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  • Day 28

    Rehairsel mit Elon

    March 24, 2019 in Turkey ⋅ ⛅ 1 °C

    Mein Weg nach Ankara führt über Baku, wo ich mich für ein paar Stunden in einen kostenlosen Sleeping-Pod verkrieche. Neu für mich und doch so viel besser, als auf einer schnöden Sitzbank zu schlafen. Ankara steht ja schon länger auf meiner Wunschliste und ich war gerade in der Gegend. Hier praktiziert er also, dieser Arzt dem die Glatzen vertrauen. Doktor Özgür in seiner HLC Beautyklinik. Ich habe heimlich entschieden, bevor ich (wirklich) alt bin, will ich noch ein Mal schön sein. Ein Mal noch. Wie Sue eben. Eine wild gewordene Strähne aus dem Blickfeld pusten oder mir wie Bradley Cooper in „A Star is Born“ auf Oxycontin durchs Haar streifen. Einfach ohne Oxy. Oder auch mit. Aber wieso sollte ich dafür diese grossen Strapazen und horrenden Kosten auf mich nehmen? Hm, keine Ahnung. Wahrscheinlich wegen Instagram. Oder Facebook. Oder beidem.

    Kaum in der Türkei gelandet, werde ich im Umfang der Passkontrolle überraschend abgeführt und einer separaten Kontrolle unterzogen. Keine Ahnung wie ich das schon wieder verdient habe. Verdammtes Opfer. Wahrscheinlich wegen der Glatze. Das Interesse gilt aber nicht primär meiner Haupthaarsituation sondern eher meinem Handy, welches mehrere Minuten durchwühlt wird. Ein ziemlich komisches Gefühl. Gelinde ausgedrückt. Zum Glück habe ich meine Pimmel-Bilder erst kürzlich archiviert. Sue „oben ohne“ bin ich jetzt gar nicht sicher. Was ich hier wolle, will man wissen. Nach meinem Hinweis auf den Glatzen-Doktor folgt die äusserst dämliche Folgefrage, ob wir in der Schweiz denn keine Ärzte hätten. Übersetzt wird das ganze Cabaret von einem anwesenden Zivilisten, denn der untersuchende Komiker - er sieht effektiv aus wie Bülent Ceylan - spricht kein Englisch. Ein bescheidenes Skillset für einen Geheimdienstmitarbeiter, der an der Grenze arbeitet. Egal, irgendwann darf ich dann doch ins Land und mein teures Geld verpulvern. Ich bin nach zwanzig Stunden reisen auch einfach stinkig. Und dieser russisch-osmanische Umgang ist irgendwie gewöhnungsbedürftig. Leute wissen nicht wie anstehen, jede Schlange ein Chaos, man rempelt und steht einander auf die Füsse. Schrecklich. Ganz schrecklich. Aber egal, ich bin ja nicht hier, um Freunde zu finden. Hier geht es mir einzig und allein um die Bradley Cooper Matte. Und ein paar Kebabs. Und Baclava. Wenn die Zeit reicht.

    Ein wenig nervös bin ich ja schon. Obwohl es erst in zwei Tagen los geht. Viele Stunden liegen und sitzen stehen bevor. Um mich zu beruhigen, haue ich spontan ein Double-McChicken Menu und eine Tüte Chicken McBites rein. Die Bauchschmerzen im Anschluss lassen mich die Nervosität schnell vergessen. Klever Jung. Und dann geht es auch schon los. Doch bevor mir Doktor Dürüm meine künftige Haarlinie auf die Fleischkappe kritzelt und mein Rehairsal losgeht, legt man mir einen intravenösen Zugang und entnimmt eine Blutprobe. Wie üblich schaltet mein Körper umgehend auf Notstrom, produziert kalten Schweiss und klappt quasi zusammen. Da ist er also wieder, dieser grosse, starke Junge, der kein eigenes Blut sehen kann beziehungsweise schon bei der Vorstellung vom eigenen Blut einen sofortigen Shutdown einleitet. Schon komisch, denn das passiert nur im medizinischen Setup und nicht bei Verletzungen und dergleichen. Weiss jemand, wie diese Krankheit heisst? Mauerblümchenkomplex? Schwachmatismus? Blutophobie? Ich hab keine Ahnung. Sue auch nicht. So oder so, ich erwarte Mitleid. Nach einigen Minuten geht es mir dank Orangensaft und Schokoriegel aber schon wieder besser. Trotzdem. Grossartige Voraussetzung für die kommenden Tage auf dem Operationstisch. Ohne Vollnarkose. Armer Junge.

