- Show trip
- Add to bucket listRemove from bucket list
- Share
- Day 129
- Friday, January 18, 2019
- 🌧 19 °C
- Altitude: 14 m
South AfricaKapstadt33°55’38” S 18°25’46” E
Kapstadt 1

Ich stehe auf dem Table Mountain am südlichsten Zipfel Afrikas und schaue auf diese pulsierende Stadt voller Geschichte, voller Gegensätze, voller Kulturen hinab.
So viel Schönheit.
So viel Ungerechtigkeit.
Cape Town ist eine Stadt, in die man sich leicht verlieben kann. Gewaltige Berge, grüne Wälder, weiße Sandstrände, Botanische Gärten, ein Nationalpark mitten im Stadtzentrum, kulinarische und kulturelle Vielfalt, Weingüter, Stadtparks, endlose Shoppingmöglichkeiten, sensationelles Nightlife (oh yeah), Tiere aller Art und natürlich der Atlantische Ozean.
Objektiv betrachtet, müsste ich vor lauter HURRA schreien gar nicht mehr aufhören können.
Mein stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden jedoch zerreißt mich innerlich fast.
Neben diesen ganzen Barhoppern, Anzugträgern, Beachbums, Mercedesfahrern, Hafenpromenadeflanierern, Touristenmassen und Villabewohnern leben in Kapstadt ca. eine Million Menschen in den geballten Townships und sieben- bis zehntausend Menschen auf Straßen, unter Brücken, an Stränden und in Hauseingängen. Sie leben in einer Parallelgesellschaft.
Ich bin schockiert über die Anzahl der Menschen, die den Gehsteig ihr Zuhause nennen. Schockiert über bettelnde Kinder.
Es bricht mir das Herz, die uns schon öfters aufgetragene Regel zu befolgen: Schau den Menschen nicht ins Gesicht. Jeder ist ein potentieller Krimineller.
Da laufe ich hochprivilegiertes Mädchen auf Endless-Summer-Reise durch die Straßen und ständig kommen verwahrloste Menschen auf mich zu und fragen nach Geld. Eine Frau meines Alters kommt in Decken gewickelt auf uns zu und fragt mit großen leeren Augen, ob wir ihr bitte helfen können. Wir hören ihr zu und als sie sich von Herzen dafür bedankt, dass wir ihr überhaupt zuhören, wächst mein Kloß im Hals. Sie sagt, sie will gar kein Geld. Nur etwas zu essen. Ich fühle mich schlecht. Die Ungerechtigkeit treibt mir Tränen in die Augen. Wie kann es sein, dass diese junge Frau fremde Menschen anbetteln muss, damit sie heute Nacht nicht hungert und ich in ein schickes Restaurant zum Abendessen spaziere?! Nicht weil ich besonders hungrig wäre. Nur weil es halt gerade Abendessenszeit ist.
Der Unterschied zwischen sauarm und saureich ist in dieser Stadt wirklich extrem.
„Apartheid still exists. But it’s not any more about blacks and whites. Today it’s about the haves and the not-haves.” Ken führt uns in seiner Free Walking Tour zu den verschiedensten Orten und Denkmälern Kapstadts und erzählt dabei sehr persönliche Geschichten, vor allem von der Apartheid-Ära.
Immer wieder kommt er dabei natürlich auf Nelson Mandela zu sprechen.
Nelson Mandela. Vor einigen Wochen waren wir in Mthatha nahe seines Geburtsortes im Nelson-Mandela-Museum. Seine Biographie, sein Mut, sein Gedankengut und sein eiserner Wille, mit friedlichen Mitteln etwas ändern zu wollen, beeindruckt mich zutiefst. Ken erzählt die herzzerreißende Geschichte von Mandelas erster Rede als freier Mann aus Sicht seiner Eltern:
1990 seien sie mit dem Zug von Johannesburg nach Kapstadt gefahren, um zu sehen, wer dieser Nelson Mandela ist. Kaum ein Südafrikaner wusste zu dieser Zeit wohl, wie Mandela aussieht, da er im Fernsehen nie gezeigt wurde. Die Propaganda habe ihn stets als Terroristen dargestellt.
Als seine Eltern in Kapstadt ankamen, wollten mit ihnen Hundert Tausend andere Menschen Nelson Mandela sehen und hören. Und dann stand er da (mit der typischen südafrikanischen Verspätung, wie Ken lächelnd hinzufügt) und predigte Vergebung und Versöhnung. 27 Jahre eingesperrt, 18 davon auf Robben Island und trotzdem war dieser Mann bereit, Denjenigen zu vergeben, die für seine Inhaftierung verantwortlich waren.
Ken fordert uns auf, zu überlegen, ob wir nicht auch jemanden zu vergeben hätten. Er spricht darüber, wie Hass im Herzen der Liebe den Platz nimmt. Und dass es doch eigentlich viel mehr in der Natur des Menschen liege, Liebe im Herzen zu haben.
