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  • Day 4

    Reaktion statt Prävention

    May 1, 2023 in Tanzania ⋅ ☁️ 29 °C

    Um 7:00 Uhr klingelt der Wecker. Der erste Arbeitstag steht an! Wir schmeißen uns in die OP-Kleidung des UKM (haben wir definitiv nicht vermisst), die Kathi und Laura netterweise für uns dagelassen haben. Dann gibt es bei legeren 25 Grad am Morgen zusammen mit Sister Hifadhi einen heißen Tee und eine Süßkartoffel für jede von uns. Sr. Hifadhi erklärt uns, dass der heutige Tag (1.Mai) etwas anders ablaufen wird als ein normaler Arbeitstag. Am heutigen Feiertag startet die Messe um 9:00 und es werden sehr viele Kinder da sein. Wie viele es tatsächlich sind, werden wir später noch am eigenen Leib erfahren.

    Aber zunächst heißt es "Auf auf" und los geht's zur Zahnstation, die groß mit "Meno" = Zähne gekennzeichnet ist. Hier werden vor allem Extraktionen durchgeführt. Draußen treffen wir eine Patientin mit einer riesig geschwollenen Wange an (Verdacht auf einen Abszess). Sr. Hifadhi guckt sich die junge Frau noch kurz an, bevor sie uns ins hintere Behandlungszimmer führt, um Dr. Josef vorzustellen. Dr.Josef ist 23, kommt aus Mbeya und ist seit kurzem mit dem Studium fertig. Seit Anfang des Jahres arbeitet er in Kitunda als Zahnarzt und unterstützt hier tatkräftig Sr. Hifadhi, die vorher allein tätig war und allerhand zu tun hatte. Während wir Dr. Josef noch kurz bei der laufenden Behandlung zugucken, verlässt Sr. Hifadhi die Zahnstation um zur heutigen Messe zu gehen. (Dauer: ca. 3 Stunden). Die nächste Patientin kommt und Dr. Josef übergibt uns das Zepter. Uns ist hingegen die Überforderung ins Gesicht geschrieben. Nicht nur die sprachliche Barriere macht uns zu schaffen, auch der Tatsache, dass wir in der Uni bisher nur 3-4 maximal parodontal vorgeschädigte Zähne extrahiert hatten, macht die Situation nicht einfacher. Nun gut, erstmal den Befund erheben. Es gibt viele Baustellen, aber ein Zahn ist tief zerstört und bei einem 5er im Unterkiefer ist distal eine große Karies zu erkennen. Schnell ist klar: Der schmerzende Zahn muss extrahiert werden. Nach Rücksprache mit dem Mann der Patientin können wir sie von einer Füllung am 5er überzeugen. Los geht es mit der Anästhesie. Bis diese wirkt präpariert Tahnee die Kavität. Mit einigen geschickten helfenden Handgriffen von Dr. Josef ist die Füllung in 15 Minuten fertig. Danach geht's für Isi unter Anleitung an die Extraktion. Aufgrund der fortgeschrittenen Entzündung wirkt die Anästhesie leider nicht optimal, sodass die Patientin gleich zu Beginn anfängt zu weinen und zu schreien. Wir beide sind mit solchen Situationen nicht vertraut und so übergibt Isabel die Zange an Dr. Joseph. Dieser zieht den Zahn mit viel Greifkraft und Geschick in wenigen Sekunden, jedoch weiterhin unter dem Schreien der Patientin. Die Patientin verlässt das Behandlungszimmer bekommt noch Instruktionen und ein Antibiotikum von Rosie. Wir stehen neben dem tiefenentspannten, lächelnden Dr. Joseph und sind allein vom Zuschauen schweißgebadet. Er erklärt uns, dies sei die "nature of our patients"= "Natur unserer Patient*innen". Damit meint er, dass der Zahnarzt in den meisten Fällen nur bei Schmerzen aufgesucht wird und nicht für Vorsorgeuntersuchungen. Die Gründe dafür sind einerseits die Angst vor dem Zahnarzt und den Schmerzen, aber auch die fehlenden finanziellen Mittel. Dies ist auch der Grund dafür, dass wir bei allen folgenden 10 Patient*innen nur Extraktionen, an den Zähnen die aktuell Probleme machen, durchführen.
    Es beschäftigt uns, dass wir offensichtlich behandlungsbedürftige Zähne nicht versorgen können. Jedoch nehmen wir die Situation natürlich so hin wie sie ist und probieren die Extraktionen so schmerzlos und zügig wie möglich zu gestalten, um so die Patient*innen von ihren Schmerzen zu befreien.
    Ein zwei Behandlungen später klappen dann auch ersten eigenen Extraktionen. Nach der langen Messe kommt Sister Hifadhi noch dazu und arbeitet an ihren Prothesen weiter.

    Nachmittags genießen wir im Jino Haus zu lautem Kinderstimmen von draußen unser "Chapati" (leckeres Brot).
    Dann kommt Agrepina (8 Jahre) mit der kleinen Mafanikio (Success) zum Jino Haus. Sie wollen mit uns zur Kirche gehen, wo die ganzen Kinderstimmen herkommen. Wir fragen Sr. Hifadhi, die immernoch an den Prothesen arbeitet. Sie lässt uns gehen und trägt Agrepina auf uns zu leiten und aufzupassen. Isi nimmt ihre Kamera mit und hängt sie Agrepina um den Hals, die direkt großen Spaß daran hat Fotos zu schießen. Noch sind wir in einer Nebenstraße, doch als wir in der Nähe der Kirche kommen, rennen uns immer mehr Kinder entgegen, die alle sehr interessiert an uns sind, aber vor allem wollen sie von Agrepina fotografiert werden. Die meisten Kinder sprechen zu unserer Überraschung ziemlich gut Englisch. Jedes Foto was wir machen wird voller und voller, sodass wir irgendwann in der Menge der ganzen watoto (Kinder) auf dem Foto untergehen. Agrepina ist zwar noch klein, aber kann sich zum Glück gut durchsetzen gegen die ganzen Kinder, die auch Fotos schießen wollen. Wir machen einen kurzen Abstecher bis vor die Kirche aber merken schnell, dass es langsam zu viel wird, besonders für die kleine Success, die sich auf Tahnees Arm festkrallt. Also treten wir den Rückweg an und Agrepina läuft vorraus. Ca. 30 Kinder kommen noch mit bis zum Eingang des Health Centers. Dann müssen wir ihnen sagen, dass sie nicht reinkommen können. Byebye watoto wazuri!

    Zurück am Jino Haus setzen wir uns mit den beiden Kindern und Sister Hifadhi zusammen und schauen alte Bilderbücher von Johannes, Magdalena und ihrer Familie zu ihrer Zeit in Tansania. Success ist so müde, dass sie noch auf Tahnees Schoß tief und fest einschläft.

    Es gibt noch ein leckeres Abendessen und wir fangen an bunte Schlüsselanhänger für alle Sisters zu knüpfen. Danach geht's ab ins Bett denn morgen ist ein neuer Tag mit neuen Patient*innen, Herausforderungen und Erfahrungen, für die wir alle Energie gebrauchen können.
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