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  • Day 5

    Unter dem Meer

    September 17, 2023 in Wales ⋅ 🌧 18 °C

    Es regnet. Den ganzen Tag soll immer wieder ein Regenschauer durchziehen oder es nieselt. Ich überlege am Vorabend wie und wo ich das am erfolgreichsten abwettern kann und entscheide mich am Abend das trübe Hochland der Brecon Beacons durch den Nationalpark gen Süden zu verlassen. Vorbei an einigen Megalithen und Menhiren aus der Vorzeit, über alte Römerstraßen und mit Zwischenhalt an Orten an denen römische sowie frühchristliche Geschichte sich verknüpfen. Friedhöfe. Zwischen vielen tausend Jahre alten Eichen stehen oft verwittert noch Steinplatten oder Steinkreuze. Doch was muss passieren damit jemand einer Steinplatte aus dem fünften Jahrhundert etwa zehn Generationen später ein eigentlich viel älteres vorchristliches Steinkreuz aufsetzt? So etwas kurioses gibt es wieder nur in Britannien. Frei nach dem Motto ‚wenn du die Lebenden suchst, schau mal auf dem Friedhof nach‘ treffe ich auf einen Herren vollgepackt mit Taschen und Einkaufstaschen und mit ihm auch den einzigen im ganzen Dorf. Er findet gut dass ich mich für die Geschichte von Wales abseits der Touristenpfade interessiere und gibt mir gleich drei Anlaufstellen wo ich mich erkundigen könne was es mit diesen rätselhaften Grabsteinen auf sich hat. Allein sie liegen in der Richtung wo ich her komme und heute Abend arbeitet dort sowieso keiner mehr. Er sieht bald aus als suchte er einen Schlafplatz. Jedoch schafft er es den Friedhof ebenso lebendig wieder zu verlassen und steht bald an einem Bushäuschen an dem schon lang kein Bus mehr zu halten scheint.

    Es regnet immer noch. Doch an den Küsten von ‚the gower‘ weht ein warmer Wind und bläst den Nieselregen weiter ins Landesinnere. Mein Plan geht auf! Am Morgen beginnt gerade das Spiel der Gezeiten und für mich ein ungeahnter Wettlauf gegen die Zeit. Doch anfangs merke ich davon nichts. Ein Spaziergang zur ‚three cliffs bay‘ offenbart herrliche Aussichten auf das Meer, die Bucht, den immer größer werdenden Sandstrand und die Erkenntnis das selbst jetzt am frühen Morgen eine Hand voll Waliser nicht etwa mit Hund zum Strand spazieren kommt sondern zum Baden in den tieferen Teil des Kanals steigt und ein wenig schwimmen möchte. Von Weitem höre ich bloß das die Hälfte der Gruppe das heute zum ersten und auch zum letzten Mal macht. Oberhalb der steilen Klippen weht ein kräftiger Wind über die immergrünen Schafweiden. Was die Tiere jedoch oft hinterlassen ist ein fast perfekter Rasen und jede Menge Tretminen.

    Etwa zwei Stunden später gelange ich an den äußersten Zipfel von ‚the gower‘. In der Nähe von Rhossili erhebt sich bei Flut aus dem Wasser ein majestätischer Drachenschwanz den man bei tiefer Ebbe begehen kann. Nachdem ich nun von oben schon nass wurde kommt es auf das von unten nun auch nicht mehr an. Durch die einsetzende Ebbe öffnet sich eine Landzunge, die ich übermütig wie ich bin als groß genug einschätzen würde. Doch die Küstenwache gibt den Wanderweg erst gegen Mittag frei wenn das meiste Wasser abgelaufen und die Muschelbänke nicht mehr rutschig sind.

    Zwischen einigen Felsen springe ich von der Küstenlinie hinab und suche mir einen Weg durch das Labyrinth an scharfkantigen Felsen, stehengebliebenen Wasserpfützen, rutschigen Algen und nicht zuletzt auch Miesmuschelbänken. Vom Rand sieht das alles so leicht aus. Doch durch die Sohlen meiner Halbschuhe merke ich jede Einzelne. Und erst jetzt wenn ich zwischendrin stehe wird mir bewusst wie weit ich bei Flut eigentlich schon unter dem Meer stünde. Bis die Flut wieder einsetzt ist ja noch Zeit, denke ich. Und der eine Kilometer Landzunge bis nach Worms Head, den bin ich im Nu auch wieder zurück gelaufen. Doch nur allzu gern lasse ich die Zeit außer Acht denn es gibt so viel Interessantes zu entdecken auf dem Meeresgrund! Nach etwa einer Stunde bin ich auf der Insel angelangt und mich begrüßen zwei Seelöwen die sich auf einem Felsen ausruhen. Vom Festland sah das alles viel kleiner aus. Vom Ende der ersten Insel erstreckt sich eine neue Landzunge zu einer zweiten und dahinter einer dritten Insel. Vereinzelt sind dort hinten ein paar Menschen unterwegs. Also auf und hinterher. Der Wind bläst kräftig und führt anstatt durchs Wasser steil hinauf über ein Felsentor. Nunja, wenn man durch den Wind darauf abrutscht fällt man wenigstens ins Wasser. Und neben an sitzen erneut ein paar Seelöwen. Die hätten dann was zu Lachen. Doch es geht alles gut. Bald sitze ich windgeschützt hinter einem Fels am letzten Ende von worms head.
    Ich genieße die Aussicht und erhole mich von den Anstrengungen. Der erste war ich hier draußen gewiss nicht. Darauf deuten einige bemalte Steine aus Corona-Zeiten. Speziell heute habe ich hier hinten jedoch auch schon lange keinen mehr gesehen. So richtig bewusst wird mir der Ernst der Lage jedoch erst als ich mich umdrehe und aus meinem Windschatten hervor komme. Der Wind hat gedreht. Die Wolken sind viel schwärzer als draußen auf dem Meer. Nicht etwa die einsetzende Flut wird mir zum Verhängnis sondern der scheinbar noch anstrengendere Weg gegen den Wind zurück. Natürlich finde ich auch noch das ein oder andere spannende Tier oder bunte Algen auf dem Meeresgrund. Erst zwei Stunden später als veranschlagt bin ich wieder zurück bei der Küstenwache. Derweil tobt sich das schlechte Wetter einmal so richtig schön aus so dass ich auch ohne Taufe bis auf die Knochen nass bin.
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