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  • Day 3

    Zeitreise im Zeichen des Drachen

    September 15, 2023 in Wales ⋅ ☁️ 22 °C

    Am Abend fahre ich raus aus der Stadt. Das Umland ist voll von Großsteingräbern. Der größte hier verbaute Stein wiegt vierzig Tonnen. Wieder so eine Meisterleistung der man das Genie nicht ansieht. Es ist das Eine diesen Stein zu anzuheben und zu transportieren. Das Andere überhaupt die Idee zu haben ihn zu benutzen.
    Der nächste Morgen ermöglicht mir einen zeitigen Start. Ein kleiner Umweg führt mich an den Strand wobei ich erstmals mit diesen schier undurchdringlichen englischen Hecken zu kämpfen habe. Links und rechts nehmen sie die ohnehin schon enge Straße meterhoch in die Zange! Lavernock ist der südlichste Festlandpunkt von Wales. Die gegenüberliegenden Hügelketten liegen bereits in Cornwall. Eine erfrischende Wanderung unterhalb der Klippen offenbart dreckiges aber extrem warmes Wasser. Grüße vom Golfstrom. Oberhalb der Klippe gibt es zweites Frühstück in mitten riesiger Brombeerhecken. Das ist wie im Schlaraffenland. Denn bis auf zwei Hundegänger hat sich noch niemand hier her verirrt. Dabei ist der Ort durchaus geschichtsträchtig. Auf der wenige Kilometer vorgelagerten Insel Flat Holm steht neben unzähligen Bunkern aus dem zweiten Weltkrieg eine Radiostation. Hier wurden 1897 die ersten Radiowellen der Welt gefunkt und empfangen. Unscheinbar aber beeindruckend, wenn ich an die Anfänge zurück denke. „Are you ready?“

    Die Zeitreise geht heute indessen noch ein Stück weiter. Unweit von Cardiff liegt Caerphilly Castle. Es ist nach Windsor die zweitgrößte Burganlage Britanniens. Dieses Tal trotzte schon immer den Ansagen aus England. Bereits zu Zeiten der Römer gab es hier eine große Legion von über 7.000 Mann. Seit dem Mittelalter trotzt die Burg über das Tal und mit ihr der Walisische Drache. So besaß die Burg einen eigenen Brunnen, eine Mühle und eine Bäckerei um in Zeiten der Belagerung unabhängig zu sein. Es hilft jedoch nicht darüber hinweg dass die Drachenhöhle am Fuß der Burg etwas zu groß geraten ist und seitdem einer der Wehrtürme langsam aber sicher umkippt. Den Rekord des schiefen Turm von Pisa hat er bereits eingestellt. Nach dem zweiten Weltkrieg erlangte das Taff Valley abermals Ruhm durch seinen Käse. Zu Kriegszeiten waren alle Käsesorten außer Cheddar verboten um mehr Milch für die Soldaten bereit zu stellen. Seit 1954 nachdem die Rezepturen gut 15 Jahre nur im Verborgenen praktiziert werden durften begeht der Caerphilly als Käse seinen Siegeszug und schmeckt auch so viel besser als ein Cheddar! Der Drache steigt heute ebenfalls zu einem neuen Höhenflug auf. Als Werbefigur fliegt er über die Castles von Wales und lädt zur Entdeckungsreise ein.

    Zurück in der Gegenwart ist gerade die Schule aus und ich quäle mich durch den Verkehr. Selbst die Kleinstadt wird mir schnell zu groß und ich fahre hinaus nach Bleanavon. Über dem kleinen Ort weht ein viktorianischer Zauber. Schon 43 Jahre lang ist die Kohlezeche hier geschlossen. Zwei Drittel der Bevölkerung wanderten ab. Doch seinen Glanz und seinen Stolz hat es nie verloren. Die UNESCO entschied sich dieses Dorf zum Welterbe zu erklären. Angefangen bei der Kohle bis hin zur Eisenhütte gibt es hier 210 Jahre Industriekultur zu entdecken. Der Weg der Herstellung ebenso wie die Abgründe im Menschenhandel der Großgrundbesitzer wo ein Pferdeleben mehr aufwog als das Leben einer ganzen Arbeiterfamilie. Feiertage gab es nicht und bezahlt wurde mit Token anstatt mit Geld um die Leute an die lokale völlig überteuerte Infrastruktur zu binden und dass sie nicht wegziehen könnten. Die Arbeiter arrangierten sich und nur selten gab es Aufstände. Doch wenn dann richtig. Vielleicht ist das auch ein Grund warum die Waliser heute noch so ein eingeschworenes Volk zueinander sind.
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