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  • Day 4

    Daumen hoch für Dolly

    February 28, 2019 in Iran ⋅ ⛅ 12 °C

    Und dann bin ich plötzlich alleine. Das war ich lange nicht mehr. Alleine „verreist“ bin ich mit Ausnahme von stets gut und straff durchorganisierten Geschäftsreisen vor knapp fünfundzwanzig Jahren das letzte und einzige Mal. Nach Amerika. Ich blieb aber nicht die geplanten drei bis sechs Monate. Nach knapp drei Wochen weinerlichem Heimweh war ich - damals knackige ... hm, nein ... eher schwabbelige sechzehn Jahre - wieder zuhause bei Mama. Bin gespannt, wie es diesmal läuft. Bereits auf dem Weg zum Flughafen vermisse ich die kleine Sue aka PNP (Personal Navigation Person). Aus lauter Trauer verfahre ich mich kläglich und nutze bereits einen Teil der eingeplanten drei Stunden „spatzig“. Auf die wenige Grad über null in Teheran bin ich aus dem dreissiggrädigen Kapstadt kommend auch nicht wirklich vorbereitet. Auf den umständlichen und mehrere Stunden dauernden Prozess für die Visabeschaffung „on arrival“ allerdings schon. Darüber habe ich einiges gelesen. Doch obwohl im Visa-Office ziemlich chaotische Zustände herrschen, grinsen alle nett vor sich hin und nach zwei kurzen jedoch ernsthaften Befragungen zu meiner Intention herzukommen und insgesamt weniger als dreissig Minuten heisst es: „Hey, Mr Switzerland, come here, you good“. Das wars, ich bin drin in diesem in der westlichen Welt so böse porträtiertem Iran. Vielleicht hat sich auch meine öffentlich ausgelebte Trump-Aversion rumgesprochen und man betrachtet mich ganz einfach als Verbündeten. Ich weiss es nicht. Sue auch nicht. Nehme ich an.

    Teheran gibt ein ungewohntes Bild ab. Von vielen Strassen in der hektischen Downtown sieht man die wunderbar verschneiten Berge, die direkt vor der Haustür liegen. So nah, dass man quasi mit der Metro zum Skilift fahren kann. Neben kühleren Temperaturen ist der Iran dank Alkoholverbot auch sonst ein gutes Land für einen kalten Entzug nach den wochenlangen Zechereien in einem der Weinparadiese dieser Erde. Und trotzdem oder gerade deswegen schmerzen die ganzen Fasnachts-Bilder von den heimischen heiteren Besäufnissen doppelt. Immerhin empfangen mich im gebuchten Dorm sowohl nette Typen als auch ein bequemes Bett. Doch wenn es dunkel wird, zeigen sich auch ein paar hässliche Fratzen. Verdammte Schnarcher. Ich will mein Einzelzimmer. Krieg ich in der Hirslanden schliesslich auch. Ich überlege für einen Moment, mir selber in den Finger zu schneiden und mich in der fünfzig Meter entfernten Klinik einzuweisen. Tue es dann aber doch nicht. Weichei.

