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  • Day 15

    Gdańsk / Danzig

    June 16, 2017 in Poland ⋅ ⛅ 17 °C

    Die Fahrt nach Danzig war länger als geplant. Wir ließen es gemütlich angehen, gingen unterwegs noch etwa einkaufen und waren so erst am Abend in unserer Wohnung.
    Nachdem wir so eine lange Zeit in unserem Bus, in verschiedenen Hotelzimmern oder auf der Couch von Freunden gewohnt haben, wollten wir für den letzten Abschnitt der Reise, mit einer kleinen Ausnahme, nur noch in Mietwohnungen verbringen. Außerdem freuten wir uns darauf, mal wieder kochen zu können.
    Ich habe mir etwa Arbeit mitgebracht, um im August nicht ganz mittelos dazustehen. Unsere Wohnungen mussten also im Idealfall über eine schöne Küche, ausreichend Platz und einen Schreibtisch verfügen. In Danzig hatten wir Glück. Wir kamen in einem alten Büro unter, dass zwar etwas hastig, aber ausreichend gemütlich umfunktioniert worden war. Außerdem wohnten wir direkt neben der Innenstadt, so dass ich halbtags arbeiten konnte und wir den Rest des Tages Spazierengehen konnten.
    Ich hatte in den letzten Wochen etwas Polnisch gelernt und war neugierig es auszuprobieren. Es ist deutlich schwerer als Vietnamesisch, auch wenn mir die Aussprache mehr liegt. Zunächst scheiterte ich allerdings schon beim Wort für das unformale „Hallo“. Es wird Cześć geschrieben und „Tschechtsch“ (mit weichem „ch“) ausgesprochen. Wenn man das System erstmal verstanden hat, kann man sogar flüssig lesen ohne großartig dabei zu stolpern. Zudem existieren zahlreiche deutsche Lehnworte. Ein schönes ist zum Beispiel „weltszmerc“ („Weltschmerz“).
    Hat man diese erste Schwierigkeit überwunden, wird man mit einer Grammatik konfrontiert, die alle denkbaren Gemeinheiten aus dem Deutschen und dem Französischen mitbringt, obwohl Polnisch mit beiden nicht verwandt ist. Außerdem gibt es zwei zusätzliche Fälle und den Vokativ. Erspart bleibt einem nur die Unterscheidung zwischen langen und kurzen Vokalen, die in einigen anderen balto-slawischen Sprachen eine Rolle spielen und so schwer sind, weil man die Bentonung des Wortes nicht verschieben darf, obwohl man einen Vokal lang ausspricht. Im Polnischen wird grundsätzlich auf der vorletzten Silbe betont.
    Dass meine ersten Gehversuche in der neuen Sprache nicht sonderlich erfolgreich waren, muss ich wohl nicht schreiben. Dennoch wurde es über die zwei Wochen Schritt für Schritt ein wenig besser.

    Danzig hat das Flair norddeutscher Hansestädte (oder andersherum?) und lädt dazu ein, durch die Gassen zu streifen. Besonders schön ist der kleine Hafen, der von den alten Speichern und Kaufmannshäusern gesäumt wird und in dem kleinere Schiffe ankern. Der Handelshafen liegt im Nahen Sopot, dass so dicht an Danzig herangewachsen ist, dass die 3 Städte zusammen als Trójmiasto Gdańsk (Dreistadt Danzig) bezeichnet werden.
    Auch schön sind die Langgasse, die als Hauptstraße der Rechtstadt gilt und die Mariaca, eine ehemalige Kaufmannsstraße. Die Rechtstadt würden wir aus Touristenperspektive wohl als Altstadt bezeichnen. Sie heißt lediglich Rechtstadt, weil sie im 13. Jahrhundert die Stadtrechte nach Lübeck’schem Recht erwarb. In ihr liegen neben den schönen, mit alten Häusern gesäumten Straßen, auch andere Sehenswürdigkeiten, wie die Marienkirche, die als größte Backsteinkirche Polens gilt.
    Danzig hat eine bewegte und sehr komplexe Geschichte, da es unter zahlreichen Herrschern stand, aber die meiste Zeit trotzdem als freie Stadtrepublik existieren konnte. Die wohl wichtigsten Stationen sind die Herrschaft des Deutschen Ordens, die Mitgliedschaft in der Hanse, die „Eingliederung“ durch die Nationalsozialisten und die Zeit im Warschauer Pakt.

