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  • Day 151

    Das grosse Fressen in Teufels Küche

    June 16, 2018 in El Salvador ⋅ 🌧 25 °C

    Ja, was soll ich sagen? El Salvador hat uns überrascht. Man hört und liest ja in erster Linie von hohen Kriminalitätsraten und den gefährlichsten Städten ausserhalb von Kriegsgebieten. Was wir im zugegebenermassen kaum repräsentativen Küstenörtchen El Tunco antreffen, ist aber eine ganz andere Welt. Schon die Reise mit öffentlichen Bussen war überraschend einfach. Helle Haut, schlichte Grösse (ich) und blonde Haare (Sue) fallen zwar auf, aber die Menschen sind sehr freundlich, äusserst hilfsbereit und weisen uns bei Bedarf auch ungefragt den Weg. Angestarrt werden bleibt ein Dauerzustand, wobei wir uns das seit unserem Touri-Modelling in Kolumbien ja durchaus gewohnt sind. El Tunco entpuppt sich als Surf-Spot vom Feinsten. Grosses Kino. Ich glaube für einen Moment meine Schwägerin in Spe, Monica, bei einem wilden Ritt auf dem Brett zu erkennen. Daneben einen etwas unbeholfenen Typen. Tobi?? Nein, doch nicht. Doch nur eine andere lokale Schönheit und ein Typ mit Bart. Schade eigentlich. Es ist Freitag und wir wissen wo Ladies Night ist. Party on!

    Für eine ganze Stunde trinken Girls um sonst. Wir gönnen uns davor ein leckeres Pizza/Rotwein-Dinner und ich überlege mir noch kurz, mich zu verkleiden. Tue es dann aber doch nicht. Wegen Sue. Mehr als ein Duzend Mädels hat es dann sowieso nicht. Auch hier ist die Hauptsaison passé, wobei dies die ausgelassene Stimmung nicht dämpft. Auch beim anschliessenden Reggae-Konzert in einer Strand-Bar nicht. Als dann sogar noch ein Joint die Runde macht, gebe ich mich den ganzen Vibes hier gänzlich hin. Nach fünfzehn Jahren (scheisse, das klingt jetzt richtig alt) zieh ich mit den angereisten Kiffern mal wieder einen durch. Lustig. Gemerkt hab ich leider nichts, lahmer Scheiss. Oder ich war einfach schon zu betrunken. Wohl beides.

    Eine weitere Überraschung hält das Frühstück für uns bereit. Frisches, selbst gebackenes Brot nach einem Schweizer Rezept. Da grinst die kleine Sue bis über beide Ohren. Essen ist auch sonst der bestimmende Faktor in El Tunco. Für einen Moment bzw. Abend läuft alles aus dem Ruder und wir blicken gemeinsam in die einladenden und beängstigenden Abgründe der Völlerei. Etwas das wir beide nur zu gut aus unserer (pummeligen) Kindheit kennen. Nach einem sehr üppigen Frühstück und einigen Pupusas - lecker und reich gefüllte salvadorianische Reismehl-Fladen - zum Lunch, entscheiden wir uns für ein Fisch-Dinner bei Erika. War lecker und viel. Zwar satt und kaum auf der Strasse, denkt Sue aber auch schon laut über ein Glacé zum Nachtisch nach. Ich halte mir bloss den Bauch und lache. Doch dann kommt sie, die Vitrine. Der wie eine Werkstatt wirkende Laden hat nur diese eine Auslage mit einer äusserst aussergewöhnlichen Pizza darin. Also eigentlich nur noch drei Stück davon. Amerikanisch dick und mit unzähligen Dingen belegt. Trotzdem oder gerade deshalb, das Teil funkelt wie das verdammte Sushi im 5*-Hotel in Costa Rica. Oder ist das der späte Fress-Flash vom gestrigen Joint?

    Ohne zu überlegen, bestelle ich einen Slice und lasse mir - während ich beherzt zubeisse - vom Verkäufer die Besonderheiten des verwendeten Käses erklären. Wow, das Ding ist der Hammer. Sue spielt für einen Moment entsetzt, bevor das kleine Pizza-Monster die Augen nicht mehr von meinem Slice lassen kann. Eis will sie auch keins mehr, aber einen fairen Anteil von „meinem Dessert“. Irgendwie sind wir beide etwas unzufrieden, nachdem der Slice - der in etwa die Masse einer halben Brüggli-Pizza hatte - verputzt war. Also nach etwa dreissig Sekunden. Natürlich bekräftigen wir beide, dass wir schon lange satt sind und nichts mehr runter kriegen. Aber auch die gestrige Pizza und der Wein wären richtig lecker gewesen. Als wir die entsprechende Pizzeria einige Minuten später passieren, lächeln wir uns kurz an. Nein, das können wir nicht bringen. Und Hunger haben wir ja wirklich keinen mehr. Im Gegenteil. Knapp fünfzig Meter später ist es die teuflische Sue, die unvermittelt anhält und mit diabolischem Grinsen meint: „aso ein Slice würdi scho no möge“ ... Das Unaussprechliche war gesagt. Die Türe zur Hölle stand weit offen und wie gewohnt, schreite ich motiviert und kopflos voran. Wo ich sonst die Notbremse ziehe und wir uns normalerweise unterstützen und aufeinander achten, schupsen wir uns heute gegenseitig ins Verderben. Werfen uns den Löwen zum Frass vor. Oder eher umgekehrt. Arme Löwen. Sämtliche Dämme der Selbstbeherrschung brechen. Der kleine Pascal will Pizza. Und die noch kleinere Sue auch!

    Wir setzen uns sogar an den selben Tisch wie tags zuvor. Des Kellners Frage nach der Grösse der Pizza klingt wie Hohn in meinen Ohren. Bring gross! Und zwei Glas Wein! Schnell! Während wir uns die ersten Slices gierig zwischen die Kiemen schieben, witzeln wir noch, dass man den Rest ja auch mitnehmen könnte. Nach der Hälfte der Pizza kommt es dann auch tatsächlich zu einer schmerzbedingten (Fress-)Pause, welche aber schon kurze Zeit später durch Sue‘s erneuten Griff zum Pizza-Brett jäh beendet wird. Also gut. Wir waren einfach schon viel zu weit gegangen, als dass es noch ein Zurück gäbe. Wir sind dazu verdammt, dieses Brett zu leeren. Und das tun wir auch. Trotz Schmerzen und dem Wissen, dass die heute konsumierten Kalorien eine siebenköpfige Familie locker zwei Tage ernähren könnten. Genuss geht anders und wohl ist uns im Bett anschliessend nicht. Nein. Wir sind sowohl physisch wie auch psychisch am Ende. Wie konnten wir nur so weit gehen? Bei aller Liebe! Genau, Liebe, davon gab es an dem Abend viel. Aber nicht für uns und auch nicht gegenseitig. Nein. Nur für unsere echte grosse Liebe. Pizza!!
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