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  • Day 314

    Kamera- und Katzenjammer

    November 26, 2018 in China ⋅ ☀️ 22 °C

    Dieses China würde dem Marc wohl auch gefallen. Hier rauchen alle. Überall. Gerne auch während dem Essen. Bezieht man die ganze Schmatzerei noch in die Bewertung mit ein, ziemlich grob. Aber China ist wie bereits erwähnt auch ziemlich schwierig. Und darauf sind wir zwei zarte Pflänzchen dann eben doch eher schlecht vorbereitet. Also ich. Madam ETH hat ja irgendwelche Übersetzungs-Apps, ein funktionierendes VPN und sonstige Helferlein. Das Bestellen im Restaurant ohne Bildchen ist dennoch fast unmöglich. „Waste for a while“, „bad cabbage meat“, „handbag food“ oder „the sour soup is fat“ heissen die verheissungsvollen Übersetzungen. Oft bleibt die Herausforderung auch mit Bildern bestehen, da diese selten genau zeigen, was denn nun wirklich im Teller landet. Zum Schluss zeigt man eben auf irgendetwas und hält die Erwartungen trotz massivem Hunger tief. Aber wie sich das für zwei so hart arbeitende Menschen wie uns gehört, haben wir natürlich jedes Mal Glück und bekommen die Tage das beste Wok-Essen der bisherigen Reise serviert. Darunter kulinarische Überraschungen, wie wir sie sonst nur vom Stauber Robin oder Meier Andi aufgetischt bekommen. Muss am Karma liegen. Oder Sue.

    Irgendwann funktioniert dank Hotspot von meiner Lebensabschnittspartnerin dann auch bei mir ein neu herunter geladenes VPN und ich komme auch wieder in den Genuss von Whatsapp- und Instagram-Bildern. ETHler sind schon cool. Und gut im Bett. Wir sind in der Zwischenzeit mit dem Boot über den Li River nach Yangshuo gereist. Schön hier. Schön touristisch. Voll mit chinesischen Touristen. Und dann passiert es schon wieder. Kaum haben wir die Spitze eines steilen Hügels erklommen, kommen wir mit einem Ecuadorianer ins Gespräch, dessen Drohne aktuell über dem Gipfel kreist. Wie sich herausstellt, ist Esteban professioneller Fotograf und macht am Liebsten Aufnahmen von extremen Orten, an denen sich eine Person befindet. Zwei Sekunden später sitze ich auf einem verrosteten Stahlgerüst und schaue wehmütig in die Ferne. Das kann ich ganz gut. Aber auch dieser Auftritt bringt weder Geld noch Freibier ein. Verdammte Scheisse. Gut möglich, dass wir uns demnächst komplett aus diesem Model-Business zurückziehen und das tun, was erfolglose Models eben tun. Pornos. Mal schauen.

    Da wir neben den hektischen und überbevölkerten Städten auch hier Chinas Landschaft sehen wollen, schwingen wir uns für einen Tag aufs Rad. Die Dragon Bridge, um die unzählige Touri-Flosse mit bunten Sonnenschirmen festmachen und auf der ausser uns nur zwei weitere Personen stehen, markiert in etwa unsere halbe und bis anhin wunderschöne Tagesstrecke und Sue beginnt umgehend mit dem fotografischen Festhalten der idyllischen Szenerie. Die Stimmung kippt allerdings rasant, als Foto-Sue zurück zum Velo geht. Die GoPro ist weg. Die zwei Typen auch. Soviel zum Thema Karma. Einer hatte einen komischen schwarzen Hut auf, da bin ich mir sicher. Nach kurzer Verzweiflung fahren wir ein Stück zurück. Sie könnte ja auch aus dem Körbli gefallen sein. Ist sie natürlich nicht und als wir nach einigen Minuten zurück zur Brücke kommen, sehe ich doch tatsächlich den Typ mit Hut auf der anderen Seite. Er sieht mich auch und relativ unaufgeregt dreht er um und läuft langsam davon. Sein Kumpel auch. So ein Schlawiner. Na warte.

