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  • Day 603

    Huayna Potosí - Gipfelstürmer

    July 30, 2022 in Bolivia ⋅ 🌙 -2 °C

    23:30 Uhr - Der Wecker klingelt! Oft geht's jetzt erst ins Bett, heute soll es hoch hinaus gehen. Unser Ziel: der Gipfel des Huayna Potosí mit einer Höhe von 6.088m. Die Aufregung hat sich natürlich nicht gelegt und als wir beginnen die gesamte Ausrüstung anzulegen, wirds standesgemäß noch etwas schlimmer. Gut, dass wir uns alle gegenseitig motivieren können.

    Vorm Schlafen gehen haben wir die Teams - pro 2 Personen ein Guide - abschließend festgelegt und jetzt mitten in der Nacht beginnt die letzte und gleichzeitig anstrengendste Etappe der Besteigung. Trotz Nervosität gibt's einen leichten Snack als Frühstück, danach geht's raus in die eisige Kälte. Nach ein paar Minuten erreichen wir den Rand des Gletschers, abgesehen von unseren Stirnlampen ist es stockfinster. Noch schnell die Steigeisen angelegt und um kurz nach 1 Uhr in der Nacht betreten wir zum ersten Mal den Gletscher des mächtigen Berges. Vor uns liegt eine etwa 5 bis 6 stündige Wanderung auf dem Eis. Darüber wollen wir jetzt aber definitiv nicht nachdenken, denn zuallererst sind wir gespannt darauf, wie unser Körper auf die große Höhe reagieren wird. Langsam, ganz langsam geht's bergauf. Immer wieder legen wir Pausen ein, um unseren Körper an die Höhe zu gewöhnen. Glücklicherweise kommen wir mit dem geringen Sauerstoff super zurecht und haben keine Anzeichen der Höhenkrankheit. Auch die anderen im Team strotzen vor Selbstbewusstsein. 5.400m, 5.500m, 5.600m und auf einmal stehen wir vor einer steilen etwa 30m hohen Wand aus Eis und es ist Klettern angesagt. Jetzt wirds tatsächlich knifflig, denn im Vergleich zu den Übungen vom ersten Tag ist diese Wand wirklich enorm! Immer gut gesichert klettern wir in unseren 3er-Teams langsam hinauf und jetzt macht sich die Anstrengung zum ersten Mal bemerkbar. Oben angekommen ist deshalb erstmal eine Verschnaufpause und neue Motivation notwendig - schließlich haben wir gerade erstmal die Hälfte des Weges geschafft. Wenigstens geht es erstmal nicht mehr ganz so steil weiter. In welcher Umgebung wir uns hier befinden, sehen wir allerdings immer noch nicht, denn es ist weiterhin unfassbar dunkel um uns herum. Das ungewohnte Laufen mit den Steigeisen, die kleinen Schritte, die dünne Luft, die eisige Kälte - all das macht sich mehr und mehr bemerkbar, sodass die Strecke zunehmend härter wird. Wir bleiben im Team zusammen, was für die Motivation untereinander enorm wichtig ist. Nach einer gefühlten Ewigkeit stehen wir vor der letzten Herausforderung, denn um den Gipfel zu erreichen ist noch einmal ein deutlich steilerer Abschnitt zu bewältigen. Die letzten 150 Höhenmeter sind eine wahre Qual, alle sind sich einig, dass wir es hier mit einer der größten körperlichen Herausforderung unseres Lebens zu tun haben.

    Am Horizont wird es langsam heller und das Morgengrauen treibt uns an, den Gipfel noch vor dem tatsächlichen Sonnenaufgang zu erreichen. Und dann ist er gekommen, der Moment, auf den alle gewartet haben und von dem wir nicht wussten, ob wir ihn wirklich erleben würden. Die letzten Schritte bis zum kleinen Plateau fühlen sich irgendwie surreal an und als wir den letzten Schritt gegangen sind, brechen alle Dämme. Wir fallen uns in die Arme und Tränen kullern uns über die Wangen, denn das Ziel unserer Träume der letzten Tage ist erreicht. Momente des Zweifelns und Bangens sind verflogen und all das genau im richtigen Moment, denn keine 5 Minuten nachdem wir auf 6.088m angekommen sind, blitzen die ersten Sonnenstrahlen über die weit unter uns liegende Wolkendecke am Horizont. Der Sonnenaufgang und die Sicht generell gehören zu dem Schönsten, was wir bisher erleben durften. Langsam wird es immer heller und die Sicht immer besser. Wir genießen diesen intimen Moment mit unseren neuen Freunden - dieses Erlebnis hat uns alle zusammen geschweißt.

    Ob wir alle schon realisieren können, was wir gerade geschafft haben? Wir wissen es nicht. Jedenfalls brennt eine Menge Euphorie in uns. Was man allerdings gerne mal vergisst ist, dass auch noch der Abstieg auf einen wartet. Der geht zwar deutlich schneller als der Aufstieg, ist aber nicht minder anstrengend. Immerhin können wir jetzt endlich auch die faszinierende Landschaft um uns herum genießen, sehen die Berge in der Ferne und wandern vorbei an riesigen Gletscherspalten durch eine unnatürlich wirkende Landschaft, die uns verzaubert.

    Die Euphorie über das Erreichte begleitet uns mindestens den ganzen restlichen Tag. Als wir das High Camp erreichen, schlägt die enorme Anstrengung in Müdigkeit um. Da kommt eine leichte Mahlzeit genau richtig, um wieder zu Kräften zu kommen. Die Auswirkungen der Höhe machen sich bei dem ein oder anderen etwas bemerkbar, zum Glück geht's ab jetzt nur noch bergab. Nach dem Essen packen wir unsere Sachen und laufen zurück zum Basiscamp, wo schon die nächsten Abenteurer voller Vorfreude und Aufregung ankommen. Wir hingegen sitzen im Auto zurück nach La Paz und sind froh, das Abenteuer erfolgreich hinter uns gebracht zu haben.

    Nochmal hinauf auf den Huayna Potosí? Für uns kommt das wahrscheinlich nicht in Frage. Aber es soll ja auch noch andere 6.000er geben, die auf eine Besteigung warten...
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