    Die acht mehrstündigen Sessions verteilt über zwei lange Tage stellen jeden Zahnarztbesuch in den Schatten. Nein, Spass hat das definitiv nicht gemacht und „schmerzfrei“ war das auch nicht. Trotz lokaler Betäubung sowie gelegentlicher und äusserst willkommener Sedierung. Und die Scheisse von wegen „wer schön sein will muss leiden“ will ich gar nicht erst hören. Sue leidet ja auch nicht. Zumindest nicht aufgrund ihres Äusseren. Klar, sie hat es sonst nicht leicht im Leben. Wie auch immer. Ob ich es nochmal machen würde? Hmm. Das kann ich erst sagen, wenn ich das Resultat kenne. Also in sechs bis zwölf Monaten. Bis dahin heisst es alle zwei Stunden den Kopf mit einem Wässerchen feucht halten und munter Tabletten schlucken. Und da die von Natur aus schöne Sue immer noch auf Safari weilt, verstecke ich meine hässlich blutige Büchse die Tage noch irgendwo in Ankara und vermeide den Kontakt zur Aussenwelt. Obwohl die hiesige Aussenwelt den Anblick blutiger Fratzen durchaus gewohnt ist. Tonnen von Eitelkeit reisen wie ich hierher, um wenigstens eine Sache mit Elon Musk gemeinsam zu haben. Denn im Gegensatz zu meinem Fintech-Gschpändli Michi bin ich weder stolzer Tesla-Besitzer noch umtriebiger Unternehmer. Nicht mehr beziehungsweise noch nicht wieder. Mal schauen. Klappt bestimmt. Mit neuen Haaren.

    Hätte es diese Behandlung vor hundert Jahren schon gegeben, wäre das hier vielleicht auch was für meinen Dad gewesen. Trotz Proximität zu einer mehrtägigen Wurzelbehandlung. Aber mein Dad - aka CJK - ist ja ein harter Hund. Im Gegensatz zu mir. Wohl nicht zuletzt aufgrund dieser Härte, verabschiedete sich sein Haupthaar aber schon Jahre früher als meins. Verdammtes Testosteron. Eine damit verbundene Geschichte aus den Siebzigern hätte ich wirklich gerne miterlebt. Ich kenne nicht viele Stories, bei denen meine geschiedenen Eltern beim Erzählen heute noch Tränen lachen. Wobei, darf ich die Geschichte überhaupt erzählen? Falls nicht. Sorry. Dad. Aber ... Rode Senior hat in jungen Jahren zu Beginn des Glatzenkampfs gerne auf Haarteile aus indischem Engelshaar gesetzt. Zu der Zeit wohl der letzte Schrei. Stille Schreie stiess dann aber auch meine noch unverheiratete Mutter beim gemeinsamen Fussballspiel im Garten ihres Elternhauses aus. Aufgrund Schweiss und vollem Körpereinsatz vom schnittigen CJK begann das teure Toupée für alle gut sichtbar zu rutschen und sich zu drehen. Das Resultat soll ähnlich erheiternd ausgesehen haben, wie Trumps Cheddar-Tolle bei Seiten- oder Rückenwind. Der Einzige, dem dies verborgen blieb, war der junge CJK. Das ungläubige und peinlich berührte Gelächter der versammelten Familie dürfte für CJK ähnlich verwirrend gewesen sein, wie das spontane Gelächter der UN-Vollversammlung für The Donald. Armer CJK. Geheiratet wurde irgendwann trotzdem. Zum Glück.
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