Er führt uns in das Viertel „District 6“ und erzählt von seiner 94 jährigen Freundin, die 1968 wie 60.000 andere Schwarze und Farbige gewaltsam aus ihrer Wohnung im District 6 vertrieben wurde. Das komplette Viertel wurde „gesäubert“, es wurde zu einer weißen Zone erklärt. Menschen wurden aus ihrem Umfeld, ihren gesellschaftlichen Verbindungen entrissen und je nach Hautfarbe in Townships in den Cape Flats verfrachtet, wo sie von nun an eng auf eng wohnen mussten.
Dies führte verständlicherweise zu Missmut, zu Aggression. Viele Menschen konnten ihren Job nicht mehr weiter machen, da dieser in Laufnähe ihres eigentlichen Wohnortes im District Six lag. Die Lebensumstände verschlechterten sich für viele der Zwangsumgesiedelten drastisch. Einfach nur weil sie keine weiße Haut hatten.
Ken berichtet von der zugespitzten Situation in den Townships: kleine Jungen im zarten Alter von 12 Jahren sehen sich schon als Gangsterbosse, halten Knarren in der Hand und sind völlig zugedröhnt von Crystal Meth.
Ken vermittelt uns außerdem einen Eindruck davon, wie komplex und ungerecht die Situation zwischen den Hautfarben heutzutage immer noch ist. Die Diskriminierung geht jedoch auch in die andere Richtung. So habe er als Weißer beispielsweise schon fünfmal seinen Job verloren. Aufgrund seiner Hautfarbe. Unternehmen müssen im Rahmen der sogenannten „Black Empowerment“- Agenda einen bestimmten Prozentsatz Farbige einstellen. Was umgekehrt natürlich bedeutet, dass ein bestimmter Prozentsatz Weißer dann seine Arbeitsstelle verliert.
Die Free Walking Tour von Ken ist super informativ und unglaublich berührend. Mir schwirrt der Kopf.
Mit all diesen Geschichten und Eindrücken treffen wir Warren, einen „Capetonian“, den wir vor vielen Jahren auf Nias kennen gelernt haben. Ich frage ihn, wie er mit der Armut und dieser immer noch schwierigen Hautfarben-Situation in seinem Land umgeht.
„I grew up in a bubble“ ist seine Antwort.
Hä? Kapstadt eine rosarote Blubberblase?
Also ich empfinde das anders.
Warren ist Fotograf und begleitet seit drei Jahren Häftlinge in Kapstadts Gefängnis. Er dokumentiert, wie Boxtraining Aggressionen und Frust Luft macht und kriminelle Energie in sportlichen Ehrgeiz umgewandelt werden kann.
Dadurch bekommt er tiefe Einblicke in verschiedenste Biographien.
Als ich ihm von der mich immer noch stark berührenden Begegnung mit der Frau erzähle, die uns um Essen angebettelt hat, meint er: „The most important thing is, that we stop treating them as cockroaches.”
Ein Leben auf der Straße. Verzweifelt und hoffnungslos. Mehr als Kakerlake denn als Mitmensch wahrgenommen werden.
Wie war das nochmal gleich mit „Die Würde des Menschen ist unantastbar“?
Mich beschäftigt die Arm-Reich-Schere in Südafrika so sehr, dass ich Sally aus Johannesburg (bei deren Eltern wir auf der Entenfarm geschlafen haben) anschreibe und
frage, wie sie damit umgeht.
„Yes I hear you, the poverty here is really hectic and it never gets easier unfortunately. I also think we have come to recognize it as the norm which is so unreal.“
Wenn man nicht in Haisterkirch, sondern in Kapstadt oder Johannesburg aufgewachsen ist, hat man sich offenbar in gewisser Weise daran gewöhnt, dass massenweise Obdachlose auf den Straßen liegen, dass die Weißen die Villen am Strand bewohnen und die Schwarzen für sie arbeiten, dass man immer auf der Hut sein muss vor Kriminellen, dass vor und hinter jeder Stadt tausende Menschen eng zusammengepfercht in Bruchbuden ohne ausreichende hygienische Versorgung hausen und gleich daneben Casinos, Clubs, Segelyachten, Shoppingmeilen, Mercedesläden und die edelsten Hotels stehen.
So viel zur einen Seite der Medaille.
Die andere Seite der Medaille beschreibt sich um einiges leichter und mit weniger Kloß im Hals.
Denn an sich ist Kapstadt eine unglaublich faszinierende Stadt voller Möglichkeiten.
Als Tierlieberin erwähne ich hier natürlich als erstes unser Treffen mit den Pinguinen. Diese afrikanische Spezies brütet ausschließlich in Namibia und Südafrika auf insgesamt 25 Inseln und an zwei Orten am Festland: Boulders Beach in Simon’s Town und Stony Point in Betty‘s Bay.