    Der Deutsche Orden war ein Kreuzritterorden, der in den Norden gekommen war, nachdem die Kreuzzüge beendet waren. Im Jahr im 14. Jahrhundert fand durch sie ein großes Massaker an den Stadtbewohnern statt, zudem ließen sie sich in der Marienburg nieder, zu der wir einen Tagesausflug gemacht haben. Sie ist der größte Backsteinbau Europas und sowohl von außen als auch von innen absolut fantastisch. Sie besteht aus mehreren, ineinander liegenden Anlagen, die nach und nach entstanden sind. In ihren großen Hallen wurden früher Gäste empfangen und Bankette gehalten. Sie hat zahlreiche Kreuzgewölbe unter deren Schutz man spazieren kann und sie ist nach dem zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört gewesen, was heute kein Besucher mehr erwarten würde.
    Wir hatten etwas Pech, denn die Polen scheinen in den letzten Jahren den „nachhaltigen Geschichtsunterricht“ für sich entdeckt zu haben. So teilten wir uns Marienburg und die Danziger Museen mit hunderten von Halbwüchsigen.
    Glücklicherweise konnte man eine Tageskarte für die wichtigsten Museen der Stadt kaufen, so dass wir zwar an einem Tag den historischen Hafenkran, der als Wahrzeichen der Stadt gilt, besteigen, das Schiff-Museum "Sołdek“ bewundern und in die alten Hafenspeicher gehen konnten.

    Nur das Solidarność-Museum (wieder mit dem verflixten „schtsch“-Laut am Ende) und das alte Rathaus mussten wir noch so bezahlen. Besonders das Solidarność-Museum hat sich gelohnt, denn es arbeitet die Protestbewegung an der Lenin-Werft in Danzig während der Unterdrückung durch die Sowjets auf und gibt Einblicke in eine ganz andere Art von „Arbeiterbewegung“.
    Bei einem anderen Ausflug besuchten wir die Kaschubische Schweiz. Ein Landstrich, der, genau wie Danzig, in Pommern liegt und in dem man neben der schönen Natur mit viel Wald und zahlreichen Storchennästern. An einem anderen Tag wiederrum fuhren wir zum „Frischen Haff“, einer Bucht, die kurz vor der russischen Enklave „Kaliningrad“ liegt. Die Region gab der „Königsberger Haffkrankheit“ ihren Namen, die durch den Verzehr von Fischen ausgelöst werden kann und in manchen Fällen sogar zum Tode führt. Sie ist selten, hängt vermutlich mit Schwermetallen in den Fischen zusammen und heute nur am Rande eine Erwähnung wert. In den 1920er und 30er Jahren führte sie allerdings zu schweren Epidemien in der Region. Auf dem Rückweg vom Haff haben wir noch in einem kleinen Waldstück angehalten und einen Spaziergang gemacht, bei dem wir tatsächlich auf einen Elch gestoßen sind. Wir haben uns natürlich etwas erschrocken, denn auch wenn es ein Jungtier war, war es sehr groß. Ihm ging es vermutlich genauso wie uns. Er schaute uns eine Weile erstaunt an, musterte uns und entschied dann irgendwann, dass er uns getrost ignorieren und weiterfressen könnte.
    Natürlich haben wir noch einiges anderes erlebt, das netteste war allerdings, als uns am letzten Abend, mitten in der Stadt, eine Igelmutter mit ihren beiden Jungen begegnete, die von einem netten Polen infolgedessen in eine kleine Gartenanlage dirigiert wurden. Leider waren sie zu schnell für ein Foto.
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