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  • Day 283

    Heimkommen vor dem Heimkommen 1

    June 21, 2019 in Indonesia ⋅ 🌧 25 °C

    Dies ist zwar nicht die Heimkehr nach Deutschland, aber es fühlt sich absolut wie Heimkommen an.
    Bereits am Flughafen in Medan - Sumatra übermannen mich die Erinnerungen an mein „zweites Zuhause“: ich rieche den unverkennbaren Duft der Nelkenzigaretten, Menschen drängeln vor und hinter mir wie die Irren in den Aufzug rein und wieder raus, alte Männer lächeln mich mit rot verfärbten Zähnen an, Warnschilder in den Toiletten, die das Stehen auf den westlichen Klobrillen verbieten, der Immigration -Beamte, der mir, anstatt das erforderliche Ausreiseticket zu verlangen, lieber Geschichten eines deutschen Paters erzählt, der seit soundsovielen Jahren auf Nias lebt und dies und das tut, Nudelsuppe schlürfende Kinder und rülpsende Frauen.
    Es ist ein richtiger Flashback.
    Beim Landeanflug auf den winzigen Flughafen in Gunungsitoli, Hauptstadt von Nias, kommen mir Bilder in den Kopf geschossen.
    Bilder der vergangenen Besuche auf dieser Insel, die mir so sehr ans Herz gewachsen ist. Die ein Teil meines Lebens wurde. Die unsere kleine Freundesgruppe wohl ein Leben lang zusammenhält.

    2011, als wir alle fünf noch Lehramtsstudenten waren, haben wir blauäugig, dafür hochmotiviert und voller Idealismus eigentlich eher zufällig einen gemeinnützigen Verein gegründet und in den folgenden Jahren zusammen mit unserem indonesischen Freund und Partner Joli Dachi ein soziales Projekt auf die Beine gestellt, auf das wir mächtig stolz sein können.
    In den vergangenen acht Jahren haben wir es mit vereinten Kräften tatsächlich geschafft, drei Häuser zu bauen - unsere Villa Warna Warni. Momentan leben dort neun Kinder, die aus sehr armen Verhältnissen kommen und ansonsten keine Schule besuchen könnten.

    Ich freue mich unglaublich auf das Wiedersehen. Mit Felix, mit Joli und seiner Frau Juli, mit den Kids, die ich das letzte Mal vor zwei Jahren gesehen habe und auf das Kennenlernen der Kinder, die seither in die Villa Warna Warni eingezogen sind.

    Mein Fahrer Hermann, der mich vom Flughafen nach Hilimaenamölö zur Villa bringt, erzählt mir direkt beim Einsteigen, dass seine Eltern ihn nach einem deutschen Arzt benannt hätten, der damals kam, um gegen Malaria anzukämpfen. Ich kann kaum zuhören, weil ich so mit aus-dem-Fenster-starren beschäftigt bin. Hermann stört das nicht, er erzählt weiter. Über Hochzeiten, Touristen und indonesische Namen. „You know Tini is an indonesian name?! Felix also. Your boyfriend Felix is my best friend, like my second brother.” Er hat ihn ja auch schon ganze drei mal getroffen. Ich kann immer noch nur mit einem Ohr zuhören. Die vorbeirauschende Landschaft zieht mich in ihren Bann und weckt in mir heimelige und doch aufgeregte Gefühle.

    Gehäutete Schweine, die auf Haken in der Sonne hängen.

    Saftig grüne Reisfelder, aus denen die Basthüte der Feldarbeiter ragen.

    Reis, der auf blauen Planen zum Trocknen ausgelegt ist.

    Bunte Kleidung, die zum Trocknen auf den Büschen liegt.

    Schlaglochübersähte Straßen.

    3 bis 5 Menschen auf einem Motorrad.

    Winkende Kinder, die lauthals „MIIISSSES!“ schreien, als sie mich sehen.

    Muskulöse Männer, die von Hand kiloweise Sand sieben.

    Frauen, die in der Hocke sitzend Tapiocablätter pflücken.

    Hochzeiten am Straßenrand mit weiß geschminkten Ehepaaren, Frauen in edler Glitzerkleidung und viel zu lauter Musik aus scheppernden Riesenlautsprechern.

    Straßenstände, die allerlei bunten Krimskrams verkaufen.