Selbstverständlich besuchen wir beide Orte. Es ist einfach nur zuckersüß, wie tollpatschig die kleinen Frackträger in äußerst aufrechtem Gang herumwatscheln.
Unfassbar lustig hört sich auch ihr Brunftruf an, der klingt, als würde ein Esel geschlachtet.
Ein anderes tierisches Highlight sind die Seelöwen, die auf Duiker Island leben. Wie völlig verspielte Welpen tümpeln sie im Wasser herum, springen in die Luft, drehen sich um die eigene Achse, versuchen mit dem Schwung einer Welle auf einen Felsen zu schwappen, stupsen sich gegenseitig an und schauen ganz interessiert zu uns herauf. Wir stehen an der Reling eines Bootes und schauen ganz interessiert auf sie hinab.
Wie gerne würde ich jetzt mit ihnen spielen und tümpeln und stupsen. Das unberechenbare Wetter hat uns hier jedoch leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Kein Schnorcheln mit den Seelöwen. Gleicher Grund wie vor ein paar Tagen, als unser „White Shark Cage Diving“ abgesagt wurde: Der Ozean ist zu raff. Der Swell zu groß.
Das Wetter in Kapstadt ist absolut unberechenbar. 3 Klimazonen an einem Tag ist völlig normal hier, erzählen uns Capetonians.
So entfällt wegen zu starkem Wind auch mein Paragliding und den wunderschönen Klippenwanderweg wollen wir in strömenden Regen auch nicht machen.
Oft meint es das Wetter aber auch gut mit uns und die Sonne strahlt in vorbildlicher Endless-Summer-Manier. So beispielsweise, als wir den Sonnenuntergang vom Table Mountain aus anschauen und als wir DEN scenic drive, den sogenannten Chapmans Peak Drive fahren, eine kurvige Küstenstraße mit den großartigsten Ausblicken auf Strände, Gebirge und Inseln rund um Kapstadt.
Einen überaus faszinierenden Ausblick auf die Gebirge des Table Mountain Nationalparks haben wir auch beim Open Air Konzert von „Freshly Ground“, einer südafrikanischen Band, die Felix vor 11 Jahren hier kennengelernt hat.
Das Setting ist traumhaft: mitten im Botanischen Garten Kirstenbosch sitzen hunderte Menschen auf Picknickdecken an einem Grashang, an dessem Fuße die Bühne platziert ist. Ein bisschen wie ein natürliches Amphiteater.
Sensationell! Dort treffen wir auf die Amerikanerinnen Shannon und Kendall, die wir bereits auf Sansibar kennengelernt haben (Shannon war dort meine Yogalehrerin). Es ist ein richtig herzliches Wiedersehen mit zwei ganz tollen Seelen.
Mit den beiden gehen wir dann an unserem Abschiedsabend, nachdem wir uns den spektakulären Sonnenuntergang vom Signal Hill aus angeschaut haben, im berühmten Restaurant „Mama Africa“ essen.
Dort werden wir noch ein letztes Mal so richtig gefüttert.
Mit Dekorationen in den knalligsten Farben.
Mit afrikanischen Rhythmen einer Marimba-Band.
Und mit KUDU.
Endlich bekommt Felix sein geliebtes Kudu zwischen die Kiefer und isst das Wild, auf das er seit unserem ersten Nationalpark so wild ist.
Es ist unser letzter Abend in Afrika, in Kapstadt.
Mich wird auf Ewig etwas mit dieser für mich so gefühlsintensiven Stadt verbinden. Schon allein wegen meinem hier gestochenen Tattoo.
Ein Endless-Summer-Tattoo, das mich für alle Zeiten an diese großartige Reise erinnern soll.
Eine Reise, auf der ich so oft schon meiner geliebten Sonne beim Aufgehen und Untergehen zuschauen durfte.
Ist nicht auch jeder Sonnenaufgang eine Chance, neu zu beginnen?
Oder wie Mady Morrison, meine Lieblings-Online-Yoga-Lehrerin sagt: „Jeden Morgen wenn du aufstehst und den Tag beginnst, hast du die Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen. Die Entscheidung, glücklich zu sein.“
Ob diese Weisheit auch für die bettelnde hungrige Frau von vor einigen Tagen funktioniert, ist fraglich.
Ganz genau mit diesen gemischten Gefühlen verlasse ich heute die Regenbogennation Südafrika.
Was für ein unbeschreiblich vielseitiges, vielschichtiges und vor allem wunderwunderschönes Land.Read more
Wie immer super ehrlich und einfühlsam geschrieben! Ein bisschen schmunzeln musste ich aber doch: Mady Morrison begleitet auch mich jeden Morgen beim Yoga 🧘♀️-Jojo