellwach und alarmiert stecke ich die Tüte in Sue’s Rucksack. Nein, nicht wie ihr jetzt denkt heimlich. Liebevoll und grosszügig wie ich bin, habe ich ihr das überteuerte Studentenfutter geschenkt. Sue versteht die ganze Aufruhr sowieso nicht und meint bloss „das sind ja keine Samen oder so“. Ich schaue sie erneut wortlos an und hoffe, wie damals beim „Regen Ende Regenzeit“, zum Wohle unserer Beziehung auf rasche und selbstindizierte Erleuchtung. Diesmal schafft sie das leider nicht. Sie braucht meine Hilfe. Aufgrund meines grossen Herzens und ihrer Schönheit beende ich die Beziehung aber nicht sofort. Ich erkenne vielmehr die Nützlichkeit ihres Unverständnisses im Falle einer investigativen Befragung oder gar Folter. Selbst der brutalste Folterknecht würde rasch erkennen, dass sie wirklich nicht wusste, was sie tat. Das könnte uns noch das Leben retten. Ein paar Minuten später stehen wir auf der anderen Seite des Gepäckscanners und geniessen eine Hand voll mitgebrachter Nüsse. Während andere Scanner keine Flugtickets von Handys lesen können, scheinen diesem Scanner und der exotischen Schönheit hinter dem Monitor Nüsse scheiss egal zu sein. War ja klar. Oder habt ihr aus einer leckeren Baumnusshälfte schon einen Baum wachsen sehen? Und so haben wir dank meiner blitzschnellen Einschätzung und genialer taktischer Positionierung aller Beteiligter auch diese brenzlige Situation unbeschadet überstanden. Danke. Sue. 

    Der Weg vom Flughafen zum kleinen Hafen, in dem unser erstes Hostel liegt, ist ein zweistündiges Bus-Fähre-Bus-Taxi Ding. Das Wetter ist klasse und Sue ist schon total aufgeregt. Galapagos! Wir sind tatsächlich hier. Beim Hostel angekommen, bleibt ihre Frage, wo denn mein kleiner Rucksack mit sämtlichen Kreditkarten, Bargeld und allerlei Dokumenten, der Drohne, diverser Elektronik mit Zubehör, Snacks und einer Rolle Klopapier sei, allerdings unbeantwortet. Ich habe nämlich keine Ahnung. Eine kurze Sekunde später sprintet Sue schon dem bereits abgefahrenen Taxi nach. Verdammt gute Reaktionszeit, verglichen mit dem Nuss-Aussetzer eine Stunde zuvor. Ich bleibe taktisch beim Gepäck stehen. Vorerst. Da das Taxi bereits um die Ecke gebogen und Sue hinterher ist, verschwinden beide aus meinem Blickfeld. Innerlich keimt die Hoffnung, Sue in wenigen Augenblicken mit meinem Rucksack in der Hand wieder zu sehen. Vergeblich. Sue errannte den Offroader zwar, der Rucksack war aber offensichtlich woanders verloren gegangen. In einer Art Simultan-Konklusion erkennen wir beide gleichzeitig, was passiert war. Da Sue einmal mehr wollte, dass ich im Bus neben ihr Platz nehme, legte ich meinen Rucksack auf die Sitzbank hinter uns. Am Bus-Terminal angekommen, muss ich den Bus im Zustand geistiger Umnachtung und totaler Verliebtheit ohne Rucksack verlassen haben. Wir befinden uns somit in einer kriegsähnlichen Situation und gehen auf DEFCON 4 (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Defense_Condition). Wir schnappen uns hektisch das nächste Taxi und ab zum Terminal, welches nur etwa 5 Minuten entfernt liegt. Dort angekommen wechseln wir direkt auf DEFCON 3, denn weder Rucksack noch Bus sind dort. Nach einigen Verständigungshürden mit unserem Taxi-Fahrer - nennen wir ihn Lewis, Lewis Hamilton - scheint die Rückkehr des Buses zum 45 Minuten entfernten Fähr-Hafen mit 42,3% die wahrscheinlichste Option. Vorgeschlagene alternative Vorgehensweisen wie telefonische Recherche und dergleichen schaffen es nicht einmal in meine engere Auswahl und so schalten wir direkt weiter auf DEFCON 2 und starten mit Pedro ... äh, Lewis Hamilton die Verfolgung. 