    In dieser islamischen Republik - in Wahrheit ein autokratisches System, in dem die ganze Macht bei einer Person und ihrem Umfeld sitzt - gibt es neben dem allseits unbeliebten Alkoholverbot noch diverse Regeln zu beachten und Fettnäpfchen zu umschiffen. Da wären ganz oben auf der Liste die Frauen, denen man(n) als Mann zur Begrüssung in der Öffentlichkeit nicht die Hand reicht. Was ich bei Ankunft am Treffpunkt der „Free Walking Tour“ natürlich sofort mache. Leicht peinlich berührt und mit einem von mir oft praktizierten „Daumen hoch“ akzeptiere ich die freundliche aber bestimmte Ablehnung von Mersat und gelobe Besserung. Sie beruhigt mich mit dem Hinweis, dass sie mich später im Kaffee auch gerne noch umarmt. Mal schauen, vielleicht hab ich ja dann auch keinen Bock. Während Männer lediglich angehalten sind, sich generell zurückhaltend zu kleiden und keine Shorts und Tank-Tops zu tragen, können Frauen grundsätzlich nur ihr Gesicht zeigen. In der Folge und äusserst verständlich wird an der Stelle dann auch ziemlich gearbeitet. Neben mehrschichtigem Make-up sind hier Schönheits-Operationen total „in“ und die guten Ärzte ziehen auch allerlei Medizin-Touristen an. Neben vielen dicken Lippen haben mehr als sechzig Prozent(!) der Iranerinnen einen oder mehrere „nose jobs“ hinter sich. Nicht unbedingt mein Lieblings-„job“, aber ok, wenn es das Selbstbewusstsein der in der Öffentlichkeit stark eingeschränkten Damenwelt stärkt, soll es mir recht sein und es gibt einen weiteren „Daumen hoch“ von mir. Keine zwei Minuten später lerne ich von Mersat allerdings auch, dass der hochgestreckte Daumen hierzulande unserem Stinkefinger entspricht und in etwa sagt: „fuck off! Sitz drauf und dreh ne Runde!“. Sehr gut. Hab ich der netten Mersat also tatsächlich den hiesigen Stinkefinger gezeigt, als sie mir die Hand nicht reichen wollte. Lustig. Jetzt hätte ich wirklich gerne etwas zu trinken. Fehlt eigentlich nur noch, dass ich beim nächsten Sonntagsbrunch oben ohne nach Speck und einem Cüpli frage. Kommt bestimmt noch.

    Das Geldwechseln läuft wie schon in Kapstadt nicht gerade wie am Schnürchen. Die iranische Währung hat in einem Jahr über zwei Drittel an Wert verloren und der Kurs kennt nur einen Zustand - volatil. Vor lauter Volatilität sind alle Schwarzmarkt-Wechselstuben drei Tage nacheinander leer gewechselt, bevor ich die Chance habe, ein paar Rial zu ergattern. Früher aufstehen wäre wohl eine Option, aber dafür bin ich zu faul. Lauf ich eben in die nächste Nationalbank-Filiale und frage was die so meinen. Man dürfe kein Geld wechseln, aber ich solle das doch auf dem Schwarzmarkt erledigen. Als ich meine gescheiterten Versuche der letzten Tage aufzähle, will mich der Direktor aber nicht im Stich lassen. So unter Bänkern eben. Er hätte „Freunde“ die wohl Leute kennen würden, deren Cousins in der Wechselbranche tätig wären. Der angebotene Kurs entspricht dem, was der Schwarzmarkt zahlt. Na dann hol den Dealer mal her. Nicht nötig, meint der Herr Direktor, er würde das „im Namen“ dieser Leute oder deren Cousins machen. So so, gibt hier neben dem Schwarzmarkt also auch einzelne schwarze Schafe. Im Gegensatz zu Schweinen scheint die hierzulande bestimmende Religion damit weniger Probleme zu haben. Direktor Dolly läuft in der Folge locker flockig zum Bankschalter eines Mitarbeiters und zieht das benötigte Geld mir nichts dir nichts aus der Schublade. Hm, eine ziemlich direkte Art der „Selbstbedienung“, die in der Bankenbranche ja durchaus üblich ist. Mir solls recht sein. Ausnahmsweise.

    Da die schöne Sue nun ihr eigenes Ding macht mit ihren Fotos, muss ich wohl oder übel selber schauen. Habe schon total viele total tolle Fotos gemacht. Kleine Selfie-Bitch bin ich geworden. Vielleicht hol ich mir irgendwann doch noch so einen Stick. Vielleicht aber auch nicht. Zu meiner eigenen Überraschung komme ich auch sonst ganz gut zurecht und so schaffe ich neben der mehrtägigen Geldwechslerei auch allerlei spannendes Sightseeing, meine nächste Unterkunft zu buchen und meine Weiterreise nach Isfahan zu organisieren. Verdammter Travel-Pro eben. Wäre aber trotzdem schön, die schöne Sue ab und zu an den Haaren zu ziehen oder rumzuschubsen. Muss eben der doofe Rucksack herhalten ...
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