    Mittels kurzem Spurt erreiche ich das ein Meter fünfzig grosse Arschgutzi in etwas mehr als zwei Sekunden. Kaum hinter ihm, tut der Typ so, als hätte er gerade einen Anruf bekommen. Anstatt ihn von hinten anzusprechen, beginne ich den feindlichen Kontakt direkt mit äusserlichem Abtasten des Mantels und der Taschen. Der kurze Scan führt leider zu keinen verwertbaren Beweisen und so wechsle ich zur verbalen Investigation, nachdem sich der kleine Stinker aufgrund meiner physischen Kontaktaufnahme erschrocken umgedreht hat. „Where is the GoPro? Where is the GoPro?!! Where is the f***ing GoPro!!??!!!“ Doch Jacky Chan ist natürlich völlig ahnungslos und versteht auch meine Sprache nicht. Lediglich „no, no, no“ bringt der Arsch über die Lippen. In dem Moment will ich ihm eine klatschen, um der bis dato erfolglosen Befragung etwas mehr Tiefe zu verleihen. Das tue ich aber nicht - wohl aufgrund meiner pazifistischen Kernprogrammierung ... oder weil ich ein Waschlappen bin - und er und sein Freund entfernen sich vom Schauplatz. Nach mehreren vermeintlichen Verlusten ist es also soweit. Wir wurden das erste Mal effektiv bestohlen. Die GoPro ist weg. Und Sue traurig. Zu Recht. Somit wäre auch bewiesen, dass Chinesen nicht nur kleine Pimmel sondern auch ganz üble Charakter haben. Zumindest zwei von 1’400’000’000. Blöde Wixer.

    Und was macht jeder vernünftige Mensch, wenn er traurig ist? Genau, hemmungslos fressen als ob es kein Morgen gäbe und ausreichend alkoholische Flüssigkeit zu sich nehmen. Das machen wir dann auch - insbesondere Dumpling-Sue - und da uns das Essen hier so gut mundet, melden wir uns gleich noch zu einem China-Wok Kochkurs an. Das gab es auf der Reise noch nicht und wenn wir schon die GoPro hier lassen, dann nehmen wir wenigstens ein paar geile Rezepte mit. Dank Off-Season sind wir an diesem Tag die zwei einzigen Schüler von Sofia. Doch bevor es an den Herd geht, geht es auf den lokalen Markt. Neben der sehr ansprechenden Gemüse-Halle beäugen wir auch die für westliche Augen teilweise verstörende Fleisch-Halle. Wie in vielen Ländern mit unzureichender Kühlkette, mögen es auch die Chinesen, lebendige Tiere zu kaufen und sie vor Ort schlachten zu lassen. Soweit verständlich. In dieser Region Chinas landen aber neben Hühnern, Enten und Hasen eben auch Hunde und Katzen im Wok. Wir hatten davon gehört, sind dann aber doch etwas schockiert, dies auf dem Markt um die Ecke anzutreffen. Sue will sich diesen Teil des Marktes zurecht nicht ansehen. Unsere Köchin übrigens auch nicht. Und ich? Ich will es wissen und drehe eine kurze Runde.

    Der Anblick von Hunden und Katzen, verängstigt und apathisch in Käfigen oder ausgenommen und hängend, ist, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig. Zumindest werden die Tiere hier nicht unnötig gequält - was in anderen Regionen Chinas im Glauben den Geschmack zu verbessern durchaus der Fall ist - und im Grunde geht es hier lediglich um die Unterscheidung in Haus- und Nutztiere. Und das muss jede Gesellschaft - gell, liebe Appenzeller? - und jeder mit sich selbst ausmachen. Wir wollen ja eh weniger Fleisch essen und so ein morgendlicher Besuch auf einem chinesischen Fleisch-Markt hilft dabei ganz gut. Sue für ihren Teil ist nach eigener Aussage und mit glasigen Augen auf der Stelle Vegi. Also war sie. Zumindest bis wir am Herd stehen und unter fachkundiger Anleitung neben allerlei Gemüse unsere eigenen Pork-Dumplings, Steamed Chickens und Pork-Stirfries zubereiten. Lecker wars. Dieses Fleisch.
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