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  • Day 365

    Vom Töpflein zum Löchlein

    January 16, 2019 in Myanmar ⋅ ☀️ 26 °C

    Die Busfahrt nach Kalaw ist holprig und das Schlafen eher schwierig. Zumindest für mich, Faultier Sue hat da weniger Probleme. Aber egal, Hauptsache weit weg von Kristy und ihren Begleitern. Wir erreichen Kalaw um fünf Uhr in der Früh und das Thermometer steht knapp über dem Gefrierpunkt. Zu unserem Entsetzen ist unser Zimmer noch besetzt und wir können gerne drinnen - auf vier Quadratmeter ungeheizt, schau Foto - oder draussen warten. Geil. Wie ich es vermisst habe. Es sind schon diese Momente, in denen man(n) sich fragt: Ist es das, was wir gesucht haben? Ist das dieses Reisen fernab von heimischem Luxus, das einen wieder geerdet und bescheiden werden lässt? Nach einer schlaflosen Busfahrt für drei Stunden schlafsuchend auf dem kalten Steinboden liegen? Verdammte Scheisse, nein. Das ist einfach nur grottenschlecht organisiert, denn Zimmer sind grundsätzlich erst gegen zwei Uhr bezugsbereit und alles andere ist vorgängig abzuklären. Soll uns eine Lehre sein. Oder auch nicht. Wir bleiben ja eh nicht lange. Nach nur einer Nacht startet der dreitägige Hike zum Inle Lake. Begegnungen mit und Übernachtungen bei der ländlichen Bevölkerung sollen einen wieder geerdet und bescheiden werden lassen. Hoffentlich klappt das besser als die letzte „Morgenstund hat Gold im Mund“ Kacke.

    Unser Hike geht über sechzig Kilometer. Unsere Gruppe besteht neben uns aus einem Amerikaner und vier hübschen Französinnen und wird geführt von Shelly - weiblich, zweiundzwanzig, spricht vernünftig Englisch und kocht fantastisch. Die drei Tage mit allen Mahlzeiten, Übernachtungen und Teepausen mit Snacks und Cookies kosten uns irrwitzige sechsundzwanzig Stutz. Krass. Da grinst das dämliche Budget unentwegt. Kaum unterwegs bin ich auch schon mitten im Gespräch mit dem etwa gleichaltrigen amerikanischen Mitläufer, B. (Name der Redaktion bekannt), der mit seinen langen Haaren, dem wachen Blick, seiner kommunikativen Art - B. spricht diverse Sprachen, darunter auch fliessend Deutsch -, kurzem Bartansatz und der athletischen Erscheinung definitiv an einen „amerikanischen Militärberater“ in Afghanistan erinnert. Und siehe da, B. ist - beziehungsweise war - Analyst beim US Aussendepartement mit Einsätzen in Afghanistan und einer Reihe anderer Länder. Während ich mir Analysten in Hemd hinter einem Bildschirm vorstelle, verbrachte B. als nicht-Militär seine Zeit bewaffnet in Krisengebieten mit „analytischen Aufgaben“. Ich will ihm ja glauben, dass er nicht bei der CIA ist. Ich will wirklich. Irgendwie.

    Kein Wunder lächeln die Menschen hier ständig, sind doch siebenundachtzig Prozent Buddhisten, von denen die meisten regelmässig Dhamma praktizieren - ein buddhistischer Meditationsrückzug, der mich auch schon während neun Tagen vor jeglicher Interaktion mit anderen Menschen bewahrte und so eine noch nie erlebte innere Ruhe und Zufriedenheit etablierte. Irgendwie zehre ich noch heute davon. Insbesondere in schwierigen Zeiten, wie einem spartanischen Hike durch die malerische Landschaft Myanmars. Simples Leben wie in Thailand vor dreissig Jahren eben. Im Gegensatz zu unserem Aussendienstmitarbeiter GI-B. bin ich mir aber auch nach einem Jahr Weltreise als Minimum eine Toilette zum Sitzen gewohnt. Ich will eigentlich nicht über diese Scheisse - im wahrsten Sinne - schreiben, aber das gehört wohl zur Verarbeitung der entstandenen Traumata. Sorry. Sue.

    Ich starte den Hike im Wissen, dass es die nächsten drei Tage keine westlichen Toiletten geben wird und dem Entschluss, die sechzig Stunden durchzuhalten. Ich habe auf unseren ersten Segel-Törns schon ähnliche Leistungen vollbracht, als ich mit den Mini-Schüsseln mit Papier-Allergie auf den Schiffen noch nichts anzufangen wusste. Am Morgen des zweiten Tages - ich habe bis dato bereits vier Klos inspiziert und für inakzeptabel befunden - wird allerdings klar, dass ich die sechzig Stunden nie im Leben schaffen werde. Ich will es trotzdem versuchen und lasse auch das Klo der ersten Gastfamilie links liegen. Rund zweieinhalb Stunden sind es zur ersten Pause. Doch bereits nach Minuten steigern sich die Unterleibsschmerzen auf eine Sieben oder Acht. Dringend Müssen und Laufen ist eine äusserst schlechte und schmerzhafte Kombi. Ich hole mir also Rat bei B., der mir den Ablauf des stehenden Verrichtens in einfachen und verständlichen Schritten erläutert. Ich bin also ready. Irgendwie. Nur sind wir nun irgendwo im Nirgendwo. Noooo!

    Wir laufen und laufen und meine Gedanken drehen sich unaufhörlich um diese eine heilige Schüssel. Vielleicht gibt es ja doch irgendwo im Nichts ein güldenes Hotel oder Restaurant, mit einem Thron von Laufen. Wie in Vietnam würde ich aus Dankbarkeit sogar kurz auf die Knie gehen. Hoffnung, nichts als Hoffnung. Gelacht oder gelächelt habe ich seit Stunden nicht mehr. Wir passieren ein paar Bauernhöfe, doch ein WC sehe ich nirgends. Ich bereite mich innerlich auf den „worst case“ vor. Irgendwann bleibt nur die grosse, freie Natur. Kurz bevor ich aufgrund der anhaltenden Bauchkrämpfe kollabiere, ist da diese Schule. Ich kann nicht mehr. Weiter geht nicht. Nach kurzer Rücksprache mit der Schulleiterin - die anwesende Lehrerin wollte mich nicht aufs Gelände lassen -, darf ich das kleine Toilettenhäuschen benutzen. Natürlich wären die fünf letzten Klos grösser, sauberer und angenehmer gewesen, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Papa muss.

    Und dann ist es geschafft. Hab in mein erstes Loch gemacht. Im Stehen. Mit einem breiten Grinsen geselle ich mich zurück zur wartenden Gruppe. In etwa gleich stolz wie als Mama freudig geklatscht hat, nachdem man(n) als Kleinkind das erste Mal ins Töpfchen gemacht hat. Alles danach ist einfach und meine Aufmerksamkeit gilt nun einzig und alleine der Schönheit der Landschaft. Und Sue. Daran ändern auch die offenen Massenschläge nichts, in denen wir bretthart und arschkalt zusammen am Boden schlafen. Der lustige B. hat beim ersten Halt noch heimlich eine Flasche lokalen Whiskey besorgt. Geile Siech. Ich hoffe bloss, er hat niemanden getötet dafür. So oder so, lustige Abende waren das.
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