    Während Lewis Hamilton seine Sache ganz ordentlich macht und mit über hundert Sachen über die Insel und hoffentlich dem Bus nach brettert, gehe ich wie gewohnt und wie es sich für den Taktiker im Team gehört, die möglichen Szenarien durch. Sollte der Rucksack und der Fahrer alleine im Bus sein, ist ein Finden, Durchsuchen und anschliessendes Verschwinden meines Eigentums durchaus möglich bis gar wahrscheinlich. Ich nehm die verdammte Karre auseinander, das ist klar. Sollten sich auf der vermuteten Rückfahrt mehrere Personen im Bus befinden, wäre ein Übersehen und unangetastet Bleiben durchaus plausibel. Bei jedem Fahrzeug am Horizont steigt meine Nervosität und ich fasse Lewis Hamilton zärtlich von hinten an die Schultern. Genau, wie bei der „Polonäse Blankenese“ von Werner Böhm (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Polonäse_B…). Ihm scheint das zu gefallen und für noch mehr Bleifuss zu sorgen. Nach diversen Überholmanövern und etwa 30 Minuten ist es dann tatsächlich so weit. Vor uns erkennen wir den klapprigen Bus, in dem wir uns noch vor Kurzem tierisch darüber gefreut haben, endlich auf den Galapagos Inseln angekommen zu sein. Lewis Hamilton prüft mit fragendem Blick, ob er den verdammten Gepäckdieb abdrängen und zur Aufgabe zwingen soll. Ich bestätige mit eindrücklich einfachem und doch wahnsinnig coolen Nicken. Wir setzen uns also im Stile von The Fast And The Furious mit Überschallgeschwindigkeit vor den Bus und leiten wild gestikulierend die Bremssequenz ein, bis beide Fahrzeuge zum vollständigen Stillstand kommen. Ich hoffe, das filmt gerade jemand. 

    Ich steige blitzartig aus und laufe dann doch erstaunlich langsam auf den Bus zu. Selbst Tom Cruise alias Ethan Hunt hätte auf seiner Mission:Impossible nicht mehr Eindruck schinden können. Während dessen zieht der geschätzt zwölf-jährige Fahrer eine ahnungslose und verwirrte Fresse. Aber davon lasse ich mich nicht beeindrucken. Ich weiss genau was du getan hast. Die Luft und meine Stimmung brennen, als ich den Bus betrete. DEFCON 1. Gleich regnet es Atombomben. Doch bevor ich den Kleinen für eine höfliche jedoch bestimmte Befragung in den Schwitzkasten nehme, checke ich noch kurz den letzten mir bekannten Rucksack-Aufenthaltsort in Sitzreihe #5. Und was finde ich da? Genau, meinen Rucksack. Unangetastet. War ja klar. Ich drehe mich zügig zum unverändert verwirrten Fahrer um, lächle ihn überfreundlich und leicht verkrampft an und säusle ihm beim Verlassen des Buses ein leises „Gracias!“ entgegen. Beim Besteigen des Taxis lasse ich mich von Lewis Hamilton und Sue feiern. Geklatscht hat dann irgendwie aber doch niemand. Ausser ich. Innerlich. Und später Lewis Hamilton, als er die $50 für die erfolgreiche und über einstündige Verfolgungsjagd einkassierte. Endlich im Hotel angekommen, gehen wir zurück auf DEFCON 5 und so haben wir auch diese heikle Situation ohne nennenswerte Verluste überstanden. Ganz grosses Kino. 

    Und dann wird es doch tatsächlich ruhiger. Die ersten Tage verbringen wir auf Santa Cruz, von wo aus wir diverse Ausflüge machen - zB Schnorcheln vor der Insel Pinzon - oder auch einfach mal am schönsten Strand der Galapagos Inseln, der Tortuga Bay, chillen. Ich fange gar nicht erst an, all die faszinierenden Dinge zu Land und vor allem zu Wasser aufzuzählen, das nähme nämlich kein Ende! Also so Dinge wie baden am Strand mit kleinen Gold-Rochen und Baby-Sharks oder Schnorcheln mit Schildkröten, Haien und total verspielten Seelöwen, die einem an den Flossen knabbern. Unfassbar schön alles. So unfassbar, dass Sue ständig ihre Fäuste ballt und das breiteste Grinsen mit der Welt teilt. Irgendwie komisch, aber auch schön. Aber überlassen wir das mit den schönen Dingen Sue und der Kamera. Ich schaue derweil zu den Getränken. Nach Santa Cruz geht es für drei Tage voller Ausflüge und mindestens einem Tauchgang auf die Nachbarinsel San Cristobal, bevor wir für sechs Tage unseren Last-Minute-Cruise zu ein paar weiter entfernten und ohne entsprechendes Schiff mit Bewilligung nicht zu erreichenden Orten geniessen. Wir freuen uns also auf weitere unfassbar schöne Dinge und Tage. Und Getränke. 

    Hier ein Video dazu: https://youtu.be/cPZOeu8ncXQ
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