    Männer, die ihre Plauze stolz unter dem hochgestülpten T-Shirt zur Schau tragen.

    Immer wieder zieht der Geruch getrockneten Fisches zum Fenster herein, bei dem es mir die Nackenhaare aufstellt.

    Frauen, die in Tweetie- und Hello Kitty Schlafanzügen auf der Straße schlendern.

    Hochglanzpolierte bunte Gräber mit Jesusbildern vor den Häusern.

    Kinder, die mit Stöckchen alte Fahrradreifen anschubsen und hinterherrennen.

    Schreinereien, die aus Massivholz robuste Bettgestelle, Türen, Fensterrahmen und Stühle herstellen.

    Straßenstände, die Benzin aus Plastikflaschen verkaufen.

    Riesige Satellitenschüsseln, die wie Ufos in den Gärten stehen.

    Menschen, die mit Riesenmacheten aus dem Dschungel links und rechts der Strasse herausstapfen.

    Kinder, die auf Plastikplanen oder kleinen Tischen Mangos zum Verkauf anbieten.

    Männer mit roten lückenhaften Gebissen, die ihre zerkauten Betelnüsse auf die Straße spucken.

    Prächtige Hähne in hohen Bastkörben.

    Papaya-Bäume, Palmen, Bananenstauden und meine geliebte Frangipani.

    Und während ich da so schön vor mich hinträume und flashbacke, holt mich Hermanns Hupe immer wieder in die Realität zurück.
    Mööööp Mööööp - Hermann hupt jedem vorbeifahrenden Auto entgegen, er hupt vor jeder Kurve und beim Überholen der Hello-Kitty- Spaziergänger. Ach. Was für eine schöne Erinnerung: Hupen kann von „Achtung ich überhole!“ über „Hey Bruder, schön dich zu sehen!“ hin zu „Bist du eigentlich bescheuert? Fahr gefälligst auf deiner Straßenseite!“ alles bedeuten. Plötzlich, aus dem Nichts heraus, meint Hermann: „Wir essen jetzt Suppe“. Schön! Jam Karet - ich hab sie echt vermisst, die indonesische „Gummiuhr“. Da kann der Taxifahrer schon mal schnell für sein Mittagessen anhalten.
    Ich will natürlich auch alles probieren und schwuppdiwupp befinde ich mich im nächsten Flashback: übertrieben süßer Tee, pisang goreng (frittierte Bananen), Misop mit - und jetzt kommt die stärkste kulinarische Erinnerung - süßer Sojasoße. Reisnudeln in Brühe mit Röstzwiebeln, Hühnerfetzen, einem gekochten Ei und pinken gepufften Crackern, von denen kein Mensch weiß, was das eigentlich ist. Meine Geschmacksknospen funken an mein Gehirn: Tini, dieses Essen kennen wir! Und tatsächlich, es schmeckt wie Heimkommen. Dass Hermann nebenher noch seine Nelkenzigarette pufft, rundet das Deja-vu-Erlebnis vollends ab. Ein
    Comeback für alle Sinne.

    Und dann ist es soweit: wir fahren über die Brücke, nach der es links zum einzig wirklich touristischen Ort der Insel geht - Sorake. Dort tummeln sich ein paar Handvoll Surfer auf der Jagd nach der perfekten Welle. Wir jedoch fahren gerade aus, vorbei an den wunderbar grünen Reisfeldern, die so markant in meiner tief verankerten Nias-Erinnerung sind. Mein Herz schlägt höher, denn wir fahren nach Hilimaenamölö ein. Ich bin richtig nervös. Und dann sehe ich sie - unsere knallbunte Villa Warna Warni. Ich springe aus dem Auto, falle zuerst Felix und dann Juli in die Arme und nach und nach kriechen aus allen Türen die Kids heraus. Sie alle nacheinander zu umarmen, ist ein überwältigendes Gefühl. So vertraut und doch so aufregend.

    Hallo Nias. Hallo Villa Warna Warni.

    Oder wie es ab jetzt wieder heißt:

    Ya‘ahowu :)

    Infos:
    www.villawarnawarni.de
    Facebook & Instagram @Villa Warna Warni

    Dokumentation:
    https://youtu.be/fEzmNBOhLJY (deutsch)

    https://m.youtube.com/watch?v=10r8DOYM5g4&f… (englisch)
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